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Vom glänzenden Stein
ОглавлениеEin Leben, das aus dem Schauen und Genießen Gottes kommt.
Vorrede
Ein Mensch, der im vollkommensten Stande der heiligen Kirche leben will, der muss ein ernsthafter guter Mensch sein, ein innerlicher geistlicher Mensch, ein erhobener, gottschauender Mensch, und ein mitteilender allgemeiner Mensch. - Sind diese vier Stücke in ihm zusammen vorhanden, dann ist sein Stand vollkommen. Er wächst und nimmt allezeit zu durch Mehrung der Gnade in allen Tugenden und in Erkenntnis der Wahrheit, vor Gott und allen rechtschaffenen Menschen.
Durch drei Stücke wird der Mensch gut.
Nun vernehmet drei Stücke, die einen guten Menschen ausmachen.
Das Erste, was ein guter Mensch haben muss, das ist ein reines Gewissen, ohne Anklage von Todsünden. Wer deshalb ein guter Mensch werden will, der muss sich mit gehöriger Unterscheidung prüfen und erforschen, von der Zeit an, dass er sündigen konnte. Und von dieser Zeit an muss er sich reinigen nach der Vorschrift und dem Brauch der heiligen Kirche.
Das Zweite, was zu einem guten Menschen gehört, ist, dass er in Allem, Gott, der heiligen Kirche, wie auch seiner eigenen Überzeugung gehorsam sein muss. Diesen Dreien muss er gleich gehorsam sein, dann lebt er ohne Zweifel und Sorge, und er bleibt immer ohne Vorwürfe bei all seinem Tun.
Das Dritte, was jeder gute Mensch braucht, das ist, dass er in seinem ganzen Thun hauptsächlich Gottes Ehre im Sinne habe. Wenn er aber auch infolge von Beschäftigung und allerlei Arbeit nicht stets Gott vor Augen hat, so muss doch mindestens die Meinung und das Verlangen in ihm feststehen, dem liebsten Willen Gottes gemäß zu leben. Siehe, diese drei Stücke, wenn man sie derart besitzt, machen, dass man ein guter Mensch ist.
Wem aber eins von den Dreien fehlt, der ist weder gut noch in der Gnade Gottes. Sobald jedoch irgend ein Mensch in seinem Herzen den Beschluß faßt, diese drei Punkte zu beobachten, so wird er in demselben Augenblick gut, wie schlimm er auch vorher gewesen sein mag und er ist Gott angenehm und voll der Gnade Gottes:
Durch drei Stücke wird der Mensch innerlich.
Soll nun aber dieser gute Mensch weiter ein innerlicher geistlicher Mensch werden, so gehören dazu noch drei weitere Stücke. Das erste ist Bildlosigkeit des Herzens, das zweite ist geistliche Freiheit in der Begierde, das dritte ist das Gefühl innerlicher Einigung mit Gott.
Nun beobachte sich ein‘ jeder, dem es dünkt, er sei geistlich. Will jemand bildlos sein von Herzen, so kann er kein Ding mit Liebe besitzen noch mit Willenszuneigung an Jemanden hangen oder mit ihm verkehren; denn aller Verkehr und alle Liebe, die nicht rein die Ehre Gottes bezwecken, bringen Bilder in das menschliche Herz, weil sie nicht aus Gott geboren sind, sondern aus dem Fleisch.
Soll darum ein Mensch geistlich werden, so muss er alle fleischliche Lust und Liebe verleugnen, an Gott allein mit Lust und Liebe hangen und ihn dadurch besitzen. Damit wird alle Verbildetheit und ungeordnete Liebe zu den Kreaturen beseitigt. Aber Gott durch die Liebe besitzen, das macht den Menschen von innen bildlos; denn Gott ist ein Geist, von dem niemand sich ein eigentliches Bild machen kann. Wohl aber soll der Mensch in der Uebung gute Bilder zu Hilfe nehmen, wie das Leiden unseres Herrn, und alles was zur Vertiefung der Andacht anregen kann. Im Besitze Gottes aber muß der Mensch sich in die nackte Bildlosigkeit begeben, die Gott ist.
Das ist das erste Stück und das Fundament eines geistlichen Lebens.
Das zweite ist die innere Freiheit. Durch diese vermag sich der Mensch bildlos und ungehindert zu Gott zu erheben in allen innerlichen Übungen, d. i. in Dank und Lob, in Würdigkeit, in dem andächtigen Gebet einer in¬nigen Liebe, und in allem was Lust und Liebe, mit Beihilfe Gottes, und durch innerlichen Ernst, in allen geistigen Übungen zu wirken vermag.
Vermittelst dieser innerlichen Übung erreicht man das dritte, und das ist, dass man eine geistige Einigung mit Gott fühlt. So jemand in seiner innerlichen Übung einen bildlosen freien Aufgang zu seinem Gott hat, und nichts meint als die Ehre Gottes, so muss er die Güte Gottes schmecken und er muss von innen eine wahrhafte Einigung mit Gott fühlen. In dieser Einigung erreicht man das innere geistliche Leben. Es wird nämlich in dieser Einigung das Verlangen stets von neuem gereizt und zu erneuter innerer Tätigkeit erweckt; und so wirkend, geht der Geist aufwärts in einem neuen Vereinigen.
So erneut sich Werk und Einigung fortwährend, und dieses Erneuern in Wirken und Einigung, das ist ein geistliches Leben. Und so könnt ihr nun ersehen, wie der Mensch gut ist vermittelst sittlicher Tugenden und rechter Meinung, und wie er geistlich werden kann vermittelst innerer Tugend und Einigung mit Gott. Ohne die genannten Punkte aber vermag er weder gut noch geistlich zu sein.
Durch drei Stücke wird der Mensch schauend.
Ihr müsst aber ferner wissen: Soll dieser geistliche Mensch nun ein gottschauender Mensch werden, so gehören dazu ebenfalls drei Stücke oder Punkte. Erstens, dass er das Fundament seines Wesens grundlos fühle; und dazu muss er es besitzen.
Zweitens, dass seine Übung weiselos [ohne Form oder Methode] sei.
Drittens, sein Innewohnen soll ein göttliches Genießen [Nutznießen] sein. - Nun verstehet, ihr, die ihr im Geiste leben wollt, - denn ich rede zu niemand anderem: - Die Einigung mit Gott, die der geistliche Mensch fühlt, sobald der Herr die Einigung dem Geiste grundlos offenbart, die ist maßlos tief, maßlos hoch, maßlos lang und breit.
In dieser Einigung wird der Geist gewahr, dass er sich selbst durch die Minne entsunken ist in die Tiefe, und entstiegen in die Höhe, und entgangen in die Länge; und er fühlt sich verirrt in die Weite, und fühlt sich wohnend in einer unbekannten Bekanntheit. Und er fühlt sich zerflossen durch das ihm anhaftende Gefühl der Einigung in der Einheit, und durch völliges Ersterben in der Lebendigkeit Gottes.
Und da fühlt er sich als ein Leben mit Gott. - Das ist das Fundament und der erste Punkt im schauenden Leben. Daraus entspringt nun der zweite Punkt, das ist eine Uebung über der Vernunft und ohne Weise. Denn die Einheit Gottes, die von jedem schauenden Geiste in Minne Besitz ergriffen hat, die zieht ewiglich hinein und lädt die göttlichen Personen und alle minnenden Geister in ihre Selbstheit ein.
Dieses Hineinziehen fühlt ein jeder der minnt, mehr oder minder, je nach dem Maß seiner Minne und der Art seiner Übung; und wer das Hineinziehen wahrnimmt und dabei bleibt, der kann nicht in Todsünde fallen. Der schauende Mensch aber, der sich und alle Dinge verleugnet hat, der nichts fühlt was ihn abzieht (weil er nicht als Eigen besitzt, sondern aller Dinge ledig ist), der kann jederzeit nackt und bildlos in das Innerste seines Geistes kommen.
Allda findet er geoffenbart ein ewiges Licht; und in dem Lichte fühlt er das ewige Einmahnen der Einheit Gottes; und er fühlt sich als einen ewigen Minnebrand, den es mehr als alles gelüstet, eins zu sein mit Gott. Je deutlicher er das Hineinziehen oder Einmahnen wahrnimmt, umso mehr fühlt er es; und je mehr er es fühlt, so mehr gelüstet ihn eins zu sein mit Gott; denn es drängt ihn, die Schuld zu bezahlen, an die er von Gott gemahnt wird. Das ewige Einmahnen der Einheit Gottes bewirkt im Geiste ein ewiges Brennen in Minne; dass aber der Geist die Schuld unablässig bezahlt, das versetzt ihn in ein ewiges Verbrennen.
Denn in der Übergestaltung [oder Transfiguration] seitens der Einheit werden alle Geister zu wirken unfähig, und fühlen nichts anderes, als nur ein Verbrennen in der einfachen Einheit Gottes.
Diese einfache Einheit Gottes kann niemand fühlen noch besitzen, es sei denn, er stehe vor ihr in der unermesslichen Klarheit und in der Minne, über der Vernunft und ohne Weise. In diesem Gegenüberstehen fühlt der Geist in sich das ewige Brennen in Minne. Und in diesem Minnebrand findet er nicht Ende noch Anfang; und er fühlt sich eins mit diesem Minnebrand. Der Geist bleibt immerfort brennend in sich, denn seine Minne ist ewig; und immerfort fühlt er sich in Minne brennen, denn er wird in die Übergestaltung der Einheit Gottes gezogen. Wäh¬rend der Geist in Minne brennt, findet er, ehe er es selbst beachtet, Unterschied und Anderheit zwischen sich und Gott; aber da er verbrennt, da ist er einheitlich und hat keine Unterscheidung und fühlt deshalb nichts anderes als Einheit, - denn die unermessliche Flamme der Minne Gottes verzehrt und verschlingt alles was sie erreichen kann in ihrer Selbstheit.
Und daraus möget ihr ersehen, dass die hineinziehende Einheit Gottes nichts anderes ist als die grundlose Minne, die den Vater und den Sohn, und alles was in ihm lebt, minnend in ein ewiges Genießen hineinzieht. Und in dieser Minne wollen wir brennen und verbrennen ohne Ende in Ewigkeit, denn hieran ist aller Geister Seligkeit gelegen. Und darum müssen wir alle unser Leben auf einen grundlosen Abgrund gründen, dann können wir ewiglich in Minne sinken, und uns selbst entsinken in die grundlose Tiefe. Und mit derselben Minne sollen wir aufsteigen und uns entsteigen in die unbegreifliche Höhe Und in der Minne ohne Weise sollen wir irren und uns verirren, und sie soll uns leiten und verleiten in die Unermessliche Weite der Gottesminne. Und in dieser sollen wir fließen und uns entfließen in die unbekannte Wonne der Güte und des Reichtums Gottes. Und darin sollen wir schmelzen und verschmelzen, wallen und verwallen ewiglich in Gottes Glorie. - Seht, in jedem von diesen Bildern zeige ich dem schauenden Menschen sein Wesen und seine Übung, aber nur er und sonst niemand kann es verstehen: Denn das schauende Leben kann keiner den anderen lehren. Wo sich aber die ewige Wahrheit of¬fenbart Im Geiste, da wird alles gelehrt was not tut.
Von dem glänzenden Stein und dem neuen Namen im Buche der Heimlichkeit Gottes.
Und deshalb spricht der Geist unseres Herrn im Buche des Geheimnisses Gottes, welches Sankt Johannes niederschrieb: „Dem Überwinder“, sagt er (das ist demjenigen, der sich selbst und alle Dinge überwindet), „dem werde ich geben verborgenes Himmelsbrot“ (d. i. innerlichen verborgenen Geschmack und himmlische Freude), „und ich will ihm geben einen glänzenden Stein und auf dem Stein geschrieben den Namen den niemand kennt, als der Empfänger.“
- Dies Steinlein wird genannt Calculus, das heißt wörtlich „Trittlein „, seiner Kleinheit wegen; denn wenn es auch ein Mensch unter seinen Fuß tritt, es tut nicht weh. Dies Steinlein ist glänzend weiß und rötlich wie eine Feuerflamme. Und es ist klein, und rund; und ringsum glatt, und sehr leicht. Unter diesem glänzenden Steinlein verstehen wir unseren Herrn Jesus Christus, denn seiner Gottheit nach ist er ein Strahl des ewigen Lichtes und ein Schein der Glorie Gottes, und ein fleckenloser Spiegel, darin alle Dinge leben. Wer nun alle Dinge überwindet und übersteigt, dem wird dieser leuchtende Stein gegeben und damit empfängt er Klarheit, Wahrheit und Leben.
Dieser Stein ist auch ähnlich einer feurigen Flamme, denn die feurige Minne des ewigen Wortes hat das ganze Erdenreich erfüllt mit Minne, und will alle minnenden Geister in Minne zu Nichte verbrennen. Dies Steinlein ist auch so klein, dass es der Mensch kaum fühlt, wenn er es unter die Füße tritt. Und darum heißt es Calculus, d. i. Trittling. - Dieses deutet uns Sankt Paulus, da er sagt, dass „der Sohn Gottes sich klein gemacht hat, und hat Knechtes Gestalt angenommen, und ist gehorsam gewesen bis zum Tod am Kreuz.“ - Und der Sohn Gottes selbst spricht durch des Propheten Mund: „Ich bin ein Wurm und nicht ein Mensch, ein Gelächter der Menschen und ein Auswurf des Volkes.“ Und er machte sich so klein in der Zeit, daß ihn die Juden unter die Füße traten.
Sie aber fühlten‘s nicht; denn hätten sie den Sohn Gotteserkannt, sie hätten ihn nicht zu kreuzigen gewagt. Auch ist er klein und ungeachtet in allen Menschenherzen, die ihn nicht sehr minnen. Das edle Steinlein, von dem ich spreche, ist ganz rund und rundum glatt. Dass der Stein rund ist, das lehrt uns, dass die göttliche Wahrheit weder Anfang noch Ende hat; dass er rundum glatt und eben ist, lehrt, dass die göttliche Wahrheit alles ebenmäßig abwägt und jedem nach seinem Verdienste geben wird; und was sie gibt, das wird für ewig sein. Die letzte Eigenschaft des Steines, von der ich sprechen will, ist, daß er besonders leicht ist; denn das ewige Wort des Vaters hat kein Gewicht, und dennoch trägt es Himmel und Erde durch seine Kraft; und es ist allen Dingen gleich nah, dennoch kann es niemand erreichen; denn es entschwebt und entfernt sich von allen Kreaturen, und offenbart sich nur wo es will und wem es will; und in seiner Leichtigkeit hat die Schwere unserer Menschheit alle Himmel erklommen und sitzt gekrönt zur rechten Hand des Vaters.
Seht, das ist der glänzende Stein, der dem Menschen gegeben wird, und auf diesen Stein ist ein neuer Name geschrieben, den niemand kennt, als der ihn empfängt. Ihr müsst Wissen, dass alle Geister bei ihrer Umkehr zu Gott mit Namen genannt werden, ein jeder besonders, nach dem Wert seines Dienstes und nach der Höhe seiner Minne. Denn nur der erste Name der Unschuld, den wir in der Taufe empfangen, ist geziert mit den Verdiensten unseres Herrn Jesus Christus. Und ‚wenn wir diesen Namen der Unschuld durch die Sünde verlieren, - wenn wir dann aber noch folgsam sein wollen, besonders bei drei Werken, die er in uns wirken will, - so werden wir zum zweiten Male getauft im Heiligen Geist. Und da empfangen wir einen neuen Namen, der uns ewiglich bleibt.
Von dem Werke, das Gott in allen insgemein wirkt.