Читать книгу Precious Love - Jana Reeds - Страница 6
Tyler
ОглавлениеDie Kleine in dem knappen, roten Bikini sah verdammt gut aus. Ich hob meine Sonnenbrille an, um genauer hinzusehen. Tolle Kurven, leicht gebräunte Haut und Brüste, die mit den kleinen dreieckigen Stofffetzen nur notdürftig bedeckt wurden. Sie warf einen Blick über ihre Schulter, schaute mich an und lächelte. Es war nicht der erste Blickkontakt, den wir hatten. Ich wollte mich gerade aus meinem Liegestuhl erheben, zu ihr gehen und sie fragen, ob sie Lust hatte, mit mir einen Drink zu kippen, als eine tiefe Stimme Fantasien unterbrach, die nichts mehr mit einem Getränk, dafür sehr viel mit nackter Haut und zerwühlten Laken zu tun hatten.
„Mr. Norman.“ Ein Schatten schob sich vor die Sonne. Genauer gesagt der Schatten von Morris, dem Butler meiner Eltern. Ich kannte Morris schon, seit ich ein fünf Jahre alter Bengel war und Sandburgen baute. Ich hatte Respekt vor ihm, was wahrscheinlich daran lag, dass er mich mehr als einmal aus dem Meer fischen musste. Als Kind hatte ich mich bei jedem Seegang ins Wasser gestürzt, egal, wie gefährlich es war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er immer geradeheraus das sagte, was er meinte, ohne Rücksicht darauf, mit wem er es zu tun hatte.
„Ja, was ist, Morris?“ Ich konnte mir denken, warum er hier war. Ich fragte nur, um Zeit zu schinden, was blöd war, aber … egal. Der Grund seines Hierseins hatte garantiert nichts mit den Badeschönheiten zu tun, die sich am Meer tummelten, sondern mit der Tatsache, dass ich mich schon seit Wochen nicht mehr bei meiner Mutter hatte blicken lassen. Ich vermied Besuche in meinem Elternhaus, seit mein Vater vor drei Monaten überraschend an einem Herzinfarkt gestorben war.
„Mrs. Norman hätte gern mit Ihnen gesprochen. Es ist wichtig. Ganz davon abgesehen sollten Sie Ihre Mutter eindeutig mal wieder mit einem Besuch beehren.“ Ein stahlharter Blick aus grauen Augen traf mich. Obwohl Morris in einem dunkelblauen Anzug vor mir im Sand stand, inmitten nur wenig bekleideter Sonnenanbeter, verlor er nichts von seiner imposanten Erscheinung. Keine Ahnung, wie der Mann das anstellte, aber er schaffte es immer, eine Aura der Autorität und stoischen Ruhe um sich zu verbreiten.
„Ich weiß.“ Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Alles in der Bemühung, so zu tun, als würde mich Morris nicht wie einen kleinen Jungen fühlen lassen, der seine Suppe nicht aufgegessen hatte. „Ich habe im Moment viel zu tun“, fügte ich hinzu.
Die Aussage traf auf Schweigen. Der Blick aus den stahlgrauen Augen wurde noch durchdringender.
„Oh, okay. Sie wissen genau, warum ich mein Elternhaus meide. Warum schauen Sie mich so an?“
„Vor seinen Gefühlen davonzulaufen, hat noch nie etwas Gutes gebracht.“
„Mag sein, aber wenigstens werden keine schmerzhaften Erinnerungen wachgerufen, wenn ich hier am Strand liege.“
Statt einer Antwort verschränkte Morris die Arme vor der Brust. Noch immer sah er mir in die Augen. Ich wusste schon jetzt, wer als Erster wegschauen würde. „Na gut, ich komme.“
„Wann?“
Verdammt. Der Mann kannte mich zu gut.
„Am Wochenende.“
Morris zog die Augenbrauen hoch.
„Okay, okay. Morgen Mittag zum Lunch.“
Keine Bewegung. Nicht einmal ein Nicken.
„Also gut. Heute Abend.“
Morris drehte sich um. „Achtzehn Uhr. Seien Sie pünktlich.“
Obwohl Fisher Island nur drei Meilen vom Miami South Pointe Park entfernt ist – im Grunde hätte ich meiner Mutter zuwinken können, als ich dort am Strand saß –, dauerte es mit dem Auto etwa eine Dreiviertelstunde, bis ich dort war. Von dieser Zeit verbrachte ich den größten Teil auf der privaten Fähre, auf der nur Besucher und Bewohner von Fisher Island zugelassen sind. Aber das war nicht weiter schlimm, ich genoss die langsame Fahrt über den schmalen Wasserstreifen, der zu der kleinen Insel führte. Auf Fisher Island zu wohnen, bedeutete, dass man Geld hatte. Verdammt viel Geld.
Ich wuchs dort auf und verbrachte die meiste Zeit meines Lebens im oder auf dem Wasser. Jetski, Surfen, Tauchen, Segeln, Schwimmen. Egal, was es war, solange es was mit dem Meer zu tun hatte, war ich dabei.
Die Fähre legte langsam an und ich fuhr hinunter. Eine Meile noch, dann passierte ich das große eiserne Tor, das vor mir aufschwang. Morris hatte recht. Ich war schon zu lange nicht mehr hier gewesen. Seit dem Tod meines Vaters hatte ich mich mit meiner Mutter fast nur noch in Restaurants getroffen. Oder im Country Club. Hauptsache, ich musste nicht nach Hause und die Räume betreten, die so viele Erinnerungen an meinen Vater bargen … und an unsere letzte Begegnung.
Ich stellte den Motor ab und blieb für einen Augenblick sitzen, atmete tief durch. Dann erst öffnete ich die Fahrertür und stieg aus. Vor mir erhob sich der dreistöckige Bau. Eine weiß gestrichene Fassade, jede Menge Rundbögen. Alles sah aus wie immer. Die Auffahrt gesäumt von einem gepflegten Rasen, Palmen und Zitrusbäumen. Der Duft von Orangen lag in der Luft. Für mich bedeutete dieser Geruch, dass ich zu Hause war. Meine Mutter stammte aus Orlando, sie war in der Nähe der riesigen Orangenplantagen, die man in diesem Teil von Florida findet, aufgewachsen und hatte ein Stück ihrer Heimat mit nach Fisher Island gebracht.
Ich öffnete die Haustür mit meinem Schlüssel und trat ein, der helle Marmor der Eingangshalle glänzte, als sei er gerade eben poliert worden. Und so wie ich Giselle, die Haushälterin meiner Eltern, kannte, war genau das der Fall.
Ich schluckte. Dass der alte Mann tot war, konnte ich noch immer nicht glauben. Noch weniger wollte ich daran erinnert werden. Zum Glück hörte ich eilige Schritte auf mich zukommen, dann betrat meine Mutter die Eingangshalle.
„Tyler, da bist du ja!“ Sie umarmte mich, dann trat sie einen Schritt zurück. „Wie geht es dir?“, fragte sie mich mit leiser Stimme.
„Gut. Es geht mir gut.“ Ich räusperte mich. „Es tut gut, wieder hier zu sein“, sagte ich dann. Es war nicht einmal eine Lüge – oder zumindest keine allzu große Lüge. Es war gut, wieder in meinem Elternhaus zu sein.
„Schön!“ Mutter lächelte mich an. In ihren Augen lag noch die Traurigkeit, deren Anblick mir in den letzten Wochen so vertraut geworden war. Der plötzliche Tod meines Vaters war nicht nur für mich ein schwerer Schlag gewesen.
„Du bist ganz zerzaust.“ Sanft strich sie mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann richtete sie meinen Hemdkragen. „So“, sagte sie zufrieden, „jetzt siehst du schon wieder etwas präsentabler aus.“
Ich grinste sie an. „Die Frauen mögen diesen zerzausten Look.“
„Das kann sein, aber ich bin deine Mutter.“ Wieder stahl sich dieses Lächeln, das nicht ganz ihre Augen erreichte, auf ihr Gesicht. „Ich dachte, wir essen erst und dann … Es gibt da etwas, was dein Vater dir zeigen wollte, kurz bevor er …“ Sie brach ab. In ihren Augen schimmerten Tränen. „Lass uns ins Esszimmer gehen. Giselle hat Penne arrabbiata gemacht. Sehr scharf, so wie du sie am liebsten magst. Komm.“ Sie drehte sich um und ging voraus, ihre Absätze klapperten auf dem Marmor. Der Klang gehörte ebenso zu meiner Kindheit wie der Duft von Orangenbäumen.
Meine Mutter führte mich ins Esszimmer. Jetzt, im Hochsommer, war es zu heiß, um auf der Terrasse zu sitzen. Sonnenlicht strömte durch die großen Flügeltüren, die Klimaanlage surrte leise und sorgte dafür, dass in dem Raum eine angenehm kühle Temperatur herrschte.
Der Tisch im Esszimmer war wie immer makellos gedeckt mit einer blütenweißen Tischdecke, teurem Porzellan und Kristallgläsern. Giselle kam und trug das Essen auf, kaum dass wir uns gesetzt hatten. Meine Mutter hob ihr Weinglas und prostete mir zu.
„Auf uns und …“ Sie schluckte. „Ich bin froh, dass du gekommen bist. Walter hätte nicht gewollt, dass dir eure letzte Begegnung so viel Trauer bereitet. Er wollte …“ Wieder schluckte sie. Ich konnte ihr förmlich ansehen, dass sie ihre Tränen zurückhalten musste. „Er war so aufgeregt in den Tagen kurz vor seinem Ableben. Er erzählte mir immer wieder, er hätte etwas entdeckt. Etwas, was genau das sei, was du … Er hat ein Projekt geplant, das er mit dir gemeinsam umsetzen wollte und … Entschuldige.“ Sie hob ihre Serviette und tupfte ihre Augen ab. „Ich habe dir die Unterlagen, an denen er gearbeitet hat, ins Arbeitszimmer gelegt. Du solltest dir das mal anschauen.“
„Worum geht es denn?“
„Das findest du am besten selbst heraus. Aber ich glaube, er hatte recht. Ich glaube, du wirst verstehen, was er meinte und warum er so begeistert war.“
„Du machst es ja ziemlich spannend.“
„Ja, nicht wahr? Aber jetzt lass uns essen, bevor alles kalt wird, sonst schimpft Giselle mit uns.“
Eine Stunde später stand ich im Büro meines Vaters im ersten Stock. Der Raum war genau so eingerichtet, wie man es von einem Mann vermuten würde. Schwere Mahagoni-Möbel, dick gepolsterte lederne Sessel. Nicht mal der Kamin fehlte, und das, obwohl er in Florida höchstens im Januar oder Februar benutzt wurde. Die Wand gegenüber der Tür wurde vollkommen von einem Bücherregal in Anspruch genommen. Hier bewahrte mein Vater die kostbaren Erstausgaben auf, die er im Laufe seines Lebens erworben hatte. Werke von Hemingway, Faulkner, Edgar Allan Poe fanden sich hier ebenso wie die von James Fenimore Cooper oder Margaret Mitchell. Mein Vater hatte nicht nur einen vielfältigen Literaturgeschmack, sondern war schon immer jemand gewesen, der sich mit den unterschiedlichsten Themen beschäftigte.
Vorsichtig näherte ich mich seinem Schreibtisch. Ich konnte mich nur zu gut an unsere letzte Begegnung erinnern, und diese war nicht gerade harmonisch verlaufen. Ich hatte in dem Sessel vor dem Schreibtisch gesessen, mein Vater mir gegenüber. In der Hand ein Glas Whiskey, denn es war bereits spät am Abend. Ich hatte auf Alkohol verzichtet, ich musste noch nach Hause fahren.
Wir redeten zuerst ganz entspannt, doch irgendwann kam das Thema auf meine fehlende Berufswahl. Mein Vater nahm einen Schluck von seinem Whiskey und knallte dann das Glas auf den Tisch.
„Es wird Zeit, dass du etwas mit deinem Leben anfängst. Verantwortung übernimmst und, verdammt noch mal, arbeitest!“
Natürlich reagierte ich genervt. Es war nicht das erste Mal, dass wir diese Unterredung führten.
Ich weiß noch, dass ich „Ja, ja“ murmelte.
„Nur weil du es finanziell nicht nötig hast, Geld zu verdienen, heißt das noch lange nicht, dass du dein Playboy-Dasein nicht aufgeben solltest“, ereiferte sich mein Vater.
„Ich denke drüber nach“, entgegnete ich damals ohne wirkliche Überzeugung. Ich wollte ihn nur besänftigen, damit ich mir nicht eine weitere seiner Tiraden anhören musste. Kurz darauf war das Thema beendet und mein Vater frustriert. Er war enttäuscht von mir. Zu diesem Zeitpunkt machte es mir nicht allzu viel aus. Ich hatte geglaubt, noch genügend Zeit zu haben, um ihm zu beweisen, aus welchem Holz ich geschnitzt war. Ich dachte, ich könnte noch ein, zwei Jahre das gute Leben genießen und dann voll ins Berufsleben einsteigen. Ich hatte sogar Pläne dafür gemacht …
Jetzt war Dad tot. Gestorben in dem Wissen, einen nichtsnutzigen Sohn in die Welt gesetzt zu haben, der außer etlichen Frauengeschichten nichts vorzuweisen hatte.
Ich umrundete den Schreibtisch und nahm im Schreibtischsessel meines Vaters Platz. Es fühlte sich seltsam an, auf dieser Seite des Tisches zu sitzen. Falsch irgendwie.
Die Tischplatte glänzte, als sei sie gerade erst poliert worden. Das Holz schimmerte in einem satten Dunkelbraun, durchzogen mit dunklen Rottönen. Der Computerbildschirm befand sich links von mir. Vor mir nur das teure Schreibtischset mit dem goldenen Füllfederhalter und einigen messerscharf gespitzten Bleistiften. Auf der ledernen Schreibtischmatte lag ein schmaler Ordner. Ich öffnete ihn. Hierin fand ich die Unterlagen, die mein Vater mir hatte zeigen wollen. Das Projekt, das ihm laut meiner Mutter so sehr am Herzen gelegen hatte, dass er nächtelang in seinem Arbeitszimmer gesessen und Dokumente studiert hatte.
Aufmerksam las ich die Schriftstücke, die mein Vater gesammelt hatte. Einige davon in Spanisch verfasst, was mir zum Glück keine Schwierigkeiten bereitete. Ich sprach es fließend – dank einiger Freunde, die meinen Eltern stets ein Dorn im Auge gewesen waren.
Als ich mit der Durchsicht fertig war, blieb ich auf der letzten Seite hängen. Dad hatte ein Diagramm gemalt. Ein Organisationsschema. Ganz oben erkannte ich meinen Namen, darunter hatte er Leute aufgelistet, die wir brauchen würden, um sein Vorhaben durchzuführen. Meist stand dort die Jobbeschreibung wie Kapitän oder Taucher. Neben einigen dieser Bezeichnungen hatte er handschriftlich bereits Namen eingefügt.
Ich schloss den Ordner und lehnte mich zurück. Nichts in dem Gespräch mit meiner Mutter hatte mich auf das vorbereitet, was ich gefunden hatte. Aber mein Vater hatte recht, zum ersten Mal in meinem Leben war ich bereit, an einem seiner Projekte teilzunehmen. Und „bereit“ war nicht einmal das richtige Wort dafür, ich konnte es nicht erwarten, mit der Arbeit zu beginnen.