Читать книгу Gauner sind unser Geschäft - Jana Scheerer - Страница 4
ОглавлениеKapitel 1 In dem ich auf einen billigen Trick hereinfalle, zum Prinzen ernannt werde und Wiebke mich an meine Detektiv-Regel Nummer 13 erinnert.
An dem heißen Freitagnachmittag, an dem alles begann, saß ich schwitzend in meiner Detektei, badete die Füße in einer Schüssel mit kaltem Wasser und tippte zerstreut auf meiner Schreibmaschine herum. Seit Tagen zeigte das Thermometer über fünfunddreißig Grad Celsius. Selbst mein im Untergeschoss gelegenes Büro hielt der Hitze nicht länger stand. Träge waberte warme Luft durch den Raum. Der Ventilator auf meinem Schreibtisch machte mehr Lärm als Wind. Eine dicke Fliege zog müde brummend ihre Runden.
Es juckte mich unter dem Hut.
Normalerweise ist dies ein sicheres Anzeichen dafür, dass Gefahr im Anzug ist. Doch ich konnte weit und breit keine Gefahr erkennen. Ganz im Gegenteil. Die Fälle der Detektei Donnerschlag waren in letzter Zeit für meinen Geschmack viel zu harmlos gewesen: Wir hatten entflogene Kanarienvögel gerettet, verlorene Geldbörsen wiedergefunden und einen Bonbondiebstahl aufgeklärt. Kleinkram dieser Art ist das tägliche Brot jeder Detektei. Doch mein Herz schlug für die großen, wilden, gefährlichen Fälle. Leider schienen alle Gauner und Gangster im Urlaub zu sein.
Wieder juckte es mich unter dem Hut.
Ich nahm den Hut ab, kratzte mich ausgiebig und erklärte meiner Kopfhaut, dass sie sich irrte. Gefahr war zurzeit Mangelware.
Ich hatte den Hut gerade wieder aufgesetzt, als auf meinem Mobiltelefon eine Nachricht meiner Kollegin Wiebke einging.
»Detektiv-Regel Nummer 13«, hatte Wiebke geschrieben, »einem echten Detektiv ist nichts peinlich. Er tut, was die Ermittlungen erfordern, ohne Rücksicht auf sein persönliches Befinden.«
Was sollte das heißen? Wollte Wiebke mir demonstrieren, dass sie meine Detektiv-Regeln auswendig wusste? Oder steckte mehr dahinter?
Ich beugte mich wieder über mein Telefon. Doch bevor ich weiterlesen konnte, klopfte es energisch an die Tür meiner Detektei.
»Herein!«, rief ich mit fester Stimme.
Ein großer, dünner Mann mit spärlichem Haar und einer randlosen Brille betrat den Raum. Unter den Achseln seines hellblauen Hemdes hatten sich dunkle Schweißflecken gebildet. Interessiert blickte er sich um. »Moin! So sieht es also aus in eurer Zentrale, aha, aha.«
»Wir sagen: Detektei«, korrigierte ich ihn. »Die drei mit der ›Zentrale‹ sind von einer anderen Firma. Was führt Sie zu mir? Weshalb klopfen Sie an meine Tür wie ein wohnungsloser Specht?«
Der geheimnisvolle Fremde lächelte.
»Dazu gleich mehr. Wie weit bist du denn mit den Übungsaufgaben? Nach den Ferien schreiben wir eine Klassenarbeit, das weißt du ja, Harald. Nicht dass du wieder so unterirdisch abschneidest wie letztes Mal.«
Na gut, na gut, na gut, ich gebe es zu: Der große, dünne Mann war weder fremd noch geheimnisvoll. Er war mein Mathelehrer, Herr Schuhpisser. Für die Sommerferien hatte er mir Übungsaufgaben gegeben und wollte nun offenbar kontrollieren, wie weit ich damit war.
Ich zog den Bogen Papier aus der Schreibmaschine, knüllte ihn zusammen, warf ihn in den Papierkorb und seufzte. Hoffentlich hatte wenigstens Wiebkes Nachricht irgendeinen geheimnisvollen Hintergrund.
»Nicht den Kopf hängen lassen, Harald.« Herr Schuhpisser sah mich an, als wäre ich ein Hund, dem man einen saftigen Knochen vor die Nase hält. »Falls es mit den Aufgaben einigermaßen läuft, hätte meine Frau einen Auftrag für dich. Na, was sagt du? Klingt das gut?«
»Einen Auftrag?« Die Sache schien interessanter zu werden als gedacht. Frau Schuhpisser war in Ruckelnsen die Bürgermeisterin. In welchen Schwierigkeiten steckte sie wohl? Vielleicht wurde der Ort erpresst?
Ich wies auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. »In Ordnung, nehmen Sie Platz. Ich werde mir Ihr Anliegen anhören.«
»Danke, Harald.« Er setzte sich. »Also, es geht um Folgendes …« Auf einmal wirkte Herr Schuhpisser niedergeschlagen und sorgenvoll. »Ähm … ich will ehrlich sein, Harald. Meine Frau braucht Hilfe. Die Hilfe von Profis. Die Hilfe der Detektei Donnerschlag. Allerdings ist es notwendig, dass ihr euch dafür verkleidet.«
Ich horchte auf. Wenn der Fall Tarnung erforderte, konnte es sich um keine kleine Sache handeln.
»Wiebke und du, ihr müsstet euch gleich morgen früh auf den Weg nach Humbug machen«, fuhr Herr Schuhpisser fort. »Ich weiß, es ist sehr kurzfristig, aber Wiebke meinte, das wäre möglich, und …«
Humbug? Und Wiebke hatte schon zugesagt? »Kein Problem, für Ihre Frau wird die Detektei Donnerschlag alle ihre anderen Termine verschieben.«
»Ja?« Herr Schuhpisser sah mich hoffnungsvoll an. »Geht das? Und bist du mit den Matheaufgaben so weit, dass du dir einen kleinen Ausflug nach Humbug erlauben kannst? Das hat deine Großmutter zur Bedingung gemacht. Ich habe bereits mit ihr gesprochen.«
»Selbstverständlich, es läuft alles bestens«, behauptete ich. In Wirklichkeit hatte ich die Aufgaben bisher nicht mal angeschaut. Meine Detektiv-Regel Nummer 31 lautet: Ein Detektiv sagt stets die Wahrheit – aber eigentlich hatte ich ja auch gar nicht gelogen. Die Detektei Donnerschlag hatte einen neuen, aufregenden Fall. Es lief also wirklich alles bestens.
»Gut, Harald. Dann ist die Sache gebongt. Hand drauf?«
Bevor er es sich anders überlegen konnte, schlug ich ein.
Herr Schuhpisser strahlte mich an. So fröhlich kannte ich ihn gar nicht. »Sehr schön«, rief er, »damit bist du der Ruckelnser Aal-Prinz, Harald! Freust du dich?«
»Ah … Aaaaaaaaaaaaaal-Prinz?«, stotterte ich entsetzt.
»Ja.« Herr Schuhpisser nickte. »Du hast ganz richtig gehört: Aal-Prinz. Herzlichen Glückwunsch.«
Ich saß da wie gelähmt. Es gibt nichts Peinlicheres, als den Aal-Prinzen spielen zu müssen. Jeden Sommer findet in Humbug der Hafenumzug statt. Dabei präsentieren sich alle Orte der Umgebung mit ihren Spezialitäten. Die Ruckelnser Spezialität ist Aal. Deshalb werden bei uns jedes Jahr eine Aal-Prinzessin und ein Aal-Prinz gewählt, die dann auf dem Ruckelnser Wagen mitfahren müssen, mit einer Krone auf dem Kopf. Und verkleidet als Aal.
»Moment mal.« Empört fuhr ich Herrn Schuhpisser an: »Das meinten Sie also damit, dass der Fall Tarnung notwendig macht. Und ich dachte, wir sollen undercover ermitteln. Sie haben mich belogen.«
Herr Schuhpisser grinste. »Ich habe von einem Auftrag gesprochen und nicht von einem Fall, Harald. Und nicht von Tarnung, sondern von Verkleidung. Für einen Detektiv hörst du nicht besonders gut zu.«
Das musste ich mir zähneknirschend eingestehen. Vielleicht war es einfach zu heiß.
»Du hast den Auftrag angenommen«, stellte Herr Schuhpisser zufrieden fest, »mit Handschlag.«
»Aber Lennard ist doch dieses Jahr der Aal-Prinz«, wandte ich ein.
»Lennard liegt mit einer schweren Erkältung im Bett. Und Jasmin auch. Als Aal-Prinzessin springt Wiebke ein. Sie hat dich als Aal-Prinzen vorgeschlagen.«
»Ach so.« Das besänftigte mich etwas. Mit Wiebke an meiner Seite war es nicht ganz so schlimm, mich als Aal-Prinz lächerlich zu machen. Trotzdem war es mir ein Rätsel, warum Wiebke zugesagt hatte und mich in die Sache mit hineinzog. Ihr war das Ganze doch sicher genauso peinlich wie mir. Ich kombinierte: Vielleicht hatte Wiebke vernünftige Gründe, die mir noch nicht bekannt waren. Schließlich hatte sie geschrieben: Einem echten Detektiv ist nichts peinlich. Er tut, was die Ermittlungen erfordern. Es bestand also die Möglichkeit, dass es in der Aal-Sache irgendetwas zu ermitteln gab. Ich beschloss, Wiebke zu vertrauen.
»Na gut«, willigte ich ein.
»Perfekt.« Herr Schuhpisser erhob sich. »Am besten kommst du gleich mit, meine Frau wartet im Rathaus mit den Kostümen auf Wiebke und dich. Zur Anprobe.« Er wandte sich zum Gehen. Kurz darauf hörte ich seine Schritte auf der Kellertreppe.
Ich nahm meine Füße aus der Schüssel mit dem kalten Wasser, trocknete sie ab, krempelte meine Hosenbeine herunter, zog meinen Mantel an, setzte den Hut auf und griff mir mein Mobiltelefon. Bevor ich Herrn Schuhpisser folgte, las ich noch schnell Wiebkes Nachricht zu Ende. Hast du Lust auf einen Fall, bei dem es um eine abgehackte Knochenhand, Gold und Juwelen geht? Dann folgte ein Link zu einem Online-Artikel. So schnell es ging, überflog ich die Zeilen:
Wer raubte die Juwelenhand?
Humbug. Am Mittwochnachmittag kam es in Humbug zu einem der größten und dreistesten Diebstähle der letzten Jahre: Am helllichten Tag raubten Gauner aus dem Opernmuseum die rechte Hand des berühmten Komponisten Melchior von Brokelfurth. Die Knochen waren seit dem Ableben Brokelfurths vor dreihundertfünfzig Jahren in einer kunstvoll gestalteten, goldenen Hand verwahrt worden und lockten unter dem Namen »Juwelenhand« Besucher aus aller Welt in das Opernmuseum.
Bis jetzt.
Nun ist die Hand unter mysteriösen Umständen verschwunden. Um siebzehn Uhr drei erlosch im Museum plötzlich die Beleuchtung.
»Wir standen auf einmal komplett im Dunkeln«, berichtet eine schockierte Besucherin, »es war richtig unheimlich!«
Um die empfindlichen Ausstellungsstücke des Museums vor Sonnenlicht zu schützen, sind die Fenster des Museums lichtdicht verklebt.
»Es ging alles blitzschnell«, beschreibt ein entsetzter Besucher die Situation. »Es knallte und klirrte, dann ging das Licht wieder an, und ein Wachmann kam in das Zimmer gelaufen. Aber er konnte nichts mehr ausrichten. Die Vitrine war zerschlagen, und die Juwelenhand … die war weg!«
Durch den Alarm wurden automatisch alle Ausgänge des Museums verriegelt. Die Polizei war rasch zur Stelle und kontrollierte alle anwesenden Personen – doch niemand hatte die Juwelenhand bei sich.
Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe. Sachdienliche Hinweise richten Sie bitte an Ihr Polizeirevier oder diese Zeitung.
Ich musste lächeln. Das war also Wiebkes Plan: Unsere Rolle als Aal-Prinzenpaar ermöglichte uns einen Ausflug nach Humbug. Und dort würden wir natürlich nicht nur den Aal spielen, sondern zusammen mit unserer Kollegin Trix nach der verschwundenen Juwelenhand suchen. Perfekt.
»Harald?«, kam die Stimme meiner Großmutter von oben. »Wo bleibst du denn? Herr Schuhpisser wartet auf dich!«
Ich steckte das Handy ein und stieg die Kellertreppe hoch. Wiebke hatte vollkommen recht: Um in diesem spannenden, sicherlich gefährlichen Fall zu ermitteln, war wirklich kein Kostüm zu peinlich.
Meine Kopfhaut hatte sich anscheinend doch nicht geirrt.