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Achtes Kapitel
ОглавлениеDiese Nacht schlief Harriet in Hartfield. Seit ein paar Wochen hatte sie mehr als die Hälfte ihrer Zeit dort verbracht, und allmählich war man dazu übergegangen, ihr ein eigenes Schlafzimmer einzurichten. Emma hielt es in jeder Hinsicht für das Beste, Sicherste und Freundschaftlichste, sie gegenwärtig soviel wie möglich bei sich zu behalten. Am nächsten Morgen mußte sie für ein oder zwei Stunden zu Mrs. Goddard gehen, dann aber sollte vereinbart werden, daß sie zu einem regelrechten Besuch von ein paar Tagen nach Hartfield käme.
Während ihrer Abwesenheit kam Mr. Knightley und saß eine Weile bei Mr. Woodhouse und Emma, bis ihr Vater, der einen Spaziergang vorgehabt hatte, sich von ihr überreden ließ, ihn nicht aufzuschieben, und auf die Bitten beider – freilich gegen seine Höflichkeitsbedenken – schließlich Anstalten machte, sich von Mr. Knightley zu verabschieden. Mr. Knightley in seiner unzeremoniellen Art bot mit seinen kurzen, bündigen Antworten einen amüsanten Kontrast zu den endlosen Entschuldigungen und umständlichen Artigkeiten des andern.
»Nun gut, wenn Sie mich entschuldigen wollen, Mr. Knightley, und mich nicht für einen Grobian halter, will ich Emmas Rat befolgen und ein Viertelstündchen ausgehen. Da die Sonne herausgekommen ist, will ich meine drei Runden machen, solange sie scheint. Ihnen gegenüber bin ich ganz unzeremoniell, Mr. Knightley. Wir gebrechlichen Leute meinen immer, wir dürften uns Privilegien herausnehmen.«
»Mein lieber Mr. Woodhouse, behandeln Sie mich doch nicht wie einen Fremden.«
»Ich lasse Ihnen einen vortrefflichen Stellvertreter in meiner Tochter hier. Emma wird es eine Freude sein, Sie zu unterhalten. Und so will ich Sie denn bitten, mich zu entschuldigen, und meine drei Runden machen, meinen Winterspaziergang.«
»Sie können nichts Besseres tun, Sir.«
»Ich würde Sie um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft bitten, Mr. Knightley, aber ich gehe sehr gemächlich, bei meinem Schritt würden Sie sich langweilen; und außerdem haben Sie ja bis Donwell Abbey noch einen weiten Weg vor sich.«
»Danke, Sir. In ein paar Minuten muß ich selber aufbrechen, und ich glaube, je eher Sie gehen, desto besser. Ich will Ihren Mantel holen und Ihnen das Gartentor öffnen.«
Endlich war Mr. Woodhouse gegangen. Aber Mr. Knightley, statt sich ebenfalls gleich auf den Weg zu machen, setzte sich wieder und schien geneigt, noch ein Weilchen zu plaudern. Er fing von Harriet an und sprach so lobend über sie, wie Emma ihn nie gehört hatte.
»Ich bin von ihrer Schönheit nicht so berückt wie Sie, aber sie ist ein hübsches kleines Geschöpf und mit guten Anlagen, möchte ich glauben. Ihr Charakter hängt zwar von den Menschen ab, mit denen sie umgeht, aber in guten Händen wird sie sich zu einer wertvollen Frau entwickeln.«
»Ich freue mich, daß Sie so denken; und an guten Händen fehlt es ja wohl nicht.«
»Kommen Sie«, sagte er, »Sie sind auf ein Kompliment erpicht; so will ich gern sagen, Sie haben sie gefördert. Sie haben ihr das Schulmädchengekicher ausgetrieben; sie macht Ihnen wirklich Ehre.«
»Danke. Es wäre mir auch bitter, wenn ich glauben müßte, ich hätte ihr nicht genützt. Aber wer lobt einen denn, wenn man einmal ein Lob verdient? Sie wenigstens überhäufen mich nicht oft damit.«
»Sie erwarten sie noch heute vormittags zurück, sagten Sie?«
»Jeden Augenblick. Sie bleibt schon länger aus, als sie wollte.«
»Wer weiß, was sie aufgehalten hat? Vielleicht hat sie Besuch bekommen.«
»Stadtklatsch von Highbury! Diese langweiligen Schwatzbasen!«
»Nun, Harriet findet vielleicht nicht jeden langweilig, der Sie langweilt.«
Emma wußte zu gut, wie recht er hatte, um ihm zu widersprechen, darum sagte sie nichts darauf. Mit einem Lächeln fuhr er fort:
»Ich will mich nicht auf Zeit und Ort festlegen, aber ich muß sagen, ich habe guten Grund anzunehmen, daß Ihre kleine Freundin bald etwas hört, was für sie vorteilhaft ist.«
»So? Wieso denn? Was ist es?«
»Etwas sehr Ernstes, glauben Sie mir.« Er lächelte immer noch.
»Etwas sehr Ernstes? Dann kann es meines Erachtens nur eins sein. Wer ist in sie verliebt? Wer macht Sie zu ihrem Vertrauten?«
Schon war Emma voller Hoffnung, Mr. Elton habe eine Andeutung fallen lassen. Mr. Knightley war für jedermann eine Art Freund und Ratgeber, und sie wußte, daß Mr. Elton zu ihm aufsah.
»Ich habe Grund zu glauben, daß Harriet Smith bald einen Heiratsantrag bekommt, und von allerbester Seite. Robert Martin ist der Mann. Ihr Besuch in Abbey Mill letzten Sommer hat ihm offenbar den Rest gegeben. Er ist bis über beide Ohren in sie verliebt und will sie heiraten.«
»Sehr liebenswürdig von ihm«, sagte Emma. »Aber ist er denn sicher, daß Harriet ihn heiraten will?«
»Na ja, er will ihr einen Antrag machen. Genügt das nicht? Vor zwei Tagen kam er abends zur Abbey, um sich mit mir darüber zu beraten. Er weiß, daß ich ihn und seine ganze Familie von Grund aus schätze, und ich glaube, er betrachtet mich als einen seiner besten Freunde. Er wollte mich fragen, ob ich es unklug fände, wenn er so früh einen eigenen Hausstand gründete, und ob ich sie für zu jung halte, kurzum, ob ich seine Wahl im ganzen billige. Vielleicht war er etwas besorgt, man könnte finden, daß sie gesellschaftlich über ihm steht (besonders seit Sie soviel von ihr hermachen). Alles, was er sagte, hat mir sehr gefallen. Ich kenne keinen Menschen, der so verständig ist, so das Herz auf dem rechten Fleck hat wie Robert Martin. Er bleibt bei der Sache, redet offen und geradezu und hat ein sicheres Urteil. Er hat alles mit mir besprochen, seine Verhältnisse, seine Pläne, und wie sie sich alle im Fall seiner Heirat einrichten wollen. Er ist ein wohlgeratener junger Mann, sowohl als Sohn wie als Bruder. Ich habe ihm ohne Bedenken zugeraten zu heiraten. Er hat mir bewiesen, daß er dazu in der Lage ist, darum bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß er nichts Besseres tun kann. So habe ich denn die holde Maid gepriesen, und er ging sehr beglückt davon. Wenn er nie etwas von meiner Ansicht gehalten hätte, jetzt wäre ich hoch in seiner Achtung gestiegen, und sicherlich ging er aus dem Hause mit dem Gefühl, daß er in mir den besten Freund und Ratgeber hat, den ein Mensch haben kann. Das war vorgestern abend. Nun, da dürfen wir wohl annehmen, daß er nicht viel Zeit verstreichen lassen wird, ehe er mit der Dame spricht, und da er’s anscheinend gestern nicht getan hat, ist es nicht unwahrscheinlich, daß er heute zu Mrs. Goddard gegangen ist. So mag sie von einem Besucher aufgehalten werden, den sie durchaus nicht als langweilige Schwatzbase empfindet.«
»Bitte, Mr. Knightley«, sagte Emma, die während eines großen Teils dieser Rede vor sich hin gelächelt hatte, »wieso wissen Sie, daß Mr. Martin nicht gestern gesprochen hat?«
»Freilich«, erwiderte er erstaunt, »absolut sicher weiß ich es nicht, aber die Vermutung liegt doch nahe. War sie denn nicht den ganzen Tag bei Ihnen?«
»Kommen Sie«, sagte sie, »ich will Ihnen auch etwas erzählen, zum Dank für das, was Sie mir erzählt haben. Er hat schon gestern gesprochen – das heißt, er hat geschrieben und einen Korb bekommen.«
Das mußte sie wiederholen, ehe er’s glauben konnte. Mr. Knightley war tatsächlich rot vor Überraschung und Zorn, sprang in flammender Entrüstung auf und rief:
»Dann ist sie eine noch größere Gans, als ich geglaubt hätte. Was hat denn das törichte Mädchen im Sinn?«
»Oh, natürlich«, rief Emma, »für einen Mann ist es immer unvorstellbar, daß eine Frau einen Heiratsantrag zurückweisen könnte. Ein Mann bildet sich immer ein, eine Frau wartete nur auf den ersten besten, der um sie anhält.«
»Unsinn! Ein Mann bildet sich nichts dergleichen ein. Aber was soll das bedeuten? Harriet Smith gibt Robert Martin einen Korb? Ein Wahnsinn, wenn es wahr ist. Aber ich hoffe, Sie irren sich.«
»Ich habe ihre Antwort gelesen. Deutlicher konnte man es nicht sagen.«
»Sie haben ihre Antwort gelesen? Dann haben Sie ihre Antwort auch geschrieben. Emma, dies ist Ihr Werk! Sie haben sie dazu überredet, ihn abzuweisen!«
»Und wenn ich’s getan hätte – was ich jedoch nicht im entferntesten zugebe –, würde ich nicht das Gefühl haben, daß ich’s falsch gemacht habe. Mr. Martin ist ein sehr achtbarer junger Mann, aber ich finde ihn darum doch nicht Harriet ebenbürtig. Weiß Gott, ich bin einigermaßen erstaunt, daß er sich an sie herangewagt hat. Wie Sie sagen, hat er offenbar selber Skrupel gehabt. Schade, daß er sich darüber hinweggesetzt hat.«
»Ihr nicht ebenbürtig?« rief Mr. Knightley laut und heftig. Und nach ein paar Minuten fügte er, seine Schroffheit mäßigend, hinzu: »Nein, in der Tat, er ist Harriet nicht ebenbürtig, denn sowohl geistig wie auch seinen Verhältnissen nach steht er über ihr. Emma, Ihre Vernarrtheit in das Mädchen macht Sie blind. Was für Ansprüche stellt Harriet Smith denn hinsichtlich Geburt, Persönlichkeit und Bildung, die über eine Verbindung mit Robert Martin hinausgehen? Sie ist die natürliche Tochter von wer weiß wem, wahrscheinlich ohne jede geregelte Versorgung und gewiß ohne respektable Verwandtschaft. Man kennt sie nur als Pensionärin einer gewöhnlichen Schule. Sie ist weder ein gescheites noch irgendwie gebildetes Mädchen. Man hat sie nichts Nützliches gelehrt, und sie ist zu jung und zu einfältig, um sich selber etwas angeeignet zu haben. In ihrem Alter kann sie noch keine Erfahrung haben, und bei ihrem kurzen Verstand ist es nicht wahrscheinlich, daß sie je aus Erfahrungen etwas lernt. Sie ist hübsch und sie ist gutartig, das ist alles. Als ich zu der Heirat riet, galt meine einzige Besorgnis ihm, weil sie nicht an ihn heranreicht und eine schlechte Partie ist. Ich fand, daß er, was Vermögen angeht, es aller Wahrscheinlichkeit nach besser treffen könnte, und in Hinsicht auf eine verständige Gefährtin und nützliche Gehilfin konnte er’s nicht schlechter treffen. Aber solche Erwägungen mochte ich vor einem verliebten Mann nicht anstellen und habe mein Vertrauen darein gesetzt, daß nichts Schlechtes in ihr steckt, daß sie ein Menschenkind ist, das in guten Händen wie den seinen leicht auf dem rechten Weg zu führen ist und sich gut entwickeln kann. Die gute Partie sah ich ganz auf ihrer Seite und hatte nicht den mindesten Zweifel – und habe ihn auch jetzt nicht –, daß man allgemein die Hände überm Kopf zusammenschlagen würde über ihr unerhörtes Glück. Sogar Ihrer Zufriedenheit glaubte ich sicher zu sein. Es ging mir sofort durch den Sinn, Sie würden Ihre Freundin ohne Bedauern aus Highbury weggehen sehen, wenn sie sich so gut verheiratete. Ich weiß noch, wie ich mir sagte: Sogar Emma mit all ihrer Voreingenommenheit für Harriet wird finden, daß dies eine gute Partie ist.«
»Dann kann ich mich nur wundern, wie wenig Sie Emma kennen. Wie? Einen Bauern – und mit all seinem Verstand und all seiner Tüchtigkeit ist Mr. Martin doch nichts anderes – einen Bauern betrachten Sie als gute Partie für meine intime Freundin? Ich sollte nicht bedauern, wenn sie Highbury verläßt, um einen Mann zu heiraten, den ich nie in meinen Bekanntenkreis aufnehmen könnte? Ich bin erstaunt, daß Sie mir solche Empfindungen zutrauen. Da fühle ich ganz anders, versichere ich Ihnen. Ich finde Ihren Standpunkt keineswegs fair. Sie werden Harriets Ansprüchen nicht gerecht. Darüber würden auch andere Leute so denken wie ich. Mr. Martin mag der Wohlhabendere sein, aber in seinem Rang kann er sich nicht mit ihr messen. Sie bewegt sich in einer viel höheren gesellschaftlichen Sphäre als er. Es wäre eine Erniedrigung.«
»Eine Erniedrigung für uneheliche Geburt und Unwissenheit, einen ehrbaren, intelligenten Gutsherrn zu heiraten?«
»Was ihre Herkunft anlangt, mag man sie in juristischem Sinn ein Niemandskind nennen, für den gesunden Verstand ist das nicht stichhaltig. Sie soll nicht für das Vergehen anderer büßen, indem sie unter das Niveau gedrückt wird, auf dem sie erzogen ist. Man kann wohl kaum bezweifeln, daß ihr Vater ein Gentleman ist, und ein Gentleman mit Vermögen. Ihr Jahresgeld ist sehr großzügig bemessen, an ihrer Ausbildung und Ausstattung hat man nie geknausert. Daß sie die Tochter eines Gentleman ist, steht für mich fest, und daß sie mit Gentlemenstöchtern verkehrt, wird wohl niemand bestreiten. Sie gehört einer höheren Gesellschaftsschicht an als Mr. Martin.«
»Wer auch ihre Eltern sein mögen«, sagte Mr. Knightley, »wer immer mit ihrer Obhut betraut sein mag, es scheint nicht in ihrer Absicht gelegen zu haben, sie bei denen einzuführen, die Sie die gute Gesellschaft nennen. Nach einer sehr mittelmäßigen Erziehung ist sie Mrs. Goddards Händen übergeben worden, damit die sie weiterbringt, so gut sie kann – kurz, um sich auf der Linie Mrs. Goddards und in ihren Kreisen zu bewegen. Das fanden ihre Angehörigen offenbar gut genug für sie, und es war gut genug, sie selber wünschte sich nichts Besseres. Bis Sie geruhten, sie zu Ihrer Freundin zu machen, empfand sie keine Abneigung gegen ihresgleichen und hatte sie nicht den Ehrgeiz, höher hinaus zu wollen. Im Sommer war sie bei den Martins so glücklich, wie sie nur sein konnte. Damals dünkte sie sich noch nicht etwas Besseres. Wenn sie es jetzt tut, so haben Sie es ihr in den Kopf gesetzt. Sie haben damit nicht freundschaftlich an Harriet Smith gehandelt, Emma. Robert Martin wäre nie so weit gegangen, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, daß sie ihm nicht abgeneigt sei. Ich kenne ihn gut. Er ist in seinem Gefühl viel zu sicher, um in selbstischer Leidenschaft auf gut Glück um eine Frau anzuhalten. Und ich kenne keinen Menschen, dem Dünkel so fern liegt wie ihm. Verlassen Sie sich drauf, er ist ermutigt worden.«
Auf diese Behauptung ging Emma lieber nicht ein. Sie zog es vor, ihren eigenen Standpunkt weiter zu verfechten.
»Sie sind Mr. Martin ein sehr warmer Freund, aber, wie ich schon sagte, gegen Harriet sind Sie ungerecht. Harriets Ansprüche auf eine gute Heirat sind nicht so ungebührlich, wie Sie sie darstellen. Sie ist kein intelligentes Mädchen, aber gescheiter, als Sie wissen, und verdient nicht, daß man so abschätzig von ihrem Verstand spricht. Aber sehen wir einmal davon ab und nehmen wir an, sie wäre, wie Sie sie schildern, bloß hübsch und gutartig, so kann ich Ihnen nur sagen, daß diese Eigenschaften, in dem Maße, wie Harriet sie besitzt, in den Augen der Welt im allgemeinen keine belanglose Empfehlung sind. Sie ist wirklich ein schönes Mädchen, und neunundneunzig Leute von hundert müssen das finden; und solange sich nicht zeigt, daß die Männer über Schönheit viel philosophischer denken als man gemeinhin annimmt, solange sie sich nicht in einen gebildeten Geist statt in ein hübsches Gesicht verlieben, solange kann ein liebreizendes Mädchen wie Harriet sicher sein, daß es bewundert und begehrt wird und die Wahl unter vielen hat, also wählerisch sein darf. Auch ihre Gutartigkeit ist ja nicht so gering zu veranschlagen, denn dazu gehört ihr wahrhaft durch und durch liebes Wesen, ihre bescheidene Meinung von sich und ihre gutwillige Umgänglichkeit. Ich müßte mich sehr irren, wenn Ihr Geschlecht im allgemeinen solcher Schönheit und solchem Wesen nicht den höchsten Anspruch zubilligte, den eine Frau erheben kann.«
»Weiß Gott, Emma, wenn ich höre, wie Sie Ihre Vernunft mißbrauchen, könnte ich mich beinah zu Ihrer Ansicht bekehren. Besser keinen Verstand, als ihn so verkehrt anwenden, wie Sie es tun.«
»Natürlich«, rief sie scherzend, »ich weiß, so denkt ihr alle. Ich weiß, daß gerade ein Mädchen wie Harriet jeden Mann entzückt – sofort seine Sinne behext und seinen kritischen Verstand einlullt. O ja, Harriet darf sich getrost einen herauspicken, sie hat die Wahl. Sollten Sie selbst jemals heiraten, dann wäre sie die richtige Frau für Sie. Und ist es denn zu verwundern, wenn sie, die siebzehn Jahre alt ist und eben ins Leben tritt, eben anfängt, bekannt zu werden, nicht den ersten besten Antrag, den sie bekommt, annimmt? Nein, lassen Sie ihr bitte Zeit, sich umzusehen.«
»Ich habe diese intime Freundschaft immer als eine Narrheit angesehen«, sagte Mr. Knightley darauf, »ich habe nur meine Gedanken für mich behalten. Aber nun sehe ich, daß Sie Harriet ins Unglück bringen. Mit solchen Ansichten über ihre Schönheit, und was sie beanspruchen kann, werden Sie sie so aufblasen, daß ihr binnen kurzem kein Mann in ihrer Reichweite mehr gut genug ist. Eitelkeit kann in einem schwachen Kopf allerhand Unheil anrichten. Nichts leichter, als daß eine junge Dame ihre Erwartungen zu hoch spannt. Miss Harriet Smith dürfte noch dahinterkommen, daß es nicht alle Tage Heiratsanträge regnet, wenn sie auch ein hübsches Mädchen ist. Ein verständiger Mann, was Sie auch sagen mögen, will keine dumme Frau. Ein Mann aus guter Familie wird sich auch nicht leicht mit einem Mädchen von dunkler Herkunft verbinden, die meisten umsichtigen Männer würden die Mißlichkeiten und die Schande fürchten, in die sie verwickelt werden könnten, wenn das Geheimnis dieser Geburt eines Tages gelüftet würde. Lassen Sie sie Robert Martin heiraten, und sie ist für immer geborgen, geachtet und glücklich. Aber wenn Sie sie ermutigen, eine großartige Partie zu erwarten, wenn Sie ihr den Floh ins Ohr setzen, sie dürfe sich mit nichts Geringerem als mit einem Mann von Stande und großem Vermögen zufriedengeben, so bleibt sie vielleicht für den Rest ihres Lebens Pensionärin bei Mrs. Goddard – oder zum mindesten (denn Harriet Smith ist ein Mädchen, das schließlich doch irgendeinen heiratet), bis sie verzweifelt und heilfroh ist, wenn sie den Sohn des alten Schreiblehrers ergattern kann.«
»Über diesen Punkt gehen unsre Meinungen so auseinander, Mr. Knightley, daß es keinen Sinn hat, ihn weiter zu erörtern. Wir werden uns gegenseitig nur immer mehr verärgern. Nur daß ich sie Robert Martin heiraten lasse – das ist unmöglich; sie hat ihn abgewiesen, und so entschieden, daß, glaube ich, einem zweiten Antrag vorgebeugt ist. Sie muß nun die Folgen auf sich nehmen, wie sie auch sein mögen. Ich will nicht sagen, ich hätte sie bei ihrem Entschluß, nein zu sagen, nicht ein bißchen beeinflußt. Aber ich versichere Ihnen, ob ich oder sonst jemand, man brauchte nur sehr wenig nachzuhelfen. Seine Erscheinung nimmt zu sehr gegen ihn ein, und er hat gar zu bäurische Manieren. Sollte sie je etwas für ihn übrig gehabt haben, so jedenfalls jetzt nicht mehr. Ich kann mir vorstellen, daß sie ihn ganz leidlich fand, solange sie keinen feineren Mann gesehen hatte. Er ist der Bruder ihrer Freundinnen und hat sich Mühe gegeben, ihr zu gefallen; und überhaupt, da sie keinem Besseren begegnet war (das muß am meisten zu seinen Gunsten gewirkt haben), mag sie ihn, als sie in Abbey Mill war, nicht unsympathisch gefunden haben. Aber jetzt liegt die Sache anders. Sie weiß nun, was ein Gentleman ist, und nur ein Gentleman nach Bildung und Manieren hat bei Harriet eine Chance.«
»Unsinn! Der ärgste Unsinn, den je ein Mensch dahergeredet hat!« rief Mr. Knightley. »Robert Martins Benehmen zeigt einen verständigen, aufrichtigen, herzensguten Menschen, das kann nur für ihn einnehmen. Und in seinem Wesen liegt mehr wahre Vornehmheit, als Harriet Smith je begreifen kann.«
Emma gab keine Antwort und suchte heiter und unbekümmert auszusehen, in Wirklichkeit aber war ihr recht unbehaglich zumute und sie wünschte sehr, daß er ginge. Sie bereute nicht, was sie getan hatte. Sie glaubte immer noch, über das Recht und die Empfindlichkeit einer Frau stünde ihr eher ein Urteil zu als ihm. Trotzdem empfand sie etwas wie einen gewohnheitsmäßigen Respekt vor seinem Urteil im allgemeinen, deshalb war es ihr unlieb, daß es so laut gegen sie sprach; und daß er ihr in so zorniger Verfassung gegenüber saß, war ihr sehr unangenehm. Einige Minuten vergingen in diesem ungemütlichen Schweigen; nur Emma versuchte einmal, vom Wetter zu sprechen, doch er ging nicht darauf ein. Er war in seine Gedanken versunken. Schließlich sagte er:
»Robert Martin verliert nicht viel; wenn er es nur selber auch einsieht! Doch ich hoffe, es dauert nicht lange, bis es soweit ist. Was Sie mit Harriet vorhaben, wissen Sie selbst am besten. Wenn Sie aber schon aus Ihrer Leidenschaft fürs Ehestiften kein Hehl machen, darf man wohl annehmen, daß Sie bestimmte Aussichten, Vermutungen und Projekte haben – und als Ihr Freund möchte ich Ihnen nur den einen Wink geben: wenn Elton der Mann ist, halte ich alle Ihre Mühen für umsonst.«
Emma leugnete es lachend ab. Er fuhr fort:
»Verlassen Sie sich darauf, mit Elton wird es nichts. Er ist ein guter Kerl und ein braver Vikar für Highbury, aber es sieht ihm nicht ähnlich, unbesonnen eine Ehe einzugehen. Er weiß so wohl wie jeder andre, was ein gutes Einkommen wert ist. Elton mag gefühlvoll reden, aber er wird vernünftig handeln. Er weiß ebensogut, worauf er Anspruch erheben kann, wie Sie sich einbilden, es von Harriet zu wissen. Er ist sich bewußt, daß er ein ansehnlicher junger Mann ist und sehr beliebt, wohin er auch kommt, und nach seinen Äußerungen in Herrengesellschaft, wo er sich keine Zurückhaltung auferlegt, bin ich überzeugt, daß er nicht daran denkt, sich zu verschleudern. Ich habe ihn in den höchsten Tönen von einer großen Familie reden hören, mit deren jungen Damen seine Schwestern befreundet sind, alle mit einer Mitgift von zwanzigtausend Pfund pro Stück.«
»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet«, sagte Emma und lachte wieder. »Hätte ich mein Herz daran gehängt, Mr. Elton mit Harriet zu verheiraten, wäre es sehr gütig gewesen, mir die Augen zu öffnen, aber vorläufig möchte ich Harriet für mich allein behalten. Wirklich, ich habe genug vom Ehestiften. Ich möchte nicht wiederholen, was ich mir mit dem Erfolg von Randalls eingebrockt habe. Ich will lieber die Finger davonlassen, solange ich’s so gut habe.«
»Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!« sagte er, stand auf und ging brüsk hinaus. Er war sehr aufgebracht. Er fühlte die Enttäuschung des jungen Mannes mit, und es war ihm bitter, daß er dazu beigetragen hatte, indem er seinen Segen zu der Werbung gab. Und die Rolle, die Emma, wie er überzeugt war, bei der Affäre gespielt hatte, empörte ihn über alle Maßen.
Emma blieb ebenfalls erzürnt zurück, doch ohne sich über die Ursache so im klaren zu sein wie er. Sie war nicht immer so absolut mit sich im reinen, nicht so völlig überzeugt, daß sie mit ihrer Ansicht recht und der Gegner unrecht habe, wie Mr. Knightley. Er war ganz mit sich einig, ließ sie aber nicht ebenso zurück. Doch war sie nicht so niedergeschmettert, daß nicht ein wenig Zeit und Harriets Rückkehr hinreichen würden, sie wieder aufzurichten. Daß Harriet so lange ausblieb, begann sie zu beunruhigen. Der Gedanke, der junge Mann sei möglicherweise heute morgen zu Mrs. Goddard gegangen und habe dort Harriet getroffen und seine Sache mündlich geführt, war mehr als aufregend. Die Furcht vor einem solchen Fehlschlag nach allem, was vorausgegangen war, drängte allmählich alle anderen unbequemen Gefühle beiseite. Und als Harriet endlich erschien, in bester Stimmung und ohne eine schlimme Erklärung für ihre Verspätung, war Emma so erleichtert, daß sie auch ihre Selbstsicherheit wiederfand und sich in der Überzeugung wiegte, sie habe – mochte Mr. Knightley denken und sagen, was er wollte – nichts getan, was die Freundschaft und das Empfinden einer Frau nicht rechtfertigte.
Mr. Eltons wegen hatte er ihr jedoch ein bißchen bange gemacht. Wenn sie aber bedachte, daß Mr. Knightley ihn nicht so hatte beobachten können wie sie, weder mit der Anteilnahme, noch (das durfte sie sich, Mr. Knightleys Überheblichkeit zum Trotz, wohl zugute halten) mit dem kundigen Blick, den sie für diese Dinge besaß, daß er ferner überstürzt und im Zorn gesprochen hatte, hielt sie es sogar für möglich, daß er aus lauter Gereiztheit gesagt hatte, was er gern wahrgehabt hätte, ohne es sicher zu wissen. Es mochte ja sein, daß Mr. Elton sich in seinem Beisein rückhaltloser geäußert hatte als je vor ihr, und vielleicht war er wirklich nicht der Mann, der in Geldangelegenheiten unvorsichtig und leichtfertig handeln würde, er mochte sogar dazu neigen, sie sehr wichtig zu nehmen. Aber dann rechnete Mr. Knightley nicht genug mit der Macht einer heißen Leidenschaft, die alle eigensüchtigen Motive zu überwältigen vermag. Mr. Knightley bekam ja von dieser Leidenschaft nichts zu sehen und dachte darum natürlich nicht an ihre Wirkung; sie aber sah zuviel davon, um nicht zu glauben, daß seine Leidenschaft jedes Bedenken, das vernünftige Vorsicht anfangs einflößen könnte, überwinden werde. Und mehr als ein verständiges, schickliches Maß an Vorsicht war Mr. Elton ganz gewiß nicht zuzutrauen.
Harriets Fröhlichkeit gab auch Emma ihre Fröhlichkeit wieder. Das Mädchen war wieder da und dachte nicht an Mr. Martin, sondern plauderte von Mr. Elton. Miss Nash hatte ihr etwas erzählt, das sie sofort mit Wonne auspackte. Mr. Perry war bei Mrs. Goddard gewesen, um ein krankes Kind zu besuchen, und Miss Nash war ihm begegnet, und er hatte ihr erzählt, er habe gestern, als er von Clayton Park zurückkam, Mr. Elton getroffen und zu seinem großen Erstaunen vernommen, daß Mr. Elton auf dem Wege nach London wäre und erst am nächsten Tage zurückzukehren gedächte, obwohl doch Whistabend war, den er noch nie versäumt hatte. Mr. Perry hätte ihm deswegen Vorhaltungen gemacht, es sei schäbig von ihm, ihrem besten Spieler, sie im Stich zu lassen, und ihn zu überreden versucht, seine Reise doch um einen Tag zu verschieben; aber es half nichts. Mr. Elton war entschlossen weiterzureiten, und hatte in einem wirklich sehr eigentümlichen Ton gesagt, er habe Geschäfte zu erledigen, die er um alles in der Welt nicht aufschieben möchte; er hatte sogar etwas von einem beneidenswerten Auftrag durchblicken lassen, von etwas über alle Maßen Kostbarem, das er da bei sich trage. Mr. Perry verstand ihn nicht ganz, meinte aber, da sei bestimmt eine Dame im Spiel, und das sagte er ihm auch, und Mr. Elton lächelte und tat sehr geheimnisvoll und ritt in großartiger Stimmung davon. Alles das hatte Miss Nash Harriet erzählt und noch eine ganze Weile weiter über Mr. Elton geschwatzt und mit einem bedeutsamen Blick zu ihr gesagt, sie wolle zwar nicht behaupten, sie wüßte, in was für Geschäften Mr. Elton unterwegs sei, aber soviel sei sicher: die Frau, auf die Mr. Eltons Wahl fiele, sei das glücklichste Geschöpf auf Erden; denn einen so herrlichen und liebenswürdigen Mann gebe es nicht zum zweitenmal.