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Viertes Kapitel

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Harriet war bald ein vertrauter Gast in Hartfield. In ihrer rasch entschiedenen Art hatte Emma sie, ohne Zeit zu verlieren, eingeladen und ermutigt, recht oft zu kommen; und je näher sie sich kennenlernten, desto mehr Gefallen fanden sie aneinander. Emma hatte bald vorausgesehen, wie nützlich ihr Harriet als Begleiterin auf ihren Spaziergängen sein würde. In dieser Hinsicht war die Trennung von Mrs. Weston sehr einschneidend gewesen. Ihr Vater ging nie über die Parkanlagen hinaus, wo ihm zwei Wege, die das Gelände durchquerten, für seinen langen oder kurzen Spaziergang, je nach der Jahreszeit, genügten. So war sie seit Mrs. Westons Heirat in ihrer Bewegungsfreiheit allzu beschränkt. Einmal hatte sie sich allein bis nach Randalls gewagt, aber das war kein Vergnügen. Eine Harriet Smith, jemand, den sie jederzeit zum Mitgehen auffordern konnte, brachte ihr darum einen schätzenswerten Zuwachs an Freizügigkeit. Doch in jeglicher Beziehung war sie mit ihr zufrieden, je öfter sie mit ihr zusammenkam, und das bestärkte sie in all ihren freundlichen Plänen.

Harriet war zwar nicht klug, aber ein liebes, fügsames, dankbares Wesen und nicht im mindesten eingebildet; von jedem Menschen, zu dem sie aufsah, ließ sie sich willig leiten. Es war rührend zu sehen, wie rasch sie Emma ins Herz schloß. Daß es sie zu guter Gesellschaft zog, daß sie eine geschmackvolle Umgebung und kluge Unterhaltung zu würdigen wußte, zeigte, daß es ihr nicht an einem gewissen Feingefühl mangelte, wenn man auch tiefere Einsicht bei ihr nicht erwarten durfte. Emma war, alles in allem, ganz überzeugt, daß sie in Harriet Smith genau die junge Freundin gefunden hatte, die sie brauchte, genau das Etwas, das sie daheim nötig hatte. Natürlich war eine Freundin wie Mrs. Weston über jeden Vergleich erhaben. Zwei wie sie waren einem nie vergönnt, und sie wünschte sie sich auch nicht. Was sie für die beiden empfand, war ganz verschieden und voneinander unabhängig. Die Verbundenheit mit Mrs. Weston beruhte auf Dankbarkeit und Hochachtung. In Harriet dagegen liebte sie einen Menschen, dem sie nützlich sein konnte. Für Mrs. Weston konnte man nichts tun, für Harriet alles.

Sie fing damit an, sich ihr nützlich zu machen, indem sie dahinterzukommen suchte, wer Harriets Eltern waren. Aber Harriet konnte es nicht sagen. Sie erzählte bereitwillig alles, was sie wußte, doch über diesen Punkt befragte man sie vergeblich. Emma war also darauf angewiesen zu erdichten, was sie gern wahrgehabt hätte, aber sie konnte sich nicht denken, daß sie selber in der gleichen Lage nicht die Wahrheit an den Tag gebracht hätte. Harriet war eben nicht scharfsinnig genug. Sie hatte sich damit zufriedengegeben, zu hören und zu glauben, was Mrs. Goddard ihr mitzuteilen für gut befand, und nicht weiter geforscht.

Mrs. Goddard, die Lehrerinnen, die Zöglinge und die Schulangelegenheiten im allgemeinen spielten natürlich in ihren Gesprächen eine große Rolle, und ohne ihre Bekanntschaft mit den Martins von dem Gutshof Abbey Mill wäre das ihre ganze Welt gewesen. Aber die Martins beschäftigten ihre Gedanken sehr; sie hatte zwei glückliche Monate bei ihnen verlebt, und gern erzählte sie nun von den Freuden dieser Zeit und schilderte die mancherlei Annehmlichkeiten und Wunderdinge dort. Und Emma ermutigte ihre Redelust, ergötzte sich an dem Bilde dieser anderen Gattung von Lebewesen und hatte ihr Vergnügen an der kindlichen Einfalt, die in den höchsten Tönen schwärmte, Mrs. Martin habe zwei Wohnzimmer, zwei wirklich sehr schöne Wohnzimmer, das eine ebenso groß wie Mrs. Goddards Salon; und sie hätte ein Erstmädchen, das schon seit fünfundzwanzig Jahren bei ihr sei, und acht Kühe hätten sie, zwei davon Alderneys und eine kleine von der Walliser Rasse, eine wirklich ganz entzückende Walliser Kuh; und Mrs. Martin hätte gesagt, weil sie sie so gern habe, solle sie Harriets Kuh heißen; und in ihrem Garten hätten sie eine reizende Laube, wo sie im nächsten Jahr einmal alle zusammen Tee trinken wollten – eine ganz reizende Laube, groß genug, daß ein Dutzend Leute darin sitzen konnte.

Eine Weile hatte Emma ihren Spaß daran, ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen. Als sie aber die Familie besser überschaute, sah sie die Dinge in einem andern Licht. Sie hatte sich nämlich ein falsches Bild gemacht, hatte sich vorgestellt, es seien Mutter und Tochter und ein Sohn mit seiner Frau, die dort zusammen hausten. Und als ihr dann aufging, daß der Mr. Martin, der in Harriets Erzählung so oft wiederkehrte, und von dem es stets, wenn er dies oder jenes tat, hieß, wie herzensgut er sei – daß dieser Mr. Martin ledig war, daß es da gar keine junge Mrs. Martin, kein Eheweib gab, da witterte sie in all dieser Gastfreundschaft und Güte Gefahr für ihre arme kleine Freundin; wenn man nicht auf sie achtgab, ließ sie sich am Ende dazu verleiten, sich fürs ganze Leben zu erniedrigen.

Von dieser Vorstellung angefeuert, stellte sie ihr nun tausend hinterhältige Fragen. Vor allem bewog sie Harriet, mehr von Mr. Martin zu sprechen, und das war ihr sichtlich nicht unlieb. Harriet erzählte mit Wonne, wie er an ihren Mondscheinspaziergängen und an ihren lustigen abendlichen Gesellschaftsspielen teilgenommen hatte, und immer wieder betonte sie, wie herzensgut er sei und wie gefällig. Eines Tages sei er drei Meilen weit gelaufen, um ihr Walnüsse zu suchen, weil sie gesagt hatte, sie äße sie so gern – und auch in allem andern sei er so zuvorkommend! Eines Abends hatte er den Sohn seines Schäfers ins Wohnzimmer kommen lassen, damit er ihr etwas vorsinge. Sie höre Lieder so gern. Er könne selber auch ganz gut singen. Sie glaube, er sei sehr gescheit und verstünde sich auf alles. Er habe eine stattliche Herde; und während sie dort war, habe man ihm für seine Wolle mehr geboten als jedem andern im Lande. Sie glaube, jedermann sei gut auf ihn zu sprechen. Seine Mutter und seine Schwestern liebten ihn sehr. Mrs. Martin hatte eines Tages zu ihr gesagt (und sie errötete, als sie das erzählte), er sei ein so guter Sohn, wie es keinen zweiten gebe, darum werde er sicherlich, wenn er eines Tages heirate, auch ein guter Ehemann. Nicht daß ihr daran läge, daß er bald heiratete. Sie habe es durchaus nicht eilig damit.

Das haben Sie fein eingefädelt, Mrs. Martin! dachte Emma. Sie wissen, was Sie wollen!

Und als sie weggegangen sei, berichtete Harriet weiter, habe Mrs. Martin die Güte gehabt, ihr für Mrs. Goddard eine herrliche Gans mitzugeben, die beste Gans, die Mrs. Goddard je vorgekommen sei. Mrs. Goddard habe sie am Sonntag gebraten und alle drei Lehrerinnen, Miss Nash, Miss Prince und Miss Richardson, abends dazu eingeladen.

»Ich nehme an, Mr. Martins Horizont geht über seine eigenen Angelegenheiten nicht weit hinaus. Er liest wohl kaum?«

»O doch! . . . das heißt, nein . . . ich weiß nicht . . . doch, ich glaube, er hat viel gelesen . . . aber nichts, was in Ihren Augen viel wert wäre. Er liest die Landwirtschaftlichen Berichte und noch ein paar andere Bücher, sie liegen da auf einem Fenstersitz, aber die liest er nur für sich allein. Manchmal abends aber, ehe wir anfingen, Karten zu spielen, hat er etwas aus den Elegant Extracts vorgelesen – sehr vergnüglich. Und ich weiß, er hat sogar den Vikar von Wakefield gelesen. Die Waldromanze und Die Kinder aus der Abtei kennt er nicht, von diesen Büchern hatte er nie etwas gehört, bis ich sie erwähnte, aber er hat vor, sie sich jetzt so bald wie möglich zu beschaffen.«

Die nächste Frage war:

»Wie sieht Mr. Martin eigentlich aus?«

»Ach, er ist kein schöner Mann . . ., nein, gar nicht schön. Anfangs kam er mir recht unscheinbar vor, aber jetzt finde ich ihn nicht mehr so unscheinbar. Wissen Sie, nach einer Weile findet man das nicht mehr. Aber haben Sie ihn denn nie gesehen? Er ist ab und zu in Highbury, und bestimmt reitet er jede Woche auf dem Weg nach Kingston durch die Stadt. Er ist oft an Ihnen vorbeigekommen.«

»Das mag schon sein . . ., und vielleicht habe ich ihn fünfzigmal gesehen, aber ohne jede Ahnung, wer er ist. Ein junger Landwirt, ob zu Pferde oder zu Fuß, ist wahrlich der letzte, der meine Aufmerksamkeit erregen könnte. Gerade diese Freisassen sind eine Schicht, mit der ich nichts anzufangen weiß. Eine oder zwei Stufen tiefer könnten mich Leute, die vertrauenswürdig aussehen, wohl interessieren; ich würde vielleicht suchen, ihre Familien auf die eine oder andre Weise zu unterstützen. Aber ein Bauer braucht meine Hilfe nicht und steht deshalb in einem Sinn so weit über denen, die mich etwas angehen, wie er in jedem andern Sinn unter ihnen steht.«

»Natürlich. Ach ja! Sie haben ihn wahrscheinlich nie beachtet . . ., aber er kennt Sie sehr gut . . . ich meine, von Ansehen.«

»Ich zweifle nicht, daß er ein sehr achtbarer junger Mann ist. Ich weiß es sogar, und darum wünsche ich ihm alles Gute. Wie alt, meinst du, mag er sein?«

»Im vergangenen Juni, am achten, ist er vierundzwanzig geworden, und mein Geburtstag ist am dreiundzwanzigsten – genau fünfzehn Tage auseinander! Ist das nicht merkwürdig?«

»So, vierundzwanzig erst. Nun, das ist auch zu jung, um einen eigenen Hausstand zu gründen. Seine Mutter hat ganz recht, daß es ihr damit nicht eilt. Sie scheinen sich ja ganz wohl zu fühlen, wie es jetzt ist, und wenn sie sich jetzt schon nach einer Frau für ihn umsähe, würde sie’s wahrscheinlich bereuen. In sechs Jahren, wenn er dann ein braves Mädchen vom gleichen Stand findet, mit etwas Geld, ist es vielleicht ganz willkommen.«

»In sechs Jahren! Liebe Miss Woodhouse, dann wäre er ja dreißig Jahre alt!«

»Nun, eher können die meisten Männer, die nicht von Haus aus vermögend sind, es sich gar nicht leisten, zu heiraten. Ich könnte mir denken, daß Mr. Martin sich erst noch eine Grundlage erarbeiten muß, er kann noch gar nicht aus dem Gröbsten heraus sein. Einerlei, wieviel Geld ihm sein Vater hinterlassen hat, als er starb, und wie hoch sein Anteil am Familienbesitz ist, es ist bestimmt alles noch nicht greifbar, alles noch in der Wirtschaft angelegt; und wenn er mit der Zeit, sofern er fleißig ist und Glück hat, auch ganz wohlhabend werden kann, ist es doch so gut wie unmöglich, daß er’s jetzt schon zu was gebracht hat.«

»Freilich, das ist wahr. Aber sie leben sehr gut. Sie haben zwar keinen Knecht für die Arbeit im Hause, aber sonst fehlt ihnen nichts; und Mrs. Martin meint, sie würden nächstes Jahr einen jungen Burschen nehmen.«

»Ich wünsche dir nur, daß du nicht in Verlegenheit kommst, Harriet, wenn er eines Tages heiraten sollte . . ., ich meine, wenn du dann mit seiner Frau bekannt wirst . . .; denn wenn auch gegen seine Schwestern, die ja eine bessere Erziehung genossen haben, im ganzen nichts einzuwenden ist, er könnte doch eine Frau heiraten, die gar nicht der geeignete Umgang für dich wäre. Das Malheur mit deiner Geburt sollte dich besonders vorsichtig machen in der Wahl deines Umgangs. Du bist zweifellos die Tochter eines Gentleman, und du mußt deinen Anspruch auf diesen Rang mit allem, was in deinen Kräften steht, behaupten, sonst würden sich viele Leute ein Vergnügen draus machen, dich zu demütigen.«

»Ja, freilich . . ., mag sein, daß es solche Leute gibt. Aber solange ich in Hartfield verkehre und Sie so freundlich zu mir sind, ist mir vor keinem Menschen bange.«

»Du hast also schon ganz gut begriffen, was einflußreiche Beziehungen vermögen, Harriet, aber ich möchte dich so fest in der guten Gesellschaft verankert wissen, daß du selbst von Hartfield und Miss Woodhouse unabhängig wirst. Ich möchte, daß du gute Verbindungen hast, die von Dauer sind – und dazu ist es nötig, daß du dich möglichst wenig mit unpassenden Bekanntschaften einläßt; und deshalb, sage ich, falls du noch hier in der Gegend sein solltest, wenn Mr. Martin heiratet, möchte ich, daß du nicht durch die Freundschaft mit seinen Schwestern gezwungen wirst, auch mit seiner Frau zu verkehren, die wahrscheinlich nur eine ungebildete Bauerntochter sein wird.«

»Freilich, ja. Nicht, daß ich glaube, Mr. Martin würde eine heiraten, die nicht einigermaßen gebildet und sehr gut erzogen ist. Doch ich will Ihnen nicht widersprechen – und mir wird gewiß nichts daran liegen, seine Frau kennenzulernen. Ich werde die beiden Miss Martin immer sehr gern haben, besonders Elizabeth, und es täte mir leid, wenn ich sie aufgeben müßte, denn sie sind ebenso gut erzogen wie ich. Aber wenn er eine ganz unwissende, gewöhnliche Frau heiratet, werde ich sie natürlich lieber nicht besuchen, wenn ich’s vermeiden kann.«

Emma ließ sie bei dieser wankelmütigen Rede nicht aus den Augen, nahm aber keine alarmierenden Zeichen von Verliebtheit wahr. Der junge Mann war Harriets erster Verehrer, aber sie vertraute darauf, daß es kein engeres Band zwischen den beiden gab, und daß sich auf Harriets Seite keine ernstlichen Schwierigkeiten gegen freundschaftliche Arrangements ihrerseits ergeben würden.

Gleich am nächsten Tage, als sie auf der Straße nach Donwell spazierengingen, begegneten sie Mr. Martin. Er kam zu Fuß daher, und nach einem sehr ehrerbietigen Blick zu Emma hin schaute er mit unverhohlener Freude ihre Begleiterin an. Emma war diese Gelegenheit, sie zu beobachten, nicht unwillkommen. Während die beiden miteinander sprachen, ging sie ein paar Schritte weiter, musterte Mr. Martin mit flinken Augen und wußte bald hinlänglich über ihn Bescheid. Sein Äußeres war sehr anständig, und er machte durchaus den Eindruck eines vernünftigen jungen Mannes, aber weiter wies seine Erscheinung keine Vorzüge auf, und wenn man ihn einem Gentleman gegenüberstellte, müßte er – so dachte sie – allen Boden verlieren, den er in Harriets Herz gewonnen hatte. Harriet war nicht unempfindlich für feine Umgangsformen, sie hatte die vornehme Art ihres Vaters mit Bewunderung und Staunen bemerkt. Und Mr. Martin sah nicht danach aus, als ob er eine Ahnung von feinen Sitten hätte.

Sie blieben nur ein paar Minuten beieinander stehen, denn man durfte Miss Woodhouse nicht warten lassen. Und dann kam Harriet lächelnd gelaufen, in einer freudigen Erregung, der Miss Woodhouse schleunigst einen Dämpfer aufzusetzen gedachte.

»Nein, daß wir ihn so unverhofft getroffen haben! Wie sonderbar! Es ist reiner Zufall, sagte er, daß er nicht über Randalls gegangen ist. Er hätte nicht gedacht, daß wir hier spazierengingen, er meinte, wir gingen meistens auf Randalls zu. Die Waldromanze hat er sich noch nicht besorgen können. Als er das letzte Mal in Kingston war, hatte er so viel zu tun, daß er es ganz vergaß, aber er geht morgen wieder hin. Wie merkwürdig, daß wir uns so zufällig treffen mußten! Nun, Miss Woodhouse, sieht er so aus, wie Sie ihn sich vorgestellt haben? Was halten Sie von ihm? Finden Sie ihn sehr einfach?«

»Er ist ein ganz einfacher Mann, zweifellos – das sieht man auf den ersten Blick. Aber das ist nichts gegen seinen völligen Mangel an Lebensart. Ich hatte ja kein Recht, viel zu erwarten, und habe auch nicht viel erwartet, aber daß er derart bäurisch wäre, so ohne jeden Schliff, konnte ich nicht ahnen. Ich muß gestehen, ich hatte ihn mir doch ein bißchen feiner vorgestellt.«

»Freilich«, sagte Harriet mit gepreßter Stimme, »er ist nicht so fein wie ein richtiger Gentleman.«

»Ich meine, Harriet, seit du uns kennst, bist du wiederholt mit ein paar echten Gentlemen zusammengekommen, so daß dir selber der Unterschied gegen Mr. Martin in die Augen springen muß. Du bist in Hartfield Musterbeispielen von gebildeten, wohlerzogenen Männern begegnet. Ich würde mich wundern, wenn du danach wieder mit Mr. Martin zusammenträfst, ohne zu erkennen, wie tief er unter ihnen steht, und ohne dich über dich selber zu wundern, daß er dir jemals sympathisch war. Spürst du das denn jetzt nicht? Bist du nicht betroffen gewesen? Du mußt doch betroffen gewesen sein von seiner Plumpheit und seiner rauhen Art – und von seiner groben Stimme; ich hörte sie, während ich hier stand; die zarteren Töne gehen ihr gänzlich ab.«

»Freilich, er ist nicht wie Mr. Knightley. Er sieht nicht so vornehm aus und hat auch nicht einen so schönen Gang wie Mr. Knightley; den Unterschied seh ich deutlich genug. Aber Mr. Knightley ist auch ein so feiner Herr!«

»Mr. Knightley ist eine so vornehme Erscheinung, daß es nicht fair ist, Mr. Martin gerade mit ihm zu vergleichen. Unter hundert fändest du nicht einen, dem der Gentleman so deutlich auf der Stirn geschrieben steht wie Mr. Knightley. Aber er ist ja nicht der einzige Gentleman, mit dem du in letzter Zeit umgehst. Was sagst du zu Mr. Weston und zu Mr. Elton? Vergleiche Mr. Martin mit einem von diesen beiden, mit der Art, wie sie sich halten, wie sie gehen, wie sie sprechen, wie sie schweigen. Du mußt doch den Unterschied sehen!«

»O ja, es ist ein großer Unterschied. Aber Mr. Weston ist beinah ein alter Mann. Mr. Weston muß doch schon zwischen vierzig und fünfzig sein.«

»Darum ist sein gutes Benehmen nur um so höher zu schätzen. Je älter ein Mann wird, Harriet, desto wichtiger ist es, daß er keine schlechten Manieren hat, desto auffälliger und widerwärtiger wird alles laute, grobe, plumpe Benehmen. Was bei jungen Leuten noch passabel ist, wird bei einem älteren abstoßend. Mr. Martin ist jetzt schon derb und rauh; wie wird er erst sein, wenn er in Mr. Westons Alter ist?«

»Ja, das kann man nicht wissen«, erwiderte Harriet sehr ernsthaft.

»Aber es läßt sich ziemlich leicht erraten. Er wird ganz und gar ein grobschlächtiger, gewöhnlicher Bauer geworden sein, dem es gänzlich einerlei ist, wie er wirkt, und der nichts anderes als Gewinn und Verlust im Kopfe hat.«

»Meinen Sie wirklich? Das wär ja schlimm!«

»Wie sehr ihn sein Beruf jetzt schon vergröbert, siehst du deutlich daran, daß er vergessen hat, sich nach dem Buch zu erkundigen, das du ihm empfohlen hast. Er war viel zu sehr mit dem Markt beschäftigt, um an etwas anderes zu denken, ganz wie es sich für einen strebsamen Mann gehört. Was gehen ihn Bücher an? Und ich bezweifle nicht, daß er vorwärtsstrebt und mit der Zeit ein recht wohlhabender Mann wird – und daß er grob und ungebildet ist, braucht uns ja nicht zu stören.«

»Daß er nicht an das Buch gedacht hat, wundert mich auch«, war alles, was Harriet zur Antwort gab, und in einem Ton ernstlichen Mißfallens, das man, fand Emma, getrost sich selber überlassen durfte. Deshalb sagte er eine Weile nichts mehr. Bis sie dann wieder anfing:

»In einer Hinsicht übertrifft Mr. Elton in seinen Manieren vielleicht sogar Mr. Knightley und Mr. Weston. Bei ihm sind sie noch feiner, man könnte sie eher noch als Vorbild hinstellen. Mr. Weston ist von einer Offenherzigkeit, einer Lebhaftigkeit, ja beinah Derbheit, die aber jedermann an ihm gefällt, weil alles so vergnügt herauskommt, doch das ist nicht nachzuahmen. Ebensowenig Mr. Knightley, der so geradezu und bestimmt und gebieterisch ist, obwohl es ihm gut ansteht; seine Gestalt, sein Aussehen, seine Stellung im Leben dürften es ihm wohl erlauben. Aber wenn ein beliebiger junger Mann anfinge, ihn zu kopieren, das wäre unleidlich. Dagegen, glaube ich, könnte man einem jungen Manne getrost empfehlen, sich Mr. Elton zum Vorbild zu nehmen. Mr. Elton ist immer aufgeräumt, heiter, gefällig und sehr nett. Mir scheint, er ist in letzter Zeit besonders nett. Ich weiß nicht, Harriet, ob er sich nicht bei einer von uns beiden damit beliebt machen will, jedenfalls fällt mir auf, daß er noch sanfter geworden ist als früher. Wenn er etwas damit bezweckt, so dir zu gefallen. Habe ich dir nicht erzählt, was er mir neulich über dich gesagt hat?«

Sie hatte Mr. Elton einmal ein warmes Lob entlockt und brachte es nun recht eindrucksvoll zur Geltung. Harriet wurde rot und sagte lächelnd, sie hätte Mr. Elton immer schon sehr sympathisch gefunden.

Mr. Elton war nämlich derjenige, den Emma dazu ausersehen hatte, Mr. Martin, den jungen Pächter, bei Harriet auszustechen. Sie fand, die beiden mußten ein Paar werden, sie paßten ausgezeichnet zusammen. Nur schien ihr diese Verbindung zu naheliegend und wünschenswert, zu selbstverständlich und wahrscheinlich, als daß sie sich etwas Besonderes darauf zugute tun könnte, sie zu prophezeien. Sie fürchtete, jeder müßte so denken und es kommen sehen. Aber es war nicht anzunehmen, daß jemand ihr mit diesem Plan zuvorgekommen war, denn er hatte sich schon an dem Abend, als Harriet zum erstenmal nach Hartfield gekommen war, in ihrem Kopf eingenistet. Je länger sie ihn erwog, desto mehr leuchtete er ihr ein. Mr. Elton war in einer sehr annehmbaren Position, dazu ganz Gentleman und ohne niederen Anhang, zugleich aber nicht von einer Familie, die billigerweise an Harriets zweifelhafter Herkunft Anstoß nehmen könnte. Er hatte ihr ein behagliches Heim zu bieten und, wie Emma vermutete, ein ausreichendes Einkommen. Zwar war das Pastorat von Highbury nicht groß, doch wußte man, daß er etwas eigenes Vermögen besaß; und sie schätzte ihn als einen umgänglichen, wohlgesinnten, achtbaren jungen Mann, dem es weder an praktischem Verstand noch an Weltkenntnis mangelte.

Es war ihr schon eine Genugtuung, daß er Harriet hübsch fand; das schien ihr, bei so häufigen Begegnungen in Hartfield, eine ganz gute Grundlage auf seiner Seite. Und was Harriet betraf, war kaum daran zu zweifeln, daß der Gedanke, er habe von allen Mädchen gerade auf sie ein Auge geworfen, nicht die übliche mächtige Wirkung tat. Er war ja auch wirklich ein sehr sympathischer junger Mann, jede nicht gerade wählerische Frau könnte ihn gern haben. Er galt als sehr ansehnlich, sein Äußeres wurde allgemein bewundert – freilich nicht von ihr selber; seinen Zügen fehlte eine gewisse Feinheit, die sie nicht missen mochte. Aber das Mädchen, das sich so dankbar freute über einen Robert Martin, der im Lande herumritt, um ihr Walnüsse zu suchen, mußte ja wohl durch die Huldigungen Mr. Eltons zu erobern sein.

Emma

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