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Neuntes Kapitel
ОглавлениеMochte Mr. Knightley auch mit ihr uneins sein, mit sich selber war Emma nicht uneins. Er war so böse auf sie, daß es länger als gewöhnlich dauerte, bis er wieder nach Hartfield kam, und als sie sich wiedersahen, zeigte sein ernster Blick, daß er ihr noch nicht verziehen hatte. Es tat ihr leid, aber sie verspürte keine Reue. Im Gegenteil, sie verliebte sich immer mehr in ihre Pläne und Machenschaften, denn sie sah sie mehr und mehr gerechtfertigt durch die allgemeinen Begebenheiten der nächsten Tage.
Das Bildnis wurde ihr bald nach Mr. Eltons Rückkehr unversehrt wieder zugestellt. Es war elegant gerahmt, und als es über dem Kamin im Wohnzimmer hing, stand er auf, um es zu betrachten, und erging sich in Stoßseufzern der Bewunderung, ganz wie gewünscht. Und Harriets Gefühle verdichteten sich sichtlich zu einer so starken und stetigen Neigung, wie es ihre Jugend und ihre Natur nur zuließen. Emma fand bald zu ihrer völligen Genugtuung, daß Harriet an Mr. Martin nur noch insoweit dachte, als er den Kontrast zu Mr. Elton lieferte, ganz und gar zugunsten des letzteren.
Ihr Vorsatz, den Geist ihrer kleinen Freundin durch viel nützliche Lektüre und Gespräche zu bilden, war über ein paar Anfangskapitel und die Absicht, am nächsten Tage weiterzulesen, noch nicht hinausgediehen. Es war viel bequemer, zu plaudern als zu lernen, viel vergnüglicher, ihre Phantasie schweifen zu lassen und Luftschlösser für Harriet zu bauen, als sich damit zu plagen, ihren Horizont zu erweitern und ihren Verstand an nüchternen Tatsachen zu schärfen; und die einzige literarische Beschäftigung, die Harriet gegenwärtig fesselte, die einzige geistige Vorsorge für ihren Lebensabend bestand darin, Rätsel aller Art zu sammeln, soviel sie nur auftreiben konnte, und in ein dünnes Quartheft aus feinem, geglättetem Papier zu schreiben, das ihre Freundin für sie angefertigt und mit ihrem Monogramm und allegorischen Figuren verziert hatte.
Unter den literarischen Betätigungen unserer Zeit sind umfangreiche Sammlungen dieser Art keine Seltenheit. Miss Nash, die Hauptlehrerin bei Mrs. Goddard, hatte mindestens dreihundert aufgeschrieben, und Harriet, die von ihr die erste Anregung empfangen hatte, hoffte mit Miss Woodhouses Hilfe weit mehr zusammenzubringen. Emma half ihr mit eigenen Erfindungen, mit ihrem Gedächtnis und ihrem Geschmack, und da Harriet eine sehr hübsche Handschrift hatte, würde wahrscheinlich eine in Form und Zahl erstklassige Sammlung zustande kommen.
Mr. Woodhouse war daran fast ebenso interessiert wie die Mädchen und durchstöberte oft seine Erinnerungen nach etwas, das wert wäre, in das Heft aufgenommen zu werden. Es habe so viele kluge Rätsel gegeben, als er jung war, sagte er, und er wundere sich, daß er sie nicht behalten hatte. Aber er hoffe, daß sie ihm mit der Zeit wieder einfielen. Und es endete immer mit »Kitty, die schöne, die frostige Maid . . .«
Auch sein guter Freund Perry, mit dem er darüber gesprochen hatte, erinnerte sich im Augenblick an nichts Rätselartiges. Aber er hatte Perry gebeten, sich umzuhören, und da dieser viel herumkam, meinte er, von dieser Seite könne wohl noch etwas kommen.
Seiner Tochter war es durchaus nicht darum zu tun, die gesamte Intelligenz von Highbury einzuspannen. Mr. Elton war der einzige, den sie um seine Mitarbeit bat. Sie forderte ihn auf, ein paar wirklich gute Rätsel, Scharaden oder Scherzfragen, die er wüßte, beizusteuern, und zu ihrem Vergnügen sah sie ihn eifrigst in seinem Gedächtnis graben. Dabei bemerkte sie, wie er streng darauf bedacht war, daß ihm nichts Ungalantes, nichts, das nicht dem weiblichen Geschlecht huldigte, über die Lippen kam. Sie verdankten ihm zwei oder drei ihrer artigsten Rätselreime, und als er schließlich mit überschwenglicher Freude die allbekannte Scharade
»Mein erstes bedeutet Weh und Ach,
Mein zweites muß sie leiden,
Doch heilet jenes Ungemach
Der Balsam aus den beiden«
auskramte und sehr gefühlvoll rezitierte, gestand sie nur mit großem Bedauern, das Rätsel sei schon ein paar Seiten vorher eingetragen.
»Warum wollen Sie nicht selber eine Scharade für uns schreiben, Mr. Elton?« fragte sie. »Das ist die einzige Gewähr, etwas ganz Neues in unser Heft zu bekommen, und nichts dürfte Ihnen leichter fallen.«
O nein, er habe nie, fast nie im Leben etwas Derartiges geschrieben, Dummkopf der er sei! Er fürchte, nicht einmal Miss Woodhouse – er hielt einen Augenblick inne – oder Miss Smith könnten ihn dazu inspirieren.
Aber schon am nächsten Morgen brachte er einen Beweis seiner Inspiration zutage. Er sprach nur für ein paar Minuten vor und ließ einen Zettel auf dem Tisch liegen, auf dem eine Scharade stand, die angeblich ein Freund von ihm an die junge Dame seines Herzens gerichtet hatte. Doch aus seinem Benehmen schloß Emma sogleich, daß sie sein eigenes Produkt war.
»Ich biete sie nicht für Miss Smith’ Sammlung an«, sagte er. »Da sie von meinem Freunde stammt, habe ich nicht das Recht, sie den Augen der Öffentlichkeit preiszugeben, aber vielleicht werfen Sie nicht ungern einen Blick darauf.«
Er sprach mehr zu Emma als zu Harriet, wofür Emma Verständnis hatte; er war sehr verlegen und fand es darum leichter, ihren Augen zu begegnen als denen ihrer Freundin. Im nächsten Augenblick war er verschwunden, und nach einem weiteren Augenblick schob Emma lächelnd den Zettel Harriet zu und sagte: »Da, nimm ihn, er ist ja doch für dich bestimmt. Nimm dein Eigentum an dich.«
Aber Harriet zitterte und bebte und konnte ihn nicht anrühren, und Emma, die sich nie sträubte, wenn’s um den Vorrang ging, mußte ihn zuerst studieren.
An Miss . . .
Scharade
»Mein erstes zeigt des Königs Glanz und Pracht,
Da thront der Herr der Erde hoch und hehr.
Mein zweites preist des Mannes andre Macht,
Sieh, wie es stolz durchfurcht das wilde Meer!
Wie anders, ach! wenn sie verbunden sind!
Des Mannes Macht und Freiheit schwand dahin,
Der stolze Herrscher wird zum Knecht und dient
Der holden Frau, der einz’gen Herrscherin.
Dein rascher Witz wird bald den Sinn ergründen;
Laß mir dein sanftes Auge Gnade künden!«
Sie überflog die Verse, überlegte, erfaßte den Sinn, las sie noch einmal durch, um sich zu vergewissern und sie sich einzuprägen, und reichte sie dann Harriet; und während diese, ganz wirr vor Hoffnung und Benommenheit, an dem Zettel herumrätselte, sprach Emma im stillen: Bravo, Mr. Elton, bravo! Ich habe schon schlimmere Scharaden gelesen. Courtship – Courmachen –, eine sehr treffende Anspielung, das muß ich Ihnen lassen. So tasten Sie sich vor. Das sagt deutlich genug: Bitte, Miss Smith, erlauben Sie, daß ich Ihnen den Hof mache. Sagen Sie mir mit einem einzigen Blick, daß meine Scharade wie meine Wünsche vor Ihnen Gnade finden.
»Laß mir dein sanftes Auge Gnade künden!«
Ganz Harriet. Sanft ist die richtige Bezeichnung für ihre Augen – von allen Beiworten das treffendste, das sich finden läßt.
»Dein rascher Witz wird bald den Sinn ergründen . . .«
Hm . . . Harriet und rascher Witz! Doch um so besser! Wer das von ihr sagen kann, muß schon toll verliebt sein. Ach, Mr. Knightley, ich möchte Ihnen gönnen, daß Sie das läsen, ich glaube, das würde selbst Sie überzeugen. Einmal in Ihrem Leben müßten Sie zugeben, daß Sie sich geirrt haben! Wirklich eine prächtige Scharade! Sehr für ihren Zweck geeignet. Nun muß es bald zur Entscheidung kommen.
Sie mußte jedoch diese erfreulichen Betrachtungen, die sie sonst wohl endlos weitergesponnen hätte, abbrechen, da Harriet, aufs höchste gespannt, sie mit ihren Fragen bestürmte.
»Was mag das bloß bedeuten, Miss Woodhouse? Was kann es denn nur sein? Ich hab nicht die geringste Ahnung. Ich komme einfach nicht dahinter. Was kann es denn nur bedeuten? Versuchen Sie es doch, Miss Woodhouse! Helfen Sie mir! Etwas so Schwieriges hab ich noch nie gelesen. Heißt es Königreich? Ich möchte wissen, wer der Freund war . . . und wer mag die junge Dame sein? Finden Sie es gut? Ob es Frau bedeutet?
›Der holden Frau, der einz’gen Herrscherin.‹
Oder ist Neptun gemeint?
›Sieh, wie es stolz durchfurcht das wilde Meer.‹
Oder ein Dreizack? Oder eine Seejungfer? Oder ein Hai? Ach nein, Hai ist ja einsilbig. Es muß sehr scharfsinnig sein, sonst hätte er’s uns nicht gebracht. Ach Miss Woodhouse, glauben Sie, daß wir es je herauskriegen?«
»Seejungfern und Hai! Unsinn! Meine liebe Harriet, was denkst du dir denn? Wozu sollte er uns die Scharade eines Freundes bringen, die von Seejungfern und Haien handelt? Gib mir den Zettel und hör zu!
›An Miss . . .‹ lies: Miss Smith.
›Mein erstes zeigt des Königs Glanz und Pracht,
Da thront der Herr der Erde hoch und hehr.‹
Das ist court – der königliche Hof.
›Mein zweites preist des Mannes andre Macht.
Sieh, wie es stolz durchfurcht das wilde Meer!‹
Das ist ship – das Schiff. Klar wie der Tag. Jetzt kommt das Beste.
›Wie anders, ach! wenn sie verbunden sind!
(courtship, weißt du, Courmachen, einer Frau den Hof machen)
Des Mannes Macht und Freiheit schwand dahin,
Der stolze Herrscher wird zum Knecht und dient
Der holden Frau, der einz’gen Herrscherin.‹
Eine sehr geschickte Huldigung! Und dann kommt die Nutzanwendung, meine liebe Harriet, die du wohl ohne großes Kopfzerbrechen verstehst. Lies es noch einmal in Ruhe allein. Zweifellos ist das an dich geschrieben und auf dich gemünzt.«
Harriet konnte einer so berückenden Überredungskunst nicht lange widerstehen. Sie las die Schlußzeilen und war außer sich vor Seligkeit. Sie konnte nichts sagen. Doch sie brauchte auch nichts zu sagen, wenn sie nur fühlte. Emma sprach für sie.
»Die Pointe spricht so deutlich, so nachdrücklich, daß ich nicht eine Sekunde mehr über Mr. Eltons Absichten im Ungewissen bin. Du bist gemeint – und du wirst bald den vollkommensten Beweis dafür erhalten. Ich habe immer gedacht, daß es so kommen würde. Ich wußte, daß ich mich nicht so täuschen konnte. Aber nun ist es heraus. Seine Verfassung zeigt sich hier so klar und eindeutig, wie ich es immer für dich gewünscht habe, seit ich dich kenne. Ja, Harriet, so lange schon habe ich dies herbeigesehnt, und nun ist es eingetroffen. Ich hätte nie sagen können, was stärker dabei mitspielte, daß ich dich und Mr. Elton als künftiges Liebespaar sah: daß ich es so heiß wünschte oder daß es so selbstverständlich schien. Beide, Wunsch und Wahrscheinlichkeit, sind nun völlig in Einklang gekommen! Ich bin überglücklich! Meine liebe Harriet, ich gratuliere dir von ganzem Herzen. Eine Frau darf wahrlich stolz darauf sein, einen solchen Liebesbund zu stiften. Aus dieser Verbindung kann dir nur Gutes erwachsen. Sie wird dir alles geben, was du dir wünschst – Ansehen, Unabhängigkeit, ein Heim, wie es dir zukommt –, sie gibt dir einen Platz inmitten all deiner wahren Freunde, nicht weit von Hartfield und von mir, und sie wird unsre Freundschaft für immer besiegeln. Es ist ein Bund, Harriet, über den wir beide nie zu erröten brauchen.«
»Liebe Miss Woodhouse!« und abermals »Liebe Miss Woodhouse!« war alles, was Harriet zunächst unter vielen zärtlichen Umarmungen zu stammeln vermochte. Als sie aber allmählich wieder reden konnte, wurde ihrer Freundin hinlänglich klar, daß Harriet nun sah, fühlte, Künftiges ausmalte und in Erinnerungen schwelgte, wie es sich gehörte. Mr. Eltons überragende Qualitäten fanden uneingeschränkte Anerkennung.
»Was Sie sagen, ist immer richtig«, rief Harriet, »und deshalb vermute, glaube, hoffe ich, daß es so ist, aber sonst hätte ich es mir nicht einmal träumen lassen. Es ist mehr als alles, was ich verdiene. Mr. Elton, der jede Frau heiraten könnte . . . Über ihn gibt es nur eine Meinung. Er ist ein so herrlicher Mann . . . Allein schon diese süßen Verse – ›An Miss . . .‹ Lieber Himmel, wie klug er ist! Ist es denn wirklich wahr, daß er es mir gewidmet hat?«
»Das ist für mich keine Frage, ich will auch keine Frage mehr darüber hören. Es ist Gewißheit, traue nur meinem Urteil. Dies ist nur wie ein Prolog zu einem Stück, ein Motto über einem Kapitel; bald wird die Prosa der Tatsachen folgen.«
»Wer hätte das je erwartet! Vor einem Monat hab ich selber ja noch nichts davon geahnt! Was für unglaubliche Dinge doch geschehen!«
»Das kann man wohl sagen; wenn Miss Smith und Mr. Elton zusammenkommen – ja, das ist fast unglaublich. Das geschieht nicht alle Tage, daß etwas so offensichtlich, so handgreiflich Wünschenswertes, und was obendrein den heimlichsten Gedanken eines andern entspricht, gleich in der rechten Form in Erfüllung geht. Du und Mr. Elton seid durch eure gesellschaftliche Stellung füreinander geschaffen, durch alle eure häuslichen Umstände gehört ihr zusammen. Eure Heirat wird der Ehe von Randalls gleichen. Es ist geradezu, als ob in Hartfield etwas in der Luft läge, was die Liebe in die rechte Richtung weist, was ihren Strom dahin lenkt, wohin er soll.
›Nie nahm die wahre Liebe glatten Lauf . . .‹
In einer Hartfield-Ausgabe von Shakespeare müßte diese Stelle eine lange Fußnote bekommen.«
»Daß Mr. Elton sich aber auch in mich verlieben würde! Von allen Leuten gerade in mich! An Michaeli hatte ich noch nicht einmal ein Wort mit ihm gesprochen! Und er, der schönste Mann, den man je gesehen hat, zu dem jeder aufblickt, ganz wie zu Mr. Knightley! Seine Gesellschaft ist so begehrt, daß jeder sagt, er brauchte nicht eine einzige Mahlzeit allein einzunehmen, wenn er nicht wollte, er bekäme mehr Einladungen, als die Woche Tage hat. Und so herrlich in der Kirche! Miss Nash hat alle seine Predigten aufgeschrieben, seit er in Highbury ist. Du lieber Himmel! Wenn ich daran denke, wie ich ihn zum erstenmal sah! Wie ahnungslos! Die beiden Abbots und ich liefen ins vordere Zimmer und lugten durch den Fensterladen, als wir hörten, er käme vorbei, und Miss Nash kam auch und schimpfte und schickte uns weg und blieb selber da, um zu gucken. Aber sie rief mich gleich zurück und ließ mich auch gucken, das war sehr nett von ihr. Wir fanden ihn so schön! Er ging Arm in Arm mit Mr. Cole.«
»Wer auch, was auch deine Angehörigen sein mögen, über diesen Bund werden sich alle freuen, vorausgesetzt, daß sie gesunden Menschenverstand haben – und nach törichten Leuten brauchen wir uns ja nicht zu richten. Wenn ihnen daran liegt, dich glücklich verheiratet zu sehen, so ist hier der Mann, der mit seinem Wesen in jeder Weise dafür bürgt. Wenn sie möchten, daß du in derselben Gegend, in demselben Kreise, den sie für dich ausgesucht haben, Wurzel schlägst, so wird auch das hiermit erfüllt. Und wenn sie nichts anderes für dich wollen, als was man gewöhnlich eine gute Partie nennt, so haben wir hier das ausreichende Vermögen, die angesehene Position, den Aufstieg in der Welt, die sie befriedigen müssen.«
»Ja, wahrhaftig. Wie hübsch Sie das sagen! Ich höre Ihnen so gern zu. Sie verstehen alles, Sie und Mr. Elton sind einer so klug wie der andre. Diese Scharade! Wenn ich mir ein Jahr lang den Kopf zerbräche, brächte ich so etwas nicht zuwege.«
»So, wie er sich gestern weigerte, dachte ich mir schon, daß er sein Heil versuchen würde.«
»Ich finde, es ist ohne Ausnahme die schönste Scharade, die ich je gelesen habe.«
»Wenigstens habe ich nie eine gelesen, die uns so zupaß kam.«
»Sie ist nochmal so lang wie fast alle andern, die wir bis jetzt haben.«
»In ihrer Länge seh ich nicht gerade einen besonderen Vorzug. So etwas kann im allgemeinen nicht kurz genug sein.«
Harriet war zu sehr in die Verse vertieft, um zuzuhören. Dabei kamen ihr höchst befriedigende Vergleiche.
»Es sind zwei ganz verschiedene Dinge«, sagte sie dann mit glühenden Wangen, »ob einer gewöhnlichen Verstand hat wie jeder andre auch und, wenn etwas zu sagen ist, sich hinsetzt und einen Brief schreibt und kurz und bündig sagt, was er will – oder ob einer solche Verse und Scharaden dichtet.«
Eine feurigere Abfuhr für Mr. Martins Prosa hätte Emma sich nicht wünschen können.
»Was für süße Verse, die beiden letzten!« fuhr Harriet fort. »Aber wie soll ich es je über mich bringen, ihm den Zettel zurückzugeben und zu sagen, ich hätte das Rätsel gelöst? Ach, Miss Woodhouse, wie sollen wir das nur machen?«
»Überlaß das nur mir. Tu du gar nichts. Er kommt sicherlich heute abend, und dann gebe ich es ihm zurück, und wir werden irgendwelchen Unsinn schwatzen. Du wirst gar nicht hineingezogen. Im rechten Augenblick werden deine sanften Augen ganz von selber strahlen. Verlaß dich auf mich.«
»Ach, Miss Woodhouse, wie schade, daß ich die schöne Scharade nicht in mein Buch schreiben darf! Ich habe doch keine, die auch nur von ferne an sie heranreicht.«
»Laß die beiden letzten Zeilen weg, dann besteht kein Grund, sie nicht in dein Buch zu schreiben.«
»Aber die beiden letzten Verse sind doch . . .«
»Die allerschönsten. Zugegeben – für dein Privatvergnügen. Behalt sie zu deinem Privatvergnügen. Weißt du, sie sind darum nicht weniger geschrieben, weil du sie abtrennst. Die letzte Strophe ist ja darum nicht aus der Welt, an ihrer Bedeutung ändert sich nichts. Ohne sie fällt nur die Zueignung weg, und es bleibt eine sehr hübsche, galante Scharade übrig, die sich für jede Sammlung eignet. Glaub mir, er möchte seine Scharade ebensowenig geringschätzig behandelt sehen wie seine Leidenschaft. Ein verliebter Poet muß in beiden Eigenschaften ermutigt werden oder in keiner. Gib mir das Buch, ich will sie einschreiben, dann kann niemand sie auf dich beziehen.«
Harriet ergab sich darein, obwohl ihr Gefühl die beiden Teile kaum auseinanderzuhalten vermochte und sie nicht ganz sicher war, ob ihre Freundin nicht eine Liebeserklärung in das Büchlein schrieb. Die Scharade schien ihr zu kostbar für fremde Augen.
»Nie werde ich das Buch aus der Hand geben!« sagte sie.
»Schön«, erwiderte Emma, »ein ganz natürliches Gefühl, und je länger es dauert, je mehr soll’s mich freuen. Aber da kommt mein Vater. Du hast doch nichts dagegen, daß ich ihm die Scharade vorlese? Sie wird ihm großes Vergnügen machen. Er hat so etwas sehr gern, vor allem, wenn darin eine Huldigung für die Frauen liegt. Er ist von der zartesten Galanterie für uns alle beseelt! Du mußt mir erlauben, sie ihm vorzulesen.«
Harriet blickte bedenklich drein.
»Meine liebe Harriet, du darfst dir aus diesen Rätselreimen aber auch nicht gar zu viel machen! Du wirst dich noch in unschicklicher Weise verraten, wenn du sie dir zu sehr zu Herzen nimmst und voreilig bist und ihnen mehr Bedeutung beimißt, oder auch nur die Bedeutung, die er hineingelegt haben mag. Laß dich doch nicht von einem so kleinen Zeichen der Verehrung so überwältigen! Wenn er ein Geheimnis daraus machen wollte, hätte er den Zettel nicht in meinem Beisein liegenlassen; er hat ihn sogar eher mir als dir hingeschoben. Wir wollen die Sache nicht zu feierlich nehmen. Er ist genug ermutigt, um weiterzugehen, ohne daß wir uns über dieser Scharade die Seele aus dem Leibe seufzen.«
»Ach nein! Ich hoffe, ich mache mich ihretwegen nicht lächerlich. Tun Sie, was Sie für richtig halten.«
Mr. Woodhouse trat ein und brachte bald selber die Sache wieder zur Sprache, indem er seine häufige Frage wiederholte: »Nun, meine Lieben, wie geht es mit eurem Büchlein voran? Habt ihr etwas Neues?«
»Ja, Papa, wir haben Ihnen etwas vorzulesen, etwas ganz Neues. Heute morgen fand sich ein Zettel auf dem Tisch – eine Fee muß ihn da hingelegt haben, und darauf steht eine nette Scharade, die wir soeben eingetragen haben.«
Sie las sie, wie er alles gern vorgelesen hatte, langsam und deutlich und zwei-, dreimal von vorn bis hinten, jeden Teil einzeln erklärend, bevor sie weiterlas, und er fand großes Gefallen daran; vor allem war er, wie sie vorausgesehen hatte, von der Huldigung am Schluß beeindruckt.
»Ach ja, das ist sehr richtig, fürwahr, sehr treffend gesagt. Sehr wahr. ›Die holde Frau . . .‹ Es ist eine so hübsche Scharade, mein Liebes, daß ich leicht errate, welche Fee sie gebracht hat – niemand anders als du, Emma, kann etwas so Hübsches geschrieben haben.«
Emma nickte nur und lächelte vor sich hin. Nachdem er ein Weilchen nachgedacht, fügte er mit zärtlichem Seufzer hinzu:
»Ach, es ist nicht schwer zu merken, von wem du das hast! Deine liebe Mutter war so begabt für alle diese Dinge. Hätte ich nur ihr Gedächtnis! Aber ich erinnere mich an nichts mehr, nicht einmal an das Rätsel, das ich schon erwähnte. Nur die erste Strophe fällt mir ein, aber es hat mehrere:
›Kitty, die schöne, die frostige Maid,
Entfacht’ in mir ein verzehrendes Feuer,
Den listigen Knaben rief ich zu Hilf,
Wiewohl seine Nähe mir nicht geheuer,
Denn stets schuf er Unheil mir, wo ich gefreit.‹
Weiter weiß ich nicht mehr, doch es ist durchweg so gescheit. Aber sagtest du nicht, mein Liebes, du hättest es schon?«
»Ja, Papa, es steht auf der zweiten Seite. Wir haben es aus den Elegant Extracts abgeschrieben, es ist von Garrick, wissen Sie.«
»Ach ja, ganz recht. Wenn mir doch einfiele, wie es weitergeht! ›Kitty, die schöne, die frostige Maid . . .‹ Bei diesem Namen muß ich an die arme Isabella denken, denn beinah hätten wir sie nach ihrer Großmama Catherine taufen lassen. Hoffentlich haben wir sie nächste Woche hier. Hast du dir überlegt, mein Liebes, wo du sie unterbringen willst, und in welchem Zimmer die Kinder?«
»O ja, sie bekommt natürlich ihr eigenes Zimmer, das sie immer hat, und für die Kleinen ist ja das Kinderzimmer da, ganz wie sonst. Warum sollte man das ändern?«
»Ich weiß nicht, mein Liebes, aber es ist so lange her, daß sie hier war! Seit letzte Ostern, und da nur für ein paar Tage. Wie lästig, daß Mr. John Knightley Anwalt ist. Die arme Isabella! Wie traurig, daß sie uns allen entrissen wurde! Und wie leid wird es ihr tun, wenn sie kommt, daß sie Miss Taylor nicht mehr vorfindet!«
»Wenigstens wird sie davon nicht überrascht sein, Papa.«
»Ich weiß nicht, mein liebes Kind. Ich war jedenfalls sehr überrascht, als ich das erste Mal hörte, daß sie heiraten wollte.«
»Wir müssen Mr. und Mrs. Weston zum Essen einladen, wenn Isabella hier ist.«
»Ja, mein Liebes, wenn die Zeit reicht. Aber (in sehr trübseligem Ton) sie kommt ja nur für eine Woche. Wir werden zu gar nichts Zeit haben.«
»Leider kann sie nicht länger bleiben, aber es scheint wirklich nicht anders zu gehen. Mr. John Knightley muß am achtundzwanzigsten nach London zurück, und wir wollen dankbar sein, Papa, daß wir sie die ganze Zeit, die sie auf dem Lande zubringen können, für uns haben, und nicht zwei oder drei Tage für die Abbey abgehen. Mr. Knightley hat versprochen, diese Weihnachten auf seinen Anspruch zu verzichten, obwohl sie schon länger nicht bei ihm waren als bei uns, das wissen Sie doch.«
»Es wäre ja auch sehr hart, meine Liebe, wenn die arme Isabella anderswohin gehen sollte als nach Hartfield.«
Nie würde Mr. Woodhouse das Anrecht Mr. Knightleys auf seinen Bruder noch irgendeines andern Menschen Anrecht auf Isabella gelten lassen, außer dem eigenen. Er sann ein Weilchen vor sich hin und sagte dann:
»Aber ich sehe nicht ein, warum Isabella so bald heimkehren soll, auch wenn er es muß. Ich werde sie doch zu überreden suchen, Emma, daß sie länger bei uns bleiben. Sie und die Kinder können das ganz gut.«
»Ach, Papa! Das ist Ihnen noch nie gelungen, und ich glaube, es wird Ihnen auch jetzt nicht gelingen. Isabella bringt es nun einmal nicht übers Herz, ohne ihren Mann hierzubleiben.«
Das ließ sich nicht bestreiten, war aber für Mr. Woodhouse so bitter, daß er nur gottergeben seufzen konnte; und da Emma sah, wie die Anhänglichkeit seiner Tochter an ihren Mann ihn bekümmerte, gab sie geschwinde dem Gespräch eine andere Wendung, um ihn aufzuheitern.
»Solange mein Schwager und meine Schwester hier sind, muß Harriet uns, so oft sie kann, Gesellschaft leisten. Die Kinder werden ihr gewiß gefallen. Wir sind sehr stolz auf die Kleinen, nicht wahr, Papa? Ich bin neugierig, wen sie am hübschesten findet, Henry oder John?«
»Ja, darauf bin ich auch neugierig. Die armen Liebchen! Wie werden sie sich schon darauf freuen, herzukommen. Sie sind so gern in Hartfield, Harriet.«
»Das kann ich ihnen nachfühlen, Sir; ich wüßte nicht, wem es anders ginge.«
»Henry ist ein netter Junge, aber John ähnelt sehr seiner Mama. Henry ist der älteste, er wurde nach mir genannt, nicht nach seinem Vater John; der zweite hat den Namen seines Vaters bekommen. Ich glaube, manche Leute wundern sich darüber. Aber Isabella wollte ihren ersten Sohn Henry nennen, was ich sehr lieb von ihr fand. Und er ist ein sehr begabter Junge. Sie sind alle recht begabt und haben so eine nette Art, stellen sich neben meinen Stuhl und sagen: ›Großpapa, kannst du mir ein Stückchen Bindfaden geben?‹ Und einmal bat mich Henry um ein Messer, aber ich habe ihm gesagt, Messer würden nur für Großpapas gemacht. Ich finde aber, ihr Vater geht zu rauh mit ihnen um.«
»Es kommt Ihnen nur rauh vor«, sagte Emma, »weil Sie selber so sanft sind, aber wenn Sie ihn mit anderen Papas verglichen, fänden Sie ihn gar nicht rauh. Er will tüchtige und mutige Söhne haben. Wenn sie nicht artig sind, setzt es mitunter ein scharfes Wort. Aber er ist ein liebevoller Vater; ja, John Knightley ist wirklich ein liebevoller Vater. Die Kinder hängen alle sehr an ihm.«
»Und dann kommt der Onkel und wirft sie bis an die Decke, daß einem angst und bange wird.«
»Aber das haben sie doch gern, Papa. Nichts finden sie so schön. Es macht ihnen soviel Spaß! Wenn ihr Onkel nicht die Regel aufstellte, daß es reihum geht, ließe keiner den andern drankommen, wenn er einmal angefangen hat.«
»Na ja, ich kann das nicht verstehen.«
»Das geht uns allen so, Papa. Die eine Hälfte der Menschen versteht nie die Freuden der andern Hälfte.«
Später, als die jungen Mädchen ihn eben verlassen wollten, um sich für das alltägliche Vier-Uhr-Dinner umzukleiden, kam der Held der unvergleichlichen Scharade wieder hereinspaziert. Harriet wandte sich ab, aber Emma begrüßte ihn wie immer mit einem Lächeln, und ihr rasches Auge entdeckte bald in den seinen, daß er sich bewußt war, den Stein ins Rollen gebracht oder den Würfel geworfen zu haben, und sie glaubte, er wolle nun sehen, was dabei herausgekommen war. Doch schützte er die Frage vor, ob Mr. Woodhouse ihn heute abend beim Kartenspiel entbehren könne, oder ob er in Hartfield irgendwie gebraucht werde. Wenn ja, so müsse alles andre zurückstehen; doch habe sein Freund Cole ihn dringend gebeten, bei ihm zu speisen, und habe so darauf bestanden, daß er ihm versprochen habe, unter Umständen zu kommen.
Emma dankte ihm, wollte aber nicht zulassen, daß er seinen Freund ihretwegen enttäusche; ihr Vater würde deswegen nicht um seinen Rubber kommen. Er drang erneut in sie – sie lehnte es abermals ab; und als er zu seiner Verbeugung ansetzte, nahm sie den Zettel vom Tisch und gab ihn ihm zurück.
»Ach ja, hier ist noch die Scharade, die Sie uns liebenswürdigerweise hiergelassen haben. Wir danken Ihnen, daß wir sie lesen durften. Wir haben sie so bewundert, daß ich mir herausgenommen habe, sie Miss Smith’ Sammlung einzuverleiben. Ich hoffe, Ihr Freund nimmt es nicht übel. Natürlich habe ich nur die ersten acht Zeilen abgeschrieben.«
Mr. Elton wußte offenbar nicht recht, was er sagen sollte. Er schaute etwas verdutzt drein, ja, ziemlich verwirrt, murmelte etwas von Ehre, streifte Emma und Harriet mit einem raschen Blick, und als er dann das Heft offen auf dem Tisch liegen sah, hob er es auf und betrachtete es eingehend. Um den peinlichen Augenblick zu überbrücken, sagte Emma lächelnd:
»Sie müssen mich bei Ihrem Freund entschuldigen, aber eine so gute Scharade darf nicht einem oder zwei Lesern vorbehalten bleiben. Er darf sicher sein, daß jede Frau davon erbaut ist, wenn er so galante Verse schreibt.«
»Ich kann wohl ohne Zögern sagen«, erwiderte Mr. Elton, wiewohl seine Worte sehr zögernd herauskamen, »ich kann wohl ohne Zögern sagen – wenigstens wenn mein Freund so fühlt wie ich . . . ich zweifle nicht im geringsten daran, daß mein Freund, wenn er seinen Erguß so ausgezeichnet sähe, wie ich ihn sehe (dabei blickte er wieder auf das Büchlein und legte es zurück auf den Tisch), diesen Augenblick als den stolzesten seines Lebens betrachten würde.«
Nach dieser Rede empfahl er sich, so schnell es anging. Doch Emma konnte er nicht flink genug verschwinden, denn trotz all seinen guten und sympathischen Eigenschaften – in seinen Reden war etwas Gestelztes, das sie unwiderstehlich zum Lachen reizte. Sie lief hinaus, um sich auszulachen, und überließ Harriet die zärtliche und erhebende Seite des Vergnügens.