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Kapitel 5

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Am Morgen der für Admiral Croft und seine Frau vorgesehenen Besichtigung von Kellynch Hall war es für Anne ganz selbstverständlich, ihren beinahe täglichen Spaziergang zu machen und sich nicht blicken zu lassen, bis alles vorüber war. Dann war es ihr ebenso selbstverständlich zu bedauern, daß sie die Gelegenheit versäumt hatte, sie kennenzulernen.

Dieses Treffen zwischen den beiden Parteien erwies sich als äußerst erfolgreich und entschied die Angelegenheit auf der Stelle. Beide Damen waren einer Verständigung von vornherein geneigt gewesen, und jede nahm an der anderen deshalb nur gute Seiten wahr. Und was die Herren anging, so verriet der Admiral eine herzhafte gute Laune, eine offene, vertrauenerweckende Unbefangenheit, die ihre Wirkung auf Sir Walter nicht verfehlen konnten, dem im übrigen Mr. Shepherds Versicherungen, daß man ihn dem Admiral als ein Beispiel vollendeter Lebensart dargestellt habe, sein allerbestes und ausgesuchtestes Benehmen abgeschmeichelt hatten.

Haus, Anlagen und Mobiliar fanden Anklang, die Crofts fanden Anklang, Mietbedingungen und -dauer, alle und alles stießen auf Zustimmung. Und Mr. Shepherds Bürokräfte konnten an die Arbeit gehen, ohne daß »der Wortlaut der folgenden Bestimmungen« durch irgendwelche Unstimmigkeit hätte abgewandelt werden müssen.

Sir Walter erklärte den Admiral ohne Zögern zum bestaussehenden Seemann, den er je getroffen hatte, und ging so weit zu sagen, daß er sich, wenn sein eigener Kammerdiener ihm hätte das Haar machen dürfen, durchaus nicht schämen würde, sich mit ihm in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Und der Admiral bemerkte mit wohlwollender Herzlichkeit zu seiner Frau, als sie durch den Park zurückfuhren: »Ich wußte, daß wir uns schnell einigen würden, meine Liebe, trotz allem, was man uns in Taunton erzählt hat. Der Baron wird die Welt nicht auf den Kopf stellen, aber er ist durchaus kein übler Bursche«, gegenseitige Komplimente, die wohl als etwa gleichwertig gegolten hätten.

Die Crofts sollten das Haus Ende September in Besitz nehmen, und da Sir Walter vorhatte, im Laufe des vorhergehenden Monats nach Bath zu ziehen, war es höchste Zeit, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

In ihrer Überzeugung, daß man Anne keinerlei Rolle oder Einfluß bei der Wahl des Hauses, das man besorgen wollte, einräumen werde, sah Lady Russell sie höchst ungern so überstürzt abreisen und wollte unbedingt, daß sie so lange dablieb, bis sie sie nach Weihnachten selbst mit nach Bath nehmen konnte. Aber eigene Verpflichtungen, die sie ein paar Wochen von Kellynch fernhalten würden, hinderten sie daran, die Einladung auf den ganzen Zeitraum auszudehnen; und obwohl Anne in Bath vor der möglichen Septemberhitze und dem grellen Licht graute und es ihr leid tat, auf die so köstliche und so melancholische Wirkung der Herbstmonate auf dem Land verzichten zu müssen, fand sie bei genauerem Nachdenken auch nicht, daß sie zurückbleiben wolle. Es wäre das richtigste und das klügste und deshalb auch das am wenigsten schmerzliche, mit den anderen abzureisen.

Es ereignete sich allerdings etwas, was ihr eine andere Aufgabe zuwies. Mary, die sich oft unwohl fühlte und immer viel aus ihren eigenen Leiden machte und immer dazu neigte, Anne in Anspruch zu nehmen, wenn etwas los war, war unpäßlich; und da sie fürchtete, daß sie den ganzen Herbst keinen gesunden Tag haben würde, bat sie darum oder bestand eher darauf, denn eine Bitte war es kaum, daß Anne, statt nach Bath zu gehen, nach Uppercross Cottage kommen und ihr Gesellschaft leisten solle, solange sie sie brauche.

»Wie soll ich ohne Anne fertig werden«, war Marys Begründung, und Elizabeth entgegnete: »Dann finde ich, daß Anne bleiben sollte, denn in Bath kann sie sowieso keiner gebrauchen.«

Als Eigentum in Anspruch genommen zu werden, wenn auch auf so ungehörige Weise, ist immer noch besser, denn als überflüssig abgeschoben zu werden; und Anne, froh, für nützlich gehalten zu werden, froh, überhaupt eine Aufgabe zugeteilt zu bekommen, und keineswegs unglücklich, daß sie dieser auf dem Land, ihrem eigenen lieben Land nachgehen durfte, willigte gern ein zu bleiben.

Diese Einladung von Mary enthob Lady Russell aller Schwierigkeiten, und es wurde deshalb gleich vereinbart, daß Anne erst nach Bath fahren solle, wenn Lady Russell sie mitnahm, und daß sie die Zeit bis dahin zwischen Uppercross Cottage und Kellynch Lodge teilen solle.

So weit war alles bestens geregelt. Aber Lady Russell war geradezu entsetzt, als ihr eine Ungehörigkeit des Plans von Kellynch Hall zu Ohren kam, nämlich, daß Mrs. Clay aufgefordert worden war, Sir Walter und Elizabeth nach Bath zu begleiten, um dieser bei all den vor ihr liegenden Aufgaben eine wichtige und unentbehrliche Hilfe zu sein. Lady Russell fand es höchst bedauerlich, daß Erwägung gezogen worden war – wunderte schlimmsten Befürchtungen – und der Affront, der für Anne darin lag, daß Mrs. Clay sich als nützlich erwies, während sie selbst überflüssig war, erbitterte sie zutiefst.

Anne selbst war inzwischen gegen solche Affronts abgestumpft, aber sie empfand die Unklugheit einer solchen Vereinbarung genauso stark wie Lady Russell. Aufgrund eingehender, schweigender Beobachtung und oft verwünschter Kenntnis des väterlichen Charakters sah sie die ernsthaftesten Folgen für ihre Familie aus dieser ein solcher Schritt überhaupt in sich, beklagte es und hatte die intimen Beziehung voraus. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihr Vater gegenwärtig derlei Absichten hegte. Mrs. Clay hatte Sommersprossen, einen vorstehenden Zahn und knochige Handgelenke, worüber er in ihrer Abwesenheit ständig abfällige Bemerkungen machte. Aber sie war jung und alles in allem zweifellos gutaussehend und übte bei einem scharfen Verstand und unverdrossener Zuvorkommenheit einen unendlich viel gefährlicheren Reiz aus, als bloße körperliche Vorzüge je hätten ausüben können. Anne war so beunruhigt von der Gefahr, in der sie schwebten, daß sie nicht umhin konnte zu versuchen, ihre Schwester darauf aufmerksam zu machen. Sie versprach sich nicht viel davon, aber Elizabeth, die ein solcher Schicksalsschlag unendlich viel stärker treffen würde als sie, sollte ihr, fand sie, niemals vorwerfen können, sie nicht gewarnt zu haben.

Sie sprach offen und verletzte anscheinend nur. Elizabeth konnte sich gar nicht vorstellen, wie sie auf einen solch absurden Verdacht gekommen war und verbürgte sich empört dafür, daß alle Beteiligten sich über ihre Position völlig im klaren seien.

»Mrs. Clay«, sagte sie mit Nachdruck, »vergißt nie, wer sie ist; und da ich mit ihren Empfindungen weiß Gott besser vertraut bin als du, kann ich dir versichern, daß sie in puncto Ehe besonders heikel sind und daß sie Unebenbürtigkeit in Rang und Stellung stärker verurteilt als die meisten Leute. Und was meinen Vater betrifft, so weiß ich wirklich nicht, warum er, der unsretwegen so lange ledig geblieben ist, ausgerechnet jetzt verdächtigt werden muß. Wenn Mrs. Clay eine ausgesprochen schöne Frau wäre, zugegeben, dann wäre es vielleicht ein Fehler, sie so viel um mich zu haben. Es würde meinem Vater zwar im Traum nicht einfallen, eine Mesalliance einzugehen, aber er könnte sich unglücklich machen. Aber ausgerechnet die arme Mrs. Clay, die bei all ihren Verdiensten nie auch nur als einigermaßen hübsch gegolten haben kann! Ich glaube wirklich, die arme Mrs. Clay kann getrost bei uns bleiben. Man könnte meinen, du hättest ihn noch nie über ihr unglückseliges Äußeres reden hören, obwohl das hundertmal der Fall gewesen sein muß. Dieser Zahn! Und diese Sommersprossen! Ihn widern Sommersprossen noch mehr an als mich. Ich kenne Leute, die durch ein paar Sommersprossen nicht wesentlich verunstaltet werden, aber er verabscheut sie. Du mußt doch gehört haben, daß er über Mrs. Clays Sommersprossen geredet hat.« »Es gibt wohl kaum einen äußeren Defekt«, erwiderte Anne, »mit dem ein liebenswürdiges Wesen einen nicht nach und nach versöhnt.«

»Da bin ich ganz anderer Meinung«, antwortete Elizabeth kurz angebunden, »ein liebenswürdiges Wesen kann ein hübsches Gesicht unterstreichen, aber ein häßliches niemals verändern. Aber wie auch immer, da wohl niemand ein größeres Interesse an dieser Sache haben kann als ich, halte ich es für ziemlich überflüssig, daß ausgerechnet du mir dabei Ratschläge erteilst.«

Die Sache war für Anne erledigt – sie war froh, daß es vorüber war, und nicht ganz ohne Hoffnung, etwas erreicht zu haben. Elizabeth verübelte ihr den Verdacht zwar, war aber durch ihn vielleicht aufmerksam geworden.

Die letzte Pflicht des Viergespanns war es, Sir Walter, Miss Elliot und Mrs. Clay nach Bath zu ziehen. Die Gesellschaft fuhr in gehobener Stimmung davon. Sir Walter bereitete sich mit herablassenden Verneigungen auf all die bekümmerten Pächter und Häusler vor, denen man einen Wink gegeben haben mochte, sich zu zeigen; und Anne wanderte gleichzeitig in einer Art trauriger Ergebenheit zur Lodge hinüber, wo sie die erste Woche verbringen sollte.

Ihre Freundin war auch nicht in besserer Stimmung als sie selbst. Lady Russell ging dieses Auseinanderfallen der Familie sehr nahe. Deren Ansehen lag ihr ebenso am Herzen wie ihr eigenes; und der tägliche Umgang war ihr mit der Zeit unentbehrlich geworden. Der Anblick des verlassenen Grundstücks war ihr schmerzlich, und schlimmer noch der Gedanke an die neuen Hände, in die es fallen würde; und um der Verlassenheit und der Melancholie eines so veränderten Dorfes zu entgehen und bei Admiral und Mrs. Crofts Ankunft aus dem Weg zu sein, hatte sie beschlossen, ihre Reise anzutreten, sobald sie auf Anne verzichten mußte. So verließen sie das Haus gemeinsam, und Anne wurde auf der ersten Etappe von Lady Russells Reise in Uppercross Cottage abgesetzt.

Uppercross war ein Dorf von mittlerer Größe, das noch bis vor ein paar Jahren ganz die alte englische Dorfanlage und daher nur zwei Häuser gehabt hatte, die großzügiger gebaut waren als die der Bauern und Landarbeiter – das Herrenhaus des Gutsbesitzers mit seinen hohen Mauern, großen Toren und alten Bäumen, ausgedehnt und altmodisch, und das gedrängte, enge Pfarrhaus in seinem eigenen gepflegten Garten, um dessen Fenster wilder Wein und ein Birnenspalier rankten. Aber bei der Heirat des jungen Herrn war ein Bauernhof renoviert und für ihn als Wohnhaus in ein Cottage umgebaut worden; und Uppercross Cottage mit seiner Veranda, seinen Schiebefenstern und sonstigen Reizen zog die Aufmerksamkeit des Reisenden vermutlich ebenso auf sich wie das harmonischere und gewichtigere Aussehen und die Räumlichkeiten des Herrenhauses, ungefähr eine Viertelmeile entfernt.

Hier hatte Anne sich oft aufgehalten. Sie kannte das alltägliche Leben in Uppercross ebenso gut wie das in Kellynch. Die beiden Familien hatten so ungezwungenen Umgang miteinander, waren so daran gewöhnt, jederzeit beieinander ein-und auszugehen, daß Anne eher überrascht war, Mary allein vorzufinden. Aber da sie allein war, verstand es sich beinahe von selbst, daß sie sich unpäßlich und niedergeschlagen fühlte. Obwohl sie besser aussah als ihre ältere Schwester, besaß Mary doch nicht Annes Intelligenz oder Naturell. Solange sie sich wohl und munter und von allen umsorgt fühlte, konnte sie bestens gelaunt und ausgelassen sein; aber bei jeder Unpäßlichkeit verließ sie aller Lebensmut; sie wußte allein nichts mit sich anzufangen; und da sie durchaus ihren Teil von der Elliotschen Selbstgefälligkeit geerbt hatte, neigte sie sehr schnell dazu, sich bei allem Unglück obendrein noch einzubilden, sie werde benachteiligt und ausgenutzt. Rein äußerlich war sie ihren beiden Schwestern unterlegen und hatte es selbst in der Blüte ihrer Jahre nur zu einem »ganz netten Mädchen« gebracht. Sie lag gerade auf dem verschossenen Sofa in ihrem hübschen kleinen Wohnzimmer, dessen früher elegantes Mobiliar unter der Einwirkung von vier Sommern und zwei Kindern nach und nach schäbig geworden war, und begrüßte Anne bei ihrem Erscheinen mit den Worten:

»Na, da kommst du ja endlich! Ich dachte schon, ich bekäme dich gar nicht mehr zu sehen. Ich bin so krank, ich kann kaum sprechen. Ich habe den ganzen Vormittag keine Menschenseele gesehen!«

»Es tut mir leid, daß es dir nicht gut geht«, erwiderte Anne.

»Du hast mir doch am Donnerstag so beruhigende Nachrichten von dir geschickt.«

»Ja, ich habe das Beste daraus gemacht. Das tue ich doch immer. Aber es ging mir ganz und gar nicht gut; und so schlecht wie heute den ganzen Vormittag ist es mir in meinem ganzen Leben noch nicht gegangen – viel zu krank, um allein gelassen zu werden. Stell dir vor, ich hätte plötzlich einen schrecklichen Anfall und wäre unfähig zu klingeln! So, und Lady Russell wollte also nicht mal aussteigen. Ich glaube, sie ist den ganzen Sommer über keine dreimal in diesem Haus gewesen.«

Anne gab eine verbindliche Antwort und erkundigte sich nach Marys Mann. »Ach, Charles ist auf der Jagd. Ich habe ihn seit sieben Uhr nicht gesehen. Er mußte unbedingt gehen, obwohl ich ihm gesagt habe, wie krank ich bin. Er wollte nicht lange fortbleiben. Aber er ist noch nicht zurück, und jetzt ist es beinahe eins. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe den ganzen Vormittag keine Menschenseele gesehen.« »Du hast doch deine kleinen Jungen bei dir gehabt.«

»Ja, solange ich ihren Krach ertragen konnte. Aber sie sind so ungezogen, daß sie mich kränker machen, als ich bin. Klein-Charles will überhaupt nicht auf mich hören, und Walter ist schon beinahe ebenso schlimm.«

»Na ja, jetzt geht es dir bald besser«, erwiderte Anne heiter.

»Du weißt doch, wenn ich komme, wirst du immer gleich gesund. Wie geht es deinen Nachbarn im Herrenhaus?«

»Das kann ich dir doch nicht sagen. Ich habe heute noch keinen von ihnen gesehen. Außer Mr. Musgrove, der nur kurz angehalten und durchs Fenster mit mir gesprochen hat, aber ohne vom Pferd zu steigen. Und obwohl ich ihm gesagt habe, wie krank ich bin, hat sich nicht ein einziger von ihnen blicken lassen. Es kam den Miss Musgrove wohl ungelegen, und sie strengen sich sowieso nicht gern an.«

»Du bekommst sie ja vielleicht noch zu sehen, ehe der Vormittag vorbei ist. Es ist noch früh.«

»Das will ich gar nicht, das kannst du mir glauben. Sie schwatzen und lachen mir viel zu viel. Ach, Anne, es geht mir so schlecht! Es war gar nicht nett von dir, daß du am Donnerstag nicht gekommen bist.«

»Meine liebe Mary, vergiß nicht, was für beruhigende Nachrichten du selbst mir geschickt hast! Du hast mir nur Positives geschrieben und gesagt, es ginge dir ausgezeichnet und ich brauchte mich nicht zu beeilen; und da das der Fall war, kannst du dir denken, wie viel mir daran lag, bis zuletzt mit Lady Russell zusammenzusein; und abgesehen von meinen Verpflichtungen ihr gegenüber war ich so beschäftigt, hatte ich so viel zu tun, daß ich Kellynch nicht gut früher hätte verlassen können.« »Du liebe Güte, was kannst du denn schon zu tun haben!«

»Eine ganze Menge, das kannst du mir glauben. Mehr als mir im Moment einfällt. Aber einiges kann ich dir aufzählen. Ich habe eine Abschrift des Katalogs von Vaters Büchern und Bildern gemacht. Ich bin mehrmals mit Mackenzie im Garten gewesen, um zu begreifen und ihm begreiflich zu machen, welche von Elizabeths Blumen für Lady Russell sind. Ich mußte alle meine eigenen kleinen Angelegenheiten ordnen – Bücher und Noten aussortieren und alle meine Kisten umpacken, weil ich nicht rechtzeitig begriffen hatte, was auf den Wagen mitgehen sollte; und eine wirklich unangenehme Aufgabe mußte ich erledigen, Mary: ich mußte beinahe jedes Haus in der Gemeinde besuchen, so eine Art Abschied. Ich hatte gehört, daß man es erwartete. Aber alle diese Dinge haben mich sehr viel Zeit gekostet.«

»Na ja« – und nach kurzer Pause –, »aber du hast dich noch mit keiner Silbe nach unserem Dinner bei den Pooles gestern erkundigt.«

»Dann bist du also hingegangen! Ich habe nicht danach gefragt, weil ich annahm, daß du gezwungen warst, auf die Party zu verzichten.«

»Ach so – doch, ich war da. Mir ging es gestern sehr gut; mir hat gar nichts gefehlt bis heute morgen. Es hätte komisch ausgesehen, wenn ich nicht hingegangen wäre.«

»Wie schön, daß es dir so gut ging, und ich hoffe, du hast dich gut amüsiert.« »Nicht besonders. Man weiß ja schon vorher immer, wie das Dinner ist und wer da sein wird; und es ist so furchtbar lästig, keine eigene Kutsche zu haben. Mr. und Mrs. Musgrove haben mich mitgenommen, und es war vielleicht eng! Sie sind beide so furchtbar dick und nehmen so viel Platz ein, und Mr. Musgrove sitzt immer vorne. Da saß ich also und mußte mich mit Henrietta und Louisa auf den Rücksitz zwängen, und es ist gut möglich, daß meine Krankheit daher kommt.«

Ein bißchen zusätzliche Geduld und forcierte Heiterkeit auf seiten Annes bewirkten eine fast völlige Genesung auf seiten Marys. Bald konnte sie aufrecht auf dem Sofa sitzen und begann zu hoffen, zum Dinner vielleicht schon aufstehen zu können; und als sie vergaß, daran zu denken, war sie plötzlich am anderen Ende des Zimmers und arrangierte einen Blumenstrauß. Dann aß sie ihr kaltes Fleisch, und dann ging es ihr auf einmal so gut, daß sie einen kleinen Spaziergang vorschlug.

»Wohin sollen wir gehen?« fragte sie, als sie fertig waren.

»Du willst sicher nicht gern im Herrenhaus vorsprechen, ehe sie dir nicht einen Besuch gemacht haben.«

»Dagegen habe ich nicht den geringsten Einwand«, erwiderte Anne. »Bei Leuten, die ich so gut kenne wie Mrs. und die Miss Musgrove, lege ich auf solche Förmlichkeiten überhaupt keinen Wert.«

»Ach so; aber sie müßten dir so bald wie möglich einen Besuch machen. Sie müßten wissen, was sie dir als meiner Schwester schuldig sind. Aber wir können trotzdem hingehen und ein Weilchen bei ihnen sitzen; und wenn wir das hinter uns haben, können wir unseren Spaziergang genießen.«

Anne hatte diese Form des Umgangs immer für unklug gehalten. Aber weil sie überzeugt war, daß keine Familie trotz ständiger Anlässe zu Kränkungen auf beiden Seiten darauf verzichten konnte, hatte sie den Versuch einzugreifen aufgegeben. Sie gingen also zum Herrenhaus, um eine volle halbe Stunde in dem altmodischen viereckigen Wohnzimmer mit dem kleinen Teppich und dem polierten Fußboden zu sitzen, in dem die Töchter des Hauses nach und nach durch einen Flügel und eine Harfe, Blumenständer und überall aufgestellte kleine Tischchen die Atmosphäre eines modischen Durcheinanders geschaffen hatten. Ach, hätten die Modelle der Porträts an den getäfelten Wänden, hätten die Herren in braunem Samt und die Damen in blauem Satin sehen können, was da vorging; hätten sie solchen Umsturz aller Ordnung und Regelmäßigkeit miterleben können! Die Porträts selbst schienen ungläubige Augen zu machen.

Die Musgroves befanden sich wie ihre Häuser in einem Zustand der Veränderung, vielleicht sogar der Verbesserung. Der Vater und die Mutter hatten noch ganz den alten englischen Stil und die jungen Leute den neuen. Mr. und Mrs. Musgrove waren sehr nette Leute, liebenswürdig und gastfreundlich, nicht besonders gebildet und ganz und gar nicht vornehm. Ihre Umgangsformen. Sie waren eine Kinder hatten modernere Vorstellungen und kinderreiche Familie, aber die beiden einzigen Herangewachsenen außer Charles waren Henrietta und Louisa, junge Damen von neunzehn und zwanzig, die von einer Schule in Exeter den üblichen Vorrat an Fertigkeiten mitgebracht hatten und jetzt wie Tausende anderer junger Damen nur auf der Welt waren, um elegant, glücklich und ausgelassen zu sein. Ihre Kleidung besaß allen Schick, ihre Gesichter waren ziemlich hübsch, ihre Stimmung war bestens, ihre Umgangsformen ungezwungen und angenehm; innerhalb ihrer Familie waren sie tonangebend und außerhalb beliebt. Anne betrachtete sie immer als die glücklichsten Mädchen ihrer Bekanntschaft; und doch hätte sie dank jenes angenehmen Gefühls der Überlegenheit, das uns alle davon abhält, mit den anderen tauschen zu wollen, ihren eigenen anspruchsvolleren und kultivierteren Verstand nicht für alle ihre Vergnügungen hergegeben und beneidete sie um nichts als das anscheinend völlig ungetrübte Einvernehmen und den Einklang zwischen ihnen, die selbstverständliche gegenseitige Zuneigung, die sie von keiner ihrer Schwestern je erfahren hatte. Sie wurden mit großer Herzlichkeit empfangen. In der Familie im Herrenhaus, die, wie Anne ganz genau wußte, meist weniger Schuld an den Verstimmungen hatte, war alles in bester Ordnung. Sie verbrachten die halbe Stunde in angenehmer Unterhaltung, und sie war anschließend nicht im geringsten überrascht, daß die beiden Miss Musgrove sie, und zwar auf Marys ausdrücklichen Wunsch, bei ihrem Spaziergang begleiteten.

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