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Kapitel 6

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Anne hätte auch ohne diesen Besuch in Uppercross gewußt, daß der Wechsel von einem Kreis zum anderen, auch wenn die Entfernung nur drei Meilen beträgt, oft völlig andere Gespräche, Meinungen, Vorstellungen mit sich bringt. Schon bei früheren Besuchen dort war sie davon beeindruckt gewesen oder hatte gewünscht, daß andere Elliots ebenfalls einmal in den Genuß kämen zu merken, wie unbekannt oder unwichtig hier die Angelegenheiten waren, die man in Kellynch für allgemein bekannt und allgemein interessant hielt. Doch trotz all dieser Erfahrung mußte sie sich nun wohl oder übel eine weitere Lektion in der Kunst, sich der eigenen Bedeutungslosigkeit außerhalb unseres eigenen Zirkels bewußt zu sein, gefallen lassen; denn so voll ihr das Herz von dem einen Thema, das beide Häuser in Kellynch seit vielen Wochen beschäftigte, bei ihrer Ankunft natürlich auch war, so hatte sie in den voneinander unabhängigen, jedoch sehr ähnlichen Bemerkungen von Mr. und Mrs. Musgrove: »So, Miss Anne, Sir Walter und Ihre Schwester sind also fort; und in welchem Teil von Bath wollen Sie sich denn nun niederlassen?« oder in dem Zusatz der jungen Damen: »Hoffentlich sind wir diesen Winter auch in Bath; aber denk daran, Papa, wenn wir wirklich fahren, müssen wir in einer angesehenen Gegend wohnen; deinen Queen Square sind wir nun leid!« oder in dem besorgten Nachsatz von Mary: »Du meine Güte, und ich kann sehen, wo ich bleibe, wenn ihr euch alle in Bath amüsiert!« etwas mehr Neugier und Anteilnahme erwartet.

Sie konnte sich nur vornehmen, solchen Selbsttäuschungen in Zukunft nicht zu erliegen und noch mehr als sonst für das außerordentliche Glück dankbar zu sein, eine so wahrhaft mitfühlende Freundin wie Lady Russell zu haben.

Die beiden Mr. Musgrove waren damit beschäftigt, ihren Wildbestand zu pflegen und zu schießen und sich mit ihren eigenen Pferden, Hunden und Zeitungen die Zeit zu vertreiben; und die weibliche Gesellschaft hatte alle Hände voll zu tun mit all den anderen alltäglichen Dingen wie Haushalt, Nachbarn, Kleider, Tanzen und Musik. Sie mußte zugeben, wie richtig es war, daß jedes kleine gesellschaftliche Gemeinwesen seine eigenen Gesprächsthemen wählt, und hoffte, über kurz oder lang ein nicht unwürdiges Mitglied der Gruppe zu werden, in die sie nun verpflanzt war. Bei der Aussicht, mindestens zwei Monate in Uppercross zu verbringen, war es ratsam, ihre Phantasie, ihre Erinnerungen und ihre Vorstellungen soviel wie möglich denen von Uppercross anzupassen.

Ihr graute nicht vor diesen zwei Monaten in Uppercross. Mary war nicht so abweisend und unschwesterlich wie Elizabeth und auch ihrem Einfluß nicht so unzugänglich; und von den anderen Bewohnern des Cottage hatte sie für ihr Wohlbefinden nichts zu befürchten. Sie verstand sich mit ihrem Schwager immer gut, und die Kinder, die sie beinahe so herzlich liebten und sie beinahe mehr respektierten als ihre eigene Mutter, boten ihr Abwechslung, Vergnügen und gesunde körperliche Bewegung.

Charles Musgrove war höflich und umgänglich; an Einsicht und Selbstbeherrschung war er seiner Frau zweifellos überlegen, nicht aber an Intelligenz, Unterhaltungsgabe oder gesellschaftlicher Gewandtheit, so daß ihre frühere Beziehung niemals eine Gefahrenquelle für sie darstellte, obwohl Anne mit Lady Russell darin übereinstimmte, daß er von der Heirat mit einer anspruchsvolleren Frau nur hätte profitieren können und eine wirklich intelligente Frau seiner Persönlichkeit mehr Profil und seinen Gewohnheiten und Interessen mehr Sinn, Verstand und Geschmack gegeben hätte. So betrieb er nichts mit besonderer Ausdauer außer der Jagd und vertrödelte ansonsten seine Zeit, ohne daß Bücher oder sonst irgend etwas ihn gebildet hätte. Er war immer gut gelaunt und ließ sich anscheinend von der gelegentlichen Verdrießlichkeit seiner Frau kaum beeindrucken, ertrug ihre Unvernunft so geduldig, daß Anne ihn manchmal bewunderte, und alles in allem konnten sie (obwohl es häufig kleine Unstimmigkeiten gab, an denen sie oft stärker beteiligt war, als ihr lieb sein konnte, weil beide Parteien an sie appellierten) als glückliches Paar gelten. In dem Wunsch nach mehr Geld oder dem Bedürfnis nach finanziellen Zuwendungen von seinem Vater waren sie sich immer einig. Aber hier wie in den meisten Punkten behielt er die Oberhand, denn während Mary es außerordentlich beklagte, daß eine solche Zuwendung nicht gemacht wurde, vertrat er immer den Standpunkt, daß sein Vater sein Geld selbst gut gebrauchen könne und ein Recht habe, es auszugeben, wie es ihm gefiel.

Was die Erziehung der Kinder anging, so waren seine Theorien viel besser als die seiner Frau und ihre praktische Anwendung nicht so schlecht. »Ich könnte ganz gut mit ihnen fertig werden, wenn Mary nicht immer eingriffe«, waren Worte, die Anne ihn oft sagen hörte und für die sie durchaus Verständnis hatte; wenn sie dagegen Marys Vorwürfe: »Charles verwöhnt die Kinder, so daß sie mir nicht gehorchen«, anhörte, verspürte sie niemals die geringste Versuchung zu sagen: »Das stimmt.« Eine der unangenehmsten Begleiterscheinungen ihres Aufenthalts dort war der Umstand, daß alle Parteien sie zu sehr ins Vertrauen zogen und daß beide Häuser sie zu sehr zur Mitwisserin ihrer gegenseitigen Beschwerden machten. Da man wußte, daß sie einen gewissen Einfluß auf ihre Schwester hatte, bat man sie ständig oder deutete ihr doch wenigstens an, ihn weit über ihre tatsächlichen Möglichkeiten hinaus auszuüben. »Wenn du nur Mary dazu überreden könntest, nicht immer krank zu spielen«, kam es von Charles; und wenn Mary niedergeschlagen war, hieß es von ihr: »Ich glaube, wenn Charles mich im Sterben liegen sähe, würde er immer noch nicht glauben, daß mir etwas fehlt. Wenn du wolltest, Anne, könntest du ihn bestimmt davon überzeugen, daß ich wirklich sehr krank bin; jedenfalls sehr viel kränker, als ich je zugebe.«

Mary erklärte: »Ich schicke die Kinder so ungern ins Herrenhaus, obwohl ihre Großmama sie immer bei sich haben will, denn sie verhätschelt und verzärtelt sie in einem Maße und gibt ihnen so viel unbekömmliches und süßes Zeug, daß sie jedesmal krank und für den Rest des Tages unausstehlich nach Hause kommen.« Und Mrs. Musgrove nahm die erste Gelegenheit wahr, um im Vertrauen zu Anne zu sagen: »Ach, Miss Anne, wenn doch Mrs. Charles nur ein bißchen von Ihrer Art hätte, mit den Kindern umzugehen. Bei Ihnen sind sie wie ausgewechselt. Aber sonst werden sie ja so verwöhnt! Es ist ein Jammer, daß Sie Ihrer Schwester nicht beibringen können, wie man mit ihnen fertig wird. Es sind ausgesprochen nette und gesunde Kinder, die armen Kleinen, ganz ohne Voreingenommenheit, aber Mrs. Charles weiß wirklich nicht mit ihnen umzugehen. Meine Güte, wie ungezogen sie manchmal sind! Sie können mir glauben, Miss Anne, es verleidet mir den Wunsch, sie öfter zu uns herüberzuholen, als ich es sonst täte. Ich glaube, Mrs. Charles ist es gar nicht recht, daß ich sie nicht öfter einlade, aber es ist wirklich schrecklich, Kinder bei sich zu haben, die man immerzu mit ›Tu dies nicht‹ und ›Tu das nicht‹ zurechtweisen muß oder die man nur mit mehr Kuchen, als ihnen bekommt, einigermaßen – im Zaum halten kann.«

Mary verdankte sie außerdem folgende Information: »Mrs. Musgrove hält ihr ganzes Personal für so zuverlässig, daß es an Hochverrat grenzen würde, daran zu zweifeln. Aber ohne Übertreibung, ich weiß, daß ihr Zimmermädchen und ihr Wäschemädchen sich, statt ihre Arbeit zu tun, im Dorf herumtreiben, und zwar den ganzen Tag. Ich laufe ihnen dauernd über den Weg; und ich sage dir, ich kann Kinderzimmer gehen, ohne sie dort zu finden. Wenn Jemima vertrauenswürdige, zuverlässige Person wäre, hätten sie bestimmt einen schlechten Einfluß auf sie; denn sie hat mir erzählt, sie wollen sie immer überreden, mit ihnen spazierenzugehen.« Und von Mrs. Musgroves Seite hieß es: »Ich mische mich grundsätzlich nicht in die Angelegenheiten meiner Schwiegertochter ein, weil ich weiß, das führt zu nichts. Aber Ihnen kann ich es ja sagen, Miss Anne, weil Sie vielleicht Einfluß darauf nehmen können, daß ich von Mrs. Charles’ Kindermädchen gar keine gute Meinung habe. Man erzählt merkwürdige Geschichten von ihr. Sie treibt sich ständig herum; und nach dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, kann ich Ihnen sagen, sie spielt so sehr die feine Dame, daß sie allen Mädchen, mit denen sie umgeht, Flausen in den Kopf setzt. Mrs. Charles schwört auf sie, das weiß ich; aber ich will Sie lieber darauf hinweisen, damit Sie auf der Hut sind; und wenn Ihnen irgend etwas auffällt, scheuen Sie sich nicht, es mir zu sagen.«

Andererseits beschwerte sich Mary, daß Mrs. Musgrove dazu neigte, den ihr zukommenden gesellschaftlichen Rang nicht anzuerkennen, wenn sie mit anderen Familien im Herrenhaus zum Dinner waren; und sie sah nicht ein, warum man sie als so sehr zur Familie gehörig betrachten sollte, daß sie ihre Stellung einbüßte. Und eines Tages, als Anne nur mit den Miss Musgrove einen Spaziergang machte, bemerkte eine von ihnen, nachdem sie über Standesunterschiede, Standesbewußtsein und Standesdünkel gesprochen hatten: »Ich scheue mich nicht, in deinem Beisein zu erwähnen, wie unsinnig manche Leute auf ihren Rang bedacht sind, denn alle Welt weiß, wie nüchtern und unvoreingenommen du darüber denkst. Aber wenn doch nur jemand Mary mal zu verstehen gäbe, wieviel klüger es wäre, nicht so hartnäckig darauf zu bestehen; vor allem, daß sie es nicht immer darauf anlegt, den Vorrang vor Mama zu haben. Es bestreitet ja keiner, daß sie Mama gesellschaftlich überlegen ist, aber es würde einen sehr viel besseren Eindruck machen, wenn sie nicht immer so darauf beharrte. Nicht daß es Mama auch nur das geringste ausmacht, aber ich weiß doch, daß es vielen Leuten auffällt.«

Wie sollte Anne alle diese Dinge ins rechte Lot bringen? Sie konnte nicht viel mehr tun, als geduldig zuzuhören, Verständnis für alle Sorgen zu zeigen und sie gegenseitig zu nicht in mein nicht eine so entschuldigen, sie alle darauf hinzuweisen, wie wichtig es bei so enger Nachbarschaft war, nachsichtig miteinander zu sein, und da am deutlichsten zu werden, wo ihre Schwester von ihren Hinweisen lernen konnte.

Abgesehen davon begann und verlief ihr Besuch sehr erfreulich. Ihre eigene Stimmung hob sich in neuer Umgebung und bei neuen Gesprächen, jetzt, wo sie drei Meilen von Kellynch entfernt war; auch Marys Leiden ließen nach, da sie nun ständige Gesellschaft hatte, und der tägliche Umgang mit der anderen Familie erwies sich, da es in dem Cottage weder besondere Zuneigung, noch Vertraulichkeit oder Beschäftigung gab, die darunter gelitten hätten, eher als Vorteil. Sie nahmen wirklich beinahe jede sich bietende Gelegenheit wahr, denn sie trafen sich jeden Vormittag und verbrachten kaum einen Abend getrennt. Aber Anne war überzeugt, es wäre, wenn nicht die ehrfurchtgebietenden Gestalten von Mr. und Mrs. Musgrove an ihrem gewohnten Platz gesessen oder ihre Töchter nicht geredet, gelacht und gesungen hätten, längst nicht so gut gegangen.

Sie spielte sehr viel besser Klavier als beide Miss Musgrove; aber da sie keine Stimme, keine Ahnung vom Harfenspiel und keine liebenden Eltern hatte, die dabeisaßen und sich entzückt gaben, wurde ihre Darbietung wenig, und wie sie wohl merkte, nur aus Höflichkeit oder um die anderen zu ermuntern, geschätzt. Sie wußte, wenn sie spielte, daß es nur zu ihrem eigenen Vergnügen geschah. Aber diese Erfahrung war nichts Neues; außer für eine sehr kurze Zeit hatte sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr nie, nie seit dem Verlust ihrer lieben Mutter das Glück empfunden, daß man ihr zuhörte oder sie mit ehrlicher Dankbarkeit oder wirklichem Geschmack ermutigte. Sie war längst daran gewöhnt, Musik einsam zu genießen, und Mr. und Mrs. Musgroves liebevolle Voreingenommenheit für das Spiel ihrer Töchter und ihre völlige Gleichgültigkeit gegenüber allen anderen bedeutete ihr mehr Vergnügen für die beiden als Kränkung für sie selbst.

Die Gesellschaft im Herrenhaus wurde manchmal durch andere Gäste erweitert. Die Zahl der Nachbarn war nicht groß, aber die Musgroves wurden von allen besucht und hatten mehr Dinnerparties und mehr Gäste, mehr eingeladene und zufällige Besucher als irgendeine andere Familie. Sie waren eben am beliebtesten.

Die Mädchen waren wild aufs Tanzen, und die Abende endeten gelegentlich in einem unvorhergesehenen kleinen Ball. Nur einen Spaziergang von Uppercross entfernt, gab es eine Familie von Vettern und Kusinen in weniger wohlhabenden Verhältnissen, die bei all ihren Vergnügungen auf die Musgroves angewiesen waren. Sie waren bereit, jederzeit zu kommen, bei allem mitzuspielen oder überall zu tanzen; und Anne, die die Aufgabe, Klavier zu spielen, dem aktiveren Mitmachen bei weitem vorzog, spielte Stunde um Stunde Kontratänze für sie – eine Gefälligkeit, durch die ihre musikalischen Talente Mr. und Mrs. Musgrove überhaupt nur auffielen und die oft das Kompliment hervorrief: »Gut gemacht, Miss Anne! Wirklich gut gemacht! Du lieber Gott! Wie ihre kleinen Finger über die Tasten fliegen!«

So vergingen die ersten drei Wochen. Der September näherte sich seinem Ende; und jetzt war Anne mit dem Herzen wieder in Kellynch, ihrem geliebten Zuhause, das jetzt andere übernahmen. All die kostbaren Räume und Möbel, Wäldchen und Ausblicke, die nun mit Leib und Seele anderen gehören sollten. Sie konnte am 29. September kaum an etwas anderes denken und freute sich abends über die mitfühlende Geste von Mary, die zufällig das Datum aufschrieb und ausrief: »Du liebe Güte! Ist dies nicht der Tag, an dem die Crofts in Kellynch einziehen wollten? Ein Glück, daß ich nicht vorher daran gedacht habe. Wie mich der Gedanke bedrückt.«

Die Crofts zogen mit typisch seemännischer Entschlußkraft ein und mußten besucht werden. Mary jammerte über die Unumgänglichkeit. Es ahne ja niemand, wie sie darunter leiden werde. Sie werde es hinauszögern, solange sie könne, gab aber keine Ruhe, bis sie Charles dazu überredet hatte, sie bei der ersten Gelegenheit hinüberzufahren, und befand sich im angenehmen Zustand äußerst lebhafter eingebildeter Erregung, als sie zurückkam.

Anne war von Herzen froh, daß sie keine Möglichkeit hatte hinzufahren. Sie wollte die Crofts allerdings gern kennenlernen und freute sich, zu Hause zu sein, als der Besuch erwidert wurde. Sie kamen. Der Herr des Hauses war nicht daheim, aber die beiden Schwestern waren da; und da der Zufall es wollte, daß Anne sich Mrs. Crofts annahm, während der Admiral sich zu Mary setzte und sich durch die gutmütige Anteilnahme an ihren kleinen Jungen sehr beliebt machte, hatte sie ausgiebig Gelegenheit, auf Ähnlichkeiten zu achten und sie, falls der Gesichtsausdruck ihr nichts sagte, in ihrer Stimme, ihren Auffassungen und ihren Gesten zu suchen.

Mrs. Croft, obwohl weder groß noch dick, war von einer Gesetztheit, Geradheit und Vitalität, die ihrer Person Gewicht verlieh. Sie hatte strahlende dunkle Augen, gute Zähne und ein durchaus ansprechendes Gesicht, obwohl man aus ihrem geröteten und wettergebräunten Teint – einer Folge davon, daß sie beinahe ebenso viel Zeit auf See verbracht hatte wie ihr Mann – geschlossen hätte, daß sie schon etwas länger auf der Welt war als achtunddreißig Jahre. Ihr Benehmen war offen, ungezwungen und bestimmt wie bei jemandem, dem es an Selbstvertrauen nicht fehlt und der sich im klaren ist, was er zu tun hat, ohne jedoch in die Nähe von Gewöhnlichkeit oder Humorlosigkeit zu geraten; und Anne mußte ihr wirklich zugestehen, daß sie in allem, was sich im Zusammenhang mit Kellynch auf sie bezog, großes Taktgefühl bewies. Das freute sie besonders, da sie sich in der allerersten halben Minute, ja, unmittelbar bei der Vorstellung vergewissert hatte, daß Mrs. Croft auch nicht das geringste Anzeichen von Mitwissen oder Verdacht verriet, das auf Voreingenommenheit hätte schließen lassen. Sie war also in dieser Hinsicht ganz ruhig und deshalb voller Zuversicht und Mut, bis eine plötzliche Bemerkung von Mrs. Croft sie zusammenfahren ließ:

»Mit Ihnen und nicht mit Ihrer Schwester hatte mein Bruder, wie ich höre, das Vergnügen, bekannt zu sein, als er in dieser Gegend wohnte.«

Anne hoffte, über das Alter des Errötens hinaus zu sein, aber über das Alter starker Gemütsbewegungen war sie es nicht.

»Vielleicht haben Sie gar nicht gehört, daß er verheiratet ist«, fügte Mrs. Croft hinzu. Nun konnte sie antworten, wie es sich gehörte, und war erleichtert, als Mrs. Crofts folgende Worte klarmachten, daß sie Mr. Wentworth gemeint, daß sie nichts gesagt hatte, was nicht auf beide Brüder zutraf. Sie begriff sofort, wie naheliegend es war, daß Mrs. Croft von Edward und nicht von Frederick sprach; und beschämt über ihre eigene Vergeßlichkeit, brachte sie den Ausführungen über das augenblickliche Wohlergehen ihres früheren Nachbarn das erforderliche Interesse entgegen.

Den Rest des Besuches überstand sie in völliger Gelassenheit, bis sie beim Aufbruch den Admiral zu Mary sagen hörte:

»Wir erwarten demnächst einen Bruder von Mrs. Croft hier. Sie kennen ihn bestimmt dem Namen nach.«

Er wurde durch die ungestümen Überfälle der kleinen Jungen unterbrochen, die sich an ihn hängten wie an einen alten Freund und ihn nicht gehen lassen wollten; und da er mit der Drohung, sie in seiner Manteltasche mitzunehmen, so beschäftigt war, daß ihm gar keine Zeit blieb, das zu beenden oder sich auch nur auf das zu besinnen, was er angefangen hatte, war Anne darauf angewiesen, sich so gut es ging einzureden, daß es sich immer noch um denselben Bruder handelte. Sie war sich ihrer Sache allerdings nicht so sicher, daß sie nicht liebend gern erfahren hätte, ob im Herrenhaus, wo die Crofts vorher einen Besuch gemacht hatten, etwas über das Thema gesagt worden war. Die Familie vom Herrenhaus sollte an diesem Tag den Abend in dem Cottage verbringen; und da es unterdessen zu spät im Jahr war, solche Besuche zu Fuß zu machen, fingen sie gerade an, auf die Kutsche zu horchen, als die jüngste Miss Musgrove eintrat. Daß sie kam, um die Familie zu entschuldigen, und daß sie nun womöglich den Abend allein verbringen mußten, war zuerst ihre Befürchtung; und Mary war auch schon drauf und dran, wie üblich beleidigt zu sein, als Louisa sie durch die Nachricht versöhnte, daß sie nur zu Fuß gekommen sei, um mehr Platz für die Harfe zu lassen, die mit der Kutsche nachkäme.

»Und ich will euch auch genau erzählen«, fuhr sie fort, »warum. Ich bin gekommen, um euch zu sagen, daß Papa und Mama heute abend sehr niedergeschlagen sind, besonders Mama. Sie muß immer an den armen Richard denken, und wir waren uns einig, daß die Harfe das beste wäre, denn sie macht ihr anscheinend mehr Spaß als das Klavier. Ich will euch auch sagen, warum sie so niedergeschlagen ist. Als die Crofts heute vormittag zu Besuch waren (hinterher waren sie hier, oder nicht?), haben sie zufällig erwähnt, daß ihr Bruder, Kapitän Wentworth, gerade nach England zurückgekehrt ist oder vorläufig an Land bleibt oder irgend so was und daß er sie sehr bald besuchen will, und unglücklicherweise fiel Mama, als sie gegangen waren, ein, daß der Kapitän des armen Richard früher mal Wentworth oder so was ähnliches geheißen hat, ich weiß nicht, wann oder wo, aber jedenfalls lange vor seinem Tod, der Ärmste! Und als sie seine Briefe und Sachen durchsah, stellte sie fest, daß es stimmte, und ist nun ganz sicher, daß er genau der Mann sein muß, und muß nun immer daran denken und an den armen Richard! Wir müssen also alle so vergnügt sein wie möglich, damit sie nicht immer an solche trostlosen Sachen denkt.«

Die wahren Hintergründe dieser traurigen Familiengeschichte waren, daß die Musgroves das Unglück gehabt hatten, einen sehr schwierigen, hoffnungslosen Sohn zu haben, und das Glück, ihn zu verlieren, bevor er zwanzig war. Daß man ihn auf See geschickt hatte, weil er an Land so dumm und unausstehlich war; daß der Familie niemals viel an ihm gelegen hatte, wenn auch fast mehr, als er verdiente; daß er selten von sich hören ließ und so gut wie gar nicht vermißt wurde, als die Nachricht von seinem Tode vor zwei Jahren nach Uppercross gelangt war.

Er war, auch wenn seine Schwestern sich nun alle Mühe um ihn gaben, indem sie ihn den »armen Richard« nannten, in Wirklichkeit nichts anderes als der dickköpfige, gefühllose, nutzlose Dick Musgrove gewesen, der, tot oder lebendig, nichts getan hatte, was ihn zu mehr als der Abkürzung seines Namens berechtigt hätte.

Er war mehrere Jahre zur See gefahren und im Verlauf von Versetzungen, der alle Kadetten und besonders solche unterworfen sind, die jeder Kapitän los werden möchte, sechs Monate an Bord von Kapitän Frederick Wentworths Fregatte, der »Laconia«, gewesen. Und von der »Laconia« hatte er unter dem Einfluß seines Kapitäns die einzigen beiden Briefe geschrieben, die sein Vater und seine Mutter während seiner ganzen Abwesenheit je von ihm erhalten hatten; d. h. die einzigen beiden uneigennützigen Briefe. Alle anderen waren bloße Bitten um Geld gewesen. In beiden Briefen hatte er seinen Kapitän lobend erwähnt, aber sie waren so wenig daran gewöhnt, auf solche Dinge zu achten, so unaufmerksam und wenig neugierig waren sie, was Namen von Männern und Schiffen anging, daß es damals so gut wie keinen Eindruck bei ihnen hinterlassen hatte; und daß Mrs. Musgrove ausgerechnet an diesem Tag der Name Wentworth im Zusammenhang mit ihrem Sohn schlagartig einfiel, war anscheinend einer jener außergewöhnlichen Geistesblitze, die gelegentlich vorkommen.

Sie war an ihre Briefe gegangen und hatte alles bestätigt gefunden; und das Wiederlesen dieser Briefe nach so langer Zeit, jetzt, wo ihr armer Sohn längst dahin und die Schwere seiner Fehler längst vergessen war, berührte sie sichtbar schmerzlich und rief größere Trauer um ihn hervor, als sie bei der unmittelbaren Nachricht seines Todes empfunden hatte. Mr. Musgrove war, wenn auch in geringerem Maße, ebenso bedrückt; und als sie das Cottage erreichten, war es ihnen ein offensichtliches Bedürfnis, zunächst das Thema lang und breit noch einmal zu erörtern und anschließend allen Trost zu erhalten, den ausgelassene Gesellschaft geben konnte. Daß man so viel von Kapitän Wentworth redete, seinen Namen so oft wiederholte, über vergangene Jahre rätselte und sich schließlich einigte, daß es vermutlich, daß es höchstwahrscheinlich genau der Kapitän Wentworth sei, den sie, wie sie sich erinnerten, ein-oder zweimal nach ihrer Rückkehr von Clifton getroffen hatten – ein stattlicher junger Mann, aber niemand wußte, ob es sieben oder acht Jahre her war – war eine neue Prüfung für Annes Nerven. Sie fand allerdings, daß dies etwas war, woran sie sich gewöhnen mußte. Da er tatsächlich in der Gegend erwartet wurde, mußte sie sich zwingen, in solchen Dingen unempfindlich zu sein; und nicht nur hatte es den Anschein, daß er erwartet wurde, und zwar umgehend, sondern in ihrer tiefen Dankbarkeit für die Freundlichkeit, die er dem armen Dick erwiesen hatte, und aus Achtung vor seinem Charakter, der sich dadurch auszeichnete, daß der arme Dick sechs Monate lang unter seiner Obhut gewesen war und ihn in warmen, wenn auch nicht einwandfrei buchstabierten Lobeshymnen einen »schneidichen Buhrschen« genannt hatte, »wenn er auch zufiel den Schulmeister spilte«, bestanden die Musgroves darauf, sich ihm vorzustellen und seine Bekanntschaft zu machen, sobald sie von seiner Ankunft hörten. Durch diesen Entschluß trug der Abend wesentlich zu ihrem Trost bei.

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