Читать книгу Tote Weinbergschnecken schleimen nicht - Janet Borgward - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеCara Goldmann öffnete die Eingangstür des Reblaus Stüble. Würzige Aromen von Speck und Flammkuchen stiegen ihr in die Nase. Sofort knurrte ihr Magen unüberhörbar. Sie hatte seit dem Frühstück außer einer Kanne Kaffee nichts mehr zu sich genommen. An der Theke hockten drei Männer bei einem Schoppen Wein und unterhielten sich angeregt. Die Tische waren mit lachenden und schwatzenden Gästen besetzt. Seufzend ließ sie sich an dem einzigen freien Tisch mit Blick auf den gesamten Schankraum nieder. „Noowe, was darf ich Ihnen bringen?“, fragte der Wirt, ein hagerer Mittsechziger, der ebenso unverständlich sprach wie ihre Vermieterin Marie. Ratlos sah sie von der übersichtlichen Speisekarte auf. „Was empfehlen Sie mir?“ „Ist Freitag, da gibt’s Leberle sauer mit Brägele“, pries er an, soweit sie das seinem badischen Dialekt korrekt entnahm. „Dann nehme ich das. Und dazu …“ Sie fuhr mit einem bis auf das rohe Fleisch heruntergekauten Fingernagel die Getränkekarte entlang. Altbier würde sie hier vergeblich suchen. „Haben Sie ein dunkles Bier?“ „Nein. Wir haben ein helles Tannenzäpfle.“ Natürlich. Wie dumm von ihr. Sie befand sich in einem Weindorf. „Dann bitte ein Glas Spätburgunder“, entschied sie. Zumindest las sich die Beschreibung des prämierten Weines mit der Abbildung der lächelnden Weinkönigin Emilia daneben malerisch: Vollmundig und samtig, mit einem fruchtigen Aroma und Nuancen von Mandel und Kirschen. „Also a Leberle sauer und a Viertele Spätburgunder“, wiederholte der Wirt und verschwand in die Küche. Cara sah sich um. Der ansteigende Geräuschpegel behagte ihr nicht. Eine vollbesetzte Dorfkneipe an einem Freitagabend aufzusuchen, schien nicht gerade eine ihrer besten Ideen zu sein. Sie sehnte sich nach Ruhe und Entspannung. Ihre Fehlentscheidung bestätigte sich beim Eintreffen zweier Burschen. Die Gespräche verstummten. Ärger lag in der Luft! Mit selbstgefälligem Grinsen quittierten die beiden die Reaktionen der Gäste. Ihre brandroten Lederjacken aus feinstem Nappaleder mit geriffeltem Muster an Schultern und Armen trugen sie wie eine Rüstung. „Ist hier noch frei?“, fragte einer der beiden mit Blick auf die unbesetzten Stühle an Caras Tisch und ließ sich unaufgefordert nieder. Cara spannte ihren Körper an und war sofort hochkonzentriert. Zögerlich setzten die Gespräche wieder ein. Verhaltener, wie es schien. Der Wirt brachte Caras Wein und funkelte die Neuankömmlinge an: „Ihr habt hier Hausverbot, Wackes.“ „Wir wollen nur ein Viertele von deinem Emilia Spätburgunder probieren. Quasi zum Vergleich.“ „Dann sind wir praktisch schon wieder weg“, setzte der andere hinzu. „Hier bekommt ihr keine Weinprobe. Und jetzt raus mit euch!“ „Bemüh dich nicht, Linder. Ich habe den passenden Wein schon gefunden.“ Unbeeindruckt von dem unmissverständlichen Rauswurf griff der Kerl nach ihrem Glas. „Sie erlauben?“ Cara versuchte, seinen Arm festzuhalten. „Ja geht’s noch?“, fuhr sie ihn an. Er setzte es frech an die Lippen und trank einen großzügigen Schluck. Angewidert stellte er das Glas zurück. „Das nennst du vollmundig und samtig, Linder?“ Cara protestierte, aber der Bursche beachtete sie nicht. Stattdessen trieb er den Streit mit dem Wirt voran. „Ich verstehe beim besten Willen nicht, wieso der“, er deutete mit dem Zeigefinger auf Caras Glas, „ein Prädikat erhalten hat und unserer nicht. Muss man den richtigen Kellermeister kennen?“ Die Gesichtsfarbe des Gastwirts wechselte von rot zu aschfahl. „Verschwindet oder …“ „Was sonst, hm?“ „…rufe ich die Polizei“, presste er mühsam beherrscht hervor. „Meinst du damit die beiden Pfeifen aus dem Rosengässle?“ Er zuckte vielsagend mit den Schultern. „Denn mit dem Erchinger Karl ist ja wohl eher nicht zu rechnen.“ Eine Augenbraue hob sich in die Höhe. Cara stöhnte innerlich auf. Gleich am ersten Abend im Brennpunkt einer dörflichen Auseinandersetzung zu sitzen, entsprach nicht ihrer Vorstellung von einer erholsamen Auszeit. Sie wollte sich in die Diskussion einbringen, da wandte sich der Bursche an sie. „Ich empfehle einen Pinot Noir. Hat mehr …“, er bedachte sie mit einem abfälligen Blick. „Körper und enthält eine harmonische Säure. Sollten Sie probieren. Die fruchtigen Aromen überzeugen.“ In einer fließenden Bewegung zog er einen Zehn-Euro-Schein aus seiner Jackentasche und knallte ihn auf den Tisch. Feindliche Blicke folgten den Burschen beim Verlassen des Lokals. Langsam fiel die Anspannung von Cara ab. Was war hier los? Rebellion der Dorfjugend oder steckte mehr dahinter? Cara zwang sich, ihre kriminalistischen Instinkte auszuschalten. Sie hatte Urlaub. „Ich nehme nochmals ein Glas von dem Emilia Spätburgunder“, gab sie sich unbeeindruckt. Der Wirt murmelte eine Entschuldigung und verschwand für den Rest des Abends in der Küche. Statt seiner kam kurze Zeit später eine jüngere Ausgabe von ihm heraus. „Geht aufs Haus“, entschuldigte er sich mit einer Karaffe blutroten Weines. „Ist mit Ihrem Vater alles in Ordnung?“, versuchte Cara in Erfahrung zu bringen. Er schien nicht für Erklärungen aufgelegt zu sein und äußerte etwas, das sich anhörte wie „Essen kommt gleich.“ Mit hängenden Schultern nahm er weitere Bestellungen an den Nachbartischen auf, woraufhin eine hitzige Debatte entbrannte. Leider des Badischen nicht mächtig verstand Cara den dortigen Wortwechsel kaum. „Wie känne die s Wooge, do her z Kumme“, schimpfte einer der Gäste. „Dass dü des zulossesch, mit diinere Schweschter“, ein anderer. „Es ist ihr Leben“, nahm er sie in Schutz. „Joo, des wird de Schponsore nit gfalle.“ Er schüttelte den Kopf und verschwand geschäftig hinter den Tresen. Verstohlen drehte sich der ein oder andere zu dem fremden Gast um. Die Diskussion wurde nun verhaltener fortgesetzt. Die Kommissarin blendete ihre Gespräche aus und beschloss, den kulinarischen Leckerbissen auf ihrem Teller sowie den köstlichen Wein zu genießen. Gar nicht übel, wenn sie bedachte, dass ihr Gaumen an die herbe Note von Altbier gewöhnt war. Von Wein verstand sie nichts. Für sie gehörte zu einem deftigen Essen frisch gezapftes Alt. Darauf würde sie vorerst verzichten müssen. Bei dem vorzüglichen Menü und den adäquaten Preisen im Reblaus Stüble würde ihr das nicht schwerfallen. Sie hätte es denkbar schlechter treffen können. Auch wenn sie keinerlei Schuld an der Situation traf, in der sie sich befand. Ja, sie war überarbeitet und ja, sie hatte überreagiert bei ihrem letzten Einsatz in dem Bordell Hinter dem Bahndamm, Düsseldorfs historischem Freudenhaus, mit seinen nummerierten Fenstern. Nachdem alles, wirklich alles schiefgelaufen war bei diesem Polizeieinsatz. Angefangen von der Unfähigkeit Caras Kollegen am Tatort, Verstärkung zu rufen. Gefolgt von seinem unzusammenhängenden Gestammel in Bezug auf den Tathergang bis hin zu den Abdrücken der Sneakers Größe 38 in der Blutlache von der Tussi der Spurensicherung. Das brachte das Fass zum Überlaufen und sie war ausgerastet. Es brauchte lange, wirklich lange, um sie aus der Ruhe zu bringen. Das vorausgegangene, unerfreuliche Gespräch beim Scheidungsanwalt mochte die Lunte ihres emotionalen Pulverfasses gelegt haben. Wer wäre da nicht aus der Haut gefahren? Es rechtfertigte nicht ihre Versetzung in dieses Kaff hier. Urlaub – vielleicht. Hier arbeiten? Leben? Niemals. Sie wusste nicht, wie Theo es angestellt hatte, sie hierher zu verbannen, aber sie wollte wieder Politesse sein, wenn sie das nicht herausfand. „Darf es noch etwas sein?“ Inzwischen war sie der letzte Gast. „Wer waren die beiden Unruhestifter von soeben?“, stellte sie gewohnheitsmäßig eine Gegenfrage und schob den leeren Teller beiseite. „Zugezogene aus dem Elsass“, antwortete er abfällig. „Schauen die hier öfter vorbei?“, bohrte sie weiter. Die Kiefer des Mannes mahlten aufeinander, seine Augen wurden schmal. „Ich hoffe, das war das letzte Mal. Haben Sie noch einen Wunsch?“ „Die Rechnung bitte. Und – es hat ausgezeichnet geschmeckt.“ Kaum, dass sie das Lokal verlassen hatte, wurde die Tür hinter ihr verriegelt und das Licht gelöscht. Stille legte sich über Lausgrott.