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Kapitel 5

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Cara genoss ihr Frühstück auf dem Balkon mit Blick auf die Weinberge des Kaiserstuhls. Zumindest versuchte sie sich einzureden, dass sie Gefallen daran fand. Stattdessen war sie von einer unbestimmten Unruhe erfasst. Urlaub sah anders aus.

Neben ihr lag die Tageszeitung zusammengerollt auf dem Tisch. Wie sie richtig vermutet hatte, handelte es sich bei dem tödlichen Unfall in den Reben um einen der Elsässer Brüder. Reni D. war dem Artikel zufolge im Alter von zwanzig Jahren bei einem Traktorunfall in den Weinbergen seinen lebensgefährlichen Verletzungen erlegen. Es hieß, er sei mit einem Schmalspurtraktor im Gelände unterwegs gewesen. Aus bisher ungeklärter Ursache war er beim Wenden auf der mit zweiundzwanzig Prozent abfallenden Fahrspur zwischen die Reben geraten, woraufhin sein Traktor ins Rutschen geriet und sich mit einem Hinterrad an einem Metallpfosten verhakte. Dadurch drehte sich das Fahrzeug seitlich und überschlug sich in dem Gefälle. Der 20-Jährige wurde abgeworfen, kam vor dem Traktor zum Liegen und von dem nachfolgenden Gefährt überrollt. Eine Urlauberin stieß bei ihrer Wanderung auf den Verunglückten und alarmierte den Rettungsdienst. Dennoch kam für Reni D. jede Hilfe zu spät – so der Zeitungsbericht.

Beklemmende Gedanken waren auf Cara eingestürmt. Reni war im Alter ihres Sohnes. Was würde sie durchleben, wenn Lennis etwas Derartiges zustieß? Nicht gerade mit einem Traktor. Es gab andere Möglichkeiten. Sein altersschwacher VW Scirocco beispielsweise, der ständig in der Werkstatt war.

Sie zwang sich, wieder die Fakten in den Fokus zu stellen. Reni war gemeinsam mit seinem Bruder nach einem provokanten Auftritt im Reblaus Stüble tödlich verunglückt. Darüber war in den Zeitungen nichts zu lesen, weil niemand über dieses Hintergrundwissen verfügte.

Mitten hinein in ihre Überlegungen kam ein Anruf von Theo. Sie verließ den Balkon und nahm das Handy mit in die Wohnung.

„Theo, welche Überraschung. Was gibt es?“ Sie war gespannt, wie er sich aus der Nummer herauswinden wollte, dass er Marie gegenüber ihre Versetzung nach Lausgrott ausgeplaudert hatte, bevor sie davon erfuhr.

„Die Kollegen aus Freiburg haben Fragen gestellt“, kam er nach einer knappen Überleitung auf den Kern seines Anrufs zu sprechen.

„Die da wären?“

„Ob es Zufall sei, dass eine Düsseldorfer Kommissarin in ihren Ferien am Schauplatz eines Unfalls mit Todesfolge anwesend war und die Behauptung aufstellte, am Vortag die Bekanntschaft mit dem Opfer gemacht zu haben.“

„Ich war nicht Zeuge des Unfalls“, verbesserte sie ihn entrüstet. „Ebenso könnte ich dich fragen, ob es Absicht war, dass du mir Lausgrott zu diesem Zeitpunkt empfohlen hast. Oder wieso Marie Steiert darauf kommt, dass ich die neue Kommissarin in Lausgrott bin.“

„Hat Marie das gesagt?“

„Was fällt dir ein, interne Dienstabläufe mit Marie zu sprechen?“

„Ich habe ihr lediglich erzählt, dass ich einer Mieterin für ihre Ferienwohnung wüsste.“

„Und dabei erwähnt, dass ich Kommissarin bin.“

„Vielleicht.“

„Sehr verantwortungsvoll von dir. Habt ihr auch über meine Krankenakte gesprochen, meine Scheidung?“, ereiferte sie sich.

„Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass Marie aus der Tatsache deines Aufenthaltes diese Schlüsse für sich zieht und gleich zum Besten gibt.“

„Dann gibst du Maries Kombinationsgabe die Schuld an der Verbreitung interner Angelegenheiten?“

„Ich habe nichts in dieser Richtung nach außen dringen lassen. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie hast du das Opfer kennengelernt?“

Langsam stieg ihr Blutdruck an. „Das Opfer mit Namen Reni Durand hatte das Reblaus Stüble am Vortag gemeinsam mit seinem Bruder besucht. Zwei unbeliebte Elsässer Geschwister.“ „Was haben die beiden angestellt?“ „Reni hatte meinen Wein ungefragt probiert, einen Emilia Spätburgunder, falls das für dich relevant ist. Und was für ein Zufall, dass Reni tags darauf in den Weinbergen mit seinem Traktor tödlich verunglückt.“ „Dafür bringt man niemanden um.“ „Ich würde es nicht ausschließen. Erst recht nicht, nachdem der Sohn des Wirtes eine unterschwellige Drohung aussprach.“ „Elias? Was hat er denn gesagt?“ „Ist das der Sohn vom Linder?“ „Ja.“ „Wörtlich?“ Theo stieß genervt die Luft aus. „Cara. Was hat er gesagt?“ „Auf meine Frage, ob das öfter vorkäme, antwortete er, er hoffte, es sei das letzte Mal. Was schließt du als erfahrener Ermittler daraus?“ „Ich würde mich an die Fakten halten und keine Vermutungen anstellen.“ Cara kaute an ihrer Nagelhaut. „Bei dem Abhang, wo Reni verunglückte, trafen zwei unterschiedliche Reifenspuren aufeinander. Die eine war deutlich breiter und tiefer. Sie verlor sich neben den Reben auf der anderen Seite. Vermutlich ein Vollernter. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe ich keine Kenntnis davon, wie diese Dinger arbeiten, aber dass es für zwei Fahrzeuge nebeneinander zu eng war, lässt sich nicht von der Hand weisen.“ „Was willst du damit andeuten?“ „Das man Reni absichtlich mit einem Vollernter abgedrängt hat.“ „Das ist reine Spekulation. Zu dieser Jahreszeit fahren unzählige Traktoren durch die Weinberge. Das können alte Fahrspuren gewesen sein.“ „Sagen das die Freiburger Kollegen?“ „Nein ich, weil ich den Landstrich besser kenne.“ „Du sitzt aber in Düsseldorf und hast nicht die Spuren gesehen. Das war ich.“ Theo seufzte vernehmlich. „Was zerbrichst du dir darüber den Kopf? Die Spurensicherung in Baden-Württemberg arbeitet genauso korrekt wie bei uns in Nordrhein-Westfalen. Wenn ein begründeter Verdacht besteht, stellen sie es fest. Du hast Urlaub.“ „Ich soll also Augen und Ohren geschlossen halten?“ „Das habe ich nicht gesagt. Versuche, dich für die Schönheit der Weinregion zu begeistern, anstatt irgendeine blutrünstige Geschichte in den Unfall hineinzuinterpretieren.“ „Wie fürsorglich“, gab sie bissig zurück. „Da ist noch etwas“, druckste er herum. „Dein Versetzungsgesuch ist durch.“ „Also stimmt es?“ „Was?“ „Eben habe ich dich gefragt, warum Marie davon wusste. Da hast du es abgestritten.“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Zu wann?“ „Erster Oktober.“ „So schnell?“, presste Cara hervor. „Es hat sich irgendwie überschnitten.“ „Hältst du mich für blöde, oder was? Eine Versetzung ist nur im Austausch mit einem Kollegen möglich. Da Karl Erchinger dies kaum nach seinem Tod beantragen konnte, ist Maries Bruder aus Freiburg eingesprungen. Welch glückliche Fügung. Wie kam es dazu, Theo?“ „Wo hast du das denn her?“ „Ich habe meine Quellen.“ „Marie, vermute ich.“ „Warum wurde ich nach Lausgrott versetzt, Theo?“ „Du interpretierst da zu viel hinein, Cara.“ „Und warum rufst du mich wegen des toten Elsässers in meinem Urlaub an?“ „Entschuldige, wenn ich dich gestört habe. Genieß deine Ferien“, beendete er das Gespräch. Eine tiefe Leere breitete sich in Cara aus.

Tote Weinbergschnecken schleimen nicht

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