Читать книгу Die Maske Der Elfen - Janet Christen - Страница 5

2

Оглавление

Mein Zimmer war das Schlimmste. Sie hatten den Schrank umgekippt, den Teppich weggekickt, das Bett verschoben. Alle meine Sachen, die ich besaß, lagen am Boden. Mühevoll richtete ich den Schrank allein wieder auf. „Ich schwöre, ich nagel dich in nächster Zeit an die Wand!“ sagte ich zu ihm. Ich legte die noch zu tragenden Klamotten wieder zusammen, die anderen wanderten in den Wäschekorb. Dann richtete ich das Bett wieder her. Ich hatte ein Kuscheltier. Das versteckte ich im Gitterrost. Es war meine einzige Zuflucht. Serem hatte schon oft probiert es zu zerstören. Er hatte darauf eingehackt, es versucht zu zerschneiden oder es in Flammen aufgehen zu lassen. Als er es mir wegnehmen wollte, kam er nicht über die Schwelle des Hauses damit. Er blieb mitten in der Tür stecken. Und ich dankte immer dem, der diesen Zauber darauf gelegt hatte. Nichts zerstörte es. Ich nahm es heraus. Ich knuddelte es. Es war ein alter Teddy. Sein weißes Fell war plattgelegen, seine große schwarze Nase zeigte Risse, die schwarzen Augen hatten Kratzer. Dennoch war er das Schönste auf der Welt für mich. Ich steckte ihn wieder weg und breitete dann den Teppich aus und versteckte damit die nicht gefundene Diele wieder.

Ich saß auf der Fensterbank zum kleinen Garten hin. Ich konnte die Sonne sehen, wie sie langsam unterging. Wie zäh flüssig rann sie nach unten. Und als der letzte Tropfen im Horizont versunken war, lösten sich die Bänder der Maske und sie fiel zu Boden. Ich rannte sofort ins Badezimmer. Mein Gesicht sah furchtbar aus. Es sah aus wie es immer aussah, wenn ich am Marktplatz gewesen war. Es war dreckig und staubig, das Salz meiner Tränen war auf meinen Wangen getrocknet, so wie das Blut auf meinen Lippen. Vorsichtig wusch ich mir mein Gesicht, es brannte unter dem kalten Wasser. Der Schmutz ging ab. Nun musste ich erst mal etwas essen.

Ich rannte in die Küche und suchte nach etwas Scharfem. Mein Taschenmesser hatten sie mir letzte Woche weggenommen. Ich nahm schließlich den schärfsten Löffel den ich fand.

Ich rannte damit wieder in mein Zimmer, nachdem alle Fenster sorgfältig geschlossen und sämtliche Türen zu waren.

Dann öffnete ich die Diele und holte das Weißbrot und den Schinken heraus. Ich riss etwas vom Brot ab und biss hinein. Die Süße ließ ich mir auf der Zunge zergehen. Ich hatte es so selten und musste es dann so schnell essen. Es war herrlich. Sorgfältig kaute ich jeden Bissen. Dann mühte ich mich am Schinken ab. Endlich gab er ein Stück frei. Der Geschmack des Fleisches ließ mich fast verrückt werden. Es war das Beste was ich seit Wochen gegessen hatte. Ich drückte es gegen meinen Gaumen, drückte den Saft aus, kaute es genüsslich durch. Ich war fast enttäuscht, als ich schließlich doch schlucken musste. Aber jetzt musste ich zusehen, wie ich möglichst viel abschneiden konnte. Das Weißbrot musste heute weg und der Schinken war super nahrhaft.

Gegen acht Uhr war ich fertig, ich war gesättigt. Schwielen waren auf meinen Händen vom Schneiden. Ich packte den Schinken sorgfältig ein und steckte ihn wieder in sein Versteck. Dann verbrannte ich das Papier des Weißbrots. Es durften keine Überreste zu finden sein. Ich ging ins Badezimmer und wusch mich. Sollte ich erzählen wie ich aussah? Besser wärs oder?

Ich war nichts Besonderes. Ich hatte hüftlanges, goldenes Haar. Streckenweise waren weiße Strähnen darin. Meine Augen waren braun. Meine Haut selber war weiß wie Kalk. Ich konnte nicht in die Sonne. Wenn ich die Sonnenstrahlen berührte, brannte meine Haut so gut wie sofort weg. Es schmerzte so höllisch, dass ich davon fast ohnmächtig wurde. Und es brauchte Ewigkeiten zum Abheilen. Ich war klein für eine Elfe, nur 1,70. Vielleicht denkt ihr, ich würde nicht schlecht aussehen. Aber ihr seht mich nicht. Ich kann nur das wiedergeben, was ich im Spiegel sehe:

Meine Augen lagen in dunklen Höhlen. Ich schlief wenig. Die Maske sorgte dafür. Ich war abgemagert. Meine Rippen waren zu sehen und meine Wangen waren eingefallen. Vielleicht bin ich früher mal hübsch gewesen. Die Iris war orange braun, durch die Flüche. Meine langen Finger wirkten immer knochig, immer spröde. Der einzige Grund warum ich nicht an Vitamin Mangel litt, waren die ständigen Spritzen der Ärzte, genauer eines bestimmten Arztes.

Meyn war so ziemlich der Einzige, der etwas mit mir sympathisierte. Er verabreichte mir die nötigsten Stoffe, die mein Körper brauchte. Aber er schenkte mir nichts zu essen. Keine ordentliche Suppe oder so etwas. Er hatte nur ein klein bisschen Mitleid mit mir. Und deshalb mochte ich ihn sehr. Ich war eine kurze Zeit in ihn verliebt gewesen. Aber ich hatte es mir bald aus dem Kopf geschlagen. Alavin hätte das nie zugelassen. Keiner hätte das zugelassen.

Alavin war der König. Zusammen mit Sympha regierte er die Elfen Welt. Er hatte seine Finger überall im Spiel. Und ihm hatte ich mein Schicksal zu verdanken.

Alavin war kühl. Von innen wie von außen. Sein weißblondes, langes Haar fiel ihm über die Schulter. Die vielen Goldringe an seinen Händen und die Ketten um seinen Hals verdeutlichten seine Stellung nur noch mehr. Er mochte mich nicht. Ich will nicht immer hassen sagen. Aber er verbot mir alles. Er hatte die Gesetze geändert, um mich zum Freiwild zu machen. Und Serem war der Sohn seiner Schwester, wo sie jetzt war wusste keiner. Die ganze Familie waren Hochelfen. Alavin hatte zudem graue Augen. Nicht verwunderlich, er war ein Windelf. Ihm gehorchten die Winde. Wenn ich ihn mal auf der Straße sah, suchte ich so schnell als möglich mein geschütztes Haus auf. Wenn ich es nicht rechtzeitig erreichte oder er mich vorher sah wurde ich hochgerissen und solang hin und her geschleudert bis ich taumelnd davonlief und mich übergab.

Er war ein Wiederling wie Serem, wie alle Hochelfen im Dorf.

Ich zog mir das raue Leinenhemd über. Die Maske lag auf meinem Nachtisch. Damit sie nicht allzu grob wieder auf mein Gesicht sprang oder ich über sie stolperte. Ich kontrollierte nochmals ob der Wecker auch funktionierte und schlief dann erschöpft ein.

Der Wecker klingelte und riss mich damit aus meinem Traum, in diesem stand ich auf einer Wiese, die warme Sonne schien auf meine Haut, alle Vögel zwitscherten. Ich war frei.

Da schepperte der Wecker. Die angelaufenen Messingschalen vibrierten in den höchsten Tönen. Ich machte ihn aus. Es war noch dunkel draußen. Aber ich musste heute vor Sonnenaufgang aufstehen. Heute war der wichtigste Tag überhaupt! Und damit das funktionierte musste ich so früh aufstehen.

Ich nahm die Maske vom Nachttisch und ging damit ins Badezimmer. Ich wusch mir das Gesicht, die Arme und die Hände, ehe ich anfing meine Zähne zu machen. Sie waren nach wie vor schön weiß. Kein Karies zerstörte sie. Ich nahm meinen Kamm heraus. Oder das was man als solchen nennen konnte. Ich hatte aus der Nachbarsmülltonne diesen Kamm herausgezogen. Ihm fehlten drei der zehn Zinken und er war vollkommen zerkratzt. Meine Haare waren schon zu verfilzt und schmutzig und verknotet, als das dieses jämmerliche Ding sie entwirren konnte. Ich hatte keine Schere. Ansonsten hätte ich mir bereits die Haare abgeschnitten.

Im Kühlschrank lagen noch zwei Eier. Die briet ich mir und aß sie schnell. Je früher ich mit zubereiten fertig war, desto länger hatte die Pfanne Zeit zum abkühlen. Es MUSSTE kalt sein. Es musste aussehen, als hätte ich gestern Nacht das letzte Mal gekocht. Sie kannten den Inhalt des Kühlschranks nicht. Das war mein Glück.

Ich aß die zwei Eier zusammen mit einem Kanten Brot. Seltenes Frühstück bei mir. Ein Glas Milch war noch übrig. Die hatte ich der Nachbarsfrau abgeschwatzt. Sie war nicht ganz so hartherzig und hatte sich erweichen lassen – Gott sei Dank.

Ich schlüpfte wieder ins Bett. Meine Maske legte ich vor mein Gesicht. Der Morgen graute. Ich hatte das Küchenfenster gekippt damit die kalte Morgenluft die Essendämpfe herauszog und alles abkühlte. Meine Essenssachen waren schon abgewaschen und wieder im Schrank. Ich schloss seufzend die Augen. Sie würden erst in drei Stunden nachsehen kommen. Also ganz ruhig bleiben.

Heute war der wichtigste Feiertag überhaupt. Heute wurde ein weiterer Jahrgang feierlich auf die nächste Ebene befördert.

Elfen waren nicht von Geburt an Elfen. Wir wurden als Menschen geboren. Das Einzige, das uns identifizierte, war unser blaues Blut. Wenn eine Elfe einen Menschen gebar, so hatte dieser rotes Blut. Er oder sie konnte sich nicht verwandeln.

Aber diejenigen DIE sich verwandeln konnten, wurden heute in die Sonne geführt. Nichts Besonderes meint jetzt mancher. Aber das mit der Sonne war nicht das Einzige. Elfen bekamen bei dieser Zeremonie Sonnensteine in die Hände. Es waren faustgroße, klare Kristalle. Sie waren weder geschliffen, noch poliert. Die Erde förderte sie zutage. Die Sucher fanden immer so viele Kristalle, wie es Elfen im Jahrgang gab.

Die Sonnensteine lenkten das Sonnenlicht. Damit konnten sich die Elfen verwandeln. Aber ich hatte noch nie dabei zugesehen. Die Jahre davor hatten sie mir Valium verabreicht und mich so ruhiggestellt, damit ich keine Chance hatte bei der Zeremonie zuzusehen.

Letztes Jahr hatte ich mich raus geschlichen. Schwerer Fehler. Serem war im Jahr davor verwandelt worden. Und er wollte, dass insbesondere ICH nichts sah. Also hatte er mir aufgelauert. Die Narben seiner Schläge hatte ich immer noch am Rücken.

Aber nicht dieses Jahr. Ich würde schlafen, wenn sie nachschauen kamen. Sie würden mir dieses Jahr nicht ihr neustes Mittelchen verabreichen. Keine zwei Tropfen die mich für 12 Stunden außer Gefecht setzten. Nein. Dies Jahr würde ich sie darum betrügen. Dies Jahr würden sie unverrichteter Dinge wieder gehen müssen. Und ich würde zuschauen. Koste es was es wolle.

Die Tür klappte. „Aliona!“ Ich rührte mich nicht. Schwere Schritte waren zu hören. „Seht in allen Zimmern nach!“ Meine Schlafzimmer Tür ging auf. „Sie liegt im Bett!“ sagte Luv. Schritte waren zu hören. Serem und Titan traten ins Zimmer. „Vielleicht hat sie gelernt.“ sagte Titan zerknirscht. „Erst einmal kontrollieren ob sie schläft!“ Ich atmete tief und gleichmäßig. Mein Herz hörte auf schnell zu schlagen. Eine Hand fuhr unter meine Bettdecke, an meinen Oberschenkel. „Sie ist jedenfalls ganz warm.“ sagte Titan. Eine Hand fuhr an meine Kehle. Gleichmäßig pochte mein Herz. „Und der Puls ist zu ruhig, als das sie wach ist.“ sagte Luv. Serem knirschte mit den Zähnen. „Na gut. Kommt wir gehen, sonst wecken wir sie noch und sie will wieder zusehen.“ Schritte entfernten sich und sie verließen das Haus. Ich atmete auf, wagte es aber im Moment noch nicht mich zu bewegen. Im Wohnzimmer könnte immer noch Luv stehen. Er mit seiner Kraft über die Erde. Womit er mich jedes Mal fesselte.

Nach einer Stunde hörte ich, wie die Trommeln anfingen zu schlagen. Zuerst nur ganz langsam. Das kannte ich. Im Moment wurden den Prüflingen die Augen verbunden. Sie standen alle im Schatten und hatten die Arme verschränkt. Die Trommeln wurden schneller. Eine kleine Flöte begann zu spielen. Eine zweite setzte ein. Für jeden Prüfling, der aus dem Schatten trat, gab es eine Flöte. Ich zählte mit, 25 Jungelfen. Angespannt lauschte ich den Klängen. Nochmals wurden die Trommeln schneller, die Trommler hieben auf die Felle ein. Da wurde wieder die Tür geöffnet. Hatte ich es doch richtig bemerkt! Einer war dageblieben um mich zu überwachen und der eilte jetzt davon, weil er das nicht verpassen wollte. Ich stand auf und lugte hinaus. Alles war noch zugezogen. Die Sonne schien kräftig, das Haus hatte sich wieder aufgeheizt. Ich zog mir eine Hose an und ging dann zu meiner Dachbodenluke. Ich öffnete sie vorsichtig und leise. Die Leiter glitt wie von Zauberhand hinunter. Ich kletterte hinauf und schloss die Luke wieder. Das Fenster hier oben war dreckig und zersprungen. Aber es hing nicht in den Angeln. Ich hatte es vor einer Woche bereits entfernt. Das Fenster zeigte nach Norden. Es würde keine Sonne hier hinein fallen. Ich konnte direkt auf den Marktplatz sehen. Ich sah wie die Jungelfen um das Podest herumgeführt wurden. Auf dem Podest standen die Sonnensteine. Die Trommeln wurden immer schneller, eine Rassel setzte ein. Alavin trat auf das Podest. Als er die Hand hob, verstummten die Instrumente sofort und die Prüflinge, von ihren Eltern geführt, hielten an. Ich konnte von hier aus Serems kleine Schwester sehen. Sie zitterte vor Aufregung. Serem selber stand mir gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes und strotzte vor Stolz. „Jungelfen!“ sprach Alavin. „Dies Jahr ist es wieder so weit. Ein weiterer Jahrgang wird seine Flügel bekommen.“ Tosender Applaus ertönte. Alavin wartete geduldig bis er wieder abebbte. „Nun, wir haben die 25 Sonnensteine hier. Kommt herauf zu mir und nehmt euren Stein entgegen!“ Der Kreis wurde an einer Stelle geöffnet. Die erste Jungelfe trat auf das Podest. Sie hatte die Hände demütig gefaltet und den Kopf gesenkt. „Nun, hier Sybille, dein Sonnenstein.“ sagte Alavin und reichte ihr den Ersten. „Danke König.“ flüsterte sie. Sie hob den Kristall an ihre Brust und ging wieder herunter. Diese Prozedur wiederholte sich bei allen 25.

Die Prüflinge standen in einer Reihe. Das Gesicht zur Mittagssonne gerichtet. Alle zitterten vor Aufregung. Sie hatten nun ihre normale Kleidung gegen die Verwandlungskleidung getauscht. Die Mädchen hatten lange Kleider an und die Jungs Hosen. Die Kleider der Mädchen waren Rückenfrei, die Jungs hatten kein Hemd an. Die schwarzen Augenbinden passten nicht zu den beige farbenden Gewändern, aber das war wohl gewollt. „Eltern, tretet hinter eure Kinder!“ Die Eltern taten dies und legten jeweils eine Hand auf die Schulter ihrer Kinder. „Öffnet die Augenbinden und erhebt das Gesicht zur Sonne.“ sagte Alavin. Die Knoten lösten sich. In mir begann es zu kribbeln. Darauf hatte ich immer gewartet! Ich wollte es sehen! Ich wollte sehen, wie sich die Flügel ausbreiteten. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass die Sonne die Flügel schuf. „Und nun entlasst sie in ihr neues Leben!“ Die Augenbinden fielen. Die Elfen sahen in die Sonne. Sämtliche Steine fingen an zu glühen. Mit einem Rauschen, das dem eines Ozeans in nichts nachstand, schoben sich plötzlich Flügelpaare aus den Rücken den Elfen. Sie zitterten zuerst und waren verschrumpelt, doch unter der Sonne richteten sie sich auf und trockneten. Sie fingen an zu schlagen. Sie leuchteten wie hunderte Prismen auf einem Haufen. Ich krallte mich ins Holz. Bei dem Anblick spürte ich ein Ziehen im Rücken. Und mir wurde bewusst- eigentlich müsste ich dabei stehen. Ich war 17. Das war mein Jahrgang da unten.

Die Prüflinge sanken erschöpft auf die Knie. Die noch winzigen Flügelchen zitterten und schlugen eifrig. Alavin nickte und die Eltern halfen ihren Kindern auf. Sie wurden geherzt und geküsst. Heiße Tränen rannen mir die Wangen hinunter. Ich wollte auch dort stehen. Ich wollte ebenfalls so geherzt und geküsst werden. Ich wollte ebenfalls Flügel ins Licht der Sonne strecken. Die jungen Elfen brachen in Tränen aus. Eine nach der anderen. Selbst die Jungs weinten und priesen die Sonne. Freudentränen ergossen sich über ihre Gesichter. Und auch ich weinte. Weinte vor Freude wie sie, dass ich das hatte sehen dürften. Weinte aus Trauer, dass es mir verboten war das zu erleben, dass ich es nicht erleben konnte. Und weinte aus Wut, über Alavin der mir das alles genommen hatte.

Der Jahrgang taumelte von den Eltern und Geschwistern gestützt zum Festzelt. Die kleinen Flügelchen hoch ausgestreckt und feierlich getragen. Jetzt wurde es uninteressant. Ich ging wieder nach unten.

Ich hatte mich gerade wieder ins Bett legen wollen, als die Haustür aufsprang. Ich tat verschlafen und blickte auf. Titan stand in der Tür. „Wo warst du bei der Zeremonie?“ fauchte er. „Hier im Bett, wieso?“ fragte ich ihn. Er presste seine Hand um meine Kehle und zog mich zu sich. Sein Gesicht war nur noch wenige Millimeter von meinem entfernt. „Weil ein 26. Sonnenstein da ist! WO WARST DU!?“ „Ich war hier! Ich schwöre! Ich war nicht bei der Zeremonie!“ sagte ich ängstlich. Meine Gedanken heulten auf. 26 Sonnensteine! „Nur eine Elfe kann einen Sonnenstein herbeirufen! Wo warst du!“ „ICH WAR NICHT DA!“ schrie ich ihn an. Er warf mich auf den Boden. Sein Stiefel stellte sich auf meine Brust. „Hör mal zu Aliona, es gibt Leute die würden dich umbringen und es gibt Leute die wollen dich nur quälen. Und im Moment bin ich nur einen einzigen kleinen Schritt davon entfernt dein Leben endlich zu beenden! Also sag jetzt die Wahrheit!“ „Ich hab dir die Wahrheit gesagt! Ich war nicht bei der Zeremonie! Serem hätte das nie zugelassen, er wittert mich doch auf hundert Meter!“ Titan schnaubte verächtlich. „Wenn ich dürfte, würde ich dich auspeitschen. Aber dieses Privileg hat leider nur der engste Kreis von Alavins Familie.“ „Eben auch Serem.“ „Genau. Aber wir wollen ja nichts riskieren.“ Er zog ein kleines Fläschchen heraus. „Nein! NEIN! Bleib mir weg mit dem Gebräu!“ rief ich und strampelte. Er setzte sich auf meine Brust und klemmte meine Arme unter seinen Knien ein. „Mach weit A!“ lachte er mich aus. Er konnte die Maske mit seinem kleinen Finger leicht anheben, das konnten nur Außenstehende, was ihm genug Spiel gab mir die Pipette zwischen die Lippen zu drücken und das Mittel zu verabreichen. Ich strampelte wie verrückt und er schraubte seelenruhig die Flasche zu. Meine Muskeln fingen an zu kribbeln. Sie wurden warm. Mein Kopf schottete sich ab, meine Sicht verschwamm. Das Mittel wirkte schnell. Ich hörte Titan noch lachen. Dann schloss ich die Augen.

Mit brummendem Schädel kam ich zu mir. Die Maske lag neben mir am Boden. Mir war schwindelig und ich hatte furchtbaren Hunger. Als ich auf die Uhr sah war es drei Uhr morgens. Und die ganze Zeit hatte ich hier auf diesem Holz gelegen.

Schnell flitzte ich in die Küche und machte mir etwas zu essen. Ich wollte jetzt schlafen gehen um den ganzen nächsten Tag zu verpennen. Ich hatte keine Lust auf irgendwas. Aber es spukte mir etwas im Kopf herum: „26 Sonnensteine. Für diesen Jahrgang! Oh mein Gott, was wenn? Wenn dieser Sonnenstein- für MICH gewesen ist?!“ sagte ich laut. Viele würden mich für verrückt halten (oder sie taten es sowieso schon) aber ich führte immer Selbstgespräche. Keiner redete wirklich mit mir, also redete ich mit mir.

Um vier Uhr war ich hellwach und hatte nach dieser Stunde Nachdenken partout keine Lust mehr schlafen zu gehen. Also nahm ich mir eine Zeitschrift und fing an das Lesen zu üben.

Ich war nie zur Schule gegangen. Dass ich vernünftig sprechen konnte, hatte einfach damit zu tun, dass in den ersten Jahren immer wieder eine Heilerin zu mir gekommen war, um mir etwas im Haushalt zu helfen. Aber Lesen? Oder Schreiben? Gar rechnen! Oh Gott, nie im Leben! Aber die Fenster zu den Klassenzimmern waren immer offen gewesen. So hatte ich mir das Alphabet beigebracht. Wann immer ich konnte, versuchte ich zu lesen. Aber allein war das Lernen schwer. Und schreiben war schon wieder was ganz anderes. Schreiben konnte ich nur, weil die Postbotin mir wohlgesonnen war. Annika war meine einzige Freundin. Wann immer sie konnte, kam sie nachts zu mir um mich zu unterrichten. Und damit ich ihr einen Brief für Leonardo mitgeben konnte.

Leonardo war einer der wenigen Elfen, der nicht in einem Dorf wohnte. Er hatte sich aus diesem Dorf zurückgezogen und lebte in Venedig oder so, irgendwo im Süden. Und er war ein Freund meiner Eltern gewesen. Er spendete mir Trost durch seine Briefe.

Es klopfte. Ich schrak so dermaßen zusammen, dass ich fast die Lampe umgestoßen hätte. Ich stopfte die Zeitung weg und fragte dann „Wer da?“ „Ich bin's Annika!“ Ich atmete erleichtert aus. Sofort war ich an der Tür und öffnete. Annika strahlte mir entgegen. Sie trug eine verzauberte Brille. „Schön dich zu sehen Aliona!“ sagte sie und umarmte mich. „Ich hab dich vermisst.“ flüsterte ich. Annika schloss die Tür. „Schau mal was ich dir mitgebracht habe!“ Sie zog ein Milchbrötchen aus der Tasche. „Ist –das?!“ fragte ich heiser vor Glück. Ich biss herzhaft hinein. Sofort fiel ich auf meinen Hintern. „Das ist immer so gut!“ sagte ich erleichtert. Mein Herz machte einen Hüpfer. Annika lächelte auf mich herab. „Ich war um Mitternacht schon mal hier. Aber da du nicht geöffnet hast und Titan damit geprahlt hat dich erfolgreich betäubt zu haben, bin ich wieder gegangen. Wie lang bist du schon auf?“ „Scheid schwei Schunden.“ nuschelte ich. Sie hob mich hoch und setzte mich in den Sessel. Das Milchbrötchen war schon aufgegessen. „Sieh mal was ich hier habe.“ Sie zog breit grinsend einen Briefumschlag heraus. Ich nahm ihn und schaute auf den Absender. „Leonardo da Gewici, Venedig“ Ich hätte fast vor Glück geschrien. „Schnell, lies ihn vor!“ bettelte ich. „Nein Süße, lies du ihn vor.“ „Ehrlich?“ Ich schluckte. Dann öffnete ich fahrig den Brief. Das rote Papier war mit weißer Tinte beschrieben worden. Darauf stand:

Die Maske Der Elfen

Подняться наверх