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ОглавлениеKAPITEL 2
Raum schaffen, um zu führen
Du musst lernen, still zu sein inmitten von Aktivität, und
voll sprühender Lebendigkeit, wenn du ruhst.
INDIRA GANDHI
Es war um die Jahrhundertwende, das neue Jahrtausend dämmerte herauf, und wie so viele andere arbeitete ich an der Vervollkommnung meiner Jonglierkünste. Aber nicht für den Zirkus. Ich war eine Multitasking-Jongleurin. Alle Bälle in meinem Leben in der Luft zu halten war eine Kunst, die schnelle Bewegungen und sorgfältige Balance erforderte. Ich jonglierte mit den verschiedenen Rollen, die ich einnahm:
Ehefrau – verheiratet mit meinem Liebsten aus Studienzeiten (glücklicherweise noch immer)
Mutter – zweier wunderbarer Kinder, damals zehn und fünfzehn Jahre alt
Geschäftsführerin – Vizepräsidentin und stellvertretende Betriebsrätin von General Mills
Tochter – mit sehr enger Beziehung zu meinen alternden Eltern
Ehrenamtliches Engagement – als Vorstandspräsidentin einer wichtigen lokalen Non-Profit-Organisation
Mein Leben war sehr voll und sehr, sehr geschäftig, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass alles genau so lief, wie es sollte. Dann kam ein neuer Ball dazu. Nicht irgendeiner, sondern ein großer Ball, einer in der Größe eines Medizinballs.
General Mills hatte beschlossen, die Pillsbury Company zu übernehmen, was im Prinzip den Zusammenschluss zweier gleich großer Firmen bedeutete, und ich war beauftragt worden, den Antrag auf Genehmigung bei der Kartellbehörde zu stellen, den die föderale Handelskommission verlangte. Zunächst schien es sich um einen normalen Auftrag zu handeln, und ich hatte bereits viele Übernahmen geleitet – aber das Ganze sollte sich schließlich als wahnwitziger Albtraum herausstellen. Anstelle der üblichen vier bis fünf dauerten diese Verhandlungen aufgrund ihrer Komplexität fast 18 Monate. Die genaueren Umstände, die diesen vermeintlich relativ einfachen Übernahmeprozess dermaßen in die Länge zogen, sind ein eigenes Buch wert. Für jetzt mag es genügen, zu sagen, dass der Prozess über Monate hinweg Zwölfbis Vierzehnstundentage erforderlich machte und dass die Besorgnis aller Beteiligten von Tag zu Tag wuchs. Oft betrat ich mein Büro in der Morgendämmerung und verließ es lange nach Einbruch der Dunkelheit.
Eines Montagmorgens, als ich von meinem Auto zum Büro ging, in Gedanken bereits bei den vielen Terminen des Tages, begegnete ich einem leitenden Angestellten von Pillsbury. Er fragte, wie es so liefe, und als ich von den vielen Herausforderungen, die wir zu bewältigen hatten, erzählte, sagte er: „Wissen Sie, wenn Sie diese Übernahme nicht durchkriegen, werden wahrscheinlich zehntausend Menschen bei Pillsbury ihre Arbeit verlieren.“
Seine Worte verließen mich während der gesamten Übernahmeverhandlungen nicht mehr. Zehntausend Arbeitsplätze bedeuteten schließlich zehntausend Familien, und ich wollte nicht, dass sie in Not gerieten. Seine Worte fügten ein zusätzliches Gewicht zu dem Druck hinzu, den ich bei diesem Auftrag ohnehin schon empfand. Im Verlauf der Monate wurde der Ball immer schwerer. Aus dem Medizinball war ein Felsbrocken geworden. Er war einfach zu groß, um damit zu jonglieren. Er bestimmte mein ganzes Leben.
Dann, sechs Monate weiter im Genehmigungsprozess, während es mir gerade so eben gelang, eine fragile Balance zu halten, starb meine Mutter. Der Boden unter meinen Füßen bebte. Sie war krank gewesen und mir war klar, dass sie nicht mehr lange bei uns sein würde, aber auf den tatsächlichen Moment ihres Todes war ich nicht vorbereitet. Ich weiß nicht, ob je irgendjemand auf einen solchen Moment vorbereitet ist. Da niemand in der Firma mich vertreten konnte und auch, um mich von meinem Schmerz abzulenken, ging ich gleich am Tag nach der Beerdigung wieder in aufreibendem Tempo zu meiner Arbeit an dem Zusammenschluss über.
Dann gab es eine erneute schmerzliche Wendung. Nur sechs Monate nach dem Tod meiner Mutter fand ich mich völlig benommen bei den Vorbereitungen für den Gedenkgottesdienst für meinen Vater wieder. Sein Tod war plötzlich eingetreten; er war auf dem Operationstisch an Komplikationen während eines Eingriffs gestorben. Ich fühlte, wie der sowieso schon wacklige Boden unter meinen Füßen noch mehr bebte: Meine Eltern waren innerhalb von sechs Monaten verstorben, und ich hatte keine Zeit, den Verlust dieser Menschen zu betrauern, die in meinem Leben so wichtig und so prägend dafür gewesen waren, wie ich mein Leben lebte.
Ich war nervös, und um ehrlich zu sein, bekamen einige Seiten meines Lebens absolut nicht die Aufmerksamkeit, die sie gebraucht hätten. Irgendwie gingen die Verhandlungen um Pillsbury schließlich zu Ende, die Übernahme fand statt, und die Massenentlassungen waren abgewendet. Endlich.
Jetzt, dachte ich, kann ich in mein normales Leben zurückkehren. Jetzt werde ich wieder die Nächte durchschlafen können und etwas von den zwanzig Pfund zurückgewinnen, die ich verloren habe. Jetzt werde ich die Wunden, die der Verlust meiner Eltern hinterlassen hat, heilen können.
Aber so kam es nicht.
Auch als ich an der weiteren Zusammenführung der beiden Firmen mitarbeitete und etwas normalere Arbeitszeiten hatte, gewann ich die Energie und Kraft nicht wieder, die mich die letzten Monate gekostet hatten. Kaum eine Pause, um auszuruhen oder mich meinen Gefühlen bezüglich des Todes meiner Eltern zuzuwenden. Ich war wieder am gleichen Punkt. Ich jonglierte wieder. So machen das hart arbeitende Erfolgsmenschen. Wir gehen direkt zurück aufs Spielfeld. Wir spielen auch verletzt. Dafür ernten wir Lob und Anerkennung.
Aber ein Teil von mir war nicht mehr dabei, und ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn zurückbekommen könnte. Später sollte ich dann verstehen, dass ich so viel mentale Energie verbraucht hatte, dass meine Widerstandsfähigkeit einfach brachlag.
Entdeckung der Achtsamkeit
Ein befreundeter Arzt durchschaute mein stets freundliches Lächeln. Eines Tages meinte er, das, was ich nun wirklich brauchte, sei eine Woche in einem Thermalbad, jemand, der sich um mich kümmere, gutes Essen, Massagen und viel Schlaf. Am nächsten Tag schickte er mir per E-Mail die neueste Zagat Survey4 zu den besten Kurorten im Land. Ganz oben auf der Liste stand Miraval in Arizona. Als ich den Link öffnete, sah ich ein schönes Resort in der Wüste, das ein Verwöhnprogramm und eine ganze Reihe von Kursen und Dienstleistungen anbot. Es sah wunderbar aus. Natürlich konnte ich mir noch nicht einmal vorstellen, zu meiner Familie nach Hause zu kommen und ihr zu eröffnen, dass ich ohne sie in den Urlaub fahren würde. Ich hatte sie schon allein in die Ferien schicken müssen, als der Übernahmeprozess an einem kritischen Punkt stand, und ich wollte sie nicht schon wieder allein lassen. Also konnte ich nicht gehen.
Als ich einen letzten Blick auf die Webseite von Miraval warf, bemerkte ich ein spezielles Programm, das als intensives Retreat für Führungskräfte über „die Kraft der Achtsamkeit“ beworben wurde, geleitet von Jon Kabat-Zinn. Ich hatte noch nie von Jon gehört, aber die Vorstellung eines mentalen Trainings faszinierte mich, also machte ich mich kundig, worum es bei dieser Achtsamkeits-Sache ging.
Ich bin kein New-Age-Typ. Ganz und gar nicht. Ich war Firmenvizepräsidentin und arbeitete für General Mills. Ich wohnte nicht in Baja am Strand. Ich wohnte in Minnesota. Ich liebte es zwar, den Baum draußen vor meinem Büro zu betrachten, aber ich war weit davon entfernt, mit Blumen im Haar barfuß darum herumzutanzen. Wenn ich sechs Tage an einem Training in einem Kurort teilnahm, wollte ich sichergehen, dass es die Zeit wert war.
Ich fand einige Forschungsarbeiten zu der Effektivität von etwas, das sich Mindfulness-Based Stress Reduction nannte – und es klang überzeugend. Dann erfuhr ich, dass der Begründer dieser Methode eben derjenige war, der das Training leiten würde, und dass er Mikrobiologe mit Doktortitel vom Massachusetts Institute of Technology war. Anhand dieser Tatsachen war ich mir recht sicher, dass diese Methode auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht auf New-Age-Sprüchen und Klischees beruhen würde. Nach Rücksprache mit meiner Familie, die mich voll und ganz unterstützte, meldete ich mich an.
Es stellte sich als etwas völlig anderes heraus als alles, was ich jemals erlebt hatte, und ich zähle es noch immer zu den zehn schwierigsten Dingen, die ich je getan habe. Es begann damit, dass Jon uns, zu zwölft im Kreis sitzend, eröffnete, dass wir nun eine dreiviertel Stunde sitzen und meditieren würden. Ich erinnere mich noch, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging: Hat er gerade gesagt, dass wir eine dreiviertel Stunde still sitzen?! Warum denn so lange? Ich werde diese Woche nicht meinen Geist trainieren, ich werde verrückt werden!
Interessanterweise habe ich auch eine lebhafte Erinnerung an den letzten Tag des Trainings, als ich mein kleines Meditationskissen in die Kiva5 trug, in der wir uns zur morgendlichen Praxis trafen, und dachte: Es wird nur eine Stunde dauern. Das ist nicht mal annähernd lang genug.
Zwischen diesen beiden kontrastreichen Momenten – sozusagen das Vorher-nachher-Bild meines ersten Ausflugs in die Achtsamkeit – erfuhr ich, wie es ist, den Geist im gegenwärtigen Augenblick sein zu lassen. Ich erfuhr, dass die meisten Menschen ihr ganzes Leben damit verbringen, sich abzulenken und so viel über die Vergangenheit und Zukunft nachzudenken, dass wir schließlich den jetzigen Moment verpassen, den einzigen, den wir zu leben und auf den wir Einfluss haben.
Nach all dem Multitasking und dem Versuch, die verschiedenen Anforderungen meines Lebens auszubalancieren, nach dem jahrelangen Dauerlauf und der immensen Intensität der letzten achtzehn Monate – jetzt anzuhalten und zu lernen, präsent zu sein, fühlte sich an, wie gegen eine Backsteinmauer zu prallen. Während dieser Tage der persönlichen Erkundung von Achtsamkeit begann ich langsam, meine angeborene geistige Fähigkeit zur Präsenz wieder zu entdecken. Und durch diese Entdeckung begann ich, mich wieder mit mir selbst zu verbinden, mit Geist, Körper und Herz. Langsam entstand in mir ein wenig geistige Widerstandsfähigkeit.
Als ich nach Hause kam, begrüßte mich mein Mann an der Tür und bemerkte sofort, dass sich etwas verändert hatte. Ich war offener, ausgeruhter und friedlicher als ich es seit Langem gewesen war. Ich machte mit meiner täglichen Meditationspraxis weiter und bemerkte, wenn ich während des Tages nicht achtsam war. Zum Beispiel ertappte ich mich dabei, wie ich über die morgige Besprechung nachdachte, anstatt derjenigen zu folgen, in der ich mich gerade befand, oder ich checkte meine E-Mails, während ich an meinem Schreibtisch zu Mittag aß, und stellte fest, dass ich keine Ahnung hatte, wie meine Suppe eigentlich schmeckte. Andererseits bemerkte ich gelegentlich auch, dass ich durch meine Praxis, etwas inneren Raum zu schaffen und bewusst eine andere Wahl zu treffen, meine typischen Reaktionen auf bestimmte Personen oder Situationen bremsen konnte. Es wurde zu einer faszinierenden Erkundung meiner eigenen Konditionierungen und der Möglichkeit, meine mentalen Fähigkeiten zu erweitern.
In diesen ersten Jahren meditierte ich gewissermaßen heimlich. Ich war ziemlich sicher, dass die meisten meiner Kollegen nicht verstehen würden, warum ich meditierte und dass ihnen die Vorstellung nicht gefallen würde, mitanzusehen, wie sich eine leitende Anwältin der Firma in einen dieser stereotypischen, lässigen, durch nichts aus der Ruhe zu bringenden Meditationsfreaks verwandelt. Anwälte müssen schließlich reizbar und durchsetzungskräftig sein. Das fehlende Wissen meiner Kollegen über Achtsamkeitspraxis könnte sie zu der Frage veranlassen, ob die Meditation nicht den Verlust meines Schwungs und Engagements nach sich ziehen würde.
Ich entwickelte indes meine tägliche Meditationspraxis weiter und wollte schon bald mehr darüber wissen. Ich meldete mich für ein Alumni-Retreat für die ehemaligen Teilnehmer von Jons Kurs „Die Kraft der Achtsamkeit“ an. Es wurde von Saki Santorelli geleitet, dem Geschäftsführer des Center for Mindfulness in Medicine, Health Care and Society an der University of Massachusetts Medical School.
Die Begegnung mit Saki war der Auftakt zu einem mehrjährigen gemeinsamen Weg, auf dem wir vielfältige enge Beziehungen zueinander knüpften. Er teilte mit mir seine Weisheit und Erfahrung in Bezug auf Achtsamkeit und half mir, meine Praxis deutlich zu vertiefen, und er lehrte mich die Kunst, Achtsamkeit zu lehren. Ich wurde Mitglied des Beirats des Center for Mindfulness, Direktorin für die dortige Leadership-Schulung und bot dem Center zur Unterstützung meine Fertigkeiten als ausgebildete Strategin an. Wir wurden Kollegen und Freunde. Zusammen entwickelten wir das erste Mindful-Leadership-Curriculum und leiteten fast fünf Jahre lang gemeinsam Mindful-Leadership-Retreats. Es war ein fruchtbares und reichhaltiges Übungsgelände für meine Praxis und für das, was schließlich eine wesentliche Veränderung in meinem Leben werden sollte.
Unterdessen bemerkte ich bei meiner Arbeit für General Mills, dass meine Achtsamkeitspraxis mich auch zu einer besseren Führungskraft machte. Gleichzeitig wurde mir die Belastung meiner Freunde, Kollegen und Bekannten aus anderen Bereichen immer deutlicher bewusst. Es war und ist noch immer unglaublich schwierig, mit Exzellenz zu führen. Diese Menschen arbeiteten sehr hart und waren erschöpft und auch frustriert, weil sie nicht über ausreichend Zeit und Raum verfügen, um die kreativen Lösungen, das Mentoring und das strategische Wissen einzubringen, die in ihren Möglichkeiten lagen.
Ich begann mich zu fragen, ob das Achtsamkeitstraining, das ich mitgemacht hatte, nicht auch dazu genutzt werden könnte, einige der angeborenen mentalen Fähigkeiten zu kultivieren, die in direktem Zusammenhang mit exzellentem Leadership stehen. Es hatte auf mein eigenes Leben eine Wirkung, die weit über Stressbewältigung hinausging. Es verwandelte meine Art, dem Chaos des Lebens zu begegnen, und diese Veränderung wurde langsam für mein Umfeld spürbar.
Eines späten Nachmittags saß ich an meinem Schreibtisch. Ich schaute auf meine Uhr und stellte fest, dass es an der Zeit war, nach Hause zu gehen. Ich bemerkte auch ein Gefühl der Zufriedenheit und Erfülltheit angesichts der getanen Arbeit. Fast augenblicklich erinnerte ich mich an Hunderte von Tagen, an denen das nicht der Fall gewesen war, an denen ich auf die Uhr schaute und schockiert war, dass es schon Zeit war, zu gehen, und mich fragte, wo der Tag nur geblieben war.
Dieser kurze Augenblick war ein Durchbruch. Er machte mir klar, wie sehr sich mein Leben durch das Achtsamkeitstraining änderte. Auch wenn ich noch immer weit davon entfernt bin, die ganze Zeit über achtsam zu sein – die Veränderung besteht darin, für meine Familie und meine Arbeit präsent zu sein, anstatt mein Leben zu verpassen.
Die Entdeckung mit meinen Kollegen teilen
Im Herbst 2005 ging ich mit einem Freund zu einer Sitzung der leitenden Angestellten zum Thema Innovation. Wir hatten einen ganzen Nachmittag frei gehalten, um darüber zu sprechen, was den kreativen Prozess behinderte und was ihn beförderte. Wir probierten alle möglichen Methoden aus, die das Auftauchen neuer, bahnbrechender Ideen in Aussicht stellten.
Wir saßen an kleinen Tischen und arbeiteten mit dem Seminarleiter daran, Hürden auf dem Weg zu mehr Innovation zu identifizieren. Nach vielen Stunden und wenig Fortschritt stand einer der Vizepräsidenten auf und sagte etwas frustriert klingend: „Also, es ist ja nicht so, dass wir keine großartigen Ideen haben. Wir haben kluge, kreative Leute. Aber wenn jemand seinem Team eine Idee vorstellt, dann passiert immer das Gleiche: Alle am Tisch stürzen sich auf einmal darauf, mit Kommentaren wie ‚Dafür haben wir kein Geld, die Geschäftsführung wird sich niemals darauf einlassen, so was Ähnliches gab es schon mal vor zehn Jahren, das wird zu lange dauern‘ und so weiter und so fort. Bevor die Idee überhaupt nur mal einen Atemzug lang existieren darf, um zu sehen, ob vielleicht etwas dran sein könnte, ist sie schon wieder vom Tisch.“ Die Gruppe konnte sich in seinen Worten gut wiederfinden.
In diesem Moment wusste ich, dass ich einen Weg finden musste, Achtsamkeitstraining in die Entwicklung von Führungsexzellenz zu integrieren. Was der Vizepräsident beschrieb, war die Art und Weise, wie der menschliche Geist sich selbst Geschichten erzählt, die uns dann schließlich einschränken, individuell und kollektiv. Die Herausforderung würde jetzt sein, ein Training zu entwickeln, das für eine eher konservative Firma mit bereits gut ausgebildeten Führungskräften akzeptabel wäre.
Um in kürzester Zeit den größtmöglichen Einfluss zu haben, würde ich zuerst an die Ebene der leitenden Angestellten und Direktoren herantreten müssen. Ich war selbst bereits seit einiger Zeit leitende Angestellte bei General Mills und kannte diese Gruppe von Profis als klug, engagiert und immer auf der Suche nach Exzellenz. Ich wusste auch, dass wir alle Zugang zu einer großen Bandbreite an den neuesten und besten Trainings für Führungskräfte hatten, ein Mindful-Leadership-Training würde sich also an sehr hohen Standards messen lassen müssen.
Da ich angefangen hatte, Achtsamkeit insbesondere zu praktizieren, um meine Effektivität als Führungskraft zu verbessern, mehr Verantwortung zu übernehmen, mich tiefer mit den Menschen in meinem Leben zu verbinden und dabei im Gleichgewicht zu bleiben, hatte ich kein Interesse daran, das Training als Stressbewältigungs- und Gesundheitsförderungsprogramm anzubieten. Dieses mentale Training sollte dazu da sein, einen anderen Weg des Führens zu finden, einen Weg, der zuerst die Führungskraft unterstützen und dann weiter Einfluss auf die Firma als Ganzes haben würde, und vielleicht sogar noch darüber hinaus.
Ich begann, mich mit einzelnen meiner Kollegen darüber zu unterhalten, erzählte ihnen von meinen Erfahrungen und lud sie ein, selbst ein neues Training auszuprobieren, das Saki und ich entwickelt hatten. Als ich vierzehn Teilnehmer beisammen hatte, fuhren Saki und ich mit ihnen zum ersten viertägigen Mindful-Leadership-Retreat in ein kleines Gästehaus in Minnesota. Das Retreat wurde dann unter dem Titel „Cultivating Leadership Presence Through Mindfulness“ bekannt. Es war ein intensives und einzigartiges Erlebnis, und ich war mehr als gespannt auf das aufrichtige Feedback der Teilnehmenden. Ein wenig besorgt war ich allerdings auch. Wie dachten die Leute wirklich darüber? Ich war schon zu lange in einer leitenden Position, um Erfolg als selbstverständlich vorauszusetzen. Ich wollte versuchen, ihn messbar zu machen und mehr über die genaueren Umstände des Erfolgs oder Misserfolgs zu erfahren.
Ich verschickte einen einfachen Fragebogen mit fünf offenen Fragen:
War das Retreat wertvoll?
Gab es Teile darin, die wertlos waren?
Was hat Sie überrascht?
Ist das Training wertvoll für das Unternehmen?
Falls ja, inwiefern?
Als die Bögen zurückkamen, war das am meisten darin vorkommende Wort transformativ.
Diese Antwort kam spontan, und als die zurückgekehrten Teilnehmer von ihren Kollegen nach ihren Erlebnissen gefragt wurden, sagten viele lediglich: „Du musst es auch machen.“ Eine virulente Ausbreitung begann und brachte wöchentliche Meditationssitzungen, alle zwei Monate ausgedehnte Praxistreffen und schließlich ein jährliches Retreat für ehemalige Teilnehmer mit sich. Es war zu keiner Zeit ein offizielles Programm der Firma. Es wurde durch die Führungskräfte selbst begonnen und weitergeführt, und sie waren es auch, die mich nach einer Weile baten, ein Angebot für alle Ebenen ihrer Abteilungen zu erstellen. Diese Nachfrage führte zur Entwicklung eines siebenwöchigen Kurses mit dem Titel „Mindful Leadership and Wellness“. Ein paar Jahre darauf wurde ich nach einem Training für neue Manager gefragt und entwickelte daraufhin ein zweitägiges Programm mit dem Titel „Leading differently: The Power of a Purposeful Pause“.
Die Tatsache, dass sich dieses Training virulent ausbreitete und die Führungskräfte um mehr zusätzliches Achtsamkeitstraining zu ihrer Unterstützung baten und dann das Training für alle Angestellten in ihrer Abteilung zugänglich machten, spricht bezüglich der Effektivität von Mindful Leadership für sich. Indem sie durch das Training Konzentration, Kreativität, Klarheit und Mitgefühl entwickelten, fanden die Führungskräfte von General Mills den inneren Raum, um mehr Inspiration und Anteilnahme in ihr Arbeitsumfeld zu bringen, und sie sorgten dafür, dass auch ihre Mitarbeiter an dem Training teilnehmen konnten. Sieben Jahre später führt der Weg noch immer weiter, über fünfhundert Angestellte haben inzwischen an „Mindful Leadership and Wellness“ teilgenommen.
2008 entschieden Saki und ich, das Training international anzubieten. Nochmals kontaktierte ich einzelne Führungskräfte, diesmal außerhalb von General Mills, und auch die ehemaligen Teilnehmenden von General Mills unterstützten mich auf diese Weise.
Die Nachfrage nach den viertägigen Retreats wurde immer größer, bis Saki und mir schließlich klar wurde, dass die Arbeit mit Mindful Leadership eine eigene Non-Profit-Organisation und ausgebildete Anleiter erforderte, und zwar solche, die sowohl etwas von Führungsrollen verstanden als auch eine persönliche Achtsamkeitspraxis entwickelt hatten.
Mit der Hilfe der Unterstützung und der großzügigen Ermutigung meiner Familie und den vielen Führungskräften, die das Training mitgemacht hatten, gründete ich 2010 das „Institute for Mindful Leadership“. Das Institut lädt dazu ein, Mindful-Leadership-Training als bislang fehlendes Element in die Entwicklung von Führungsexzellenz zu integrieren, für Führende aus allen Bereichen unserer Gesellschaft und allen Ebenen eines Unternehmens. Es war ganz sicher nie Teil meines Karriereplans, die Rechtspraxis zu verlassen und mich der Entwicklung und Anleitung von Mindful Leadership zu widmen. Dessen Ausbreitung war eine unvorhersehbare Entwicklung, die ich mir niemals hätte träumen lassen, und tatsächlich gibt es immer noch viele Tage, an denen ich mich frage, wie genau das eigentlich vor sich ging. Es ist ein großes Privileg, diesen Weg zu beschreiten und Menschen zu helfen, die naturgegebenen Möglichkeiten des Geistes zu entdecken. Ich glaube, wie auch andere Formen von Achtsamkeitsübungen hat Mindful-Leadership-Training das Potenzial, etwas Wichtiges im Leben von Menschen zu bewirken, ebenso in Unternehmen und letztlich auch in der Welt.
Die beste Antwort auf viele drängende Probleme der Welt ist es, Möglichkeiten zu finden, mentalen Raum zu schaffen. Wenn Führungskräfte Entscheidungen treffen, die einem Unternehmen, seinen Mitarbeitern oder der Gemeinde schaden, dann liegt es nicht an einem mangelnden IQ. Meistens sind es ein überfüllter Terminplaner und ein Leben im Autopilot-Modus, die zu leichtsinnigen oder reaktiven Entscheidungen führen. Zudem ist es wichtig, dass Menschen in Führungspositionen Angestellte aller Unternehmensebenen in der Erkenntnis unterstützen, dass auch sie Führungsqualitäten besitzen, andere beeinflussen und klare Entscheidungen treffen können, indem sie mehr Bewusstheit in jeden Moment des Tages bringen. Wie Parker Palmer einmal schrieb, „ist ein Führender jemand, der ein ungewöhnliches Maß an Macht hat, auf andere seinen Schatten oder sein Licht zu projizieren.“ Wir alle haben das Potenzial, dieses „ungewöhnliche Maß an Macht“ zu verkörpern. Also, was für eine Führungskraft sind Sie? Projizieren Sie Schatten oder Licht?
4 Ein bekannter amerikanischer Hotel- und Restaurantführer. (Anm. d. Übers.)
5 Ursprünglich ein Zeremonien- und Versammlungsraum der Pueblo-Kulturen, hier ist damit ein Meditationsraum gemeint. (Anm. d. Übers.)