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Dan McCrum ist Enthüllungsjournalist, ein jungenhafter Mittdreißiger mit strubbeligen Haaren, der eine Brille mit großen Gläsern und einem dunkelbraunen Rand trägt. Seit sieben Jahren arbeitet er bei der renommierten Londoner Wirtschaftszeitung Financial Times (FT) in deren Investigativteam. Er schreibt über börsennotierte Unternehmen. Nach dem Wirtschafts- und Politikstudium an der traditionsreichen Universität Durham hat er sich vier Jahre lang als Analyst beim Finanzdienstleister Citigroup »herumgedrückt«, wie er selbstironisch sagt. Dort lernte er »den Nutzen glücklicher Zufälle, der Wahl des richtigen Zeitpunkts und einer einprägsamen Präsentation« kennen. Für kurze Zeit arbeitete er für den Investors Chronicle, einem von der Financial Times Group herausgegebenen Wochenmagazin für Anleger. Er hat mehrere »Buchhaltungsprobleme« aufgedeckt, wie er die Bilanzmanipulationen nennt, unter anderem bei den Anwaltskanzleien Quindell und Slater & Gordon sowie bei Globo, einem britischen Softwareanbieter.1

Im September 2014 hört Dan McCrum zum ersten Mal von Wirecard. Der Name sagt ihm nichts. Bisher hat er sich mit britischen Firmen beschäftigt, auch mit amerikanischen, denn eine Zeit lang war er für die FT Investment-Korrespondent in New York. Aber das deutsche Fintech-Unternehmen ist ihm gänzlich unbekannt. Seine Informanten an der Börse sagen ihm, dort seien »Gangster« am Werk.2 In den Bilanzen des Unternehmens seien »Ungereimtheiten« zu finden.3

Damit beginnt eine jahrelang leidenschaftlich geführte Recherche. McCrum besorgt sich Geschäftsberichte, die man aus dem Internet herunterladen kann. Wirecard, heißt es auf der Homepage, sei »eine der weltweit am schnellsten wachsenden digitalen Plattformen im Bereich Financial Commerce«. McCrum studiert die Dokumente. Bald stellt er fest: »Da passt vieles irgendwie nicht zusammen. Die Zahlen, die das Unternehmen herausgegeben hat, können so nicht stimmen.«4

McCrum berät sich mit Paul Murphy, seinem Ressortleiter, der auch Chef des FT-Finanzblogs Alphaville ist. Sie ziehen den Justiziar Nigel Hanson hinzu. Solche Recherchen sind immer heikel, man muss mit Gegendarstellungen und Verleumdungsklagen rechnen, wenn nicht alles wasserdicht zu beweisen ist. Die Financial Times hat, gedruckt und digital, rund eine Million Abonnenten. Chefredakteur ist Lionel Barber, der 2020 mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen wird.

Im Dezember 2014 führt Dan McCrum ein längeres Telefonat mit Markus Braun, dem Vorstandsvorsitzenden von Wirecard. Der Reporter fragt den Chef des Zahlungsdienstleisters rundheraus, »ob er ein Betrüger« sei. »Das ist ja keine ganz normale Frage«, meint McCrum. Aber Brauns Antwort empfindet er »merkwürdig«: Der Wirecard-Chef gibt sich »regelrecht gelangweilt, als ob er das ständig gefragt würde«. Braun sagt, »dass Wirecard eben viele Neider habe und nicht verstanden werde«. Es bleibt der einzige persönliche Kontakt zwischen dem Londoner Investigativ-Journalisten und dem Boss des technologiegetriebenen Finanzdienstleisters. Danach kommuniziert man ausschließlich schriftlich, weil Wirecard das so will. Und später beantworten nur noch Wirecards Juristen McCrums Fragen.5

Am 27. April 2015 veröffentlicht Dan McCrum seinen ersten Artikel über Wirecard in dem Finanzblog Alphaville. Er gibt ihm und der ganzen folgenden Serie von zwölf Artikeln die Überschrift »House of Wirecard«. Damit spielt er unübersehbar auf die US-amerikanische Netflix-Serie »House of Cards« an, in der es um Skandale und Intrigen im politischen Washington geht. McCrum ist sich sicher, dass Wirecard über kurz oder lang wie ein Kartenhaus einstürzen würde.

Der erste Artikel beginnt so: »Wirecard ist eine wenig bekannte deutsche Technologieaktie im Wert von fünf Milliarden Euro und ein Rätsel. Das Unternehmen bietet Zahlungsdienste an, besitzt eine Münchner Bank und wickelt Millionen von Online-Kreditkartenzahlungen auf Webseiten ab. Es wächst in halsbrecherischer Geschwindigkeit, indem es obskure Finanzunternehmen aufkauft, die das Wachstum am Laufen halten.«6

Der Fall Wirecard

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