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Der erste konkrete Hinweis auf dubiose Geschäftsbeziehungen führt Dan McCrum 2015 nach Bahrain am Persischen Golf zu Ashazi Services, einem Unternehmen für elektronische Zahlungen. Der Reporter findet heraus, dass die Firma in der Vergangenheit ständig die Adresse wechselte. Eine Zeit lang war sie in einem Dienstleistungszentrum in einem der glitzernden Türme im Diplomatenviertel der Hauptstadt Manama untergebracht, dann aber auch in kleinen Etagenwohnungen weitab vom Zentrum. Anfang 2011 logierte Ashazi Services in der Kanzlei des Anwalts Kumail Al Alawi in einer Seitenstraße, zwischen einer Filiale von Kentucky Fried Chicken und einer Mietwagenstation. Seltsam ist, dass die die offenbar prekären Untermieter des Anwalts 2011 angeblich vier Millionen Euro an Lizenzgebühren zugunsten von Wirecard verbuchten.

McCrum fliegt nach Bahrain und sucht den Anwalt Al Alawi. Er findet dessen neue Kanzlei an einer verkehrsreichen Schnellstraße, ringsherum ist alles eine riesige Baustelle. In einem Regal stehen dicke Aktenordner mit den Namen verschiedener Klienten. Der schmale schwarze Schnellhefter, auf dem »Ashazi Services« steht, enthält nur eine Handvoll Dokumente. Nasreen Sururi, die Eigentümerin und Geschäftsführerin von Ashazi Services, würde wohl besser Auskünfte über die Firma geben können, meint der Anwalt.

Nach Angaben des bahrainischen Ministeriums für Industrie und Handel gründete Nasreen Sururi das Unternehmen 2009 mit minimalem Kapital. Seither wurden keine Finanzberichte veröffentlicht. Eine Webseite scheint nur kurzfristig in Betrieb gewesen zu sein, ein Screenshot vom Oktober 2010 zeigt lediglich eine Homepage im Aufbau. Im Januar 2012 kündigte Ashazi Services in einer Pressemitteilung ein Abkommen über strategische Partnerschaft mit hSenid Software International an, einem weltweit tätigen Unternehmen in Sri Lanka. Zwei Monate später wurde die Zusammenarbeit in einer weiteren Pressemitteilung näher beschrieben. Dinesh Saparamandu, ein leitender Angestellter von hSenid, hat jedoch noch nie von Ashazi Services gehört, wie er McCrum versichert. Seine Firma habe weder einen exklusiven Partner noch eine Agentur in Bahrain. »Wir haben nie mit dieser Firma gearbeitet, und wir haben keine Partnerschaft mit ihr«, zitiert McCrum den hSenid-Manager.

Im August 2010 schloss Wirecard ein Abkommen mit Ashazi Services, Software und Service für Geldtransaktionen zur Verfügung zu stellen. Die Lizenzgebühr, vier Millionen Euro pro Jahr, bezahlte Ashazi an E-Credit Plus, einer Wirecard-Tochter in Singapur. Kontoauszüge von E-Credit Plus scheinen den Geldfluss zu belegen. Aber wovon bezahlte Ashazi solche Summen?

McCrum will darüber mit Nasreen Sururi sprechen. Er fragt sie, ob sie sich an das Abkommen mit E-Credit Plus erinnern könne. »Nein«, sagt sie, und nach einer Pause noch einmal: »Nein.« Sie könne sich an überhaupt nichts erinnern. »Ich hatte einen Partner in der Firma, der sich um die Verträge kümmerte«, erzählt sie. »Ich betrieb mehr die Verwaltung und das Marketing.«

Einer, der früher für Ashazi Services gearbeitet hat, ist der deutsche Geschäftsmann Christopher Bauer. 2007 hat er auf den Philippinen die erste asiatische Wirecard-Niederlassung gegründet. Später arbeitete er nicht mehr offiziell für den Konzern, aber in umso wichtigerer Funktion für Wirecards Aufstieg zum Dax-Riesen. 2011 war er acht Monate bei Ashazi Services beschäftigt. Die Firma sei damals »in einer Entwicklungsphase« gewesen, erzählt er McCrum. Mit ein paar wenigen Mitarbeitern habe er neue Kunden gewinnen sollen. Er sei jedoch »mehr für PR und Marketing zuständig« gewesen, die eigentliche Arbeit habe meist Sururi gemacht. So schiebt einer dem anderen den Schwarzen Peter zu.

Sururi schickt McCrum eine E-Mail, in der sie betont, dass sie »eine bekannte und angesehene Geschäftsfrau in Bahrain« sei und »auf eine mehr als zehnjährige Karriere in der Bezahlindustrie zurückblicken« könne. In ihrem aktuellen LinkedIn-Profil gibt sie als Beruf »TV-Moderatorin und Schauspielerin seit 2008« an. Seine RechercheErgebnisse in Bahrain breitet McCrum in seinem zweiten Wirecard-Artikel im Mai 2015 aus.36

McCrum kommt das Wirecard-Wachstum nicht geheuer vor. Das börsennotierte Unternehmen soll zu diesem Zeitpunkt 4,8 Milliarden Euro wert sein, sein Aktienkurs hat sich in den zurückliegenden sechs Jahren verachtfacht. Seit 2009, schreibt McCrum, habe Wirecard eine Reihe von Geschäften, oft mit ums Überleben kämpfenden Firmen, vorangetrieben, um Kunden für seine Zahlungsdienstleistungen zu generieren. Wirecard habe »einige dieser Deals auf ungewöhnliche Weise eingefädelt« und eine halbe Milliarde Euro von Investoren eingesammelt. »Diese Taktik wirft Fragen auf, was da gekauft wurde, Fragen nach der Beschaffenheit des Wachstums und nach dem Verbleib von 670 Millionen Euro an nicht greifbaren Vermögenswerten.«

Der für Ashazi ausgewiesene Gewinn müsste Milliardenumsätze voraussetzen. Wie soll eine obskure Klitsche ohne Personal und festes Büro dies zuwege gebracht haben? Wirecard veröffentlicht eine blumige Stellungnahme, McCrum zitiert sie: »Ergänzend zu einem starken organischen Wachstum in Europa begann Wirecard 2009 eine sehr erfolgreiche Expansionsstrategie in Asien. Diese Expansionsstrategie fokussiert sich auf eine Strategie von Kaufen und Aufbauen. Indem sich Wirecard in lokale Zahlungsunternehmen einkauft, die im internationalen Maßstab klein sind, aber lokale Stärken haben, bringt Wirecard seine internationale Expertise ein, und das Geschäft entwickelt sich auf einer synergetischen Basis.«

Am 20. November 2015 veröffentlicht McCrum einen Artikel, in dem er über die Recherchen von J Capital Research (JCap) berichtet, einem in den USA und in Hongkong registrierten unabhängigen Team von Aktienanalysten. Die Gründer von JCap, Anne Stevenson-Yang und Tim Murray, haben 25 beziehungsweise 18 Jahre in China gelebt und kennen sich in Asien bestens aus. McCrum beschreibt, wie JCap sich auf die Suche nach angeblichen Wirecard-Niederlassungen oder Geschäftspartnern in dieser Region machte und allenfalls kleine Büros mit wenig Personal oder, in zwei Fällen, überhaupt kein Geschäftslokal vorfand.

McCrum zitiert ausführlich aus den detailliert belegten Rechercheberichten von JCap. Die in Singapur ansässige Firma Trans Infotech, laut Wirecard »eine der führenden Zahlungsdienstleister in Vietnam, Kambodscha und Laos«, entpuppte sich als eine Ansammlung Potemkinscher Dörfer. In den Büros in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt fanden die Rechercheure nur ein paar Angestellte vor, die offenbar wenig zu tun hatten. In Kambodscha und Laos existierten unter den angegebenen Adressen keine Büros. Der Anschluss zu einer auf der Homepage erwähnten Telefonnummer in Kambodscha war außer Betrieb. In Laos verwies ein Anrufbeantworter auf eine Postfachadresse. Eine Mitarbeiterin von JCap ging in das Stadtviertel, dem die Telefonnummer und das Postfach zugeordnet werden konnten, und landete in einer Gegend, in der hauptsächlich Chinesen Geschäfte und Geldwechselstuben betrieben. Keiner von ihnen hatte je von Trans Infotech oder Wirecard gehört.

Ähnliche Erfahrungen machte JCap in Malaysia, wo zwei von Wirecard angeblich übernommene Firmen, Systems@Work und Korvac, tätig sein sollten. Korvac hatte gerade ein Büro aufgegeben, in dem höchstens zehn Personen beschäftigt gewesen sein konnten. Eine andere in den Geschäftsunterlagen genannte Adresse beherbergte ein Schreibbüro. System@Works war vor einiger Zeit aus einem Bürokomplex ausgezogen, und die hinterlassenen Kontaktinformationen waren entweder falsch oder gelöscht. »Am plausibelsten« erschienen JCap noch die Wirecard-Angaben zu der indonesischen Firma Prima Vista, die aus zwei von Wirecard 2014 für angeblich 114 Millionen Euro gekauften Unternehmen hervorgegangen war. Allerdings meinte JCap , dass »die Bilanzaufstellung mit Phantomgewinnen aufgebläht« worden sei.37

Der Fall Wirecard

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