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Kapitel 4

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Seit sie hinter mir aus der U-Bahn aufgetaucht waren, hatten Filzbarts drei Begleiter sich nicht gerührt. Als ich auf sie zuging, ließen sie mich durch und hefteten sich zusammen mit ihrem Anführer an meine Fersen. Langsam ging ich den Gang entlang. Mir musste dringend ein vernünftiger Fluchtplan einfallen, bevor ihnen auffiel, dass ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein AYA war. Es war eine Zwickmühle: Wenn ich nicht bald abhauen konnte, wäre ich tot, sobald Filzbart meine Lüge erraten hatte. Falls mir wirklich eine Flucht gelingen würde, wäre die U-Bahn eine Zeitbombe – bis das Licht ausging, konnte ich wohl kaum einen weiteren Ausgang finden, ohne meinen Verfolgern in die Arme zu laufen. Da ich in keinem Fall durch die Hand dieses Irren sterben wollte, beschloss ich, einen Fluchtversuch zu wagen. Aber wie?

Ein paar Minuten später kamen wir in dem kleinen Sammelraum an. Als ich den Anfang der Rutschen sah, hatte ich plötzlich eine Idee. Vielleicht würde es nicht klappen, aber wenn … Hoffentlich machte Maja mir keinen Strich durch die Rechnung.

Ein paar Schritte vor den Schrägen hielt Filzbart mich zurück. Dumm war er nicht, das musste man ihm lassen. „Clive und Try, ihr zuerst. Nicht, dass sie uns unten abhaut. Los, macht schon!“ Er warf ihnen eine kleinere Version meines Leuchtstabes zu.

Möglichst gelassen sah ich den beiden hinterher. Zwei Gegner weniger, das war gut. Innerlich schwankte ich aber auch zwischen Wut und Ungewissheit. War diese Gruppe für Lucas und möglicherweise auch aller anderer Tod verantwortlich? So gut es ging, schob ich diese Gefühle beiseite und versuchte mich zu konzentrieren. Vermutlich hatte ich nur diesen einzigen Versuch.

Filzbart nickte mir zu und ich setzte mich auf die Kante. Ich stieß mich vorsichtig ab. Schnell nahm ich Fahrt auf. Kurz nach meinem Abgang hörte ich, dass mindestens ein weiterer Mann unterwegs war. Jetzt oder nie. Ich drückte auf den Aus-Knopf des Leuchtstabs, schob ihn mir unter den Gürtel und drehte mich auf den Bauch. Etwa auf der Hälfte des Weges nach unten spannte ich meine Muskeln an und griff nach den Tritten rechts neben mir. Sofort zuckte ein stechender Schmerz durch meine Schultern und den Rücken herunter, zum Glück kugelte ich mir nicht die Arme aus.

„Nicht … loslassen …“, dachte ich, rutschte aber trotzdem noch ein paar Stufen tiefer und holte mir dabei ein paar ordentliche blaue Flecken. Dann klammerte ich mich so gut wie möglich fest und zog mich nach oben. Bestimmt hatten meine Verfolger gesehen, dass mein Licht ausgegangen war. Hoffentlich hatten sie keinen Verdacht geschöpft. So leise wie möglich kauerte ich mich auf den Absatz und wagte es nicht nach oben zu klettern, bevor die beiden vorbei waren. Es dauerte auch nicht lange, dann zischten sie kurz hintereinander mit einem Affenzahn an mir vorbei. Wie eine Wilde machte ich mich auf den Weg nach oben, ohne das Licht einzuschalten. Es hätte mich nur Zeit gekostet und ging auch ohne.

In Rekordzeit kam ich schließlich am oberen Ende der Tritte an. Der Trick hatte tatsächlich funktioniert! Schnell drückte ich auf den Knopf und stürmte vorwärts. Mein Vorsprung war nicht besonders groß, ich musste an der Oberfläche ein Versteck finden. Während ich rannte, rief ich leise nach Maja. Sie kam nicht. Das konnte doch nicht sein, sie war uns mit Sicherheit nicht den Schacht nach unten gefolgt.

Plötzlich fing hinter mir in den dunklen Abgründen jemand an, herumzubrüllen. Ich bog um die letzte Ecke, vor mir tauchte der Ausgang auf. Solange sie nicht verletzt war, hatte die Hündin bessere Chancen mich zu finden, als ich sie. Es brachte uns beiden nichts, wenn ich mich erneut einfangen ließ. Also sprintete ich die Treppe hoch und war endlich im Freien.

Das helle Licht blendete mich, meine Augen brauchten einen Moment, um sich daran zu gewöhnen. Aber es tat gut. Ich befand mich neben einem Hochhaus, überall lag Schutt, dekoriert mit Resten der Asche. Trotzdem konnte ich die ehemalige Straßenflucht und die beiden Häuserzeilen noch erkennen. Der Himmel war in sein eintöniges Grau zurückgekehrt.

Was jetzt? Ohne lange zu überlegen, rannte ich los. Am Ende der Ruine bog eine kleine Gasse nach rechts ab, ich folgte ihr. Langsam fing ich an zu keuchen, denn die Kletterei, der anschließende Sprint, die dicke Luft, der Durst und der Hunger zehrten an meinen Reserven. Kurz blieb ich stehen und lauschte. Von meinen Verfolgern war nichts zu hören, aber das musste nichts heißen.

Filzbart würde bestimmt davon ausgehen, dass ich soweit wie möglich von ihm weg wollte. Vielleicht war es am besten, wenn ich mich direkt hier in dem alten Wolkenkratzer versteckte. Schnell warf ich einen Blick auf die Wand neben mir. Im Untergeschoss gab es auf dieser Seite keine Fenster oder Türen, nur etwa zwei Meter über dem Boden. Vielleicht hatte ich auf der Rückseite mehr Glück, also lief ich im Dauerlauf weiter. Kurz darauf musste ich allerdings feststellen, dass ich in einer Sackgasse gelandet war. Das war aber auch Pech, ich saß schon wieder in der Falle!

Das Risiko, Filzbart oder einem seiner Männer in die Arme zu laufen, war viel zu groß. Mir blieben nur noch die Fenster im zweiten Stock. Aber wie sollte ich da hochkommen? In der Gasse lag nur Schutt, die Zeit reichte niemals, um ihn zu einem Berg aufzutürmen. Langsam ging ich an der Wand entlang zurück. Unter zwei Fenstern bröckelte der Putz ab, aber es reichte nicht zum Festhalten. Angstschweiß stand mir auf der Stirn, es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis diese Typen hier waren. Beim nächsten Fenster blieb ich stehen, weitergehen war zu gefährlich. Ich musste es versuchen, hier nach oben zu kommen.

Aber wie? Die Mauer, hinter der die gegenüberliegenden Häuser standen, war zu hoch und zu weit weg, um eine Hilfe zu sein. Der Putz bröckelte auch hier ab und ein Riss durchzog die Mauer. Probeweise hielt ich mich mit den Fingern daran fest. Nicht gerade einfach. Trotzdem stemmte ich meine Füße gegen die Wand und zog mich eine Handbreit nach oben. Meine Hände protestierten, aber ich biss die Zähne zusammen. Dreißig Zentimeter weiter spürte ich sie nicht mehr, und auch mein Gehirn machte mir einen Strich durch die Rechnung.

Ich rolle mich auf den Bauch, richte meinen Blick auf den Horizont. Zerstörung. Häusergerippe, Trümmer, Schutt. Und der Tod. Er lauert überall. Gnadenlos.

Hart schlug ich rücklings auf den Boden auf. Trotz der niedrigen Höhe presste mir der Aufprall die Luft aus der Lunge. Fassungslos blieb ich nach Luft schnappend einen Moment lang liegen. Diese Flashbacks waren eine Plage, ich wollte den Mist doch nur vergessen! Alles tat mir weh, aber ich stand stöhnend auf. Die Technik von eben würde nie funktionieren und war viel zu anstrengend. Aber aufgeben wollte ich auch nicht. Direkt neben mir entdeckte ich eine Eisenstange. Vielleicht konnte ich die in den porösen Putz hauen, um mich festzuhalten. Schnell hob ich auch noch einen großen Stein auf – die gab es im Überfluss.

Ich setzte die Stange so hoch wie möglich an der Ritze an und schlug am hinteren Ende dagegen. Es machte laut klong, aber das Eisen verschwand ein Stück in der Wand. Mir war es egal, ob mich jemand hörte, denn meine Verfolger hatten mich mit Sicherheit sowieso gleich gefunden. Also hieb ich noch ein paar Mal dagegen. Als ich fertig war, stand der Stab noch etwa fünfzig Zentimeter von der Wand ab. Ich hängte mich daran und erwartete, gleich wieder auf dem Boden zu liegen, aber sie hielt!

Innerlich jubelnd holte ich mit den Beinen Schwung. Wie damals mit fünf Jahren an einem Ast machte ich erst ein Hängeschwein und zog mich dann nach oben, sodass ich auf der Stange saß. Im Stehen würde ich ohne Probleme an das Fenster kommen. Vorsichtig schob ich mich nach oben, aber plötzlich knackte es unter mir. So gut es ging, verlagerte ich mein Gewicht an die Hauswand.

„Bitte halt noch ein bisschen …“, flüsterte ich. Dann drückte ich meine Beine durch und konnte mich im letzten Moment am Fenstersims festhalten, bevor meine Kletterhilfe unter mir einfach durchbrach. „Unser ganzes Leben ist verrostet“, dachte ich verbittert, während ich an der Hauswand baumelte. Mit schmerzenden Muskeln zog ich mich langsam nach oben. Woher ich die Kraft nahm, weiß ich nicht, aber ich saß irgendwann auf dem kaputten Fensterbrett und atmete tief durch. Erschöpft schloss ich kurz die Augen.

„Nicht schlecht, Ruby. Du solltest dich im Turnverein anmelden“, lachte plötzlich jemand unter mir. Filzbart fand seinen idiotischen Witz tatsächlich lustig. Vor lauter Kletterei hatte ich nicht bemerkt, dass meine Verfolger mich inzwischen entdeckt hatten. Vorsichtshalber ging ich hinter der Wand in Deckung und lugte nach unten. Natürlich war er es, zusammen mit einem seiner Begleiter. Anscheinend hatten sie sich aufgeteilt.

„Hauen sie ab und lassen sie mich verdammt nochmal in Ruhe“, schrie ich. Dann drehte ich mich um und krabbelte vom Fenster weg. Vielleicht konnte ich auf der anderen Seite weglaufen.

„An deiner Stelle würde ich das nicht tun“, tönte es von unten. Ich erstarrte und musste an Maja denken.

„Dein Hund … Er lief uns über den Weg und leistet meinen beiden Freunden jetzt Gesellschaft …“

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. „Woher weiß ich, dass sie mich nicht reinlegen wollen?“ Unten blieb es still. Er wusste genau, dass er mich am Haken hatte. Ich stand auf und ging zum Fenster zurück. Selbstzufrieden grinste Filzbart zu mir hoch. Gerade öffnete ich den Mund, um etwas zu sagen, da schlug mir etwas hart gegen den Hinterkopf. Sofort wurde alles um mich herum dunkel.

Langsam kam ich zu mir. Mein Kopf dröhnte, vorsichtig öffnete ich meine Augen. Verschwommen erkannte ich einen Raum, ich saß in der Mitte auf einem Holzstuhl. Ich wollte die Hand heben, aber Fesseln hinderten mich daran. Es wurde knapp für mich. Wie lange würde Filzbart mir glauben, dass ich im Besitz dieses A-Dingsbumses war? Ich musste hier irgendwie raus. Aber er war bestimmt nicht so dumm, sich nochmal hereinlegen zu lassen.

Ein paar Minuten später konnte ich trotz beißender Kopfschmerzen wieder klar sehen. Es war nach wie vor hell draußen, aber es konnte genauso gut morgens wie abends oder mittags sein - seit dem Aufenthalt in der U-Bahn war mein Zeitgefühl futsch. Wie lange war ich ohnmächtig gewesen? Nur ein paar Minuten, Stunden oder sogar einen ganzen Tag? Viel mehr interessierte mich aber, wo ich festgehalten wurde. War ich immer noch in dem Hochhaus oder schon am anderen Ende der Stadt? Und wo waren Filzbart und seine Freunde?

Während die Fragen nur so durch meinen Kopf wirbelten, riss ich mehrmals an meinen Fesseln. Es brachte nichts, Hände und Füße konnte ich kaum bewegen. Nur geknebelt war ich nicht, aber das war nicht besonders hilfreich. Mir wurde klar, dass ich entweder schreien oder warten konnte. Schreien kostete zu viel Kraft, also entschied ich mich fürs Warten. Nebenbei ließ ich meinen Blick durch meine kleine Zelle schweifen. Bis auf mich und den Hocker war sie leer. Oben in einer Ecke war ein kleines Fenster, dem die Scheibe fehlte. Leider war es so klein, dass ich mit Sicherheit nicht hindurchgepasst hätte. Mir gegenüber war ein Durchgang, an dessen Rahmen rostige Scharniere hingen.

Gefühlte Stunden passierte nichts und Langeweile wechselte sich mit der Sorge um Maja und den Clan ab. Mehrere Male war ich kurz davor, doch zu rufen, aber diesen Sieg wollte ich Filzbart nicht schenken, falls das hier ein Test sein sollte. Hunger und Durst nagten an mir, aber ich hatte lange nicht richtig geschlafen und war deshalb für die Ruhepause fast dankbar. Außerdem hatte ich endlich Zeit zum Nachdenken. In den letzten Stunden war so viel passiert …

Lucas Tod ging mir sehr nahe. Außerdem musste ich dauernd an das Gespräch mit meinem Vater denken - wahrscheinlich würde ich mich nie für meinen Ausbruch entschuldigen können. Das tat mir leid, obwohl ich immer noch nicht wusste, was ich von seinem Geständnis halten sollte. Dazu kamen dieses ganze Entführungs-Ding und der verbarrikadierte U-Bahn-Ausgang. Ich begann daran zu zweifeln, dass meine Entführer auch die Entführer der Gruppe waren. Zu viele Indizien passten nicht zusammen …

Am wenigsten wusste ich, wie ich Filzbart und seinen Leute einschätzen sollte. Er hatte mich Rubyn genannt und so getan, als würde er mich irgendwoher kennen. Aber das war unmöglich! Ich war ihm noch nie begegnet, da war ich mir sicher. Und dann diese ganze Geschichte mit dem AYA. Ich war nur ein gewöhnliches Mädchen, das zusammen mit ihrem Clan ums Überleben gekämpft hatte. Wo war ich da nur hineingeraten?

Ein Rumpeln in einem der Nebenräume weckte mich aus dem Halbschlaf, in den ich irgendwann gefallen war. Hellwach sah ich Filzbart meine kleine Zelle betreten. Ich versuchte, ihn möglichst böse anzustarren, aber natürlich grinste er nur. Er ließ sich Zeit, dann meinte er: „Es war nicht besonders nett, abzuhauen. Du kannst froh sein, dass dein Hund noch lebt. Aber wir brauchen sie, genau wie dich.“

Wozu sollte er uns brauchen? „Bringen sie mich endlich um oder sagen sie mir, wer sie wirklich sind“, verlangte ich.

„Alles zu seiner Zeit. Hast du Hunger?“

„Blöde Frage, sie tun doch immer so schlau“, antwortete ich. Vielleicht war es keine gute Idee, ihn noch mehr gegen mich aufzubringen, aber ich konnte nicht anders. Diese Geheimnistuerei ging mir auf die Nerven. Ohne ein weiteres Wort verschwand er und kam mit einigen belegten Broten und einer Flasche Wasser wieder. „Erstens, woher haben sie das und zweitens, warum der plötzliche Sinneswandel?“, fragte ich ungläubig.

„Das weißt du doch ganz genau. Also iss oder lass es bleiben“, sagte er und band meine rechte Hand los. Ich griff nach einem Brot. Es sah geradezu malerisch aus und war mit einer gelben Scheibe belegt. Käse? Solche Dinge kannte ich nur aus den Erzählungen meiner Großmutter. Staunend starrte ich ihn an. Unmöglich, dass irgendjemand, und schon gar nicht eine Gang, Käse besaß. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Misstrauisch sah ich zu Filzbart, biss dann aber doch ein Stück ab. Der Geschmack explodierte in meinem Mund. Das Brot schmeckte so gut, dass ich die Scheibe im Handumdrehen aufgegessen hatte. Als nächstes griff ich zu einem Stück mit rötlichem Belag, ebenfalls fantastisch. Innerhalb von ein paar Minuten waren der Teller und die Wasserflasche leer.

Satt lehnte ich mich zurück und Filzbart fing an zu reden, bevor ich ihm eine meiner tausend Fragen stellen konnte. „Rubyn, du musst mir vertrauen“, fing er an. „Ich kann und will dir nicht erzählen, was mein Auftrag ist. Wir hatten in der Vergangenheit unsere Differenzen, aber wichtig ist, dass nur du das AYA haben kannst. Es darf nicht in die falschen Hände geraten, deshalb musst du es mir aushändigen.“

„Ich habe keine Ahnung, was sie meinen“, versuchte ich ihm klarzumachen.

„Das mag ja sein, aber wir beide müssen zusammenarbeiten. Kannst du mir vertrauen?“

Nein, definitiv nicht?! „In der U-Bahn sah das aber anders aus“, meinte ich.

„Das verstehst du nicht, aber es gibt Vorschriften“, verteidigte er sich.

War das sein Ernst? Ich hatte die schlimmsten Stunden meines Lebens hinter mir und er brachte so eine Ausrede? „Ich weiß noch nicht einmal, wie sie heißen. Und sie verlangen wirklich, dass ich einem Wildfremden vertraue, der höchstwahrscheinlich meinen Cousin umgebracht hat?“ Filzbart seufzte und verließ abermals den Raum. Angst wallte in mir hoch. Jetzt war es für mich bestimmt endgültig vorbei. Er hatte gemerkt, dass er mit mir nichts anfangen konnte.

Ich rieb mir mit der Hand über die Stirn, als würde das den Rest meiner Kopfschmerzen vertreiben können. Momentmal, meine Hand! Er hatte meine rechte Hand nicht wieder festgebunden! Aufgeregt tastete ich nach dem Knoten an der linken Seite. Leider konnte ich nichts daran ausrichten, denn ich hörte Filzbart zurückkommen. So gut wie möglich hielt ich die Hand an ihre Fesselposition. Pfotengetrappel begleitete ihn und kurz darauf schleckte Maja mir einmal quer durchs Gesicht. Man könnte ihre Begrüßung Folter nennen, denn ich hatte keine Chance, mich irgendwie zu wehren. Aber ich war einfach nur unendlich froh, dass es ihr gut ging.

„Ich habe niemanden umgebracht, zumindest nicht, seit ich auf der Erde bin. Und ich hoffe, du erkennst meine guten Absichten“, kommentierte Filzbart und zog die Hündin an einer improvisierten Leine schließlich zurück. Sorgfältig band er sie an einer Stange fest. „Wir machen einen Deal, okay? Immer abwechselnd eine Frage.“

Abschätzend musterte ich ihn. Nach wie vor traute ich ihm nicht über den Weg, aber ich wollte Antworten. „Einverstanden. Ich fange an“, sagte ich. „Haben sie oder ihre Leute Luca umgebracht?“

„Den kleinen Jungen? Nein. Wo ist deine Mutter?“

Die Frage verwirrte mich, aber ich antwortete wahrheitsgemäß: „Tot. Wo ist der Rest meiner Gruppe?“

„Weiß ich nicht“, behauptete er. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu glauben.

„Wie ist sie gestorben?“, fragte er weiter.

„Warum interessiert sie meine Mutter so?“, wollte ich wissen.

„Du bist nicht dran. Beantworte meine Frage.“

Ungläubig sah ich ihn an, redete dann aber weiter: „Sie wurde bei einem U-Bahn-Einsturz verschüttet.“ Filzbart sah mich lange an, die Stille lastete auf mir. „Was ist an dem AYA so besonders?“, wechselte ich schnell das Thema, denn meine Augen brannten.

Sein Blick wurde ernst. „Es rettet das Paradies“, meinte er. Meine Vermutungen hatten sich bestätigt, er war irre - und das sagte ich ihm auch. Als Antwort bekam ich mal wieder sein schräges Grinsen, sonst ignorierte er den Einwurf. „Hast du irgendwas von deiner Mutter bekommen? Ein Foto oder ein kleines Gerät, einen Kästchen …“ Er sah mich erwartungsvoll an.

Plötzlich fiel mir der Anhänger wieder ein. Aber den würde er nie kriegen, er war das einzige, das mir von Samira blieb! „Nein“, behauptete ich.

Filzbart runzelte die Stirn. „Lügnerin“, schrie er und schlug mir hart ins Gesicht. Mein Kopf flog zur Seite und Tränen standen mir in den Augen. Sekundenlang existierten nur Schmerz, Majas entrüstetes Jaulen und die Wut, dass er mich so benutzte. Er machte, was er wollte, ohne Rücksicht auf Verluste.

„Schwein“, mehr brachte ich nicht heraus. Blut lief aus meiner Nase.

„Aha“, sagte er wieder im normalen Tonfall und ich bereitete mich innerlich schon auf einen zweiten Schlag vor. Doch er streckte nur die Hand aus und zog den Anhänger unter meinem T-Shirt hervor, welches bei seinem Angriff unglücklicherweise ein Stück verrutscht war. „Ich wette, der ist von deiner Mutter“, grinste er.

„Das können sie nicht machen!“, schniefte ich zwischen Blut und Tränen.

Filzbart kam mit seinem Gesicht ganz nah. „Siehst du, was da steht? AYA“, zischte er leise. „Tu nicht so, als hättest du das nicht gewusst.“

Es brachte nichts, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen, also gab ich ihm eine Kopfnuss. Zwar tat sie mir auch weh, aber das war es wert. Als Antwort packte er meine Haare und zog meinen Kopf nach hinten. „Und wie ich das machen kann“, flüsterte er mir ins Ohr. Dann riss er das Amulett ab. Die Worte blieben mir im Hals stecken, ich konnte ihn nur finster anstarren. „Deine Hündin – wie heißt sie noch gleich … Maja? – werde ich auch mitnehmen. Als kleines Dankeschön bringe ich dich nicht um und du darfst hier verrotten.“

Das ging entschieden zu weit. „Nein!!!“, schrie ich und zerrte an meinen Fesseln. Filzbart grinste mir noch ein letztes Mal zu, dann drehte er sich um und band Maja los. Sie bleckte die Zähne, aber er zog den Strick so fest um ihren Hals, dass sie nach Luft schnappte. Kalte Wut und abgrundtiefer Hass brodelten in mir, als sie aus meinem Blickfeld verschwanden.

Gerne hätte ich angefangen zu heulen, aber ich durfte keine Zeit verlieren. Meine Hand war immer noch frei, also fingerte ich so effektiv wie möglich an dem Knoten links herum. Langsam aber sicher wurde er lockerer. Als nächstes knotete ich das Seil um meinen Bauch auf und kümmerte mich danach um meine Beine.

Gefühlte Stunden später war ich endlich frei, vermutlich handelte es sich aber eher um einige Minuten. Während das Blut noch kribbelnd in meine Füße zurückströmte, riss ich mir zwei Stückchen Stoff aus meiner Kleidung und steckte die Fetzen in die Nase, um die Blutung zu stillen. Sie tat höllisch weh, hoffentlich war sie nicht gebrochen. Das war allerdings Nebensache, ich musste Filzbart und Maja so schnell wie möglich finden, bevor sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Allein das zählte.

Am Türrahmen verschaffte ich mir einen Überblick. Der nächste Raum war ebenfalls leer, bis auf ein großes Fenster. Ich befand mich im Untergeschoss eines Gebäudes. So schnell wie möglich arbeitete ich mich Zimmer für Zimmer vor, denn meine Freiheit wollte ich nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. In einem Raum sah es so aus, als wäre dort das Lager von Filzbart und seinen Komplizen gewesen. Es lag nur Müll herum und ich hastete weiter.

Bald erreichte ich die Eingangshalle und sah durch die Türöffnung den gleichen U-Bahnschacht, durch den wir vorhin ans Tageslicht gekommen waren. Gerade verschwand dieser Clive oder wie er auch hieß, als letzter in dem Loch. Mussten die ausgerechnet dorthin gehen? Ich wartete zwanzig Sekunden, dann folgte ich ihnen.

Irgendwie würde ich Maja befreien und mir das Amulett meiner Mutter zurückholen. Es würde nicht einfach werden, aber ich wollte wissen, was sie im Schilde führten. Mein größtes Problem bei der Verfolgung war, dass Filzbart den Leuchtstab mitgenommen hatte. Solange ich die Gruppe vor mir sehen konnte, reichte wahrscheinlich ihr Licht, um ihnen zu folgen. Sollte ich sie aber verlieren …

Hinten im Universum

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