Читать книгу NANI und ihr Weg zurück ins Leben - Jasmina Marks - Страница 4

Kapitel 1

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Es war ein eisiger Wind, der Nani vom Meer entgegen wehte. Sie hielt ihren Umhang dicht um sich gewickelt und pfiff nach ihren Hunden. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie die beiden spielenden Tiere auf sich zu eilen sahen. Zu dieser Jahreszeit war es still am Strand und gerade bei solchem Wetter liebte sie es, über den knirschenden Sand zu laufen, in völliger Ruhe mit sich und dem Meer. Ben und Momo hatten sie erreicht und sprangen neben ihr her. Die Dunkelheit würde bald hereinbrechen und sie wusste, dass sie glücklich war.


Das war nicht immer so gewesen. Aber das brachte das Leben wohl mit sich, dass es seinen eigenen Regeln folgte. Wie lange hatte sie sich hilflos ausgeliefert fühlen müssen, bevor es ihr endlich gelungen war, die Fesseln der Vergangenheit abzustreifen.


Aber was spielte es für eine Rolle wie lange sie dafür gebraucht hatte? Was einzig zählte, war der Umstand, dass sie es überhaupt hatte bewältigen können! Nani war nicht mehr die Jüngste, auch wenn sich ihr Leben noch nicht dem Ende nähern würde. So hoffte sie zumindest. Dennoch erinnerte sie sich daran, wie oft sie sich schon im Kopf wie eine Greisin gefühlt hatte, obwohl sie doch noch jung gewesen war – damals …


Sie erreichte leise vor sich hin lächelnd die Dünen und verharrte noch einen Moment auf das Meer hinausschauend. Die unendliche Weite war es, die sie immer schon beeindruckt hatte. Die irgendwo in der Ferne mit dem Horizont verschwamm, überging in die Unendlichkeit des Firmaments, zumindest bei gutem Wetter. Aber heute war nicht so ein Tag, an dem sie in Gedanken versunken stundenlang am Strand sitzen würde, völlig der Zeit entrückt. Der Wind war stärker geworden und sie eilte den Pfad zwischen den Sandbergen entlang zur Straße hin, die sie überquerte und nur kurz danach in einen schmalen Feldweg einbog. Nach nur wenigen 100 Metern erreichte sie ihr kleines Haus, das umgeben von großen Bäumen einsam dastand. Ihr kleines Nest, das sie mit Malea teilte, abgeschieden von der Welt und doch waren es nur wenige Meter bis zum nächsten Ort. Es war genau das, wovon sie immer geträumt hatte, in unmittelbarer Nähe zum geliebten Meer.


Kaum, dass sie eingetreten war, begann es auch schon zu regnen. Nach nur wenigen Minuten brannte das Holz im Kamin und gab dem Raum eine gemütliche Wärme. Auch das war so, wie sie es sich lange gewünscht hatte: Dazusitzen auf einem Sofa direkt vor dem offenen Feuer, zu ihren Füßen die beiden großen Hunde und einfach zu genießen, dass es ihr gut ging. Sie die Dinge in ihrem Leben geschafft hatte, die ihr wichtig erschienen waren.


In diesem Moment klingelte das Telefon und Nani wusste sofort, dass es einer ihrer Söhne sein musste.

„Hallo?“

„Hallo Mama“, erwiderte eine ihr vertraute Stimme.

„Julius, wie geht es dir?“ Sie freute sich immer, wenn ihre Jungs an sie dachten.

„Gut und bei dir auch alles in Ordnung?“

„Ja.“

„Mama, wir wollen dich besuchen am Wochenende. Manuel kommt auch, ist das okay?“

„Wie? Ihr alle beide? Oh, wie schön. Wann kommt ihr denn?“

„Ich habe mir Freitagnachmittag freigenommen. Wir werden gegen Abend da sein und Manuel kommt wohl etwas früher als ich.“

„Hat er auch frei?“

„Nee, er fährt schneller als ich.“

Unwillkürlich musste sie schmunzeln, der jüngere ihrer beiden Söhne war schon immer etwas rasanter und agiler gewesen als sein großer Bruder.

„Hat das einen bestimmten Grund, dass ihr beide kommen wollt?“

„Wirst schon sehen, Mama. Also, bis dann, okay?“

„Ja, tschüss!“

Was es da wohl geben mochte, dass sie beide spontan kamen? Trotzdem freute sie sich sehr darauf. Wenn sie daran dachte, wie schwer es manches Mal gewesen war, die beiden alleine groß zu ziehen. Wie oft sind ihr Menschen begegnet, die das nicht begreifen konnten. Irgendwie galt es in dieser Gesellschaft als unschicklich, zumindest in ländlicheren Gebieten, als Mutter allein zu leben und noch nicht einmal sonderlich unglücklich darüber zu sein. Wobei die Leute ja dachten, es muss ihr schlecht gehen und sie tue nur so, als ginge es ihr gut.


Kerstin fiel ihr ein, die selbst lange mit ihrem Sohn allein gelebt hatte. Weil die Jungs in einem Alter waren und nachmittags zusammen spielten, ergab es sich, dass sie hin und wieder noch geblieben war, um einen Kaffe mit ihr zu trinken. Allerdings bis zu einem bestimmten Nachmittag, danach hatte Nani keine Lust mehr darauf!


Es war eigentlich ein schöner Tag, die Sonne schien und von draußen erklang das Lachen der spielenden Kinder. Drinnen hingegen herrschte trübe Stimmung. Kerstin war unglücklich und klagte Nani ihr Leid.

„Das ist so anstrengend mit Martin!“ sagte sie.

„Was denn?“

„Naja, immer wenn Christian irgendwo seine Sachen liegen lässt, regt Martin sich total auf.“

„Und was ist daran jetzt so schlimm?“

„Tina kann liegen lassen, was sie will, das stört ihn nicht. Aber Christian ist ihm nur im Weg, glaube ich manchmal.“

„Ist ja auch nicht sein Sohn.“

„Ja, das ist echt blöd. Wir können nirgendwo zusammen hingegen, das gibt nur Krach. Entweder muss Christian zuhause bleiben oder Martin, das nervt voll!“

„Das ist mir auch schon aufgefallen. Aber ich würde doch nicht mit einem Mann zusammenleben, der mein Kind nicht akzeptiert.“ Nani verstand das nicht, weshalb Kerstin das hinnahm, obwohl es sie ärgerte.

„Was soll ich denn machen? Schon wieder trennen? Und dann sitze ich da mit zwei Kindern allein, oder wie?“

„Ja, warum nicht? Tu ich doch auch!“

„Genau! Und wie es dir geht, sieht man ja. Ständig Geldsorgen, alle Entscheidungen muss man alle treffen. Nein, so wie du will ich bestimmt nicht enden!“


Das hatte gesessen! Vor Schreck hatte sie gar nicht antworten können. Auch wenn Nani im Nachhinein nur den Kopf schütteln konnte, erwidert hatte sie darauf nichts. Heute wäre das anders, aber damals fehlten ihr die Worte. Sie schluckte nur und verfiel dem bereits vertrauten Gefühl, dass etwas an ihr abstoßend war. Und doch vertrat sie ihre Meinung. Bevor sie es zulassen würde, dass ihr Kind von einem Mann ausgegrenzt werden würde, blieb sie lieber allein, ohne Frage!


Das war nicht das Einzige, was schwer gewesen war. Wenn man alleinerziehend ist, hat man sich ja einiges gefallen zu lassen. Insbesondere, wenn man auf eine Tagesmutter angewiesen ist. Das ist so komisch, wenn man einem Menschen seine Kinder anvertrauen muss, den man nicht wirklich kennt. Nani hatte ein ungutes Gefühl im Bauch und sehr schnell stellte sich heraus, dass die Frau, die ihre Kinder in ihrer Wohnung betreute, sich daran gemacht hatte, ihre ganze Küche umzuräumen. Ihr Haushalt war völlig durcheinander und die Jungs waren entsetzt. Der Hund bekam irgendwelche Tabletten zu fressen, ohne dass er krank war. Die Frau war aber der Meinung, ihm könne etwas fehlen. Durchgefallen und absolut indiskutabel für Nani. So ging das nicht!


Aber besser wurde es, wenn man eine Person als ausgewiesene Betreuungskraft durch das Amt empfohlen bekommt auch nicht unbedingt. Du bringst dein Kind in ein Haus, das du selbst nicht kennst. Das barg an sich schon ein Gefühl von Unwohlsein. Die Tür öffnet sich und ein lächelndes Gesicht vermittelt dir, alles gut. „Nun komm mal rein Manuel, zieh deine Schuhe aus, hier die Jacke hinhängen, Mama muss jetzt arbeiten, sag noch mal eben Tschüss!“ Dann musst du dich ganz schnell umdrehen und raus gehen, damit das Kind nicht merkt, wie sehr du selbst von diesem Moment belastet bist. Mit Magenschmerzen gehst du dann zur Arbeit und hoffst, dass alles klappen wird. Mehr darauf konzentrieren kannst du dich nicht, weil sonst im Job was schiefläuft. Erst nach Feierabend, erschöpft und kaputt siehst du dein Kind wieder und hoffst, es geht ihm gut. Mit der Zeit wird es leichter, dann stellt sich die Gewohnheit ein und wenn wirklich alles gut geht, sich die Kinder wohl fühlen, tritt Entspannung ein. Wenn es denn gut läuft.

Es lief aber nicht gut. Ihre Kinder waren unglücklich und litten, ohne genau mit der Sprache herauszurücken. Bis Nani dann gesagt bekam, sie sei asozial.

„Da würde ich mal drauf achten. Wenn das Jugendamt sowas sieht, kriegst du Ärger, mit Sicherheit!“ noch schlimmer war allerdings: „Das ist eine Zumutung, ein so verdrecktes Kind vom Kindergarten abholen zu müssen. Mit dem kann man sich nirgendwo sehen lassen.“

Vor Entsetzen hatte es Nani die Sprache komplett verschlagen. Ihr Sohn hatte ständig Löcher oder Risse in den Jeans und war auch gerne übersät mit grasgrünen Flecken. Schmutzige Finger waren Standard und ebenso ein von Sandkörnern heimgesuchter Haarschopf. Das ließ sich noch steigern, wenn es draußen geregnet hatte, gerade dann ließ Manuel keine Pfütze aus, die seinen Weg kreuzte. Aus diesem Grund hatte sie ihm ständig Ersatzwäsche mitgegeben. Warum auch sollten kleine Jungs sich nicht mitten im Sandkasten austoben oder auch im Gras herumtollen, egal ob es nass war oder nicht. Wenn ihr Sohn so nach Hause kam, wusste sie, er hat gespielt und zwar richtig. Dankbar um die Waschmaschine war sie trotzdem und sie sah es auch nicht ein, ihn mit nagelneuen Klamotten zum Spielen zu schicken. Er war stets so gekleidet, dass er sich mit Wonne dreckig machen konnte. Wenn Manuel sauber war, obwohl er hätte draußen toben können, dann stimmte etwas nicht. So kannte sie ihren Sohn und da ließ sie auch nichts anderes gelten. Doch auch das war etwas, das man noch umdrehen konnte und ihr zur Last legte. Als er nämlich genau dieses gemacht hatte, und traurig auf der Schaukel bei seiner Tagesmutter allein im Garten saß. „Dein Kind ist verhaltensgestört. Da würd ich mal mit losgehen!“ Hat es geheißen. Irritiert hatte sie ihn später am Abend gefragt, was denn los gewesen sei. Und er antwortete, dass ihm ein anderes Kind gesagt hätte, auf dem nahegelegenen Spielplatz wäre ein Mann, der würde kleine Kinder klauen. Weinend hatte er in ihrem Arm gesessen und gesagt, wie allein er sich gefühlt hatte und dass er nun froh war, wieder bei ihr zu sein.

Scheinbar war es von einer vom Jugendamt geschulten Tagesmutter zu viel verlangt, ein offensichtlich betrübt dasitzendes Kind zu fragen, warum es traurig ist. Wäre sie damals stärker gewesen, hätte sie eben das geantwortet, stattdessen hatte sie sich stillschweigend zurückgezogen. Auch wenn sie sich über so etwas maßlos ärgern konnte, wich sie lieber aus, als mal aufzustehen und ihre Meinung deutlich zu vertreten. Das war etwas, das sie einfach nicht konnte. Es bestätigte ihr, auf ihr Herz zu hören und den Worten ihres Kindes zu vertrauen. Aber sie konnte nicht dafür einstehen, damals nicht.


Beide hatten sich in der Obhut von anderen unwohl gefühlt und entschärft wurde die Lage erst, als sie daran etwas hatte ändern können. Da erst glaubte sie, ihren Kindern gerecht zu werden. Nichts ist schlimmer, als wenn man arbeiten ist und in Gedanken dauernd der Frage nachhängt, ob es den Jungs wohl gut ging.


Aber das war nicht das Einzige, was ihr anhaftete. Man war nur wer, wenn man geheiratet und ein Haus gebaut hatte. Das war der Lauf der Dinge, man am besten noch einen Baum pflanzte zur Geburt der Kinder, für jedes einen. Doch diesem Lauf hatte sich Nani entgegengestellt, ohne es als gravierenden Mangel ihrer Persönlichkeit zu empfinden! Mehr noch, genau genommen betrachtete sie sich selbst und ihre Lebensweise als eben genau das, was sie ausmachte. Aber das galt nicht für andere Leute, scheinbar. Da passierten schon sonderbare Dinge.


„Ach so, nur damit du Bescheid weißt, wir haben gesagt, dass du geschieden bist.“

„Wie bitte?“

„Ja, das ist besser, was sollen sonst die Leute denken!“

„Wie? Was sollen die Leute denken?“

„Ja, eine Frau alleine mit zwei Kindern, das geht nicht.“

„Was geht daran nicht? Wem habt ihr das erzählt?“

„Ja, allen so, die gefragt haben, weil du neu bist.“


Eine Frau, die ledig ist und zwei Kinder hat, zudem noch von zwei verschiedenen Männern, was am Kind ja dran steht (!), das geht gar nicht! Der Ruf ist direkt ruiniert. Auf Unverständnis stieß, dass es sie ärgerte, ohne ihre Zustimmung als jemand präsentiert zu werden, der sie gar nicht war. Was ging es die anderen Leute an? Schlussendlich legt das nahe, dass eine geschiedene Frau mehr Mitleidsbonus erhält, als jemand, der sich geweigert hatte, aufgrund einer Schwangerschaft direkt in die Ehe zu stolpern. Nani war sehr, sehr froh darüber, eben nicht geheiratet zu haben. Das ganze Theater mit einer Scheidung umgangen zu sein, hatte ihr viel Ärger als auch Kosten erspart.


Sicher hat es Zeiten gegeben, in denen sie es anders hätte haben wollen. Wie lange hatte sie sich Menschen an ihre Seite gewünscht, die es ernst mit ihr meinten und sie lieben würden. Da es die aber nun einmal nicht gab, hatte sie sich abgefunden mit dem, was sie hatte. Und da blieb nun einmal nur sie selbst.


Nani war es schlicht und ergreifend total egal, was die Leute über sie dachten. Das Gerede, dass mit ihr etwas nicht stimmt, kannte sie schon von klein auf. Sie war es gewohnt, also warum darüber nachdenken? Und gerade die, die am meisten über sie zu erzählen wussten, waren fast immer auch die, mit denen sie rein gar nichts zu tun hatte! Die wenig bis gar nicht mit ihr sprachen. Vielleicht sogar noch die, die meinten, sie sei unglücklich und man besser Abstand zu ihr halten sollte, weil man ja nicht weiß, was dahinter steckt. Einfach mal nachzufragen, wäre ja auch eine Idee gewesen, oder nicht? Oder die, die dachten, der muss es so schlecht gehen, da will ich lieber nichts von wissen. „Die ist komisch“ war da noch harmlos. „komm doch mal mit Abends, wenn wir unterwegs sind. Damit du auch mal Spaß hast!“ Okay, das war nicht das, was sie wollte! Irgendwann hatte Nani mal auf diese Frage geantwortet, „guck mir in die Augen und jetzt sag mir, sehe ich so aus, als ob ich Spaß nötig hätte?“ Ein irritiertes „Nein“ war die Antwort gewesen. Ergänzend hatte sie hinzugefügt, „du kannst mich gerne fragen, ob ich „mit euch“ Spaß haben möchte, aber eigentlich bin ich gut zufrieden so wie es ist!“


Allgemeinhin schien zu gelten, dass nur die Dinge „Spaß“ bedeuten, die man gemeinsam mit anderen machte und bei denen ordentlich getrunken wurde. Doch genau das war etwas, das Nani überhaupt nicht lag. Sie liebte die Abende bei Kerzenschein, eingehüllt in eine Decke dazusitzen und guter Musik zu lauschen oder einfach zu lesen. Einen spannenden Film schaute sie auch gerne, mit Leidenschaft sogar, aber meistens war sie sich selbst genug oder sie schrieb. Das bedeutete nicht, dass sie die Gesellschaft von anderen grundsätzlich verweigerte, aber gemieden hatte sie sie doch. Zumindest wenn sie das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden. Weil man gar nichts wirklich von ihr oder über sie wissen wollte, sondern übermittelte, sich ihrer erbarmen zu müssen und sich auch nur deswegen mit ihr abgab. „Ach ja. Komm du man mit. Du hast sonst schon so wenig zu lachen, dann wird es mal Zeit jetzt!“ Nein danke, so nicht! Nani konnte sich durchaus selbst aushalten, sie litt nicht darunter alleine zu sein, sondern es war der prägende Teil ihres Lebens.


Noch besser waren aber eben jene, die der Vermutung erlagen, eine Frau alleine konnte leicht in die Knie zu zwingen sein und dementsprechend respektlos mit ihr umgingen. Das war besonders nervig, denen Achtung beizubringen. „Die brauchen wir nicht ernst nehmen“ stand in den Gesichtern solcher Leute. Wenn man ihr nicht zutraute, auf einer vernünftigen Grundlage ein Gespräch führen zu können, dann zog das zwangsläufig nach sich, dass man Entscheidungen für sie traf. „Mach du das man so, wie ich dir das sage und dann passt das schon!“ Mühsam hatte sie sich dann aufgerichtet, weil es sie einerseits verletzte, nicht respektiert zu werden und andererseits glaubte sie, dass nur sie selbst wissen konnte, was ihr gut tat.


Da gab es mal so eine Situation, auch wieder wegen ihrem Jüngsten. Er war ein sehr verletzliches Kind und ließ sich schnell beeindrucken. Insofern gehörte er zu den Kindern, die postwendend von anderen als ideale Angriffsfläche für ihre aggressiven Schübe erkannt wurden. Das gibt es leider auch schon unter Kindern. Die nämlich zuhause unglücklich sind und dann im Kindergarten oder der Schule auf jene einprügeln, die schwächer sind. Manuel war immer zutiefst entsetzt und konnte sich nicht wehren. Er kannte es nicht, geschlagen zu werden. Eine Herausforderung für Nani, sich dann aufzubauen und ihr Kind zu verteidigen. Was kaum gelang, da sie aufgrund ihres eher zurückhaltenden Verhaltens, nach außen hin etwas auszustrahlen schien, das wohl verletzlich wirkte und als leicht zu überrumpeln galt. Dem war aber nicht so, wenn sie ihren Mund aufmachte. Sie übte das, sich genau auf den Punkt gebracht zu äußern und in einem ruhigen Tonfall zu erklären, was sie störte.


Wenn man es dann mit jenen Eltern zu tun bekommt, deren Kindern der Heiligenschein förmlich in die Wiege gelegt worden ist und die der Meinung anheimfallen, wer am lautesten brüllt, der hat auch Recht, dann wird es richtig anstrengend. Die Unfähigkeit, eine kindliche Streiterei einzudämmen, hatte nach langwierigen Auseinandersetzungen dazu geführt, dass Nani sich nicht anders zu helfen gewusst hatte, als eine höhere Stelle mit einzubeziehen und ihr Kind von der Schule zu nehmen. Und wieder galt sie als schwierig und querschießend. „Da ist eine Mutter, die meint auch, die kann mit dem Kopf durch die Wand!“ und „Du bist ja bekannt dafür, dass du hysterisch bist“ waren Sätze, ja gut, die hörte Nani, aber sie waren ihr egal. Ihr war nur eines wichtig, dass ihr Sohn mit Spaß zur Schule gehen konnte und heranwachsen durfte, ohne ständig gemobbt zu werden.


Aber egal, wie anstrengend das manchmal auch war, allein schon aus Prinzip stellte sich Nani zunehmend solchen Individuen konsequent in den Weg und vertrat ihre Meinung. Was sie wollte, war ein respektvoller Umgang. Niemand musste ihr einen roten Teppich auslegen, wozu auch, aber man sollte ihr wenigstens mit Anstand entgegen treten. Das war das Mindeste, was sie verlangen konnte und auch einforderte.


Die Leute wussten nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten. Und nachdem bekannt wurde, dass sie sich nicht unterbuttern ließ und auch nicht davor zurückschreckte, weitere Schritte einzuleiten, änderte sich das. „Bei der musst du vorsichtig sein, die holt sonst ihren Anwalt!“ Ein echter Brüller, wie Nani fand. Und doch war ihr lieber, die Leute dachten so von ihr als wenn sich die Überzeugung, dass man sie nicht ernst zu nehmen brauchte, weiterhin durchsetzen konnte. Lieber mit Vorsicht zu genießen als leicht niederzutrampeln!


Aber woher das kam konnten die anderen nicht wissen. Die meisten wollten es aber auch nicht wissen. Irgendwann dann hatte Nani sich darauf konzentriert, die Sache als etwas zu betrachten, dass den anderen half, Erkenntnis in einen menschlichen Umgang zu bekommen. Denn so, wie man teilweise mit ihr umgegangen war, wollte man selbst nicht behandelt werden – also warum genau tat man es dann mit ihr und erwartete zudem noch, dass sie es schweigsam erduldete?


Nani fand, all diejenigen, die sich mit ihr angelegt hatten, waren selbst schuld daran. Sie hätten sie ja anders behandeln können. Wenn sie die Reaktion ihrer eigenen Handlungen nicht vertrugen, war das nicht Nanis Problem.

„Ja, mit dir muss man ja ganz behutsam umgehen.“

„Äh, warum?“

„Bei dir weiß man ja nie. Wenn dir was nicht passt, dann lässt du einen fallen.“

„Wie kommst du darauf?“

„Das hört man so.“

„Und was genau hat mir da nicht gepasst?“

„Ja, das weiß ich so nicht, aber ich weiß ja, was du durchgemacht hast. So ungefähr jedenfalls.“

„Ja und darum kann man nicht normal mit mir reden, oder wie jetzt?“

„Ja. Nein. Weiß ich auch nicht. Das ist halt nicht einfach mit dir. Man will dir ja auch nicht wehtun.“

„Ach so gut - dann ist es doch auch in Ordnung, wenn ich mich wehre, wenn mir dann doch jemand auf die Füße tritt, oder nicht?“

„Ja, das macht ja keiner. Wir sind ja alle ganz vorsichtig mit dir.“

Was heißt denn vorsichtig? Bedeutete auf jeden Fall, dass alle sich verstellten und niemand ungezwungen mit einem umzugehen gedachte. Weshalb wiederum offenkundig auf der Hand lag, dass ein entspannter und gelassener Umgang von vorneherein ausgeschlossen ist. Zudem aber noch es leichter zu sein schien, das „Problem Nani“ auch ihr anzulasten, somit ist man „raus aus der Nummer“! Klärende als auch offene Gespräche müssten schon von beiden Seiten gewollt sein, ansonsten machte die ganze Sache einfach keinen Sinn.


Nani hatte sich ihren eigenen Standpunkt angeeignet. Wer ihr gegenüber glaubte, sich verstellen zu müssen, dem konnte man nicht trauen. Und meistens traf das auch zu. Häufig eingehend mit einer Arroganz, der jegliche Grundlage fehlte. Wer sich aber dann wunderte, dass sie nicht gewillt war, sich entwürdigend behandeln zu lassen, der brauchte offensichtlich eine entsprechende Lektion. Und es war ihr egal, ob das eine offizielle Stelle war oder im privaten Bereich Leute betraf, mit denen sie es zu tun hatte. Ständig lauerte überall so etwas von „die ist nicht normal, also Finger weg“. Ja – dann lasst es doch!


Natürlich gab es auch diejenigen, welche „anders“ waren. Die sich von einer tragischen Geschichte im Leben eines anderen nicht blenden ließen und so mit einem umgehen konnten, wie man sich das wünscht – die einen nahmen, wie man war. Das waren dann auch die, welche blieben!


Heute störte es sie nicht mehr. Lächelnd saß sie da und erinnerte sich an jene Jahre, die schon eine Weile hinter ihr lagen. Momo hob den Kopf und sie streichelte das schwarze Fell des Tieres. Es hatte sich noch immer nichts geändert. Im Grunde sahen die Menschen sie als etwas an, das man nicht verstehen konnte. Mal ein bisschen zu plaudern, oberflächlich, über das Wetter oder sonstiges, war kein Problem. Und doch hielten sie Abstand, nur wenige trauten sich richtig an sie ran. „Du bist anders. Das versteh ich nicht. Wenn du ständig alleine hockst, stimmt doch was nicht mit dir. Geh doch mal unter Leute, such dir einen Mann und dann klappt das schon wieder. Aber immer alleine ist doch ungesund.“


Aber vielleicht war das ihr Schicksal und damals wie heute vertrat sie die Meinung, dass es nicht wichtig war, ob ihre Umwelt sie verstand oder nicht. Sie galt sowieso als gestört, also hatte sie sich ein dickes Fell angelegt. Viel wichtiger war ihr, dass sie selbst mit sich und ihrem Leben zufrieden sein konnte.


Und das war sie, seit ihr Malea begegnet war. Die Frau, die sie über alles liebte. Es hatte fast 20 Jahre gebraucht, bis sie endlich zueinander gefunden hatten. Und für viele derjenigen, die Nani zuvor schon als seltsam empfunden hatten, war es das, was noch gefehlt hatte. Was den allgemein herrschenden Eindruck von ihr, sonderbar zu sein, bestätigte. Eine jahrelang allein stehende Frau verliebt sich in eine andere Frau. Dass Nani aber, seit sie Malea kannte, niemand anderes an ihrer Seite akzeptieren wollte und lieber alleine blieb, hatten die anderen nicht gewusst. Es hatte aber auch keiner danach gefragt.


Das Wetter war übergegangen in einen leicht stürmischen Dauerregen, der lautstark gegen die Fenster trommelte. Nachdem sie die Glut im Kamin sich selbst überlassen hatte, war sie hinauf ins Obergeschoss gegangen und inspizierte die Zimmer dort. Da sie ihren Schlafraum unten hatten und nur das Arbeitszimmer oben war, betrat sie die beiden zusätzlichen Zimmer nur dann, wenn ihre Söhne sie besuchen kamen. Es würde nicht viel vorzubereiten geben und zufrieden schloss sie die Tür. Morgen würde sie die Betten beziehen und einkaufen fahren. Voller Vorfreude würde sie in den kommenden zwei Tagen sämtliche Vorbereitungen treffen und auch die noch herrschende Ruhe genießen, die dann übers Wochenende nicht da sein würde. Aber das störte sie nicht, es war eine willkommene Abwechslung in ihrem Alltag – mehr noch, sie freute sich sehr darauf!


NANI und ihr Weg zurück ins Leben

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