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Ein Haus an der Steilküste
ОглавлениеStotternd heulte der Motor noch einmal auf und versagte schließlich endgültig. Der Ford rollte aus, und nachdem die Scheinwerfer erloschen waren, konnte Maron nichts mehr sehen. Fluchend schlug er mit seiner Faust aufs Lenkrad und starrte hinaus in den heftigen Regen. Er musste sich verfahren haben, denn laut seiner Karte hätte er schon vor mehr als zwei Kilometern an einer Wegkreuzung nach rechts abbiegen müssen – aber da war nichts. Der Straße war schmal und zu ihrer Linken befand sich ein so eben noch haltendes Geländer, das wohl nur notdürftigen Schutz vor dem sich steil eröffnenden Abhang hätte bieten können.
Prasselnd trommelten die Regentropfen auf das Dach und Maron hüllte sich in seinen Mantel. Es war kalt und er fror. Außerdem hatte er seit Stunden nichts mehr gegessen. Er ließ den Ford stehen und kämpfte sich durch das Unwetter zu einem Licht hin, das wohl von einem Haus kommen musste - vielleicht könnte man ihm dort helfen?
Ernest Maron schlug den Mantelkragen hoch und folgte dem Schein, den er in dem dichter werdenden Regen nur noch mühsam erkennen konnte. Ein kleiner Weg führte von der Straße ab und knirschend gab der Kies unter seinen Füßen nach. Endlich erreichte er die Vordertür und begann, wild dagegen zu hämmern. Nass bis auf die Haut stand er frierend davor und hoffte auf Einlass in dieser ungemütlichen Nacht.
Die Tür öffnete sich und eine alte Frau schaute ihn fragend an. „Guten Abend, gnädige Frau. Entschuldigen Sie die Störung – ich bin mit meinem Wagen liegen geblieben. Dürfte ich vielleicht bei Ihnen telefonieren?“
„Treten Sie ein, junger Mann.“
„Vielen Dank. Maron mein Name, Ernest Maron. Nochmals vielen Dank.“ Die Frau war vielleicht um die 70, womöglich auch etwas älter. Sie trug einen schwarzen Umhang und ihr langes weißes Haar hing lose über ihre Schultern. Der kleine Vorraum, der hell erleuchtet war, führte in einen großen rundlichen Raum. Dieser war nur schwach beleuchtet, aber es wirkte sofort gemütlich.
Die alte Dame hatte seinen Mantel am Kamin aufgehängt und war in ein kleines Nebenzimmer geeilt, um ihm Handtücher zu bringen. „Sie müssen sich aber sehr verfahren haben. Hierher zu mir findet sonst selten jemand den Weg.“
„Ja, es war schon dunkel und ich suchte eigentlich die Abzweigung nach Saltenborough. Aber irgendwie muss ich sie wohl verpasst haben und zu allem Überfluss streikt nun auch noch mein Motor.“
„Nun, Herr Maron, Sie werden wohl über Nacht bleiben müssen. Um diese Zeit kommt niemand mehr hier raus und schon gar nicht bei diesem Wetter. Die Küstenstraße ist sehr gefährlich.“
„Ich will Ihnen aber keinesfalls Umstände machen.“
„Ist schon recht so. Oben gibt es noch eine Kammer, die ich eigentlich nicht mehr benutze. Sie finden dort ein Bett und einen kleinen Ofen gibt es auch. Haben Sie Hunger, Herr Maron?“
„Ehrlich gesagt schon, eine Kleinigkeit wäre sehr freundlich.“
Die Frau deckte den Tisch, rückte den dreiarmigen Kerzenleuchter etwas zur Seite und holte etwas kalten Braten, ein paar Tomaten und einen großen Laib selbst gebackenes Brot. Der Duft von Speck und Eiern, die inzwischen auf dem Ofen in einer Pfanne brutzelten, erinnerten Maron daran, wie hungrig er war. Auf einer bequemen Sitzbank nahm er schließlich Platz und auch die Frau setzte sich zu ihm, nachdem sie ihm als auch sich selbst von dem knusprigen Speck gegeben hatte. Der dampfende Tee wärmte ihn und allmählich erholte er sich von dem Sturm, der draußen noch immer heftig tobte. Doch irgendwie schien das hier drinnen keine Rolle zu spielen. Neugierig betrachtete Maron den Raum.
Vor dem Kamin lag ein dicker, weißer Teppich. Angrenzend daran stand ein mit schwarzem Samt bezogener Ottomane, mit vielen hellen Kissen, daneben ein Schaukelstuhl. Die Wände waren bis zur Decke mit einem Bücherregal durchzogen. Die überschaubare Essecke war umrandet von einer kleinen Küche, in der auch ein antiker Herd stand. Es gab viele Blumen und größere Gewächse, die sich in der Offenheit des Raumes wunderbar verteilten. Eine breite Treppe führte in ein oberes Geschoss. Das Flackern des Kaminfeuers tauchte alles in ein wärmendes Licht. Und obwohl von draußen der heulende Wind und starke Regen zu vernehmen war, fühlte sich Maron hier drinnen so wohl, wie er es selbst eigentlich nie zuvor hatte spüren können. Kurz horchte er genauer hin. Ihm war, als hätte er inmitten dieses Getöses eine Schiffsglocke gehört. Oder etwas Ähnliches. Konnte das sein? Bei diesem Wetter? Wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Heutzutage wäre doch ein Horn eher das, was man erwarten würde, oder nicht? Mal abgesehen davon, dass bei so einem Sturm kaum ein Schiff auf offener See treiben würde, in unmittelbarer Nähe zur Küste. Aber es klang erneut wie der tiefe Laut einer Glocke. Irritiert trank er von seinem Tee und betrachtete die alte Frau, die sich inzwischen erhoben hatte und ihren Teller zur Spüle brachte. Ihre Gestalt war zierlich. Der Ausdruck in ihren großen dunklen Augen wachsam und klar. Das Gesicht ebenmäßig und trotz oder gerade wegen der einen oder anderen Falte war sie umgeben von Herzlichkeit und Wärme, die von weit innen zu kommen schien. Das nahezu weiße Haar reichte bis an die Hüften hinunter. Ihre Bewegungen waren fließend und voller Anmut – zweifelsohne ein besonderer Mensch, der da vor ihm stand.
„Nun, Herr Maron“, unterbrach sie ihn in seinen Gedankengängen, „geht es Ihnen etwas besser?“
„Ja, vielen Dank.“
„Sie müssen sich sehr verfahren haben. Die Abzweigung nach Saltenborough liegt mehr als 10 Kilometer weiter zurück. Morgen werde ich für Sie den Monteur rufen. Etwa 10 Minuten zu Fuß von hier ist ein kleines Dorf. Dort finden Sie dann Hilfe.“
„Das ist sehr nett von Ihnen.“
„Ich glaube, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, nennen Sie mich einfach Landana. Wenn Sie wollen, können Sie im oberen Geschoss noch heiß duschen. Sie werden alles finden, was Sie brauchen.“
„Das wäre wirklich schön. Wenn ich mich irgendwie erkenntlich zeigen kann ...“
„Junger Mann, ist schon gut!“
Ohne dass er es gehört hatte, war eine ebenfalls ältere Dame hereingekommen. Ihre Erscheinung glich der von Landana sehr, nur waren ihre Haare nicht ganz so lang. Jedoch schien die Ausstrahlung identisch zu sein.
„Celia, schön Dich zu sehen.“ Lächelnd trat die Dame, die ihm inzwischen als Landana bekannt war, auf die andere zu. Stirn an Stirn gelehnt, die Hand an der Wange der jeweils anderen, verharrten sie für einen Augenblick in inniger Umarmung. Erst als sich die beiden dann zu ihm umwandten, bemerkte Maron, dass er sie fasziniert angestarrt hatte - so sehr in den Anblick vertieft gewesen war, dass ihm der Atem stockte. Er erhob sich und reichte ihr seine Hand.
„Das ist Ernest Maron, Celia. Sein Wagen ist liegen geblieben und verfahren hat er sich auch. Ich habe ihm gesagt, dass er über Nacht bleiben kann.“
„Guten Abend, gnädige Frau.“ Was sagte er denn da? Er hatte ungeheuren Respekt vor beiden, warum, wusste er nicht zu benennen. Sie strahlten irgendetwas Unbestimmtes aus - etwas, das ihn ohne Zweifel berührte und sich nicht in Worte fassen ließ, sondern allein mit dem Herzen spürbar war. Und zwar auf so sinnliche Weise, dass er völlig verwirrt schien. „Ich möchte mich nun auch verabschieden. Angenehme Nachtruhe wünsche ich.“
„Wenn Sie etwas brauchen sollten, sagen Sie nur Bescheid.“
Ein Stück weit erleichtert, dieser sonderbaren Atmosphäre entfliehen zu können, eilte er die Stufen hoch. Das ihm zur Verfügung gestellte Zimmer war leicht zu finden. Nachdem er eingetreten war, schloss er leise die Tür hinter sich. Was auch immer es war, das die beiden alten Damen so außergewöhnlich erscheinen ließ, er konnte es nicht greifen! Er fühlte sich tief im Innersten erschüttert, nur weil er in ihrer Nähe verweilt hatte. Dieser Moment, in dem sie sich begrüßt hatten, schien etwas nahezu Heiliges auszustrahlen. So etwas hatte er noch nie gesehen oder erlebt. Er war sowohl beeindruckt als auch verzaubert von ihnen.
Im angrenzenden Bad stellte er sich unter die Dusche, ließ das heiße Wasser an sich herunter laufen - das tat gut! Endlich beruhigte er sich. Wenig später stand er vor dem Spiegel und betrachtete, was ihm entgegenblickte. Eine Nase, die schon immer viel zu groß zu sein schien und sein Gesicht beherrschte. Der Mund normal und das kurze blonde Haar stand strubbelig von seinem Kopf ab. Sein Alter war ihm anzusehen, fand er. Irgendwie zumindest. Im Gesicht auf jeden Fall. Sein Körper war schmächtig und er fand sich selbst nicht wirklich attraktiv. Aber egal. Spielte keine Rolle, grade jetzt. Er trocknete sich ab und hängte das flauschige Handtuch über den Halter. Noch einmal schaute er in den Spiegel und war froh, seine wenig männlich wirkende, dafür aber große Erscheinung in einem weichen Bademantel verstecken zu dürfen, der so eben noch passte. Warum auch immer ihm gerade das nun durch den Kopf schoss, wusste er nicht, als er nachdenklich in den Schlafraum eintrat, der ebenso gemütlich wirkte wie der Rest des Hauses. Auch hier gab es viele große Blumen. Die vorherrschenden Farben waren in hellen Pastelltönen gehalten und liebevoll aufeinander abgestimmt. Das große, auf einem dunklen Holzrahmen stehende Bett war einladend mit Kissen bedeckt. Die Wände waren aus weißen Steinen gemauert und ein dunkler Holzfußboden, der stellenweise leise knarrend nachgab, verlieh dem Raum, wie dem gesamten Haus, den Hauch von etwas ganz besonderem. Zweifelsohne war hier jemand mit Geschmack am Werk gewesen. In der Luft lag das Aroma von Lavendel, der getrocknet in einer Schüssel auf der Kommode dastand. Ein kleiner Ofen gab eine angenehme Wärme ab, daneben ein Weidenkorb mit Brennholz. Auch hier lagen dicke, flaumige Teppiche und in manchen Momenten schien es so, als würde das gesamte Bauwerk atmen … sich unerschrocken den wütenden Naturgewalten entgegenstellen.
Das Schlagen der Regentropfen ans Fenster ließ Maron wieder frösteln. Der sausende Wind, der energisch um das Haus pfiff, war ihm unheimlich. Flüchtend legte er sich unter die Decke und zog sie hoch bis zum Kinn. Doch er konnte nicht einschlafen, wand sich von einer auf die andere Seite. Räumte dann eines von den vielen Kissen weg, aber es nützte nichts. Das Klappern der noch geöffneten Fensterläden ließ ihn immer wieder hochschrecken.
Schließlich bekam er Durst. Widerwillig erhob er sich, sah auf das noch immer stürmende Wetter da draußen und schloss die Läden, wollte nichts mehr davon mitbekommen. Sich den Morgenmantel umlegend, öffnete er leise die Tür und trat vorsichtig heraus. Von unten drangen gedämpfte Stimmen zu ihm - also waren die beiden Damen noch auf und Maron schritt die Stufen hinab. Auf dem Ottomanen lagen Landana und Celia eng aneinander gekuschelt, und während Landana ihren Kopf an die Schulter der anderen lehnte, strich diese ihr zärtlich übers Haar. Sie unterhielten sich leise miteinander, bis Celia Maron bemerkte und ihn freundlich heran winkte.
„Entschuldigung, ich wollte nicht stören – aber dürfte ich vielleicht noch ein Glas Wasser haben?“
„Können Sie nicht einschlafen, Herr Maron?“ fragte nun Landana.
„Nein, nicht wirklich“, antwortete er.
„Dort in der Anrichte finden Sie ein Glas und auch etwas zum Trinken, bedienen Sie sich ruhig. - Wenn Sie mögen, können Sie sich gerne noch zu uns setzen.“
„Ja, danke – es ist wirklich ungewohnt für mich. Ich habe nur ein kleines Appartement und das in einem Hochhaus. Ein solches Unwetter habe ich, glaube ich, noch nie erlebt!“
„Sie sind hier an der Küste, da kommt so etwas häufiger vor.“
„Außerdem ist das hier ein ehemaliger Leuchtturm“, fuhr nun Celia fort und lächelte vielsagend. Maron nahm einen Stuhl und setzte sich zu ihnen. Das flackernde Licht des Feuers und die leise Musik im Hintergrund hatten etwas Beruhigendes an sich. Wohlig geschützt saßen sie da, im Gegensatz zum draußen heftig tobenden Sturm.
„Sie kommen also aus der Stadt?“ fragte Landana schließlich, sich behutsam aufrichtend.
„Ja, ich bin dort aufgewachsen und wollte nun ein paar Tage auf dem Land verbringen.“
„Und da zieht es Sie nach Saltenborough?“
„Ja, dort gibt es ein schönes altes Museum und es ist eben ländlicher hier.“
„Was machen Sie denn beruflich?“ fragte nun Celia und fuhr dann entschuldigend fort, „Sie müssen sich ja wie in einem Verhör vorkommen!“
„Nein, ist schon recht so“, entgegnete er, „schließlich bin ich ein Fremder für Sie und dennoch Gast in ihrem wundervollen Haus. Ich bin Vertreter für Staubsauger, nichts Besonderes halt.“
Verlegen nahm er einen Schluck aus seinem Glas. Was auch immer da seine Fühler nach ihm ausstreckte, es schien so, als wäre es in der Lage, ihn vor sich selbst zu entfremden. Stutzend starrte er in die Flammen. Noch nie zuvor war ihm sein Beruf so unangenehm erschienen – so, als gehöre er nicht wirklich zu ihm und entstamme einer fernen Welt. Unmerklich schüttelte er den Kopf und strich sich eine störrisch in die Stirn gefallene Haarsträhne zur Seite. Ohne zu wissen, was ihn an diesen beiden Damen so nervös machte, schaute er wieder zu ihnen hin. Sie wirkten wie eine Einheit, umgeben von etwas Unbegreiflichem irgendwie.
Das Knistern des Kaminfeuers überdeckte nur zum Teil die Gewalt des noch herrschenden Unwetters und fröstelnd erinnerte ihn die übel gelaunte Kraft der Natur daran, wie müde er war. Noch einmal bedankte er sich und verschwand dann eilig ins obere Geschoss. Innerlich leicht zerstreut, kroch er unter die Decke und schlief alsbald tief und fest ein.