Читать книгу Ein besonderes Haus an der Steilküste - Jasmina Marks - Страница 5

Ein sonderbares kleines Dorf

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Der folgende Morgen war längst angebrochen, als Maron endlich erwachte. Sonnenlicht drang durch die Ritzen der noch geschlossenen Läden und es war ruhig. Er reckte sich, stand schnell auf und öffnete das Fenster. Die See lag friedlich da und der Himmel war von nur wenigen kleinen Wolken durchzogen. Das morgendliche Licht gab den Blick auf die Steilküste in den schönsten Farben wieder. Ein herrlicher Tag - nichts mehr erinnerte an das heftige Treiben vom Abend zuvor.

Gut gelaunt wusch er sich, schlüpfte in die Jeans und warf sich ein gestreiftes Shirt-Hemd über. So locker, wie sein Kleidungsstil dem Urlaub angepasst war, so beschwingt fühlte er sich an diesem Tag. Kein steifes Hemd, keine einengende Krawatte, keine glattgebügelte Anzughose und kein unbiegsames Jackett, wie es der Job verlangte. Den er, wenn er ehrlich war, nicht mochte. Der ihn zwang, jemand zu sein, der er nicht sein wollte. Sonderbar – dass er noch immer dieses Gefühl vom gestrigen Abend in sich spürte, als es ihm merklich unangenehm gewesen war, davon berichten zu müssen, als Staubsaugervertreter durch sein Dasein zu schlurfen.

Es ging ihm anders als sonst. Was er, wenn auch nur flüchtig, zur Kenntnis nahm. Schnell noch in die Freizeitschuhe geschlüpft und frohen Mutes verließ er dann die kleine Kammer. Von unten war der angenehme Duft frischen Kaffees hochgezogen, weshalb er freudigen Schrittes die breiten Stufen hinunterging. Landana saß bereits am Tisch und winkte ihn lächelnd heran. So begrüßt zu werden, war etwas vollkommen Neues, so wohltuend. Nach einem ausgiebigen und erstaunlich gemütlichen Frühstück wand sich Maron schließlich an die alte Dame mit der Bitte, den Mechaniker anzurufen.

„Das ist schon längst geschehen, Herr Maron“, sprach sie und deutete aus dem Fenster, wo er einen Abschleppwagen die Küstenstraße herankommen sah. Seine kleine Reisetasche war zügig gepackt und freundlich, wenn auch ein bisschen wehmütig, verabschiedete er sich dann. Insgeheim war er sehr dankbar über die Stunden, die er hier hatte verbringen dürfen. Etwas an ihr hatte ihn auf unbestimmte Weise berührt, und weil er wusste, dass er es nicht benennen konnte, gab er sich so zufrieden. Erfüllt von einer inneren Verbundenheit, die er nie kennengelernt hatte und deren Ursprung ihm inzwischen auch egal war, trat er aus der Tür. Zum Abschied reichten sie einander die Hände und beschwingt eilte er über den noch feucht glänzenden Kies hinweg zur Straße. Kurz noch eilte der Gedanke, dass er Celia gar nicht mehr gesehen hatte, an ihm vorbei und war im selben Moment schon wieder entschwunden.

Unterdessen war der Mechaniker, seine Mütze in der Hand haltend, um den alten Ford herum gelaufen, sich permanent am Kopf kratzend.

„Da haben Sie aber mächtig Glück gehabt“, sagte er, als er Maron näher kommen sah, „nicht viel und Sie wären die Klippen hinabgestürzt!“

„Ja, das ist wohl richtig, aber Gott sei Dank haben die netten alten Damen mich hereingelassen.“

„Die netten, alten Damen?“ verwundert guckte der Mann mit einem geringschätzigen Seitenblick zum Haus hinüber und begann dann die Seilwinde runter zu lassen.

Maron war seinem Blick gefolgt und bemerkte nun, dass es sich bei dem Haus um die Reste eines ehemaligen Leuchtturmes handeln musste, weil es rundlich dastand. Wie ein Überbleibsel von etwas, das einmal Bedeutung gehabt und nun, im Laufe der Zeit, einen anderen Zweck zu erfüllen hatte. Vielleicht einen, den man nicht sofort und geradewegs verstehen konnte – sondern etwas, das tiefer lag als alles offensichtlich Erkennbare – etwas, das im Innern wirkte, wirken sollte!

Es war eine eindrucksvolle Ansicht – ohne jeden Zweifel: Dieses weiß verputzte Haus, mit einem Obergeschoss – auf dem sich dunkel glänzende Ziegel kreisförmig nach unten arbeiteten … beinahe so, als erwarte man direkt darunter liegend noch immer das sich drehende Leuchtfeuer zu finden … am Rande einer scharfen Klippe postiert … den Gezeiten hätte hilflos ausgeliefert sein müssen und dennoch so beharrlich und unbeugsam dastand – als müsse es genauso sein, so und nicht anders! Die Weite des Ozeans im Hintergrund vollkommen außer Acht lassend wirkte dieses Einod, als gehöre es an diese Stelle. Vermittelte, dass ihm eine Bedeutung zukam, auch ohne noch einer tagtäglichen Aufgabe nachkommen zu müssen – es war einfach nicht in Worte zu fassen! Lächelnd glitten seine Gedanken zum gestrigen Abend zurück. Noch immer hielt ihn eine Art wärmender Schauer gefangen, wenn er sich an den Anblick erinnerte, wie die beiden Frauen auf dem Ottomanen gelegen hatten. Auch wenn ihn selbst etwas so Wundervolles nicht mit einem anderen Menschen verband, so kam es ihm dennoch so vor, als hätte er teilhaben dürfen an dem, was diese alten Damen füreinander empfinden mussten.

Als sie nur wenige Augenblicke später an dem Haus vorbeifuhren, war Landana vor die Tür getreten und Maron hob grüßend seine Hand. Sie winkte lächelnd zurück und ihr fast den Boden berührender dunkler Rock wiegte sich im leichten Wind. Der Mechaniker brummte vor sich hin. Polternd fuhr er die enge Straße in Richtung des kleinen Dorfes entlang. Im Innern des Abschleppers beherrschte der Geruch von Öl und Schweiß alles andere, fast schon beleidigend für die Nase, welche bis eben noch den Duft eines reichhaltigen Frühstücks hatte einatmen dürfen. Ein unmerklicher Ruck ging durch Marons schlaksig wirkende Gestalt neben der kleinen, gedrungenen Figur des übel gelaunten Werkstattarbeiters, als hätte man ihn unverhofft auf den Boden der Tatsachen zurückbefördert – ungefragt.

„Das muss ja ein riesiges Pech für Sie gewesen sein, dass Sie ausgerechnet hier liegen geblieben sind“, sagte er dann. Verwundert sah Maron ihn an und fragte, wie er das meinen würde.

„Na, bei der alten Irren zu landen ist nun wirklich kein Vergnügen!“ Entsetzt starrte Maron auf den Fahrer und konnte nicht fassen, wie dieser über Landana sprach. Das hörbare Quietschen der abgenutzten Sitze konnte die plötzlich spürbare Missstimmung nicht vertuschen.

„Wieso bescheuert? Ich verstehe Sie nicht ganz! Zu mir war sie sehr nett und freundlich“, antwortete er mit einem rügenden Tonfall. Der Mechaniker tippte sich mit dem Finger an die Stirn und fügte noch hinzu, dass „die bescheuerte Alte“, wie er sie nannte, nicht ganz dicht sei. Das wüsste schließlich jeder hier in der Gegend. Nur die Tochter vom Wirt würde nach der da draußen sehen.

Maron hielt es für besser, nicht weiter darauf einzugehen. Sein Blick wanderte von dem erheblich verschmutzten Mechanikeranzug über die Schaumstoffkissen, die an etlichen Stellen durch das gerissene Leder der Sitze durchstachen. Innerlich erfüllt mit Abscheu, rümpfte er seine nach wie vor eingeschnappte Nase und dachte bei sich, dass dieser Mann wohl kaum etwas Sinnvolles über die beiden alten Damen zu sagen haben konnte, wenn er noch nicht einmal mit ihnen sprach …

Endlich erreichten sie das kleine tausend Seelen Örtchen und erleichtert stieg Maron aus dem Führerhäuschen des Lasters. Nach etwas mehr als einer endlos scheinenden Stunde stand fest, dass die Reparatur seines Autos mindestens 2 Tage in Anspruch nehmen würde. Entnervt mietete er sich in dem einzigen Wirtshaus vor Ort ein Zimmer. Spartanisch war es eingerichtet und im Gegensatz zum ehemaligen Leuchtturm wirklich ungemütlich. Ein altes Metallbett, zwei Stühle und ein kleiner Tisch, ausgeblichene Gardinen vor einem von Holzwürmern angenagten Fensterrahmen, verblasste Blumentapeten, die längst mal hätten ersetzt werden dürfen. Alles wirkte, als käme selten jemand vorbei, um sich niederzulassen. Wenig erfreut darüber, hier nun ausharren zu müssen, saß er dann niedergeschlagen auf dem Bett, sich der Situation ergebend.

Flüchtig schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, ob er nicht lieber zu Landana zurückkehren sollte, um sie zu bitten, die beiden Nächte in ihrem Haus verbringen zu dürfen. Aber dann kam es ihm ein wenig zu aufdringlich vor. Schließlich kannte er sie erst seit gestern und eine solche Bitte gehörte sich einfach nicht. Enttäuscht darüber, dass es sich nicht geziemte und ein wenig bedrückt, fühlte er sich den Schwingungen dieses seltsam anmutenden Ortes ausgeliefert. Er konnte es nicht wirklich beschreiben, aber es schien das vollkommene Gegenteil zu den Vertrautheiten im Haus an der Küste zu sein.

Während er auf das Urteil der Werkstatt gewartet hatte, war er bekümmert durch die Gassen geschlendert. Kopfsteinpflaster, hier und da von wild wachsendem Unkraut gekreuzt, das stellenweise längst mal hätte repariert werden müssen und in seiner Unebenheit etwas Ablehnendes ausstrahlte … gesäumt von schon lange dastehenden Häusern, die zwar nicht tatsächlich verfallen zu sein schienen, aber deutlich reserviert wirkten … dunkles Mauerwerk, getragen von seit Langem verwitternden Ziegelsteinen … umgeben von kleinen, überwuchernden Gärten, die wenig offenbarten und sich abschirmten, egal wo der Blick auch hinfiel … von einem kleinen runden zentralen Punkt in der Mitte gingen verwinkelte Straßen ab, die wenig besser beschaffen waren, als jene, die Maron bereits flüchtig gestreift hatte … das Wirtshaus, ein Schlachter und ein Bäcker mit einem kleinen Lebensmittelgeschäft verbunden, bildeten den Ortskern, an dem sich alles sammelte – scheinbar … verloren stand eine alte Telefonzelle am Wegesrand, vom einstigen Rot kaum noch etwas zu erahnen … das Glas zerbrochen, den Hörer achtlos herabbaumelnd … stand sie entbehrlich da und schien ein Relikt aus vergangenen Tagen zu sein – als hätte man sie vergessen … ihrer einstigen Wichtigkeit enthoben, weil sie eine Verbindung zum Rest der Welt herstellen konnte, den man aber nicht wollte … sie deshalb in gleichgültige Ignoranz tauchte … das Rathaus oder was auch immer es sein sollte, gab es nicht als solches – sondern ein imposant wirken wollendes Gebäude, das sich darin unterschied, dass es größer war als alle anderen … auffallend durch eine schwere Holztür, die in ihrer massiven Erscheinung nicht unbedingt zum Öffnen einlud … der Knauf verwittert und der Klingelzug rostig anmutend … anhand eines immerhin deutlich polierten Messingschildes erfuhr man, dass sich hier der Gemeindevorsteher finden ließ … die Blicke der wenigen Passanten hingegen waren offensichtlich durchleuchtend … ermittelnd … achtgebend … ein Fremder – was wollte der hier? Die Atmosphäre war innerlich zerfressend – ja, so könnte man es beschreiben. Nicht wirklich ungepflegt, aber eigenwillig, bewacht – fern ab von dem, was Maron als vertrauenerweckend wahrnehmen würde!

Um die Mittagszeit schlich er sich förmlich in die Gaststube hinunter und setzte sich an einen der kleinen Tische mit Fensternischen. Am Tresen fanden sich mehrere Männer, die ihr Bier vor sich stehen hatten und miteinander über das anstehende Dorffest sprachen, bis dann der Mechaniker eintrat. Die ohnehin schon beinahe übermächtige Beklemmung in Maron nahm schlagartig zu. Alle wirkten ein wenig absonderlich. Die Kleidung von der Arbeit verdreckt, was aber niemanden zu stören schien. Der Geruch von abgestandener Luft, geschwängert mit kaltem Rauch als auch zu dieser eigentlich frühen Stunde schon nach Alkohol riechenden Umgebung, machten das Aushalten unter den heimischen Männern sehr schwer.

Verstohlen saß er in seiner Ecke und stocherte lustlos in dem Teller derben Eintopfes herum. Er schmeckte nicht und angewidert schob er den Teller endgültig beiseite, als er die Gesprächsfetzen aufschnappte. Man witzelte über die Alte an der Küste. Einer der Herren rief zu ihm herüber, dass es schon erstaunlich sei, dass er die Nacht dort draußen überhaupt überlebt hatte. Maron wusste nichts zu entgegnen und verließ das Gasthaus eiligen Schrittes.

Draußen an der frischen Luft verharrte er einen Moment und atmete tief ein. Langsam ging er los und dachte darüber nach, was diese Menschen hier wohl an der alten Dame auszusetzen haben mochten? Alles, was er bisher mitbekommen hatte, war dummes Geschwätz von Leuten, die wohl außer ihren Kuhställen und Äckern nichts mit sich und ihrer Zeit anzufangen wussten, als über das zu lästern, was offensichtlich außerhalb ihres Horizontes zu liegen schien! Zweifelsohne prallten hier zwei Welten aufeinander – allein, was die Atmosphäre als auch das Wesen, die Ausstrahlung betraf …

Es machte ihn zunehmend wütend, ohne dass er eigentlich erklären konnte, warum und wo dieses Gefühl mit einer solchen Intensität hergekommen war. Womöglich lag es ganz einfach daran, dass er im alten Leuchtturm so etwas wie Geborgenheit verspürt hatte? Wohlig und warm hatte es sein Innerstes berührt und schon jetzt musste er feststellen, dass es ihn zweifelsohne wieder zu Landana und Celia zu ziehen begann. Er bekam Sehnsucht nach der Nähe der beiden Damen und das alles verwirrte ihn.

Der Gang an der frischen Luft machte es wenigstens ein bisschen besser. Er hatte das Dorf längst hinter sich gelassen und wand sich nun den Wiesen und Weiden zu, die sich bis zur Küste hin, die noch in einiger Entfernung vor ihm lag, erstreckten. Was hatte er bisher für ein Leben geführt?

Er war ein Mann, Mitte dreißig und noch immer alleinstehend. Als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte er seine Mutter verloren. Da er seinen Vater nicht kannte, hatte er seine Jugend in einem Heim verbracht. Das wenige, was er dort an Nähe bekommen konnte, war nicht ausreichend und ließ ihn zum Einzelgänger werden, der lieber seine Nase in Büchern vergrub, als sich mit anderen Menschen zu beschäftigen. Er traute niemandem – jedenfalls nicht wirklich. Weil er sein Studium nicht finanzieren konnte, war er schließlich eines Tages resignierend als Staubsaugervertreter bei einer Firma im Außendienst gelandet, ganz einfach weil er gut reden konnte, zumindest war es meistens so. Auch wenn er sich selbst stets vorkam, als trage er unentwegt eine Maske vor seinem Gesicht. In seiner freien Zeit war er eben aus dem Grund lieber allein, träumte vor sich hin und beschäftigte sich viel mit dem Altertum. Die Menschen mit ihrem Konsumdrang und den ständigen Einflüssen jeglicher Art von Ablenkung nervten ihn. Er hatte keine Freunde und doch wusste er tief in sich eine Sehnsucht atmen, die nach Wärme dürstete. Womöglich lag es an der Oberflächlichkeit seines beruflichen Alltages, weshalb es ihn während seines Urlaubs auch immer hinaus aufs Land gezogen hatte - in der Hoffnung, so seine Ruhe finden zu können vor dem, was ihn regelmäßig die Flucht ergreifen ließ!

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