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1. Einführung

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Das Overlook Hotel lag in einer der landschaftlich reizvollsten Landschaften der Vereinigten Staaten, den White Mountains, einem Gebirgszug im zu Neuengland gehörenden Staat New Hampshire an der Ostküste zwischen Maine und Massachusetts. Als Charakteristikum der White Mountains konnte man die abgerundeten Gipfel und tiefe U-förmige Täler, die sogenannten Notches, bezeichnen. Standort des Overlook Hotels war die Stadt Franconia im Franconia Notch. Seit seiner Neu-Eröffnung vor wenigen Wochen ging es in Konkurrenz mit vier historischen Grand Hotels in New Hampshire. Jene standen für Tradition und versetzten ihre Gäste mit ihrer Würde und Eleganz zurück in ein anderen Zeitalters. Das älteste von ihnen bestand schon seit annähernd einhundertfünfzig Jahren. Das Gebäude des Overlook war auch schon beinahe hundert Jahre alt, war nur im Laufe der Jahrzehnte verschiedentlich umgebaut und wechselnden Bestimmungen zugeführt worden.

Phyllis Harding hatte ihrem Mann Tony voll und ganz vertraut, was die Auswahl ihres Urlaubsortes und die Unterkunft betraf. Tony meinte, seiner Frau etwas Besonderes bieten zu müssen, deshalb war seine Wahl auf eines der neuen Themen-Hotels gefallen. Das Overlook machte seinem Namen alle Ehre, denn es bot einen fantastischen Ausblick auf den Cannon Mountain, zu dessen Gipfel sogar von Franconia aus ganzjährig eine Seilbahn fuhr, die schon 1938 in Betrieb genommen und lediglich 1980 modernisiert worden war. Nicht umsonst war der White Mountain Nationalpark für seine gut frequentierten Wintersportorte und für seine ausgedehnten Skilanglauf- und Wanderwege bekannt.

Tony Harding hatte aber auch einen Hintergedanken bei der Wahl ihres Urlaubzieles gehabt. Durch die Nachbarschaft zu Massachusetts kam ihm New Hampshire sehr gelegen, denn er hatte noch „kurz“ geschäftlich in Boston und Springfield zu tun. Nur erstreckte sich die kurze Zeitspanne inzwischen schon über mehrere Tage, und Phyllis’ Unmut wuchs von Stunde zu Stunde. Entsprechend gereizt war ihre Stimme, als sie mit Tony telefonierte.

»Ich finde es unmöglich, dass du mich hier so lange alleine lässt«, sagte sie aufgebracht, »was hast du dir nur dabei gedacht, ausgerechnet dieses Hotel auszuwählen? Ich fühle mich hier äußerst unwohl, und das Personal behandelt mich auch nicht gerade zuvorkommend.«

»Aber Liebling, meinst du, es macht mir Spaß, hier so lange aufgehalten zu werden? Viel lieber wäre ich bei dir und würde auf einer unserer gemeinsamen Wanderungen die Seele baumeln lassen. Aber als Geschäftsmann muss ich nun mal mit den Wölfen heulen. Wenn der Kunde erst an einem der nächsten Tage einen Termin frei hat, kann ich nichts machen.«

Phyllis betrachtete angewidert die nackten Ziegelsteinwände in ihrem Zimmer, die zwar von bodentiefen Fenstern unterbrochen wurden, aber deshalb kaum wohnlicher wirkten. Sie mochte gar nicht daran denken, was sich früher einmal hier abgespielt hatte.

»Es ist die ganze Atmosphäre in diesem Hotel. Ich habe dieses rustikale Ambiente noch nie gemocht. Und bisher konnte ich noch keine Nacht durchschlafen, weil immer wieder fremde Personen plötzlich im Zimmer stehen. Für meine Beschwerde hat man an der Rezeption kein Gehör, um nicht zu sagen, dass man mich für leicht überspannt hält. Angeblich gibt es nur eine Chipkarte für dieses Zimmer, außer der Generalkarte, die für jedes Zimmer passt und vom Personal benutzt wird. Aber weder das Kind, das entweder entsetzlich hustet oder mit rasselndem Atem vor meinem Bett steht, noch der alte Mann, der in zerfetzter Kleidung durch das Zimmer läuft, dürften zum Personal gehören. Dann schon eher die junge Frau, die eine Art Krankenschwesteruniform trägt, aber sie wirkt irgendwie verkleidet, denn ihre Sachen entsprechen in keinster Weise dem heutigen Kleidungsstil.«

»Merkwürdige Geschichte, meinst du nicht, dass du nur sehr lebhaft träumst? Vielleicht macht sich bei dir die Luftveränderung bemerkbar.«

»Mit anderen Worten, du glaubst mir auch nicht. Dann komm bitte selbst und überzeuge dich von dem regen Kommen und Gehen, das hier des Nachts herrscht. Angeblich kann man mir kein anderes Zimmer geben, weil alles ausgebucht ist. Lange machen das meine Nerven nicht mehr mit. Ich wollte mich erholen und nicht aufregen.«

»Ist gut, Schatz, spätestens übermorgen bin ich wieder da, und dann werde ich denen mal Dampf machen. Notfalls muss ich einen Schein rüberschieben, das hilft immer. Also, gute Nacht. Nimm doch eine Tablette, damit du durchschlafen kannst.«

»Ja, ich werde es ausprobieren. Beeil dich, bitte!«

»So schnell es geht, bye.«

Phyllis legte auf. Auf den Trick mit dem Geldschein hätte sie eigentlich auch kommen können, dachte sie. Wild entschlossen, es noch einmal zu versuchen, ging sie aus dem Zimmer, denn sie hatte absolut keine Lust, noch so eine Nacht verbringen zu müssen.


»Gnädige Frau, es tut mir leid. Das ist keine Frage des Geldes. Wir sind voll bis unters Dach«, sagte der Mann an der Rezeption mit öligem Lächeln, »alles, was ich tun kann, ist, Sie vorzumerken, wenn in den nächsten Tagen ein Gast vorzeitig abreist oder ein anderer nicht eintrifft.«

»Sie können mir doch nicht erzählen, dass in einem Haus wie diesem nicht täglich Dutzende von Gästen abreisen …«

»Das ist richtig, aber die Zimmer sind dann bereits reserviert. Und ebenso wie ihr Gatte anhand von Fotos ihr Zimmer gewählt hat, haben es die anderen Gäste auch getan. Da kann ich ihnen nicht einfach ein anderes geben. Aber es kommt schon hin und wieder vor, dass Gäste nicht ankommen. In diesem Fall werde ich Sie sofort verständigen.«

»Danke.« Phyllis schob den Geldschein über den Tresen. »Damit Sie es nicht vergessen!«

Am Abend ging sie zum Dinner ins Restaurant, das von der Gestaltung her zum Glück vom Thema des Hotels abwich. Dasselbe galt für die großzügige Halle, in der mehrere bequeme Sitzgruppen aufgestellt waren. Nur durfte man nicht nach oben sehen, denn die umlaufenden Galerien riefen Bilder hervor, die Phyllis auf keinen Fall in ihrem Kopf zulassen wollte, da konnten die Gestaltung und das verbaute Material noch so modern sein. Nach Stunden überkam sie Müdigkeit, und mit Hilfe der Tablette schöpfte sie Hoffnung, diese Nacht einmal nicht gestört zu werden.

Aber weit gefehlt, als sie mitten in der Nacht erwachte, spürte sie, nicht allein im Zimmer zu sein. Schlaftrunken setzte sie ihre Brille auf und sah in einem der Sessel das kleine Mädchen sitzen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, denn es schien kaum noch Luft zu bekommen. Der Raum war von seinem rasselnden, pfeifenden Atmen erfüllt. Seitlich vom Sessel stand die Krankenschwester, die beschützend ihre Hand auf die Schulter des Mädchens gelegt hatte. Beide schauten Phyllis unbeweglich, fast anklagend an.

»Was wollt ihr von mir?«, fragte die verängstigte Frau, »und wie seid ihr hier hereingekommen?«

Statt einer Antwort legte die seltsame Frau in der unmodernen Schwesterntracht den Zeigefinger ihrer linken Hand an den Mund und schaute ängstlich zu einer Wandnische.

Phyllis folgte ihrem Blick und erkannte im selben Moment, dass es noch einen zweiten Eingang zu dem Zimmer geben musste, denn gerade eben betrat der Mann mit der zerlumpten Kleidung den Raum. Merkwürdig war nur, dass sich keine Tür geöffnet hatte. Es war mehr so gewesen, als sei er direkt durch die Wand eingetreten.

Voller Entsetzen sah Phyllis, dass zwischen den Fingern seiner Hand, die er krallenartig um den Hals gelegt hielt, Blut herausfloss. Als er die Hand sinken ließ, sah man einen tiefen Schnitt, der seine Gurgel durchtrennt hatte und fast von einem Ohr bis zum anderen reichte. Mit schwerfälligen, schleppenden Schritten kam der Mann auf Phyllis Bett zu. Die sprang mit großer Kraftanstrengung auf und versuchte, zum Ausgang zu gelangen. Nur half alles Rütteln an dem Knauf nichts, denn die Tür blieb fest verschlossen. In ihrer Panik lief Phyllis in die Nische. Das diffuse Leuchten deutete tatsächlich auf so etwas wie einen Geheimgang hin. Aus den Augenwinkeln nahm Phyllis wahr, wie das Kind und die Frau sie durch Gesten davon abhalten wollten, den seltsamen Ausgang zu benutzen. Aber Phyllis wollte nur noch weg. Ihr war es in diesem Moment egal, wohin der Gang führte, selbst, wenn es direkt in die Hölle sein würde.

Am nächsten Morgen fand das Zimmermädchen einen verlassenen Raum vor. Von dem weiblichen Gast gab es keine Spur. Nur ihre Kleidung hing ordentlich über dem Stuhl.

Die Pforte zur Ewigkeit

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