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Kapitel 2 Die Ruhe vor dem Sturm
ОглавлениеNach gut zwei Tagen erreichten sie ohne besondere Vorkommnisse die Bermudas, eine Inselgruppe aus etwa dreihundertsechzig Koralleninseln beziehungsweise einhundertachtzig kleinen Inseln, wobei nur etwa zwanzig als bewohnt galten. Terry steuerte nicht den Hafen der Hauptstadt Hamilton an, sondern den der ehemaligen Hauptstadt St. George’s auf Saint George’s Island im Nordosten.
St. George’s, 1612 als erste Siedlung auf den Bermudas gegründet und heute die älteste durchgehend bewohnte englische Siedlung in Amerika, zeichnete sich durch ein interessantes Spektrum für Touristen aus. Neben historischen Gebäuden des 17. bis 19. Jahrhunderts gab es vier sehr schöne Strände und die Möglichkeit für sportliche Aktivitäten wie Schwimmen, Schnorcheln und Tauchen.
Zu den Besonderheiten der Inselgruppe der Bermudas gehörten, dass große Kreuzfahrt- oder Containerschiffe nur an einer Stelle im östlichen Bermuda die Riffe passieren konnten, dass es keine Flüsse und Seen auf den Inseln gab, dass Regenwasser in Zisternen gesammelt wurde und keine Pkws erlaubt waren. Man konnte nur mit Bussen, Fahrrädern, Motorrollern oder zu Fuß die Inseln erkunden, die allerdings allesamt durch Brücken verbunden waren.
Zu der charakteristischen subtropischen Vegetation zählten Gummibäume, Salbei-Arten und der sogenannte Bermuda-Wacholder. Stellenweise sah man auch Mangrovenbäume an manchen Küstenabschnitten. Die Bermudas galten als das nördlichste Vorkommen von Mangroven im Atlantik. Die fast ausgestorbene Vogelart, der Bermuda-Sturmvogel hatte hier ihre Brutstätten.
Fallon Walker hatte sich in den Kopf gesetzt, einen der Strände mit rosa Sand zu besuchen. Am liebsten die Horseshoe Bay Beach, eine gekrümmte Strecke im Süden der Inselgruppe, die nach wie vor als einer der Top-Strände der Welt in internationalen Zeitschriften rangierte. Durch seine Bekanntheit und Beliebtheit war er allerdings auch meist hoffnungslos überfüllt. Positiv war, dass es dort ein Café, Toiletten und Duschen gab, negativ, dass man etwa fünfunddreißig Minuten mit dem Bus brauchte, um dort hinzukommen.
Die Rosafärbung einiger Strände auf den Bermudas hatte ihre Ursache in Mikroorganismen der Korallenriffe, die sich zusammen mit Korallen- und Muschelpartikeln im Sand vermischten.
Terry Sullivan konnte seine Freundin mit Müh und Not von ihrem Vorhaben abbringen und schlug stattdessen die Achilles Bay Beach vor. Der kleine, schöne Strand befand sich ganz in der Nähe neben der St. Catherine Festung. Seinen Namen verdankte er seiner Form, die an eine Ferse erinnerte, wobei man an die Gestalt des Kriegers Achilles aus der griechischen Mythologie gedacht hatte.
Der Strand war weniger bekannt und dementsprechend nicht so überlaufen, obwohl man ihn über eine Treppe hinter dem Blackbeards Hideout Restaurant besuchen konnte. Der Gedanke, den Strandbesuch mit einem Mittagessen zu kombinieren, überzeugte Fallon schließlich, was sie nicht vom Schmollen abhielt.
Überhaupt hatte Katie Palmer auf der Überfahrt bemerkt, dass es mit der Harmonie unter den drei Pärchen nicht so weit her war. Meinungsverschiedenheiten gaben immer wieder Anlass zu kleinen Zänkereien.
Chris Ellis reagierte gegenüber Savannah Bird teils übertrieben heftig und wirkte schnell genervt. Megan Culliver hingegen hatte keine Hemmungen, Caleb Morgan vor den anderen über den Mund zu fahren. Ein Wunder, dass der ältere Mann das so hinnahm, dachte Katie. Nur Brady Holland stellte sich als recht verträglich heraus, neigte aber gelegentlich zu etwas derben oder anzüglichen Bemerkungen.
Chris wollte Savannah zu einem Shipwreck Dive überreden. Denn man konnte mehr als dreihundert zum Teil gut erhaltene Schiffswracks in den Gewässern um Bermuda finden. Das älteste unter ihnen war die Mary Celestia, ein Raddampfer, der schon 1864 versank. Weiterhin die North Carolina, ein Segelschiff, das bereits 1880 sank, die Taunton, ein norwegischer Dampfer, der 1920 gestrandet war, der 1940 auf ein Riff gelaufene griechische Frachtdampfer Pelinaion, der 1936 versunkene transatlantische Luxus-Liner Cristobal Colon und der amerikanische Schoner Constellation, der 1943 Schiffbruch erlitten hatte, um nur einige zu nennen.
»Das finde ich gar keine gute Idee«, sagte Savannah. »Für solche Unternehmungen habe ich wohl nicht genügend Taucherfahrung.«
»Die Schiffswracks im Norden und Osten liegen in relativ flachem Wasser und können auch von unerfahrenen Tauchern in Tauchtiefen zwischen fünfundzwanzig und dreißig Metern erkundet werden«, meinte Chris. »Weil ich deine Bedenken schon ahnte, habe ich die Tour bei einer Tauchschule gebucht. Somit findet die Erkundung unter fachkundiger Anleitung statt. Wir werden erfahrene Tauchlehrer an der Seite haben.«
»Du warst dir deiner Sache ziemlich sicher, was?«, ließ Savannah verlauten.
»Ja, du kannst natürlich auch an Bord bleiben und Däumchen drehen …«
»Das könnte dir so passen. Nein, nein, ich komme schon mit.«
Katie hatte weder Lust auf Strand noch auf Tauchexkursionen. Lieber wollte sie auf einem Rundgang die Stadt erkunden. Da Brady signalisierte, auf der Yacht zu bleiben, um diese nicht unbeaufsichtigt zu lassen, erklärten sich erstaunlicher Weise Megan und Caleb bereit, Katie zu begleiten.
Sie besichtigten zunächst das Old State House von 1620, das erste Steinhaus und somit älteste Haus auf der Insel, die Unfinished Church, The Old Rectory, und später die St. Peter’s Church, eine der ältesten anglikanischen Kirchen Amerikas. Anschließend spazierten sie durch die engen, historisch wieder hergerichteten Straßen mit Bars, Restaurants und kleinen Läden, in denen unter anderem Glasbläserkunst angeboten wurde.
Auf dem Rathausplatz Kings Square gab es viermal die Woche ein Spektakel der besonderen Art. Dort wurden seit mehr als dreihundert Jahren Frauen „bestraft“, die sich der öffentlichen Trunkenheit, der üblen Nachrede, des Ungehorsams oder der Nörgelei schuldig gemacht hatten. Sie wurden kurzerhand ins Hafenbecken getaucht, das freilich angenehm warm und kristallklar war. Heutzutage war auch das Tratschweib oder die „Hexe des Tages“ meist ein Mitglied eines ortansässigen Vereins.
Bei dem historischen Zeremoniell schwang der städtische Ausrufer eine große Handglocke, um ein Exempel zu statuieren. Er zog die ausgewählte, barfüßige Frau an einem Strick im weißen Büßerkleid hinter sich her. Diese trug eine Tafel, auf der „Nörglerin“ stand, und lamentierte und beschimpfte den Ausrufer heftig. Der befragte die versammelten Touristen, ob von der Bestrafung abzulassen sei. Die meisten machten gewöhnlich das Spiel mit und zeigten die Daumen-nach-unten-Geste.
Daraufhin setzten zwei Männer die Delinquentin auf den so genannten Tauchstuhl in Form einer Wippe über dem Hafenbecken und tauchten sie mehrmals sekundenlang ins Wasser. Wenn sie ihre Schandtaten bereute und Besserung gelobte, wurde sie freigelassen.
Katie, Megan und Caleb hatten das Spektakel mehr oder minder amüsiert verfolgt. Als der Ausrufer kundtat, dass sich auch Damen unter den Zuschauern tauchen lassen könnten, schlug Caleb Megan vor, sich freiwillig zu melden. »Das habe ich wohl kaum nötig«, sagte Megan beleidigt. »Meine Güte, hast du deinen Humor an Bord gelassen?«, fragte Katie lächelnd.
Doch Megan fand Gefallen daran, die beleidigte Leberwurst zu spielen. »Wie schön, dass ihr euch so einig seid«, sagte sie spitz. »Dann wird es euch sicher nichts ausmachen, wenn ich mich jetzt entferne.«
»Megan, hör doch mal …«, rief ihr Katie hinterher.
»Lass sie doch!«, hielt Caleb Katie auf. »Sie sucht nur einen Vorwand, allein shoppen gehen zu können. Sie kennt meine Ungeduld bei derartigen Unternehmungen. Ich schlage vor, wir kehren irgendwo ein und essen eine Kleinigkeit.«
»Eine gute Idee. Es darf auch ruhig etwas Größeres sein.«
Die beiden kehrten dann im Tavern by the Sea in der Water Street ein, wo man draußen sitzen und die malerische Aussicht auf das Hafenbecken genießen konnte. Das Pub im Bistro-Stil bot neben frischem Fisch wie dem typischen Wahoo auch Pizza, Sandwiches und leckeren Salat an.
»Was ist nur in Megan gefahren?«, nahm Katie das Gespräch nach dem Essen wieder auf. »So kenne ich sie gar nicht.«
»Denk dir nichts dabei. Wahrscheinlich schmollt sie immer noch, weil ich dir das Bett an ihrer Seite überlassen habe«, sagte Caleb.
»Mir scheint fast, sie ist eifersüchtig auf Brady. Ihr hattet aber auch auffällig gute Laune, als ihr morgens aus der Koje kamt.«
»Brady ist ein witziger Bursche. Ich finde ihn recht sympathisch.«
»Und mehr nicht…? Entschuldige, das geht mich wirklich nichts an.«
»Du meinst, ob er auch erotisch auf mich wirkt? Bisher nicht. Aber, was nicht ist …«
Beide lachten herzhaft. Das nahm ein Pärchen am Nebentisch zum Anlass, sie anzusprechen.
»Hello, kommen Sie auch von der Ostküste?«
»Ja, wir sind aus Miami und unternehmen einen Kurztrip zu den Bermudas«, sagte Caleb.
»Doch nicht etwa mit dem Segelschiff?«, fragte die etwas pausbäckige, aber eher blasse Lady.
»Nein, mit einer Motoryacht, die einem Freund gehört«, sagte Katie.
»Also doch. Oswald und ich haben es vorgezogen, von Florida aus zu fliegen, nachdem die jüngere Schwester meines Mannes bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen ist.«
»Wie schrecklich. Mein herzliches Beileid.«
»Danke, das Ganze ist schon mehr als zehn Jahre her. Doch so etwas vergisst man nie, wie Sie sich denken können. Wir hatten Wynona noch gewarnt, weil man immer wieder von unerklärlichen Vorkommnissen in diesem teuflischen Dreieck hört. Doch sie wollte partout nicht auf das Abenteuer verzichten. Nun ja, sie war eben jung. Mit ihr sind noch zwei junge Leute gestorben. Nur drei konnten gerettet werden.«
Katies Miene hatte sich mehr und mehr verfinstert. Sie antwortete nicht und schien auf einen Punkt zu starren.
»Geht es Ihnen gut, meine Liebe?«, fragte die ältere Lady. »Ich wollte sie mit meiner Geschichte nicht aufregen.«
»Doch, doch …«, stotterte Katie. »Ich war nur einen Moment in Gedanken versunken.«
»Dann noch einen schönen Abend. Oswald und ich wollen jetzt weiter. Nicht, Oswald?«
Ein Brummen ohne Worte war die Antwort.
Auf dem Rückweg zur Yacht war Katie sehr still und in sich gekehrt. Caleb sprach sie darauf an.
»Was geht dir durch den Kopf? Einen Penny für deine Gedanken …«
»Wie? … Ach, ich überlege, ob ich nicht lieber zurückfliegen sollte …«
»Hat dich die Geschichte der alten Lady so verunsichert?«
»Nein … doch … ich weiß nicht«, druckste Katie herum. Sie konnte doch Caleb nicht sagen, dass sie für einen Moment die Gestalt von Don am Nebentisch wahrgenommen hatte. Es war, als hätte er den Bericht der Lady bestätigen und sie warnen wollen. Doch Caleb kannte sie noch zu wenig, um ihm die Vision zu gestehen.
»Du bist natürlich ein freier Mensch«, sagte Caleb verständnisvoll. »Niemand hat das Recht, dir Vorschriften zu machen. Ist es vielleicht doch wegen Megan?«
»Nein, wirklich nicht. Ich kenne sie zu lange, um mir über ihr Verhalten Sorgen zu machen. Nur du solltest dich eventuell etwas mehr um sie kümmern …«
»Um sie in ihren Launen zu bestärken? Dazu fehlt mir, ehrlich gesagt, die Lust. Entweder sie kriegt sich von selbst wieder ein oder sie lässt es bleiben.«
Plötzlich kam ihnen Brady entgegen und winkte stürmisch.
»Na, euer Tag war wohl nicht so angenehm, bei den bedribbelten Gesichtern, die ihr macht«, sagte er grinsend.
»Doch, doch, wir hatten viel Spaß«, beeilte sich Caleb zu sagen.
»Und wo habt ihr Megan gelassen?«
»Die hat es vorgezogen, sich abzuseilen. Wahrscheinlich, um Hardcore Shopping zu betreiben. Und du, hast du deinen Wachposten einfach verlassen?«
»Ja, aber Terry und Fallon sind zurück. Bei denen herrscht auch dicke Luft. Das Blondchen schmollt, weil es nicht zu dem Strand gekommen ist, der ihm vorgeschwebt hat.«
»Strände gibt es hier doch weiß Gott genug …«
»Ja, aber nicht alle sind rosa, wie es eine Barby nun mal wünscht.«
»Verstehe«, lachte Caleb. »Terrys Zugeständnisse halten sich wohl in Grenzen.«
»Genau, und Recht hat er. Man soll Frauen nicht alles durchgehen lassen.«
»Hört, hört«, sagte Katie. »Dieses Thema hatten wir heute auch schon.«
»Deshalb seht ihr so vergnatzt aus?«
»Nein, wir haben gerade eine unerfreuliche Geschichte gehört, und Katie überlegt, ob sie die Heimreise mit dem Flieger antritt.«
»Das kommt doch gar nicht infrage. Mitgefangen, mitgehangen. Nein, im Ernst, die Herfahrt war doch ein Kinderspiel. Warum sollte es zurück anders sein?«
»Weil es auf See immer unvorhergesehene Ereignisse geben kann«, sagte Caleb. »Ich finde, wir sollten Katie die Entscheidung überlassen. Schon deshalb, damit sich nachher niemand etwas vorzuwerfen hat.«
»Sehr richtig, danke Caleb«, sagte Katie leise.
»Meine Güte, wenn man euch so reden hört … Was meine Person betrifft, ich werde jetzt das hemmungslose Vergnügen auf der Insel suchen.«
»Na, dann viel Spaß. Wir sagen Bescheid, dass man nicht auf dich warten soll.«
Die Zeit verging wie im Fluge. Man lag faul in der Sonne, erkundete die Stadt oder machte kleine Ausflüge, je nach Temperament oder Laune. Terry ließ sich doch noch erweichen, Fallon ihren Traum vom rosa Strand zu erfüllen. Er besuchte mit ihr die nächst gelegene, nur eine Meile von St. George’s entfernte John Smith Bay Beach. Und die meisten schlossen sich sogar an. Diesmal war es Savannah, die zurückblieb, weil ihr immer noch der Tauchgang zum Schiffswrack des griechischen Frachtdampfers Pelinaion in den Knochen saß, auch wenn sie dabei noch so viele bunte Fische und Korallen gesehen hatte.
An der John Smith Bay Beach, einem eher ruhigen Familienstrand, gab es Toiletten und sogar Rettungsschwimmer. Weiterhin in unmittelbarer Nähe das Spittal Pond Nature Reserve Vogelreservat und das Devil's Hole Aquarium. Außerdem fuhr ein Lunch Wagen mit kalten Getränken, Burgern, Fish Cakes, Pommes Frites und Eiscreme herum. Jeder konnte also auf seine Kosten kommen.
Auch die Hauptstadt, Hamilton, das „Schaufenster des British Empire“ und Heimat von literarischen Figuren Mark Twains und Eugene O'Neills, besuchten alle gemeinsam. Diesmal blieb Chris zurück, denn Sightseeing war nicht so unbedingt sein Ding.
Hamilton bot das Fort Hamilton, das Bermuda Historical Society Museum, die Bermuda National Gallery und zwölf Kirchen, von denen sie nur zwei besichtigten. Daneben fand man elegante Geschäfte mit hochwertigen Waren aus dem Vereinigten Königreich, die umgehend die Herzen der Frauen höher schlagen ließen.
Der Ausflug war ein schöner Abschluss ihres Bermudaaufenthaltes. So machten sie sich nach einer Woche mehr oder minder erholt auf den Rückweg.