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ОглавлениеProlog
Die Erscheinung
Anfang der siebziger Jahre
Die Vorstellung war nur schlecht besucht, obwohl der 3D-Klassiker House Of Wax – Das Kabinett des Professor Bondi aus dem Jahre 1953 gezeigt wurde. Aber der war schon vor über zwanzig Jahren entstanden und lockte kaum noch einen hinter dem Ofen hervor. Daran konnte auch der neue Stereoton nichts ändern.
Die beiden Brüder saßen etwa in der Mitte des ehemals prächtigen Saales, hatten aber keinen Blick für die Wandmalereien in der großen Kuppel und an den Wänden, und auch die Balkone und Logen, die längst geschlossen waren, interessierten sie nicht. Der eine wandte genervt von der andauernden Werbung den Blick von der Leinwand zu den anderen Zuschauern, die sich so locker verteilt hatten, dass etliche Sitze zwischen ihnen leer blieben.
Schließlich ging ein Ruck durch seinen Körper, und er drehte sich so sehr zu seinem rechts neben ihm sitzenden Bruder, dass er ihn frontal ansah.
»Sieh jetzt nicht hin«, flüsterte er mit zusammengepressten Zähnen, »aber der Typ drei Sitze neben mir sieht aus wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Sein Gesicht ist eine einzige zusammengezogene Narbe, und eine Nase und ein Kinn gibt es auch nicht.«
»Er wird eine dieser Halloween-Masken tragen, passend zum Film …«
»Ich habe noch keine Maske gesehen, die so eng sitzt, dass sie Nase und Kinn völlig wegdrückt.«
»Quatsch«, der junge Mann versuchte, an seinem Bruder vorbeizusehen, indem er sich etwas vorbeugte.
»Ich habe gesagt, du sollst nicht hinsehen … Nachher rutscht er noch zu uns auf.«
»Da sitzt keiner. Die Reihe ist bis zum Gang hin leer.«
Der Film neigte sich bereits dem Ende zu, als Vincent Price in der Rolle des Professor Bondi die Wachsmaske vom Gesicht gerissen wurde und darunter ein durch Brandnarben völlig entstelltes Gesicht erschien. Zusammen mit der 3D-Brille war das für zarte Gemüter kaum auszuhalten, und einige Mädchen kreischten entsetzt auf. Eines von ihnen bekam regelrecht einen Schreikrampf, sodass zunächst eine Platzanweiserin mit einer Taschenlampe erschien, die wenige Augenblicke später die Vorstellung abbrach. Denn das Mädchen war mit weit aufgerissenen Augen auf ihrem Polstersitz zusammengesackt.
Jetzt schrie ihre Freundin derart gellend und anhaltend, dass ihr die Platzanweiserin eine Ohrfeige versetzte, worauf das Mädchen nur noch wimmerte.
»Wenn ihre Nerven solch einen Film nicht aushalten, sollten sie ihn nicht ansehen«, sagte die Kinoangestellte und fühlte den Puls des leblos wirkenden Mädchens. »Kann mal jemand den Rettungsdienst rufen?«, blaffte sie die neugierig umherstehende Gruppe an, die sich von ihren Sitzen erhoben hatte und gaffte.
»Es war nicht der Film«, sagte das andere Mädchen wenig später zu einem Rettungssanitäter. »Neben uns saß plötzlich ein Monster, ein Mensch mit grauenvoll entstelltem Gesicht. Ich konnte seinen fauligen Atem spüren, und als er seine schorfige Hand nach mir ausgestreckt hat, ist meine Freundin offensichtlich vor Schreck gestorben.«
Die Platzanweiserin verdrehte die Augen und wies die restlichen Zuschauer an, das Kino zu verlassen.
»Sie hat Recht«, sagte der junge Mann, »ich habe ihn auch gesehen.«