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Kapitel 2

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Ich lebe mehr schlecht als recht. Als ich meine Ausbildung zum Industriekaufmann halbwegs ertrug und auch mit einer dreikommazwo überstand, ahnte ich bereits, dass der Job mir keinen Spaß machen wird. Vielleicht gibt es auch etwas wie „höhere Magie“, denn jeder Laden, der mich beschäftigte, ging auch pleite. Insolvenz nennt man das. Deutschland sollte froh sein, dass ich kein Beamter bin, denn wenn die Behörden Pleite gehen, dann entsteht eine neue Revolution.


Ich bin selbständig. Als Privatdetektiv lebe ich zwar jeden Tag von der Hand in den Mund, aber ich bin mein eigener Herr. Zu lange eigentlich, denn seit zwei Monaten lebte ich von den paar Euro, die ich nicht bar auf mein Konto einzahlte. Meine Bank ist zwar kulant, aber bei einem Privatdetektiv glaubte auch sie nicht an eine Besserung der Finanzlage. Das Schild DETEKTEI ALWIN SCHREER & ANNE-CATHERINE VARTAN lockte wenige Kunden. Die meisten hatten kein Geld, und die anderen langweilten uns mit Aufträgen, die spröde waren. Es machte selten Spaß, vor dem Haus eines angesehenen Bürgers mit der Spiegelreflex zu stehen und abzulichten, wer in das Haus ein und ausgeht, wenn der gute Mann nicht da ist und seine Reden vor irgendwelchen Gremien schwingt. Zeit hätte ich also genug, meine Wohnung aufzuräumen. Die stets aufgetürmten Kochtöpfe mit Resten von Spaghetti und Linsensuppe deprimierten mich. Zum Glück hatte die Küche eine Tür und einen passenden Schlüssel.


In meinem Büro sah es wenigstens effizient nach Arbeit aus. Mindestens zwanzig vergrößerte Fotos hingen an den Wäscheleinen, die Anne und ich kreuz und quer auf gehangen hatten. Es war ein Auftrag aus dem deutschsprachigen Teil Belgiens. Anne, eine Ex-Journalistin mit Spürsinn, observierte eine weibliche industrielle Größe und Millionenerbin, wie sie ihre Liebhaber dutzendweise durchbumste, und der Auftrag würde uns mindestens 3.000 Euro einbringen, die unser Firmenkonto auch dringend benötigte. Der betrogene Ehemann hatte die verlangten 75 Prozent Anzahlung überwiesen. Der bis zum Geht-Nicht-Mehr loyale Berater meiner Hausbank hatte sich bereits bis weit aus dem Fenster gewagt, als er den letzten Kredit unterschrieb, und er konnte so seinen Chef zunächst beruhigen.


Zu den 3.000 Euro brachten die Schnappschüsse Anne zunächst ein blaues Auge ein, denn einer der prächtigen Lover der Industriebossin hatte Anne in ihrem versteckten Honda Accord entdeckt und seinen Fahrer per Handy informiert, der Anne sofort aus dem Auto zerrte und die Kamera kurz und klein schlug. Typisch, im bescheidensten Auto seines Fuhrparks angerollt kommen, aber den Chauffeur und seines Zeichens auch Bodyguard zum Schäferstündchen mitschleppen!


Vor dem Haus seiner liebeshungrigen Gespielin stand sein bescheidener Ford Puma mit Fahrer, den er sicher seiner Frau entliehen hatte. Annes gute Canon war komplett zerstört, und ebenso demoliert war das Gesicht des Chauffeurs. Anne fackelte nie lange, wenn sie ihre Karatekünste an den Mann bringen konnte. Sein Pech, dass sie gerade den Film gewechselt hatte und die Beweisbilder längst in den Händen von Arno waren, den Harz IV zwar erwischt hatte, der aber mit seiner Crossmaschine immer gerne den Boten spielte, wenn etwas für ihn heraussprang.


Es klingelte, und ich fluchte laut, weil mein Büro chaotisch war, die Küche wie nach einer Schlacht aus Braveheart mit Mel Gibson aussah und es mir nach wie vor nicht gelungen war, die unzähligen Wollmäuse auf dem Parkett meines Wohnzimmers zu bändigen.


Ich ärgerte mich über meinen Geiz, mir keine Putzhilfe anzuschaffen und entschied mich spontan, dass ich die kleine Tanja aus der Nachbarschaft fragen würde, für ein gutes Taschengeld in meinen vier Wänden und dem gemeinsamen Büro von Anne und mir Ordnung zu schaffen.


Conan der Barbar stand vor meiner Tür und nickte mir freundlich zu. Der attraktive, dunkle Anzug ließ auf Armani oder den guten Hugo Boss schließen. Jedenfalls hatte Conan nichts für Krawatten übrig und lächelte gequält. Muskulös und langhaarig sah er wie ein Schauspieler für Fantasyfilme aus.


„Darf ich reinkommen?“ fragte er. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, denn ich hoffte auf einen neuen Auftrag. Ich sah an mir herab und war weniger landfein. Die Jeans stand vor Dreck, denn ich hatte mich nicht auf Besuch eingestellt, das T-Shirt mit der Aufschrift „Eifel“ war frisch gewaschen, aber an meinen nackten Füßen schämten sich zehn seit längerem dringend für eine Pediküre geplante Fußnägel.


Ich nickte und Conan folgte mir ins Arbeitszimmer. Die Schreibtische von Anne und mir standen gegenüber und waren mit Zeitungsausschnitten von Mord- und Totschlag der letzten drei Monate übersät.


„Mein Name ist Alwin Schreer“, stellte ich mich vor und hielt Conan die Hand hin. Er ergriff sie und gab mir mit seiner Linken seine Visitenkarte. Ich las Wolfram Belder und seine Profession war die eines Automobilverkäufers. Conan hatte also einen Namen, auch wenn mein Eindruck nicht verschwand, dass er Schwarzenegger wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlichsah.


„Nehmen Sie Platz, falls Sie einen finden,“ sagte ich kurz, um wenige Minuten zu verschwinden und eine andere Jeans und Socken anzuziehen. Ich brachte uns ein Tablett mit Kaffee.


„Haben Sie einen Auftrag für mich? Eine Ehefrau, die Ihnen Hörner aufsetzt, oder zerkratzt jemand dauernd Ihren schönen Jaguar vor der Tür?“


Wolfram Belder sah mich an bekam stahlharte Gesichtszüge. Er rang tief nach Luft.


„Ich sehe auf Ihren Schreibtischen bereits den Fall liegen, warum ich Sie engagieren möchte. Und ich sage Ihnen, Geld spielt keine Rolle. Ich will das Schwein, das meiner Marianne, das ist meine Frau, das hier angetan hat.“


Er griff nach einem Zeitungsbericht, den ich ausgeschnitten und noch nicht für unser Archiv eingescannt hatte: FRAU AUS GEMÜND GEWÜRGT UND BRUTAL VERGEWALTIGT war der Headliner, und der Untertitel lautete Mutter eines dreijährigen Kindes gerettet. Täter unbekannt. Belder griff erneut auf meinen Schreibtisch und entdeckte einen weiteren Bericht zu dem Fall mit einer Phantomzeichnung des mutmaßlichen Vergewaltigers. Sachdienliche Hinweise seien bei der Polizeistation Schleiden oder jeder anderen Dienststelle, auch anonym, erbeten. Ich überflog beide Berichte kurz und war erstaunt.


„Warum, Herr Belder, wenden Sie sich an mich? Die Kripo in Schleiden, und mit Sicherheit auch die Kollegen in Simmerath, sind an der Sache dran. Wieso überhaupt ist der Fall nicht im Kreis Aachen, sondern bei der Kripo in Schleiden? Der Überfall geschah doch zwischen Dedenborn und Hammer. Das ist Kreis Aachen. Ich bin nur Privatdetektiv.“


Belder blickte düster. Hektisch durchwühlte er seine Taschen und fand nur ein Feuerzeug mit der Aufschrift Plus. Ich bot ihm eine meiner blauen Gauloises an und ließ ihm Zeit für die Antwort. Er nahm zwei tiefe Züge und trank seinen Kaffee, jene meiner Lieblingssorten, die ich in Belgien hinter der Grenze kaufe und die auf den Namen Chat noir hört.


Belder nahm Anlauf. „Hören Sie, meine Frau ist vor vier Wochen fast umgebracht worden. Und das Schwein, das Marianne auflauerte, hat sie zudem brutal vergewaltigt. Und das mehr als einmal. Er ist ganz nah von Dedenborn über sie hergefallen. Zwischen Dedenborn und Hammer! Wie ein Tier! Und unser kleiner Sohn Max hat jetzt eine vollkommen verstörte Mutter und ich eine vollkommen verbitterte Familie.“


Schweiß lief ihm von der Stirn und sammelte sich an den Nasenflügeln. Auch seine Achselhöhlen waren triefend nass. Ich ließ ihn einen Augenblick zur Ruhe kommen und schob ihm die Schachtel Gauloises neben seine Kaffeetasse.


„Okay, Herr Belder, ist kenne den Vorfall aus der Zeitung. Wie kommt es, dass nicht die Polizei im Kreis Aachen hier das Regiment hat? Es wäre logisch, denn hinter Vogelsang teilen sich ja Kreis Aachen und der Kreis Euskirchen.“


„In den letzten Monaten gab es in der Schleidener, Gemünder und Kaller Umgebung sexuelle Übergriffe auf Frauen.“ Belder zündete sich eine neue Zigarette an.


„Wir leben eigentlich in Gemünd, und die Ehe zwischen Marianne und mir kriselte viele Monate. Meine Marianne wohnte ein paar Wochen in einem der schönen Häuser in Hammer, das meiner Schwester gehört. Auch unser Sohn war oft bei ihr, und wir sahen uns fast täglich. Die letzten Wochen liefen wieder gut, weil ich versprach, dass ich weniger arbeiten und mich meiner kleinen Familie widmen werde. Marianne hatte schon alles gepackt, um zurück zu kehren. Am Sonntag hatte sie noch gelästert, weil Max und ich ausgelassen vor der Glotze saßen und Formel 1 schauten und ging eine Runde laufen. Unser Kleiner ist ein Autonarr. Das ist jetzt vier Wochen her.“


Belder schluchzte und konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten.


„Marianne wollte den Tag später wieder zu mir und Max zurückkehren. Sie ist jetzt wieder da, aber sie ist oft wie in Trance. Ich möchte, dass sie recherchieren. Für jeden Preis. Das Geld habe ich. Der Jaguar vor der Tür wird morgen verkauft und bringt runde 25.000 Euro. Und ich habe Erspartes.“


Belder zog erneut tief an der Gauloises und würde wohl nie ein Kandidat für eine Anti-Raucherkampagne.


„Ich habe bei der Polizei Schleiden einen Freund, Kommissar Welsch von der Kripo. Wieso Schleiden zuständig ist, weiß ich nicht. Falls es da überhaupt eine Regelung gibt. Polizeiarbeit hört ja nicht an der Kreisgrenze auf. Ich weiß nur, dass er von ähnlichen Fällen in der Vergangenheit erzählt hat, die in den Wäldern um Gemünd, Hellenthal und Kall seit drei oder vier Monaten geschahen. Es soll mindestens vier Fälle geben, und die Opfer konnten jedes Mal fliehen. Auffällig sei, dass alle Opfer von einem Mann mit polnischem oder slawischen Dialekt sprachen. Welsch wollte den Fall unbedingt, aber er muss sich an Vorschriften halten. Der Kommissar weiß, dass ich bei Ihnen bin und hat zuerst die Augen verdreht. Er war nicht begeistert, aber er hat mir erzählt, dass Sie ihm auch früher den einen oder anderen Tipp gegeben haben und er Ihnen etwas schuldig ist. Außerdem kennen Sie meine Frau. Sie haben als Teenie blind für sie geschwärmt. Hat sie mir mal erzählt. Bevor wir heirateten und sie den Namen Belder annahm, hieß sie Zeyen.“


Ich hatte ein ‚verdammte Scheiße‘ auf der Zunge. Verdammt, Marianne Zeyen, die ich als Junge von 17 Jahren heimlich, still und leise wie eine Göttin verehrte. Dann fiel ich bei ihr komplett durch, als sie mich beim Kiffen in meiner Clique erwischte. Vier Wochen hatte sie damals nicht mir mir geredet. Marianne, mein Gott, das war jetzt 23 Jahre her. Jetzt erkannte ich auch Wolfram wieder.


„Ich nehme den Auftrag an und über das Geld reden wir gleich. Und ich fände es okay, wenn wir uns auf Wolfram und Alwin einigen. Ich möchte dir helfen, aber ich brauche noch mehr Fakten. Und behalte erst mal deinen Jaguar.“


Ich nannte Wolfram meine Tagessätze. Spesen und mögliche Schmiergelder hatte er zu tragen. Wolfram ging, und ich hing meinen Gedanken nach. Ich war damals ein Teenager und liebte Marianne heiß und innig. Ihrer Familie ging es finanziell nie sehr gut und sie trug oft die abgetragene Kleidung ihrer älteren Schwester Tiffany. Doch selbst in Lumpen hätte Marianne wie eine Prinzessin ausgesehen. Sie hatte das Lächeln von der verstorbenen Lady Diana und den grazilen Körper einer Ballettschülerin. Und sie hatte einen aufrechten Gang wie Sophia Loren. Wir waren uns nur einmal nah, wenn man es überhaupt so nennen konnte. Als sie ihren 16. Geburtstag hatte, stach meine Überraschung alle anderen aus. Ich hatte ihr einen großen Blumenstrauß und ein Plüschtier mitgebracht. Sie liebte Stoffesel, und das Plüschvieh und sie waren wie eine Liebe auf den ersten Blick. Erst drückte sie den Esel und dann mich.


Ich las zum elften oder zwölften Mal die beiden Berichte über den Überfall auf Marianne, die aus der Rundschau stammten. Deren Lokalredaktion sitzt in Gemünd, und mein Freund Christian Hermes ist dort Redakteur und Spürnase für alle brisanten Dinge, die in der Eifel und im Grenzgebiet Belgiens laufen. Er wäre sicher noch eine große Hilfe. Doch zuvor rief ich in Euskirchen beim Stadt-Anzeiger an und bat, dass ich auch die Berichterstattung von dort per Fax erhielt. Das Phantombild des Vergewaltigers war größer als der Abdruck in der Rundschau. Ein Gesicht mit stechenden Augen, einer langen Nase und schmalen Lippen starrte mich an. Seine Haare waren dunkel, kurz und die hohe Stirn ließ auf Haarausfall in früheren Jahren schließen. Er hatte ein markantes Doppelkinn. Marianne hatte bei der Beschreibung des Täters angegeben, dass seine Schneidezähne verschoben waren. Ich wollte mich gerade bei Pete Becker bedanken, als mein Faxgerät alle Seiten ausgespuckt hatte.


„Bleib’ dran, Alwin, hier kommt ganz frisch eine Meldung rein. Es wurde heute Nachmittag wieder eine Frau gefunden, diesmal tot und vermutlich auch vergewaltigt. Du kannst in zwanzig Minuten dort sein, denn der Fundort ist zwischen Broich und Winzen. Verdammte Scheiße!“

Todesangst in der Nordeifel

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