Читать книгу Todesangst in der Nordeifel - Jean-Louis Glineur - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеAuf der Fahrt nach Dedenborn jagte ich den Honda über die alte Panzerstraße von Schleiden nach Herhahn. Wenn ich nachdenken muss, fahre ich am liebsten schnell, und ich kenne die Strecke wie im Schlaf. Ich dachte an Marianne Belder, ehemals Zeyen. Seit der Schulzeit hatte ich sie nie mehr gesprochen und sie war meine erste große, wenn auch unerfüllte Liebe. Ihre Augen hatten mich schon als Teenager fasziniert. Große, traurige Augen. Sie schaute nie an einem Menschen vorbei, sie schaute ihm immer gerade in die Augen.
Ich erinnerte mich, dass sie mit siebzehn Jahren auf dem Rückweg von einer Fete überfallen und in ein Gebüsch gezerrt wurde. Den Vergewaltiger konnte man schnappen, denn er war einer unserer Klassenkameraden. Ich habe keine Regung empfunden, als er sich in der Untersuchungshaft das Leben nahm. Marianne blieb erhobenen Hauptes, wie sie immer gewesen war. Nur das Leuchten in ihren Augen erlosch und der gerade Blick in die Augen anderer wurde selten.
Viele Jungs wussten nicht, wie sie mit einer vergewaltigten Frau umgehen sollten. Angst, ihr zu nahe zu treten, Angst sie mit dummen Witzen zu verletzen? Die ersten Monate nach dieser Tat sah man sie selten. Nur in der Schule. Ich mied sie nicht und verbrachte oft den Nachmittag mit Marianne. Manchmal machten wir auch gemeinsam Schulaufgaben oder lernten für eine Klausur.
„Ich weiß, dass du mich sehr lieb hast“, sagte Marianne irgendwann. „Du bist der einzige, der mich auch mal in den Arm nehmen darf.“
Das war 23 Jahre her. Es kam mir vor, als sei es gestern gewesen. Es waren noch keine acht Stunden vergangen, ich hatte einen neuen Auftrag, Wehmut nach meiner ersten großen Liebe und musste Anne noch berichten, was heute geschehen war. Anne saß am Schreibtisch und grinste: „Ich habe deine Küche auf Vordermann gebracht, bevor das die Maden tun.“
Ich berichtete ihr von dem Mord zwischen Broich und Winzen, vom Besuch von Wolfram Belder und zeigte ihr die Zeitungsberichte über den Überfall auf Marianne. Und ich holte alte Fotoalben aus dem Wohnzimmer und zeigte ihr alte Bilder von Marianne.
Anne war geblieben. Für sie war das Gästezimmer die zweite Heimat, wenn wir bis tief in die Nacht arbeiteten oder redeten. Wir waren nie ein Paar, waren nie miteinander ins Bett gestiegen und wie Bruder und Schwester. Über ihre Liebschaften sprach sie selten. Anne ist ungeheuer attraktiv, sportlich und als Blondine in den Augen vieler Männer Frischfleisch. Sie wissen nicht, auf welche Abfuhr sie sich einlassen, wenn sie Anne mit zu plumper Anmache ankommen.