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2. Verfassungsrecht
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Das Grundgesetz enthält wichtige Grundrechte, die auf das Arbeitsrecht einwirken. Die allgemeinen Grundrechte sind – da die Arbeitsvertragsparteien nicht zu den staatlichen Adressaten der Grundrechte gehören – nur über sogenannte Einfallstore (z.B. §§ 242, 315 BGB) des Zivilrechts zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber z.B. bei Ausübung des billigen Ermessens i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB darauf achten muss, dass er die familiäre Situation (Art. 6 GG) oder die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) des Arbeitnehmers hinreichend in seine Überlegungen mit einbezieht.
Beispiel
Eine Einzelhandelskauffrau arbeitet in ihrem ehemaligen Ausbildungsbetrieb, einem Kaufhaus. Sie hat türkische Wurzeln. Der Arbeitgeber beschäftigt im Verkauf ca. 85 Arbeitnehmer, im Verwaltungsbereich 8 Arbeitnehmer, in der Warenannahme 2 Arbeitnehmer und mit Hausmeisteraufgaben 3 Mitarbeiter. Nach der Elternzeit erklärte die Arbeitnehmerin ihrem Arbeitgeber, sie werde künftig ein Kopftuch tragen. Ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, ihr muslimischer Glaube verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Zwei Gespräche mit der Personalleitung konnten sie nicht davon abbringen, obwohl man ihr mitgeteilt hatte, dass dann eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unausweichlich sei. Gegen die Kündigung ging die Arbeitnehmerin vor. Sie unterlag in der zweiten Instanz. Ihre Revision vor dem BAG[1] hatte jedoch Erfolg. Das BAG wertete die Kündigung als sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. Sie sei nicht durch einen verhaltensbedingten Grund (worauf sich der Arbeitnehmer hauptsächlich berufen hatte) und auch nicht durch einen personenbedingten Grund gerechtfertigt gewesen. Die Arbeitnehmerin könne ihrer vertraglichen Verpflichtung auch ein Kopftuch tragend nachkommen. Weder Verkaufsgespräche noch -vorgänge würden dadurch gestört. Wörtlich führten die Richter dann zur o.g. Thematik aus: „[…]sowohl bei der Ausübung ihres Weisungsrechts als auch bei der Ausgestaltung dieser vertraglichen Pflicht ist das spezifische, durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG grundrechtlich geschützte Anliegen der Klägerin, aus religiösen Gründen nicht mehr ohne ein Kopftuch zu arbeiten, zu beachten. Auf Grund der verfassungsrechtlich gewährleisteten, im Arbeitsverhältnis bei der Ausübung des Weisungsrechts oder der Ausgestaltung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht zu berücksichtigenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin kann deshalb die Beklagte nicht ohne weiteres die Einhaltung der in ihrem Betrieb allgemein üblichen Bekleidungsstandards verlangen und die Klägerin zur Arbeitsleistung ohne ein Kopftuch wirksam auffordern.“ Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit werde inhaltlich durch die Grundrechte, hier vor allem durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG, mitbestimmt: „Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seiner gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die auch für die Beklagte als juristische Person nach Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistet ist, den Inhalt der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden („praktische Konkordanz“).“[2]
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In der Klausur ist es wichtig, genau darauf zu achten, in welchem Bereich der betroffene Arbeitnehmer arbeitet. Die Abwägung der Grundrechte kann nämlich auch – sogar bei sonst sehr ähnlichem Sachverhalt – genau anders herum ausgehen:
Beispiel
Eine Erzieherin ist bei einer Stadt angestellt, die 34 Kindertagesstätten betreibt. Die Arbeitnehmerin hat türkische Wurzeln. Sie trägt aus religiösen Gründen auch bei der Arbeit ein Kopftuch. Es gilt das Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) Baden-Württemberg, das u.a. vorsieht, dass Erziehungspersonen „in Einrichtungen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet und die in Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft, eines Zweck- oder Regionalverbandes stehen, keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder dem politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen, auf die dieser Absatz Anwendung findet, zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Kindern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Fachkraft oder eine andere Betreuungs- oder Erziehungsperson gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt.“ Die Stadt berief sich auf diese Vorschrift und forderte die Erzieherin auf, ihr Kopftuch während des Dienstes abzulegen. Dies verweigerte die Angesprochene. Daraufhin erhielt sie eine Abmahnung. Diese hielt einer Überprüfung durch das BAG[3] stand. Das BAG betonte, dass die o.g. Vorschrift nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Die Arbeitnehmerin habe das „Bekundungsverbot“ bewusst und dauerhaft verletzt, was abmahnfähig sei. Das Verhalten der Erzieherin sei geeignet, die Neutralität der Stadt gegenüber Kindern und Eltern und den religiösen „Einrichtungsfrieden“ zu gefährden. Eine Erzieherin nehme als Bezugs- und Autoritätsperson eine Mittelpunktfunktion ein und habe einen hohen Einfluss auf die Kinder. Dies, so urteilten die Richter unterm Strich, erlaube es der Stadt, auf ein Erscheinungsbild ohne „islamisches Kopftuch“ zu bestehen. Zwar stehe der Erzieherin natürlich das Recht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu. Andererseits sei es den Kindern und Eltern aber zuzubilligen, „kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben“. Gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasse Art. 4 Abs. 1 GG das Recht der Eltern zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, deswegen sei es deren Sache, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig hielten. Dazu gehört nach Ansicht der BAG-Richter auch das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen.[4]
JURIQ-Klausurtipp
In der Prüfung ist also besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob der Arbeitnehmer in einer privaten Organisation beschäftigt wird oder im öffentlich-rechtlichen Bereich. Das eben zweitgenannte Urteil des BAG aus dem Jahr 2010 verweist im Übrigen auch auf ein wichtiges Urteil des EGMR zum Thema „Kopftuch einer Lehrerin“. Sie sollten das Urteil aus Straßburg[5] kennen.
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Auch der Arbeitgeber kann sich auf Grundrechte berufen. So ist dem Arbeitnehmer etwa mit Blick auf die Berufsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 GG zuzumuten, dass er eine unternehmerische Grundentscheidung wie etwa die Wegrationalisierung seines Arbeitsplatzes hinnimmt.
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Art. 9 Abs. 3 GG enthält eine besondere Regelung, die auch ohne den eben beschriebenen „Umweg“ direkt auf das Arbeitsverhältnis Einfluss nimmt. Die Sätze 1 und 2 der Norm lauten:
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.
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Der Verfassungsgeber hat also ausdrücklich klargestellt, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien keine Regelungen getroffen werden dürfen, die etwa die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einer Gewerkschaft untersagen. Solche Klauseln im Arbeitsvertrag sind ohne Weiteres nichtig, der Arbeitnehmer darf sie ignorieren.