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Erstes Kapitel
ОглавлениеHochzeittag nach dem Respittage – die beiden Ebenbilder – Schüsseln-Quintette in zwei Gängen – Tischreden – sechs Arme und Hände
Der Armenadvokat Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel hatte den ganzen Montag im Dachfenster zugebracht und sich nach seiner Braut umgesehen; sie sollte aus Augsburg früh ein wenig vor der Wochenbetstunde ankommen, damit sie etwas Warmes trinken und einmal eintunken könnte, ehe die Betstunde und die Trauung angingen. Der Schulrat des Orts, der gerade von Augsburg zurückfuhr, hatte versprochen, die Verlobte als Rückfracht mitzunehmen und ihren Kammerwagen oder Mahlschatz hinten auf seinen Koffer zu binden. Sie war eine geborne Augsburgerin – des verstorbenen lutherischen Ratkopisten Egelkraut einzige Tochter –, wohnte in der Fuggerei in einem geräumigen Hause, das vielleicht größer war als mancher Salon, und war überhaupt nicht unbemittelt, da sie nicht wie pensionierte Hof-Soubretten von fremder Arbeit lebte, sondern von eigner; denn sie hatte die neuesten Kopf-Trachten früher als die reichsten Fräulein in den Händen (wiewohl in einem Formate, daß keine Ente den Putz aufsetzen konnte) und führte nach dem kleinen Baurisse die schönsten Hauben im großen aus, wenn sie einige Tage vorher bestellt waren.
Alles, was Siebenkäs unter dem Warten tat, waren einige Eidschwüre, daß der Teufel das Suchen und seine Großmutter das Warten ausgesonnen. Endlich erhielt er noch früh genug statt der Braut einen Nachtboten mit einem Schreiben des Schulrats: er und die Verlobte könnten unmöglich vor Dienstags eintreffen, sie arbeite noch an ihrem Brautkleide, und er noch in den Bibliotheken der Exjesuiten und des Geheimen Rat Zapf und der Gebrüder Veith und an einigen Stadttoren. Letzte bewahren bekanntlich uns noch römische Altertümer. Indes Siebenkäsens Schmetterlingrüssel fand in jeder blauen Distelblüte des Schicksals offne Honiggefäße genug; er konnte doch am leeren Montag die letzte Arm-Feile und den Glättzahn an seine Stube legen, mit Schreibfedern den Streusand und den Staubpuder vom Tische fegen, das papierne Geniste hinter dem Spiegel ausreuten, das Dintenfaß von Porzellan mit unsäglicher Mühe weißer wischen und die Butterbüchse und die Kaffeetäßchen auf dem Throngerüste eines Schrankes mehr weiter hervor in Reih und Glied stellen und die Messingnägel am ledernen Großvaterstuhl blitzgelb scheuern. Er unternahm die neue Tempelreinigung seiner Stube nur aus Langweile; denn ein Gelehrter hält bloß Ordnung der Bücher und Papiere für eine; zweitens behauptete der Armenadvokat: »Ordnungliebe ist, geschickt erklärt, nichts als die schöne Fertigkeit des Menschen, ein Ding noch zwanzig Jahre lang immer an den alten Ort zu setzen, der Ort selber kann sitzen, wo er will.« – Er hatte nicht nur eine schöne Stube, sondern auch einen langen roten Eßtisch zur Miete, den er an einen niedrigen gestoßen, desgleichen hohe Kröpel-Stühle; auch die Mietherren der Möbeln und der Stube, die sämtlich in diesem Hause wohnten, hatt' er sich auf seinen blauen Montag geborgt gehabt; es wäre sonach herrlich an diesem abgelaufen, weil die meisten Hausleute Handwerker waren und also ihrer in seinen fiel; denn bloß der Mietherr war etwas Bessers, nämlich ein Perückenmacher.
Ich müßte mich schämen, einen Armenadvokaten, der selber einen bedürfte, mit meinen kostbaren historischen Farbestoffen abzufärben, wenn hier der Fall wirklich so wäre; aber ich habe die Vormundschaft-Rechnungen meines Helden unter den Händen gehabt, aus denen ich stündlich vor Gericht erweisen kann, daß er ein Mann von wenigstens zwölfhundert Gulden rhnl. war, ohne die Interessen. Nur hatt' er leider aus den Alten und aus seinem Humor eine unleugbare Verachtung gegen das Geld, dieses metallne Räderwerk des menschlichen Getriebes, dieses Zifferblattrad an unserm Werte, geschöpft, indes doch vernünftige Menschen, z.B. die Kaufleute, einen Mann ebenso hoch schätzen, der es einnimmt, als den, der es wegschenkt, wie ein Elektrisierter den leuchtenden Heiligenschein um den Kopf bekömmt, der Äther mag in ihn ein- oder aus ihm ausströmen. Ja Siebenkäs sagte sogar – vorher tat ers –, man müsse den Bettelsack zuweilen aus Spaß überhängen, um den Rücken für ernsthafte Zeiten daran zu gewöhnen; und er glaubte sich zu retten und zu loben, wenn er fortfuhr: es sei leichter, die Armut zu tragen wie Epiktet, als sie zu wählen wie Antonin, so wie es leichter sei , als Sklave das eigne Bein zum Zerschlagen hinzuhalten, als andern Sklaven ihres ganz zu lassen, wenn man einen ellenlangen Zepter führt. Daher behalf er sich zehn Jahre außer Landes und ein halbes im Reichsmarktflecken, ohne nur einen Kreuzer Zinsen seiner Erbschaftmasse seinem Vormund abzufordern. Da er nun seine eltern- und geldlose Braut auf einmal als Steigerin in ein ausgezimmertes Silberbergwerk fahren lassen wollte – dafür hielt er seine zwölfhundert Gulden mit rückständigen Zinsen –: so flößte er ihr gern im Vorbeigehen in Augsburg den Glauben ein, er habe bloß das liebe Brot, und das wenige, was er erschwitze, gehe von der Hand in den Mund und Magen, nur arbeit' er wie einer und frage wenig nach einem Großen und Kleinen Rate. »Ich will verdammt sein«, hatt' er längst gesagt, »wenn ich eine heirate, die weiß, was ich rentiere; die Weiber halten ohnehin einen Ehemann für den lebendigen Teufel, dem sie ihre Seele – oft ihr Kind – verschreiben, damit der Böse ihnen Hecktaler und Eßwaren zutrage.« –
Auf den längsten Sommer- und Montag folgte eine längste Winternacht, was bloß astronomisch unmöglich ist. Am frischen Morgen fuhr der Schulrat Stiefel vor und hob aus der Kutschenarche (feine Lebensart ziert einen gelehrten Mann doppelt) einen Haubenkopf statt der Braut aus dem Wagen und befahl, das übrige Eingebrachte derselben, das in einem weißverblechten Reisekasten bestand, abzuladen, indes er mit dem Kopfe unter dem Arme zum Advokaten hinauflief: »Ihre werte Verlobte«, sagt' er, »muß gleich nachkommen; sie putzt sich draußen im Vorwerk für das heilige Werk an und bat mich, vorauszufahren, damit Sie nicht ungeduldig würden. Eine wahre Frau nach Salomons Sinn, zu der ich höchlich gratuliere!«
– – »Der Herr Advokat Siebenkäs, meine Schönste? – zu dem kann ich Sie führen, er sitzt bei mir selber, meine Beste, und ich werde Sie den Augenblick bedienen«, sagte der Perückenmacher unten an der Türe und wollte sie an der Hand hinauf geleiten; aber da sie ihren zweiten Haubenkopf noch in der Kutsche sitzen sah, nahm sie ihn wie ein Kind auf den linken Arm (der Haarkräusler wollte den Kopf vergeblich tragen) und stieg ihm wankend in das Männerzimmer nach. Sie reichte mit einem tiefen Kniebeugen und leisen Grüßen dem Bräutigam bloß die rechte Hand hin, und auf dem vollen runden Gesichtchen – alles ründete sich daran, Stirn, Auge, Mund und Kinn – blühten die Rosen weit über die Lilien hinüber, waren aber desto lieblicher zu schauen unter dem großen schwarzen Seidenhute, und das schneefarbige Mousselinkleid mit einem vielfarbigen Strauße welscher Blumen und mit den weißen Schuhspitzen gaben der schüchternen Gestalt Reize über Reize. Sie band sogleich – weil nicht mehr Zeit zum Kopulieren und Frisieren übrig war – ihren Hut los und legte das Myrtenkränzchen darunter, das sie im Vorwerke der Leute wegen versteckt, auf den Tisch, damit ihr Kopf gehörig wie der Kopf anderer Honoratioren für die Trauung zurechtgemacht und gepudert würde durch den schon passenden Mietherrn.
Du liebe Lenette! Eine Braut ist zwar viele Tage lang für jeden, den sie nicht heiratet, ein schlechtes, mageres hl. Schaubrot, und für mich vollends; aber eine Stunde nehm' ich aus – nämlich die am Morgen des Hochzeittages –, worin die bisherige Freiin in ihrem dicken Putze zitternd, mit Blumen und Federn bewachsen, die ihr das Schicksal mit ähnlichen bald ausreißet, und mit ängstlichen andächtigen Augen, die sich am Herzen der Mutter zum letzten und schönsten Mal ergießen; mich bewegt diese Stunde, sag' ich, worin diese Geschmückte auf dem Gerüste der Freude so viele Trennungen und eine einzige Vereinigung feiert, und worin die Mutter vor ihr umkehrt und zu den andern Kindern geht und die Ängstliche einem Fremden überlässet. Du froh pochendes Herz, denk' ich dann, nicht immer so wirst du dich unter den schwülen Ehejahren heben, dein eignes Blut wirst du oft vergießen, um den Weg ins Alter fester herabzukommen, wie sich die Gemsenjäger ans Blut ihrer eignen Fersen halten. – – Dann möcht' ich zu den zuschauenden und neidischen Jungfrauen auf dem Wege zur Kirche hinaustreten und sagen: mißgönnt der Armen die Wonne einer vielleicht flüchtigen Täuschung nicht so sehr – ach ihr sehet wie sie heute den Zank- und Schönheitapfel der Ehe nur in der Sonnenseite der Liebe hangen, so rot und so weich; aber die grüne, saure, im Schatten versteckte Seite des Apfels sieht niemand. – Und wenn ihr jemals eine verunglückte Ehegattin herzlich bedauert habt, welche den veralteten Brautputz nach zehn Jahren von ungefähr aus dem Kleiderfache zog, und in deren Augen auf einmal alle Tränen über die süßen Irrtümer drangen, die sie in zehn Jahren verloren, wißt ihr denn das Gegenteil von der Beneideten so gewiß, die vor euch glänzend vorüberzieht? –
Ich wäre aber nicht unerwartet in diese fremde Tonart von Rührung ausgewichen, wenn ich mir nicht Lenettens Myrtenkränzchen unter dem Hute (ich wollte nur oben nichts von meiner Empfindung sagen) und ihr Alleinsein ohne eine Mutter und ihr angepudertes weißes Blumengesichtchen zu lebhaft vorgestellt hätte und vollends dazu die Bereitwilligkeit, womit sie ihre jungen weichen Arme (sie war schwerlich über neunzehn Jahre) in die polierten Handschellen und Kettenringe der Ehe steckte, ohne nur umzuschauen, an welche Plätze man sie daran führen würde ... Ich könnte hier die Finger aufheben und einen Schwur ableisten, daß der Bräutigam so gerührt war wie ich, wo nicht stärker; zumal wie er den Aurikeln-Puder aus dem Blüten-Gesichte gelind abstrich und die Blumen darin nackt aufblühen ließ. Aber er hatte sein mit Liebetränken und Freudentränen vollgegossenes Herz sehr behutsam herumzutragen, wenn es nicht überlaufen sollte zu seiner Schande vor dem lustigen Haarkräusler und dem ernsten Schulrate. Auch litt er das Überlaufen nicht an sich. Er versteckte, ja verhärtete gern die reinste Erweichung, weil er immer an die Poeten und Schauspieler dachte, welche die Wasserwerke ihrer Empfindung zur Schau springen lassen; und weil er überhaupt über niemand so oft lachte als über sich. Deshalb war heute sein Gesicht von einer sonderbaren lächelnden Verlegenheit, die nur von den naßschimmernden Augen die bessere Bedeutung erhielt, durchzogen und ausgezackt. Da er bald merkte, daß er sich noch nicht genug verberge, wenn er bloß den Handlanger des Perückenmachers und den Proviantkommissarius des Frühstücks vorstelle: so griff er zu einem stärkern Mittel und fing an, sich und seine bewegliche Habe vor Lenetten in ein schönes Licht zu setzen, und fragte: »Liegt meine Stube nicht artig genug, Mademoiselle? – Von hier aus kann ich grade in die Rathaus-Fenster auf den Sitztisch und die Dintenfässer gucken. – Viele von den Stühlen wurden im Frühjahr um vierthalbes Geld erstanden, und sind solche vielleicht niedlich. – Aber mein alter guter Großvaterstuhl« (er hatte sich hineingesetzt und auf dessen gepolsterten Arme seine magern hingestreckt) »geht den Stühlen vielleicht im Großvatertanz voran; wie sie so sanft ruhen, Arm auf Arm. – Mein Tischteppich hat gutgewirkte Blumen, aber das Kaffeebrett wird, hör' ich, wegen seiner lackierten Flora vorgezogen; in jedem Falle tragen beide das Ihrige in Blumen auf. – Mein Leyser ziert mit seinen schweinledernen Meditationen das Zimmer sehr – in der Küche sieht es noch schöner aus, ein Topf steht am andern und das übrige daneben, sogar der Hasenbrecher und die Hasengabel, zu denen sonst mein seliger Vater die Hasen geschossen.«
Die Braut lächelte so vergnügt ihn an, daß ich fast glauben soll, sie hat bis in ihre Fuggerei durch 20 aneinander gestellte Hör- und Sprachröhre fast alles von seinen 1200fl. rhnl. und den Interessen erhorcht; um so leichter begreif' ichs, wenn sich die Welt die Stunde zu erleben sehnt, wo er ihrs einhändige.
Es wird meinen Leserinnen nicht unangenehm zu erfahren sein, daß der Bräutigam jetzo einen leberfarbenen Ehren-Frack antat, und daß er ohne Halsstrang oder Binde und ohne Haarstrang oder Zopf zum hl. Werke in den Frühgottesdienst mit seiner Putzmacherin schritt, unterweges zu seinem eignen satirischen Vergnügen sich die verleumderischen Augen der Kuhschnapplerinnen vorstellend, womit sie der guten Fremden über den Markt bis zum Opferaltare ihres väterlichen Namens nachliefen. »Mäßiges Verleumden«, sagt' er von jeher, »sollte man einer Ehefrau, als einen geringen Ersatz ihrer verlornen Schmeicheleien, eher erleichtern als versalzen.- Der Schulrat Stiefel hütete die Hochzeitstube und entwarf auf dem Schreibtische eine kurze Rezension von einem Programm. – Ich sehe zwar jetzo das geliebte Paar am Altargeländer knieen und könnte dasselbe wieder mit meinen Wünschen, wie mit Blumen, bewerfen, besonders mit dem Wunsche, daß beide den Eheleuten im Himmel ähnlich werden, die allemal, nach Swedenborgs Vision, in einen Engel verschmelzen – wiewohl sie auf der Erde oft in der Hitze auch zu einem Engel, und zwar zu einem gefaltnen einkochen, woran des Weibes Haupt, der Mann, den stößigen Kopf des Bösen vorstellt – noch einmal wünschen könnt' ich, sag' ich; aber meine Aufmerksamkeit wird, so wie die aller Trauzeugen, auf eine außerordentliche Begebenheit und Vexiergestalt hinter der Liedertafel des Chors gelenkt. – –
Droben guckt nämlich herunter – und wir sehen alle in der Kirche hinauf – Siebenkäsens Geist, wie der Pöbel sagt, d.h. sein Körper, wie er sagen sollte. Wenn der Bräutigam hinauf schauet: so kann er erblassen und denken, er sehe sich selber. – – Die Welt irrt; rot wurd' er bloß. Sein Freund Leibgeber stand droben, der schon seit vielen Jahren ihm geschworen hatte, auf seinen Hochzeittag zu reisen, bloß um ihn zwölf Stunden lang auszulachen. Einen solchen Fürstenbund zweier seltsamer Seelen gab es nicht oft. – Dieselbe Verschmähung der geadelten Kinderpossen des Lebens, dieselbe Anfeindung des Kleinlichen bei aller Schonung des Kleinen, derselbe Ingrimm gegen den ehrlosen Eigennutz, dieselbe Lachlust in der schönen Irrenanstalt der Erde, dieselbe Taubheit gegen die Stimme der Leute, aber nicht der Ehre, dies waren weiter nichts als die ersten Ähnlichkeiten, die sie zu einer in zwei Körper eingepfarrten Seele machten. Auch dieses, daß sie Milchbrüder im Studieren waren und einerlei Wissenschaften, bis auf die Rechtsgelehrsamkeit, zu Ammen hatten, rechn' ich, da oft gerade die Gleichheit der Studien ein auflösendes Zersetzmittel der Freundschaft wird, nicht am höchsten an. Ja nicht einmal die bloße Unähnlichkeit ihrer ungleichnamigen Pole (denn Siebenkäs verzieh, Leibgeber bestrafte lieber, jener war mehr eine horazische Satire, dieser mehr ein aristophanischer Gassenhauer mit unpoetischen und poetischen Härten) entschied ihr Anziehen. Aber wie Freundinnen gern einerlei Kleider, so trugen ihre Seelen ganz den polnischen Rock und Morgenanzug des Lebens, ich meine zwei Körper von einerlei Aufschlägen, Farben, Knopflöchern, Besatz und Zuschnitt: beide hatten denselben Blitz der Augen, dasselbe erdfarbige Gesicht, dieselbe Länge, Magerheit und alles; wie denn überhaupt das Naturspiel ähnlicher Gesichter häufiger ist, als man glaubt, weil man es nur bemerkt, wenn ein Fürst oder ein großer Mann einen körperlichen Widerschein wirft. Daher wollt' ich ordentlich, Leibgeber hätte nicht gehinkt, damit man ihn nicht daran von Siebenkäsen unterscheiden können, zumal da dieser auch sein Kennzeichen, das ihn von jenem absondern konnte, geschickt wegradiert und weggeätzt hatte durch eine lebendige Kröte, die er auf dem Kennzeichen krepieren lassen; es war nämlich ein pyramidalisches Muttermal neben dem linken Ohr gewesen, von der Gestalt eines Triangels oder des Zodiakalscheins oder eines aufgestülpten Kometenschwanzes, eigentlich eines Eselohrs. Halb aus Freundschaft, halb aus Neigung zu tollen Szenen, die ihre Verwechslung im gemeinen Leben gab, wollten sie ihre algebraische Gleichung noch weiter fortsetzen – sie wollten nämlich einerlei Vor- und Zunamen führen. Aber sie gerieten darüber in einen schmeichelnden Hader: jeder wollte der Namenvetter des andern werden, bis sie den Hader endlich dadurch schlichteten, daß beide die eingetauschten Namen behielten und also die Otaheiter nachahmten, bei denen Liebende auch die Namen mit den Herzen wechseln. Da es schon mehre Jahre her ist, daß mein Held durch den befreundeten Namendieb um seinen ehrlichen Namen gekommen und dafür den andern ehrlichen eingewechselt: so kann ichs nicht anders machen in meinen Kapiteln, ich muß ihn als Firmian Stanislaus Siebenkäs in der Liste fortführen, wie ich ihn bei der Schwelle vorstellte – und den andern als Leibgeber –, ob mir gleich kein Kunstrichter zu sagen braucht, daß der mehr komische Name Siebenkäs besser für den mehr humoristischen Ankömmling passe, den einmal die Welt noch genauer kennen lernen soll als mich selber.»Und zwar in der längsten, aber besten Biographie, die ich je geschrieben und zu welcher mir täglich ganze Karren mit Aktenstücken, Urkunden, Attestaten u.s.w. vor die Tür geschoben werden, weil ich kein Wort schreiben will, das ich nicht verbriefen kann.« – Diese ganze Note stand in der frühern Auflage; ist aber wohl in der gegenwärtigen entbehrlich, da der Titan längst in aller Händen ist. – –
– Als beide Ebenbilder einander in der Kirche erblickten, lockerten und kräuselten sich ihre errötenden Gesichter sonderbar, über die der Zuschauer so lange lächelte, bis er sie mit den im flüssigen Feuer der gerührtesten Liebe schwimmenden Augen zusammenhielt. Leibgeber zog im Chore unter dem Ringwechsel eine Schere und ein schwarzes Quartblatt aus der Tasche und schnitt von ferne das Gesicht der Braut in sein Schattenpapier hinein. Die Schattenreißerei gab er gewöhnlich für die Proviantbäckerei auf seinen ewigen Reisen aus, und ich führe – da der seltsame Mann, wie es scheint, nicht entdecken will, auf welchen Höhen sich die Quellen sammeln, die ihm unten in den Tälern springen – lieber gutmütig und gläubig an, daß er oft über seine Schattenreißerei zu sagen pflegte: fallen doch schon vom Beschneiden für den Buchbinder, den Briefsteller, den Advokaten Brotschnitte mit den weißen Papierschnitzeln ab; mit schwarzen aber, es sei von Schattenrissen oder von weißen Trauerbriefen mit schwarzen Rändern, falle noch mehr ab, und verstehe man vollends die freie Kunst, seinen Nebenchristen vermittelst mehrer Glieder schwarz abzubilden, z. B. vermittelst der Zunge, was er ein wenig könne, so läute die Fortuna – diese wahre babylonische Hure – sich an der Eßglocke und dem Wandelglöckchen eines solchen Mannes halb lahm. –
Noch unter dem Händeauflegen des Diakonus kam Leibgeber herunter und trat hart an den rotsamtnen Altarschemel und hielt, als es aus war, nach einer halbjährigen Trennung und bei einer solchen Verbindung folgende etwas lange Anrede: »Guten Morgen, Siebenkäs!« – Mehr sagten sie einander nach Jahren nie; und so wird ihm bei der Auferstehung der Toten Siebenkäs auch gerade so repartieren wie heute: »Guten Morgen, Leibgeber!« – Das zwölfstündige Auslachen aber, das oft Freunde einander leicht in der Ferne drohen, wurde dem mit allem Humor vereinbarlichen Zartgefühl durch die Rührung unmöglich, womit man seinen Freund in den Vorhof eines neuen labyrinthischen Gebäudes unseres unterirdischen Daseins treten sieht. –
Ich bekomme jetzo vor meinen Schreibtisch die lange Hochzeittafel gestellt, bei welcher zu bedauern ist, daß kein Gemälde davon an den mit Herkulaneum untergesunknen Vasen steht – man hätt' es mit herausgescharrt und in den herkulanischen Zeichnungen matt kopieret – – und diese Nachzeichnung könnt' ich dann statt alles hersetzen. Wenige haben eine bessere Meinung von dem Vermögen meiner Feder als ich selber; aber ich sehe völlig, daß es meines und ihres übersteigt, nur zur Hälfte und schlecht in schwarzer Manier darzustellen, wie es den Gästen schmeckte (es waren fast so viele da als Stühle) – wie noch dazu kein einziger Schelm unter den ehrlichen Leuten saß (denn der Vormund des Bräutigams, der Heimlicher von Blaise, hatte sich entschuldigen und sagen lassen, er vomiere) – wie der Haus- oder Mietherr, ein lustiger, schwindsüchtiger Sachse, durch sein Pudern und Trinken nicht in die Welt hinein lebte, sondern aus ihr hinaus – wie man an die Gläser mit der Gabel und auf die Teller mit den Markknochen schlug, um jene zu füllen, um diese zu leeren – wie im ganzen Hause niemand, weder der Schuster, noch der Buchbinder, arbeitete, außer unter dem Essen, und wie sogar die alte unter dem mausfarbnen Tore verhökende Sabel (Sabine) heute ihren Kramladen nicht erst mit dem Tore geschlossen, sondern vorher – wie nicht bloß ein Gang aufgetragen wurde, sondern ein zweiter, ein Doppelänger. Wer freilich an großen Tafeln gegessen und da gesehen hat, wie fünf Schüsseln, wenn zwei Gänge sind, sich nach Ranggesetzen stellen müssen: dem ist es nichts Unerhörtes oder Überprächtiges, daß Siebenkäs – die Perückenmacherin hatte alles gemacht – beim ersten Gange stellen ließ
1 ins Zentrum den Suppen-Zuber oder Fleischbrüh-Weiher, worin man mit den Löffeln krebsen konnte, wiewohl die Krebse, wie die Biber, in diesem Wasser nicht mehr hatten als Robespierre damals im Konvent, nämlich nur den Schwanz –
2 in die erste Welt-Ecke einen schönen Rind-Torso oder Fleisch-Würfel als Postament des ganzen Eß-Kunstwerks –
3 in die zweite ein Eingeschneizel, eine vollständige Musterkarte der Fleischbank – süßlich traktiert –
4 in die dritte einen Behemoth von Teich-Karpfen, der den Propheten Jonas hätte verschlingen können, der aber das Schicksal des Mannes selber teilte –
5 in die vierte das gebackne Hühnerhaus einer Pastete, worein das Geflügel, wie das Volk in einen Landtagsaal, seine besten Glieder abgeschickt hatte. – –
Ich kann mir und den Leserinnen das Vergnügen nicht versagen, nur ein schwaches Küchenstück vom zweiten Gange zu entwerfen.
1. In der Mitte stand, wie ein Gartenblumenkorb, eine Panse von Kapuzinersalat – 2. dann stellten sich die vier syllogistischen Figuren oder vier Fakultäten in ihre vier Winkel. – Im ersten Tafelwinkel saß als erste Figur und Fakultät ein Hase, der als Gegenfüßler eines Barfüßers noch seinen natürlichen Pelzstiefel in der Pfanne anbehalten und der, wie Leibgeber richtig anmerkte, aus dem Felde als Widerspiel des Fußvolkes trotz den feindlichen Flinten mit gesunden Beinen in die Schüssel gekommen. – Die zweite syllogistische Figur wurde von einer Rindzunge gemacht, die schwarz war, nicht durch Disputieren, sondern durch Räuchern. – Die dritte, Krauskohl, aber ohne die Strünke, sonst die Speise der beiden vorigen Fakultäten, wurde jetzo als das Zugemüse derselben verspeist; so steigt in der Welt der eine und fällt der andere. – Die Schlußfigur bestand aus den drei Figuren des Brautpaars und eines etwanigen Täuflings, in Butter gebacken; diese drei verklärten Leiber, die wie die drei Männer unversehrt aus dem feurigen Ofen kamen und Rosinen statt der Seelen hatten, wurden von den Menschenfressern der Gesellschaft, wie Untertanen, mit Haut und Haar aufgefressen, einige Ärmchen des Infanten ausgenommen, der wie der Vogel Phönix noch früher personifiziert wurde, als er da war. – –
Das Gemälde greift mich an. Inzwischen mußt' es koloriert sein, und es war über den Schmaus-Luxus nicht etwan dadurch wegzuwischen, daß ich ihn leicht mit einem kurfürstlich-sächsischen verglichen und erläutert hätte. Es ist wahr, Kurfürsten dieses Kreises brauchen viel (daher man sie sonst alljährlich wog), und es ist mir recht gut bewußt, daß zu Anfang des 16ten Säkulums ein sächsischer Rendant folgenden Artikel in sein Rechnungbuch eingetragen: »Heute ist unser gnädiger Kurfürst mit seinem Hofstaat zum Weine gewesen, wofür ich funfzehn Gulden habe zahlen müssen. Das heiß' ich schlampampen.« Aber was würde der sächsische Rendant geschrieben, wie würde er die Hände vor Erstaunen in die Höhe gehoben haben, wenn er in meinem ersten Kapitel ersehen hätte, daß ein Armenadvokat noch drei Gulden sieben Groschen mehr vertan als sein Kurfürst! –
Die Quellen der Lust sprangen, wie manche physische, die am Tage stocken, abends immer höher in der Brust der Gäste auf. Die zwei Advokaten sagten zwar der Gesellschaft, es sei, wie sie sich von Universitäten her erinnerten, das Recht eines Deutschen, sich voll zu trinken, gar sehr beschnitten durch Kaiser und Reich, und die Reichsabschiede von 1512, 1531, 1548 und 1577 gestatteten keine Trunkenheit; aber sie verhielten auch nicht, daß Kuhschnappel wie jeder Reichsstand das Recht besitze, Reichsgesetze, insofern es Privatgesetze sind, auf seinem eignen Gebiete zu verwerfen. – Bloß der Schulrat wußte etwas (zwanzigmal schüttelte er darüber innerlich den Kopf) gar nicht, wie ers zu nehmen habe, daß nämlich zwei Gelehrte, wenigstens zwei Advokaten, mit so ungelehrten Plebejern und Ignoranten und leeren Köpfen, als hier sich auf die Ellenbogen stützten, ganz ernsthaft zu lachen vermochten, ja zu reden über ihre wahren Lappalien. Mehr als einmal knüpfte er Fäden gelehrterer Unterhaltung an über die neuesten gefeiltesten Schulreden und über so viele parteiische Rezensionen davon; aber die Advokaten machten sich aus den Fäden nichts, sondern ließen sich vom Buchbinder die Gesellenrede hersagen, die er vor dem Meisterwerden gehalten, an welche der Schuster von selber noch die Schuhknechtrede annähte und anschuhte.
Siebenkäs merkte überhaupt vor der ganzen Tafel an, die vornehmen Zirkel seien viel ernsthafter und langweiliger und leerer als die gemeinen; dort spreche man wochenlang davon, wenn einmal ein Fest ohne verdammte Langeweile zum Umkommen ausgefallen, hier aber trage jeder zum frohen Reden-Pickenick so viel zu, daß es selten an etwas anderem fehle als an Bier. »O!« fuhr er fort, »bedächte doch jeder aus unserem Stande, um den tiefern wahrhaft zu beneiden, wie so sehr im figürlichen Sinne das zutrifft, was im eigentlichen längst wahr ist, daß grobe Leinwand besser warm hält als feine oder gar Seidenzeug, so wie ein hölzernes Haus mehr heizt als ein steinernes – im Sommer kühlt es wieder weniger als dieses –, oder so wie das schwarze grobe Roggenmehl nach allen Ärzten ungleich nahrhafter ist als das weiße feine. – So will es mir nicht einleuchten, daß in Paris Damen, welche diamantne Haarnadeln tragen, nur halb so reinheitere Jahre erleben als die Weiber, die sich dort davon erhalten, daß sie schlechte Haarnadeln aus dem Gassenkehricht auflesen; ferner mancher, der bloß mit dürren Tannenzapfen heizt, die er als Tannen-Surrogat vorher selber eingetragen« (hier dachte die holzsparende Tischgesellschaft sehr an sich) »kann oft ebensogut fahren als mancher, der grüne in Zucker einmachen und verspeisen kann.«
»Freund Armen-Advokat«, versetzte Leibgeber, »wie trefft Ihrs! In Kneip' und Krug kriegt jeder seine noch so schwere Not zum Glück auf einmal, er bekommt seine Prügel, seine Fußtritte, seine Schimpfworte sofort plötzlich; die Lust aber steigt schön allmählich mit der Rechnung. Anders gehts in Palästen; in einem Palais für den palais bekommen die Lust alle auf einmal und zu gleicher Zeit ins Maul (so wie die Blattläuse alle zu gleicher Zeit die Steiße heben und den Honig ausspritzenWilhelmis Unterhaltungen aus der Naturgeschichte. Insekten. B. I. ) – hier wird er nämlich ebenso gleichzeitig und gesellig aufgefaßt; – Langeweile hingegen, Überdruß und Ekel sind Sachen, welche erst allmählich, geschickt unter die mannigfachen Freuden verteilt, von einem ganzen langen Festin beigebracht und mitgeteilt werden, so wie man den Hund mit einem Brechmittel ganz überstreicht, damit ers langsam ablecke und so in sich bringe zum Vonsichgeben.«
Und mehr dergleichen Reden wurden vorgebracht. Ist einmal eine Lust groß: so wird sie natürlicherweise noch größer. Viele Gemeine aus der Sitzung machten vom Vorrechte des Trunks und der Spezialinquisition, nämlich du zu sagen, untereinander Gebrauch. Ja der Herr im Rotplüschrock (der Rat trug ihn gerne in Hundstagferien) spitzte das Maul und lächelte schmelzend, wie betagte Jungfern vor betagten Junggesellen, und gab Winke, er verwahre daheim zwei echte horazische Flaschen Champagner. – »Also gewiß Non-mousseux?« versetzte fragweise Leibgeber. – Der Schulrat, der grade den bessern Champagnerwein für den schlechtern ansah, antwortete mit einigem Selber-Bewußtsein: »Moussiert er nicht, nun gut, so schwör' ich, daß ich ihn allein austrinken will.« – Die Flaschen erschienen. Mit Vorsicht feilte Leibgeber an der ersten die Sperrkette der Fruchtsperre ab und zog ihr den Stechhelm aus und öffnete sie wie ein – Testament.... Ich bleibe dabei, wenn einmal die zwei Balsampappeln des Lebens, der Witz und die Menschenliebe, abgedorret sind bis an den Wipfel: so ist ihnen noch nachzuhelfen durch einen rechten Guß aus dem Sprengkrug besagter Flaschen – in drei Minuten werden die Storzeln treiben. – Als die Folie des Getränks, der silberne Schaum, in den Köpfen zu auflaufenden Luftschlössern geschlagen wurde: wie blinkte und gischte da jedes Gehirn! Welche bunte fliegende Blasen warfen nicht alle Ideen des Schulrats Stiefel, die einfachen sowohl als die zusammengesetzten, desgleichen die angebornen und die fixen! – Kann es denn je vergessen werden, daß er keine gelehrten Anzeigen mehr machte als die von Lenettens Reizen, und daß er Siebenkäsen anvertrauete, er wünsche sich zu bewerben, freilich nicht sowohl mit der zehnten Muse oder vierten Grazie oder zweiten Venus – denn er wisse wohl, wer diese schon habe –, aber so etwa mit einer Stiefgöttin und weitläuftigen Verwandten davon. Während der ganzen Fahrt, sagte er, sei er auf dem Kutschkasten ordentlich wie auf einem Predigtstuhle gesessen und habe der Braut das Glück des Ehestandes mit allen möglichen Farben vorgehalten und es ihr so lebhaft vorgeschildert, daß er sich ordentlich selber darnach gesehnt; und der Bräutigam würde ihm gedankt haben, daß sie ihn so dankbar dafür angesehen. – Und in der Tat stand der Braut alles, besonders der Abend, unbeschreiblich schön, am meisten dieses, daß sie an einem solchen Ehrentage mehr diente als bedient wurde – daß sie sich leicht gemacht und in die Hauskleidung geworfen hatte – daß sie so spät Privatstunden über die Küche bei ihren weiblichen Gästen nahm, die ihr nach eigenen Diktaten lasen – und daß sie schon auf morgen Vorsorge traf. – In der Begeisterung machte Stiefel sich an Dinge, die fast unmöglich waren – er stellte seinen linken Arm als Stäuber unter den rechten und erhielt diesen und die Fracht des plüschnen Ärmels waagrecht und schneuzte damit öffentlich das Licht, jedoch nicht ungelenk, sondern einem Gärtner ähnlich, der an einer Stange die Baumschere hinaufhält und unten durch leichtes Zuziehen oben alles beschneidet – er hielt geradezu bei Leibgebern um den Schattenschnitt Lenettens an – und nachher beim Abschied versuchte er sogar (das war das einzige Unternehmen über seine Kräfte) ihre Hand zu fangen und solche zu küssen. – –
Endlich waren alle Freudenfeuer des kleinen frohen Bundes niedergebrannt wie die Lichter, und die Nacht grub einen Edenfluß um den andern ab. Der Gäste und Lichter wurden weniger; jetzo war nur noch ein Gast da, der Rat Stiefel (denn Leibgeber ist keiner), und ein langes Licht. Es ist eine schöne erweichende Minute, nach dem Aussummen eines brausenden Gastmahl-Geläutes noch mit einigen da zu sitzen und stiller, oft trüber, sich in den Nachklang der Freude zu verlieren. Endlich brach der Rat das vorletzte Zelt dieses Lustlagers ab und wich; aber er litt es nicht, daß Finger, an welche seine Lippen mit allem Schnappen nicht kommen konnten, sich um einen kalten Messingleuchter legen sollten, um ihn hinunterzuleuchten. Leibgeber mußte zum Leuchter dienen. Jetzo saß, Hand in Hand, das Brautpaar zum erstenmal allein im Finstern nebeneinander...
Schöne Stunde, worin in jeder Wolke ein lächelnder Engel stand und aus jeder statt der Regentropfen Blumen niederwarf, möge dein Widerschein bis auf mein Papier langen und da noch sichtbar sein! –
Der Neuvermählte hatte noch nie seine Braut geküßt. Er wußte oder glaubte, sein Gesicht sei mehr geistreich, angespannt, eckig und scharf als glatt-schön; und da er noch dazu seine Gestalt immer selber lächerlich machte: so meinte er, sie komme auch andern so vor. Daher bracht' er, der sich sonst über die Augen und Zungen einer ganzen Gasse wegsetzte, doch nicht so viel Mut zusammen, um, außer den Zeiten der freundschaftlichen Dithyramben, nur seinen – Leibgeber zu küssen, geschweige seine Lenette. Er drückte ihre Hand jetzo heftiger und wandte kühn sein Gesicht gegen ihres, zumal da er nichts sehen konnte, und wünschte, die Treppe habe so viel Staffeln wie der Münsterturm, damit Leibgeber später mit dem Lichte erschiene. Auf einmal hüpfte ein gleitender bebender Kuß über seinen Mund und – nun schlugen alle Flammen seiner Liebe aus der weggewehten Asche auf. Denn Lenette, so unschuldig wie ein Kind, glaubte, es sei die Pflicht der Braut, diesen Kuß zu geben. Er umfaßte die zagende Geberin mit aufmerksamer schüchterner Kühnheit und glühte mit allem Feuer, das ihm Liebe, Wein und Freude gaben, auf ihren Lippen mit seinen; aber sie wandte – so sonderbar ist dieses Geschlecht – den gefesselten Mund von dem brennenden ab und kehrte den beglückten Lippen wieder die Wangen zu. – – Und hier blieb der bescheidene Gatte mit einem langen Kusse ruhen und drückte seine Wonne bloß durch unaussprechlich-süße Tränen aus, die wie glimmende Naphthatropfen auf Lenettens Wangen fielen und darauf in ihr zitterndes Herz. Sie lehnte das Angesicht immer weiter zurück; aber im schönen Staunen über seine Liebe zog sie ihn doch enger an sich. – –
Er ließ sie, eh' sein Liebling kam. Der auf den Bräutigam gefallene verräterische Puderschnee – dieser Schmetterlingstaub, der vom kleinsten Anfassen dieser weißen Schmetterlinge an den Fingern bleibt, daher Pitt mit Bedacht 1795 eine Taxe auf den Puder legte – entdeckte ihm wenig; aber alles erzählten ihm die naßschimmernden Augen seines Freundes und der Braut. Beide Freunde sahen sich lange verlegen-lächelnd an, und Lenette blickte nieder. – Leibgeber sagte zweimal hin! hin! und bemerkte endlich aus Angst: »Unser Abend war ganz schön« – und stellte sich, um nicht angeschauet zu werden, hinter den Stuhl des Bräutigams und legte seine Hand auf dessen Achsel und drückte diese recht herzlich; aber jetzo konnte der Glückliche sich nicht mehr bezwingen, er stand auf, entbehrte die Hand der Braut freiwillig, und nun ruhten zwei Freunde, von Engeln verknüpft, von Himmeln umgeben, nach der langen Sehnsucht des ganzen Tages gleichsam den Augenblick des heutigen Wiedersehens nachfeiernd, in männlich-stiller Umarmung aneinander. Im steigenden Taumel wollte der Gatte, um das hohe Bündnis zu erweitern, seine Geliebte in das Umfassen seines Geliebten ziehen; aber Braut und Freund blieben geschieden auseinander und umfaßten nur ihn allein. Und drei reine Himmel waren in drei reinen Herzen glänzend aufgetan – und nichts war darin als Gott, Liebe und Freude und die kleine Erden-Träne, die an allen unsern Freudenblumen hängt. –
Die Seligen, von ungewohnten Rührungen überwunden und sich fast befremdet, hatten nicht den Mut, sich in die weinenden Augen zu sehen; und der Freund des Brautpaars verließ still das Zimmer und sagte weder Wunsch noch gute Nacht.