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Drittes Kapitel

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Flitterwochen Lenettens – Bücherbräuerei – der Schulrat Stiefel – Mr. Everard – Vor-Kirmes – die rote Kuh – Michaelis-Messe – the Beggars' Opera – Versuchung des Teufels in der Wüste oder das Männchen von Ton – Herbstfreuden – neuer Irrgarten

Die Welt konnte sich nicht stärker verrechnen, als daß sie erwartete, am Montage unsern allgemeinen Helden im Trauerwagen und Leichenmantel und mit Trauermanschetten und angelaufenen Schuhschnallen als Leidtragenden über die Scheinleiche seines Glücks und Kapitals anzutreffen.

Himmel! Wie kann aber die Welt in solchem Grade fehlschießen? Der Advokat war nicht einmal in Viertels-Trauer, geschweige in halber, sondern so aufgeräumt, als hab' er selber dieses dritte Kapitel vor sich und fang' es grade so an wie ich hier.

Der Grund war: er faßte eine gute Klage gegen seinen Vormund Blaise ab, stattete sie mit mehren satirischen Zügen aus, die bloß er selber verstand, und reichte sie bei der Erbschaftkammer ein. Nur etwas in der Not getan, so ists schon etwas. Das Glück schicke uns eine noch so unfreundliche frostige Herbstluft auf den Hals – zerbricht es uns nur nicht wie Schwänen das oberste Flügelgelenk: so wird uns allemal das Geflatter, das wir damit machen, wo nicht in ein wärmeres Klima tragen, doch ein wenig selber in Wärme bringen. – Der Frau verbarg Firmian Siebenkäs aus Gründen der Liebe den Aufschub der Erbschaft wie den verjährten Tausch-Handel mit seinem Namen: er vertrauete darauf, daß eine eingehegte Advokatenfrau niemals einem vornehmen Patrizier in die häusliche Karte werde schauen können.

Was konnte überhaupt einem Menschen viel fehlen, der aus seiner stillen Woche eines Einsiedlers auf einmal in die Flitterwochen eines Zweisiedlers gefahren war? Jetzo erst faßte er seine Lenette recht in zwei Arme – vorher hatt' er immer seinen im Leben ab- und zuflatternden Freund fest mit der Linken an sich gehalten –, und sie konnte sich nun in seinen Herzkammern viel bequemer ausbreiten. Und die scheue Frau tat es wohl, soweit sie wagte; sie bekannte ihm, obwohl furchtsam, es sei ihr fast lieb, daß der unbändige Saufinder nicht mehr unter dem Tische liege und greulich vorgucke; ob sie aber nicht über den wilden Herrn desselben das nämliche gedacht, wäre nie von der gehorsamen Gattin herauszubringen gewesen. Sie erschien dem Advokaten ordentlich als eine Tochter; und der kleinen Eigenheiten konnte sie dem hoch erwachsenen Vater gar nicht genug haben.

– Daß sie ihm, wenn er ausging, so lange nachsah, als die Gasse lang war, dies war noch nicht das Halbe gegen das Nachlaufen mit der Bürste bis über die Haustüre hinaus, wenn sie oben von hinten an seinem Schanzlooper unten solche Straßenpflaster anklebend angetroffen, daß sie ihn durchaus wieder ins Haus zurück ziehen und darin den Rocksaum so sauber abbürsten mußte, als zolle man in Kuhschnappel das Pflastergeld wirklich für ein Pflaster. Er hielt der Bürste still und küßte sodann und sagte: »An der Innenseite sitzt wohl noch allerhand, aber keine Seele siehts, und komme ich wieder, so kratzen und schaben wirs droben miteinander heraus.«

Seiner Erwartung und Foderung wurde es ordentlich zu viel – aber seiner Wiederliebe nicht –, daß sie jeden Wunsch und Wink nicht bloß jungfräulich erhörte, sondern auch töchterlich befolgte und bediente. »Ratskopisten-Tochter«, sagte er, »sei mir nur nicht gar zu gehorsam; ich bin ja nicht dein Vater, ein Ratskopist, sondern nur ein Armenadvokat und habe dich geehlicht und schreibe mich Siebenkäs meines Dafürhaltens.« – »Auch mein sel. Vater«, versetzte sie, »hat wohl selber manche Sachen im stillen mit seiner eigenen Hand konzipiert und solche nachher ordentlich und sauber mundiert«; aber diese seltsame Kreuz- und Querantwort gefiel doch dem Advokaten sehr wohl; und wenn sie vor lauter Verehrung seiner nicht einen einzigen Spaß verstand, den er über sich selber machte – es sei nun, daß sie seinem ironischen Selbererniedrigen widersprach, oder dem ironischen Selbererhöhen ganz beifiel –: so schmeckten dem Advokaten diese geistigen Provinzialismen seiner Gattin nicht schlecht. Sie konnte ohne Bedenken sagen: fleuch, reuch, kreuch, anstatt fliehe, rieche, krieche; diese religiösen Altertümer aus Luthers Bibel waren recht brauchbare Beiträge zum Idiotikon ihrer Empfindungen und seiner Honigwochen. – Als er einmal eine sehr artige Haube, die sie voll Vergnügen den drei von ihr zuweilen leicht geküßten Haubenköpfen nacheinander aufprobiert hatte, auf ihr eigenes Köpfchen vor dem Spiegel mit den Worten stülpte und zog: »Setz auf und sieh hinein, dein Kopf ist vielleicht so gut als einer von Holz«, so lächelte sie ungemein vergnügt und sagte: »Du willst unsereins nur immerdar flattieren.« Man glaub' es mir, dieses naive Unverstehen rührte ihn so, daß er sich zuschwur, solche Scherze nirgends mehr vorzubringen als nur in sich und bei sich. Aber was ist dies gegen eine höhere Flitterwochenfreude? Diese war, daß seine Lenette ihm am nächsten Bußtage durchaus nicht erlaubte, sie zu küssen, als sie ihn mit ihrer Weiß- und Rot-Blüte der Jugend in den schwarzen Kopfmanschetten oder Spitzen und aus dem dunkeln Kleiderlaube dreifach verschönert anblickte: –Dergleichen weltliche Gedanken«, sagte sie, »schicken sich vor der Kirche gar nicht, wenn man schon seine Bußkleider anhat, sondern man wartet.« – »So will ich – sagt' er zu sich – doch wie eine Nordwest-AmerikanerinAn der Küste des nordwestlichen Amerika vom 50. bis 60. Grad nördlicher Breite tragen die Weiber in der durchlöcherten Unterlippe hölzerne Suppenlöffel, und zwar desto größere, je vornehmer sie sind; bei einer Frau war der Löffel 5 Zoll lang und 3 Zoll breit. Langsdorfs Bemerkungen auf einer Reise um die Welt, Bd. 2. einen Suppenlöffel fünf Zoll lang und drei Zoll breit durch meine Unterlippe stecken und ihn herumtragen, wenn ich je wieder bei der andächtigen Seele auf Löffeln und Küssen falle, wann sie schwarz angezogen ist und die Glocken lauten.« – Und er hielt, obgleich selber kein sonderlicher Kirchengänger, ihr und sich Wort. So sind wir Männer aber in der Ehe, ihr Bräute!

Daraus werdet ihr nun leicht erraten, wie selig vollends der Advokat in seinen Honigwochen wurde, als Lenette gar das, was er sonst selber, und zwar recht erbärmlich und verdrüßlich tat, für ihn auf das schönste besorgte und durch unverdroßne Feg- und Bürst-Arbeit seine dithyrambische Karthause so sauber, grade und glatt herstellte wie eine Billardtafel; ganze Honigbäume voll Fladen pflanzte sie in seine Honigwochen, wenn sie so am Morgen wie eine fleißige Biene um ihn herumsumsete und wenn sie im kleinen Bienenkörbchen – er selber prozessierte ruhig in seinen Akten weiter und bauete am juristischen Wespenneste – Wachs eintrug, Zellen bauete, Zellen säuberte, fremde Körper auswarf und Ritzen zuklebte, und wenn er dann auf einmal aus seinem Wespenneste einen zufälligen Blick auf die niedliche Gestalt im nettesten Hauskleidchen warf. Wie oft legte er nicht die Feder in den Mund und hielt ihr über das Dintenfaß die aufgemachte Hand hin und sagte hinter der Feder: »Gedulde dich doch ums Himmels willen nur bis nachmittags, wo du sitzest und nähst: so sollst du ja belohnt und geküßt werden hinlänglich, wenn ich auf- und abspaziere.«

Damit aber keine Leserin sich in Angst setze über Versäuerung solcher Honigwochen durch den enterbenden Spitzbuben Blaise: so frag' ich jede bloß dies: hatte der Advokat nicht eine Silberhütte und ein Pochwerk von sieben gangbaren Prozessen, die voll lauter Silberadern waren? – Hatt' ihm nicht sein guter Leibgeber auf vier Glückrädern einen Regiment-Geldwagen nachgefahren, auf welchem aufgeladen waren zwei Brillentaler von Julius Herzog zu Braunschweig, ein gräflichreußischer Dreifaltigkeit-Taler von 1679, ein Schwanz- oder Zopfdukaten, ein Mücken- oder Wespentaler, fünf Vikariatdukaten und eine Menge Ephraimiten? Denn er durfte ohne Bedenken dieses Münzkabinett verkalken und verflüchtigen, da es sein Freund nur aus Spott gegen die, die mit 100 Talern einen kaufen, in seinen Taschen angelegt hatte. Beide lebten überhaupt in einer Gütergemeinschaft des Körpers und Geistes, die wenige fassen; sie waren so edel geworden, daß zwischen dem Nehmer und Geber einer Gefälligkeit kein Unterschied mehr blieb, und sie schritten über die Klüfte des Lebens aneinandergeknüpft, wie die Kristallsucher auf den Alpen sich gegen den Sturz in Eisspalten durch Aneinanderbinden decken.

Gleichwohl kam er an einem Marientage gegen Abend auf einen Gedanken, welcher alle geängstigten Leserinnen seiner Geschichte ganz aufrichten wird und der ihn selber seliger machte als der größte Brotkorb mit Fruchtkörbchen oder als ein Korb Wein. Er wußte aber schon voraus, daß er den Gedanken haben würde; im Elend sagt' er allemal: Es soll mich wundern, was für ein Hülfmittel ich da wieder ausspannen werde; denn verfallen werd' ich so gewiß auf eines, als ich vier Gehirnkammern beherberge.« – Der beglückende Gedanke, wovon ich rede, war, das zu machen, was ich hier mache – ein Buch, obwohl ein satirischesDas Buch kam 1789 in der Beckmannschen Buchhandlung in Gera unter dem Titel: »Auswahl aus den Papieren des Teufels« heraus. Ich werde weiter hinten meine Meinung über jene Satiren zu äußern wagen. Hier fuhr aus den aufgezognen Schleusen des Herzens ein reißender Strom von Blut unter das Räder- und Mühlenwerk seiner Ideen hinein, und die ganze geistige Maschine klapperte, rauschte, stäubte und klingelte – es waren schon einige Metzen gemahlen fürs Werk. Ich kenne keinen größern geistigen Tumult – kaum einen süßern – in einem jungen Menschen, als wenn er in der Stube auf- und abgeht und den kühnen Entschluß fasset, ein Buch Konzeptpapier zu nehmen und ein Manuskript daraus zu machen – ja man kann darüber disputieren, ob der Konrektor Winckelmann und der Feldherr Hannibal hurtiger die Stube auf- und abliefen, als beide des ebenso kühnen Sinnes wurden, nach Rom zu gehen. Siebenkäs mußte, da er eine Auswahl aus des Teufels Papieren zu schreiben beschlossen, zum Hause hinaus und dreimal um den Marktflecken laufen, um die rollenden beweglichen Ideen durch müde Beine wieder fester in die rechten Fugen einzuschütteln. Er kam, müde vom innern Verglühen, zurück – sah nach, ob genug weißes Papier zu Manuskripten da sei – und lief auf seine ruhige Haubensteckerin zu und küßte sie so schnell, daß sie kaum die Stecknadel aus den Lippen – den letzten Dorn an diesen Rosen – ziehen konnte. Unter dem Kusse befestigte sie, hinunterschielend, ganz ruhig mit der Nadel ein Band an einem Haubenflügel. »Freu dich doch«, sagt' er, »tanze mit mir herum – ich schreibe morgen ein Opus, ein Buch. – Brat nur heute abends den Kalbskopf, ob es gleich wider unsere 12 Eß-Gesetztafeln läuft.« Er und sie hatten sich nämlich sogleich am Mittwoch als eine Speise-Gesetz-Kommission niedergesetzt; und es war unter den 39 Artikeln einer sparenden Tisch-Ordnung auch dieser durchgegangen und dekretiert, daß sie sich abends wie Brahminen ohne Fleisch behelfen wollten, ganz schlecht und nur mit Fleisches-Wertem. Er hatte aber die größte Mühe, bis er seiner Lenette beibrachte, daß er schon mit einem Bogen von der Auswahl aus des Teufels Papieren den Kalbskopf wieder zu erschreiben verhoffen dürfe und daß er nicht ohne Grund sich selber einen Fasten-Erlaß erteile; denn Lenette dachte wie der gemeine Mann oder wie der Nachdrucker, ein geschriebenes Buch werde wie ein gedrucktes bezahlt, und dem Setzer gehöre fast mehr als dem Schreiber. Sie hatte in ihrem Leben noch nichts von dem ungeheuren Ehrensold vernommen, welchen deutsche Autoren gegenwärtig ziehen; sie war wie Racinens Frau, die nicht wußte, was ein Vers oder ein Trauerspiel ist, und die gleichwohl damit die Haushaltung bestritt. Ich meines Orts würde aber keine an den Altar und in das Hochzeithaus führen, die nicht wenigstens einen Perioden in meinen Werken, über welchem mich der Tod mit seiner Sanduhr erworfen, unter meiner Firma recht gut hinauszuschreiben wüßte oder die es nicht unbeschreiblich freuen könnte, wenn ich ihr gelehrte Göttingische Anzeigen oder Allgemeine Deutsche Bibliotheken vorläse, die mich, wenn auch übertrieben, loben.

In Siebenkäs hatte den ganzen Abend die Schreibefreude alle Blutkügelchen in ein solches Rennen und alle Ideen in einen solchen Wirbelwind gesetzt, daß er bei seiner Lebhaftigkeit, die oft den Schein der Herzen-Aufwallung annahm, ohne weitere Frage über alles Langsame, das ihm in den Weg sich stemmte, über den Zögerschritt des Laufmädchens oder über die Wort-Trommelsucht desselben aufgefahren und als Platzgold losgegangen wäre, hätt' er nicht auf der Stelle nach einem besondern Temperier- oder Kühl-Pulver gegen freudige Entrüstung gegriffen und solches eingenommen. Es ist leichter, dem schleichenden Gang eines schweren trüben Blutes einen Abfall und einen schnellem Zug zu geben, als die Brandungen eines fröhlichen stürmenden zu brechen; aber er wußte sich in der größten Freude stets durch den Gedanken an die unerschöpfliche Hand zu stillen, die sie gegeben hatte – und durch die sanfte Rührung, mit welcher das Auge sich vor dem verhüllten ewigen Wohltäter aller Herzen niederschlägt. Denn alsdann will das von der Dankbarkeit und der Freudenträne zugleich erweichte Herz wenigstens dadurch danken, daß es milder gegen andere ist. Jenen wilden Jubel, den die Nemesis züchtigt, kann dieses Dankgefühl am schönsten zähmen; und die, welche an der Freude starben, wären, wenn sie ein dankbares Hinaufsehen erweicht hätte, entweder nicht gestorben oder doch an einer schönern Freude.

Den ersten und den besten Dank für das neue gerade schöne Ufer, in das jetzo sein Leben abgeleitet war, bracht' er dadurch, daß er die Verteidigung mit dem größten Feuer vollführte, die er für eine angeklagte Kindmörderin zur Abwendung der Folter zu machen angefangen. Der Stadtphysikus des Marktfleckens hatte sie nach der Lungenprobe verdammt, die ebenso richtig als die Wasserprobe Weiber zur Richtstätte hingeleitet.

Stille einsame Tage aus dem Frühling der Ehe belegten den Steig der beiden Menschen mit einem Blumenteppich. Bloß unten am Fenster erschien einige Male ein Herr in fleischfarbener Seide, wenn Lenette am Morgen sich und den weißen Arm hinausstreckte und lange am Festriegeln der zurückgelehnten Fensterladen arbeitete. »Ich schäme mich ordentlich«, sagte sie, »mich hinauszulehnen; ein vornehmer Herr steht immer drunten und zieht den Hut ab und schreibt mich auf, wie der Fleischtaxator.«

In den Schulferien des Sonnabends erfüllte der Schulrat Stiefel das Versprechen, das er am Hochzeittage feierlich gegeben, recht häufig zu erscheinen und wenigstens in den Schulferien der Woche nicht auszubleiben. Ich will ihn, um das Ohr mehr durch Wechsel zu erquicken, den Pelzstiefel nennen, zumal da ihn ohnehin der ganze Reichsort wegen des Grauwerks und des Hasen-Umschlags so nennt, den er als einen tragbaren holzsparenden Ofen an seinen Beinen trug. Der Pelzstiefel band schon auf dem ersten Stubenbrett Freudenblumen zusammen und steckte dem Advokaten den Strauß ins Knopfloch; er vozierte ihn zur Stelle eines Mitarbeiters an dem »Kuhschnappelischen Anzeiger und Götterboten und Beurteiler aller deutschen Programmen« – ein Werk, das bekannter sein sollte, damit durch solches auch die empfohlnen Schulschriften es würden. Mir ist dieser Schreibvertrag von Herzen lieb, weil er doch meinem Helden einen Rezensier-Groschen wenigstens für die Abendsuppe auswirft. Der Schulrat, der Redakteur des Anzeigers, besetzte die kritischen Gerichtstellen sonst gar nicht leichtsinnig; aber Siebenkäs war in seinen Augen zum einzigen Wesen erhoben, das einen Rezensenten noch überragt – zu einem Schriftsteller, da er von Lenetten auf dem Kirchwege gehört, ihr Mann lasse ein dickes Buch in Druck ausgehen. Der Schulrat konnte nicht anders als die damalige Salzburgische Literaturzeitung für die Heilige Schrift apokryphischen, und die Jenaische für die Heilige Schrift kanonischen Inhalts ansehen; die einzige Stimme eines Rezensenten wurde ihm vom Echo im gelehrten Gerichthof allezeit zu 1000 Stimmen vervielfältigt; und aus einem rezensierenden Kopfe wurden in seiner Täuschung mehre lernäische, wie man sonst glaubte, daß der Teufel den Kopf des armen Sünders mit Scheinköpfen einfasse, damit der Scharfrichter fehlerhaft köpfe. Die Namenlosigkeit verleihet dem Urteile eines Einzelwesens das Gewicht eines Kollegiums; man schreibe aber den Namen darunter und setze »der Kandidat XYZ« statt »Neue allgemeine deutsche Bibliothek« so hat man die gelehrte Anzeige des Kandidaten zu sehr geschwächt. Der Schulrat warb meinen Helden an, seiner Satire halber; denn er selber, ein Lamm im gemeinen Leben, setzte sich auf dem Rezensier-Papier zu einem Werwolf um; ein häufiger Fall bei milden Menschen, wenn sie schreiben, besonders über humaniora und dergleichen; wie etwa sanfte geßnerische Hirtenvölker (nach Gibbon) gern Krieg anfangen und gut führen; oder wie der Idyllenmaler Geßner selber ein schneidender Zerrbildzeichner war.

Unser Held und neugeworbener Rezensent bot von seiner Seite an diesem Abende wieder Stiefeln Freude und die Aussicht zu mehr als einer an, nämlich aus dem von Leibgeber hinterlassenen Münzkabinettchen einen Mücken- oder Wespentaler, nicht um für die Bestallung zum kritischen Wespennest ein douceur zu geben, sondern um den Mückentaler in kleineres Geld umzusetzen. Der Schulrat, der als der fleißige Silberdiener eines eigenen Talerkabinettes gern gesehen hätte, alles Geld wäre überhaupt nur für Kabinette da – er meinte aber numismatische, nicht politische –, funkelte und errötete entzückt über den Taler und beteuerte dem Advokaten, welcher dafür nur den Natur-, nicht den Kunstwert erstattet verlangte: »Aber ich erkenne hierin den wahren Freundschaftdienst.« – »Nein«, versetzte Siebenkäs, »aber den wahren tat mir Leibgeber, der mir den Taler gar geschenkt.« – »Aber ich gäbe gewiß dreimal mehr dafür, wenn Sie es nur fodern wollten«, sagte Stiefel. – »Aber (fiel Lenette, über Stiefels Freundlichkeit und Entzückung entzückt, ihren Mann heimlich zum Festbleiben anstoßend, mit einer Dreistigkeit ein, die mich wundert) mein Mann wills ja nicht anders; und ein Taler ist ein Taler.« – »Aber«, versetzte Siebenkäs, »dreimal weniger eher dürft' ich künftig fodern, wenn ich Ihnen mein Kabinettchen talerweise abstehe.« – – Ihr lieben Seelen! Wären doch die menschlichen ja immer solche Aber wie eure!

Der hagestolze Stiefel ließ sich an einem so genußreichen Abende echte Höflichkeit gegen das weibliche Geschlecht am wenigsten nehmen, besonders gegen eine Frau, die er schon als Braut in seinem Brautwagen liebgewonnen und die ihm gar jetzo als Gattin eines solchen Freundes und als solche Freundin seiner selber doppelt lieb geworden. Er verwickelte sie daher fein genug in das bisher zu gelehrte Gespräch, indem er über die drei Haubenköpfe gleichsam wie über drei Pflastersteine den Übergang zum Modejournal machte; nur aber zu schnell auf ein älteres Modejournal zurückglitt, auf des Rubenius seines vom Putze der alten Griechen und Römer. Seine Predigten auf alle Sonntage streckte er ihr gern vor, da Advokaten als böse Christen nichts Theologisches haben. Ja als sie die entfallene Lichtschere zu seinen Füßen suchte, hielt er ihr den Leuchter tief hinunter dazu.

Wichtig für das ganze Siebenkäsische Haus oder vielmehr Zimmer wurde der Sonntag, welcher in dasselbe einen vornehmern Mann, als bisher aufgetreten, einführte – nämlich den Venner, Hrn. Everard (Eberhard) Rosa von Meyern, einen jungen Patrizius, der in Hrn. Heimlichers von Blaise Hause täglich aus- und einging, um sich in die »Routine der Amts-Praxis einzuschießen«. Auch war der Mann der Bräutigam einer armen Nichte des Heimlichers, die außer Landes für sein Herz erzogen und ausgebildet wurde.

Also war der Venner ein wichtiger Charakter des Marktfleckens sowohl als unsers Dornenstücks, und zwar in jeder politischen Hinsicht. Denn in körperlicher war ers wohl weniger; durch seinen blumigen Kleiderputz war sein Leib fast wie ein Span durch einen Dorf-Blumenstrauß gesteckt – unter den funkelnden Magenflügeldecken eines Westen-TierstücksAuf den damaligen Gillets waren Tiere und Blumen abgebildet. pulsierte ein steilrechter, wenn nicht eingebogener Bauch, und seine Beine hatten im Ganzen den Wadengehalt der Holzstrümpfe, womit Strumpfwirker sich an ihren Fenstern anzukündigen und zu empfehlen suchen.

Der Venner trug dem Advokaten kalt und ziemlich grobhöflich vor, er sei bloß gekommen, ihm die Last der Verteidigung der Kindermörderin abzunehmen, da er ohnehin so viele andere Sachen auszuführen habe. Aber Siebenkäs durchsah sehr leicht den Zweck des Vorwands. Es ist nämlich bekannt, daß zwar die verteidigte Inquisitin zum Vater ihres über die Erde im Fluge gegangenen Kindes einen Musterkartenreiter adoptiert und angenommen, dessen Namen weder sie noch die Akten anzugeben wußten; daß aber der zweite Vater des Kindes, der als ein junger Schriftsteller aus Bescheidenheit nicht gern seinen Namen vor seine pièce fugitive und sein Antrittprogramm setzen wollte, niemand war als der hagere Venner Everard Rosa von Meyern selber. Gewisse Dinge will oft eine ganze Stadt zu verunkennen (zu ignorieren) scheinen; und darunter gehörte Rosas Autorschaft. Der Heimlicher von Blaise wußte also, daß sie der Defensor Firmian auch wisse, und besorgte mithin, daß sich dieser für den Raub der Erbschaft an seinem Verwandten Meyern durch eine absichtlich-schlechte Verteidigung der armen Inquisitin rächen werde, um diesem die Schande ihrer Hinrichtung zu machen. Welcher entsetzliche niedrige Argwohn! – Und doch ist oft die reinste Seele zum Argwohn eines solchen Argwohns genötigt! – Zum Glück hatte Siebenkäs den Blitzableiter der armen Mutter schon fertig geschmiedet und aufgerichtet. Als er ihn dem Kasual- oder Schein-Bräutigam der Scheinkindermörderin vorwies: gestand dieser sogleich, einen geschicktern Schutzheiligen hätte die schöne Magdalena unter allen Advokaten der Stadt nicht aufgetrieben; wenigstens keinen frömmern, setzen Schreiber und Leser hinzu, welche wissen, daß er durch die Verteidigung der Unschuld dem Himmel für den ersten Entwurf der Teufelspapiere dankbar sein wollte.

Jetzo kam plötzlich die Frau des Advokaten aus der Nachbarstube des Buchbinders von einem fliegenden Besuche zurück. Der Venner sprang ihr bis an ihre Türschwelle mit einer Höflichkeit entgegen, die nicht weiter zu treiben war, da sie doch erst vorher aufmachen mußte, eh' er entgegen konnte. Er nahm ihre Hand, die sie ihm im ehrerbietigen Schrecken halb zulangte, und küßte solche gebückt, aber die Augen emporblickend gedreht und sagte: »Mäddämm, ich habe diese schöne Hand schon seit einigen Tagen unter der meinigen gehabt.« Jetzo kam es durch ihn heraus, daß er derselbe fleischfarbige Herr sei, welcher ihre Hand, wenn sie solche zum Fenster hinausgelegt, mit der Reißfeder unten weggestohlen, weil er um eine schöne Dolces Hand für ein Kniestück seiner abwesenden Braut verlegen gewesen, in das er aus dem Gedächtnisse einen bloßen Kopf von ihr zu zeichnen unternommen. Nun tat er seine Handschuhe, in welchen er sie nur, wie manche frühere Christen das Abendmahl, aus Ehrerbietung zu berühren gewagt, herunter von seinem Ringfeuer und Hautschnee; denn um diesen letzten in größtem Sonnenbrande zu bewahren, legte er selten die Handschuhe ab, es müßte denn im Winter gewesen sein, der wenig schwärzt. Kuhschnappler Patrizier, wenigstens junge, halten gern das Gebot, welches Christus den Jüngern gab, niemand auf der Straße zu grüßen; auch der Venner beobachtete gegen den Mann die nötige Unhöflichkeit, nur aber gar nicht gegen die Frau, sondern ließ sich unabsehlich herab. Schon von satirischer Natur hatte Siebenkäs den Fehler, gegen gemeine Leute zu höflich und vertraut zu sein, und gegen höhere zu vorlaut. Aus Mangel an Welt wußt' er die rechte krumme Linie gegen die bürgerlichen Klassiker nicht mit dem Rücken zu beschreiben; daher fuhr er lieber – gegen die Stimme seines freundlichen Herzens – stangengerade auf. Außer dem Mangel an Welt war sein Advokatenstand Ursache, dessen kriegerische Verfassung eine gewisse Kühnheit einflößt, zumal da ein Advokat stets den Vorteil hat, daß er keinen braucht, daher ers häufig, wenn es nicht Patrimonial-Gerichtherren oder auch Klienten sind, welchen beiden er mit seinen geringen Gaben zu dienen hat, keck mit den angesehensten Personen aufnimmt. Inzwischen rückte gewöhnlich in Siebenkäs Menschenliebe unvermerkt den beweglichen Steg so unter seinen hochgespannten Saiten herab, daß sie zuletzt bloß den sanften tiefern leisern Ton angaben. Nur jetzo wurd' ihm gegen den Venner, dessen Zielen auf Lenette er zu erraten genötigt war, Höflichkeit viel schwerer als Grobheit.

Er hatte ohnehin einen angebornen Widerwillen gegen geputzte Männer – obwohl gegen geputzte Weiber grade das Gegenteil –, so daß er oft die Flügelmännchen des Putzes in den Modejournalen lange ansah, bloß um sich recht über sie abzuärgern, und daß er den Kuhschnapplern beteuerte, wie er niemand lieber als einem solchen Männchen Schabernack antäte, einen Schimpf, einen Schaden bis zum Prügeln hinauf. Auch war es ihm von jeher lieb gewesen, daß Sokrates und Kato auf dem Markte barfuß gegangen, wogegen barhaupt gehen (chapeaubas) ihm nicht halb soviel war.

Aber eh' er sich anders als mit Gesichtzügen äußern konnte, strich die Holzknospe von Venner sich den halbwüchsigen Bart und trug sich von weitem dem Armenadvokaten als Kardinalprotektor oder Vermittler in dem bewußten Blaisischen Erbschaft-Zwiste an, um den Advokaten teils einzunehmen, teils zu demütigen. Aber dieser – aus Ekel, einen solchen Gnomen zum Hausgeist und Paraklet (Tröster) zu bekommen – fuhr auf, jedoch lateinisch: »Zuerst soll meine Frau, ich fodere es, kein Wort von dem unbedeutenden Kartoffelkriege erfahren. Auch verschmäh' ich in gerechter Sache jeden andern Freund als einen Rechtsfreund, und den letzten stell' ich selber vor. Ich bekleide meinen Posten; der Posten bekleidet freilich nicht mich in Kuhschnappel.« Dieses letzte Wortspiel drückte er mit einer so wahrhaft-seltenen Sprachfertigkeit durch ein ähnliches lateinisches aus, daß ich es fast hersetzen sollte; der Venner aber, der sich weder das Wortspiel noch das übrige so deutlich übersetzen konnte, als wir es gelesen, gab sogleich, um sich nur loszumachen und nicht bloßzugeben, in derselben Sprache zur Antwort: »imo, immo«, womit er ja sagen wollte. Deutsch fuhr nun Firmian fort: »Es ist wahr, Vormund und Mündel, Vetter und Vetter waren nahe aneinander, in jedem Sinn: hat man sich aber nicht auf den besten Konzilien, z. B. auf dem zu Ephesus im fünften Säkul, ausgeprügelt? Ja der Abt Barsumas und der Bischof von Alexandrien, Dioskorus, Männer von Rang, schlugen den guten Flavian bekanntlich da maustot.Mosheims Kirchengeschichte, 3. T S. Anmerkung von Hrn. Einem. Und ein Sonntag war es ohnehin, wo die ganze Sache vorgefallen. An Sonn- und Festtagen aber ist der Gottesfrieden, durch welchen in den dummen Zeiten die Fehden innehalten mußten, gerade in den Schenken aufgehoben (die Glocken und die Krüge läuten ihn aus), und die Menschen prügeln sich, damit die Gerichte doch ein Einsehen haben und dareinschlagen. In der Tat, wenn man sonst die Feste zum Mindern der Fehden vermehrte, so sollten Justizpersonen, Hr. v. Meyern, die wie wir von etwas leben wollen, eher um die Einziehung einiger gefriedigten Werkeltage und dafür um neue Apostel- und Marientage anhalten, damit Schlägereien und mit den Schmerzen auch die Schmerzengelder anliefen samt den Sporteln. Aber, trefflichster Venner, wer denkt an so was?«

Er konnte ungefähr alles dies deutsch vor Lenetten sagen; sie war längst gewohnt, von ihm nur das Halbe, das Viertel, das Achtel zu verstehen und um den ganzen Venner sich gar nicht zu bekümmern. Als Meyern vornehm-kalt geschieden war: suchte Siebenkäs seine handgeküßte Frau noch mehr für den Venner zu bestechen, indem er dessen ungeteilte Liebe gegen das gesamte weibliche Geschlecht, ob er gleich ein Bräutigam sei, und besonders die frühere gegen seine in Verhaft und auf den Tod sitzende Vor-Braut nach Vermögen pries; aber er nahm sie eher wider den Venner ein. »So treu bleibe dir und mir immer, du gute Seele«, sagte er, sie ans Herz nehmend; aber sie wußte nicht, daß sie treu geblieben, und fragte: »wem sollt' ich denn untreu sein?«

– Von diesem Tage bis zum Michaelistage, in welchen die Messe oder Kirmes der Reichsstadt fiel, scheint das Glück den Weg bis dahin ohne besondere Blumenbeete – nämlich für mich und Leser – bloß mit reinem platten englischen Rasengrün fast nur in der Absicht angelegt zu haben, damit der Michaelis- und Kirmestag vor uns auf einmal wie eine schillernde blendende Stadt aus dem Tal aufspränge. In der Tat fiel wenig vor; wenigstens nimmt meine Feder, die nur wichtigern Ereignissen dienstbar ist, das kleine nicht gern auf, daß der Venner Meyern oft beim Buchbinder, der mit Siebenkäsen unter demselben Dach-Himmelstriche wohnte, vorgesprochen; er sah bloß nach, ob die »Gefährlichen Bekanntschaften« (liaisons) gebunden waren.

Aber der Michaelistag! – Wahrlich die Welt wird daran denken. Und ist denn nicht schon selber der Rüsttag vorher so auserlesen und ausgestattet, daß man ihn der Welt ohne Sorge schildern kann?

Wenigstens lese sie die Schilderung vom Rüsttage und gebe dann ihre Stimme! –

An diesem Tage oder dem Vorsabbate der Kirmes war wie überall das ganze Kuhschnappel ein Arbeit- und Raspelhaus für Weiber; eine sitzende oder friedliche oder reingekleidete war im ganzen Orte nicht zu haben – die belesensten Mädchen machten kein Buch auf als die Vexierbücher, um Seide daraus zu nehmen, und die einzigen Blätter, die sie durchgingen, waren die der Schuhe und des Blätterteigs – mittags aß fast keine – die Kirmes- oder Messe-Kuchen waren das eigentliche Räderwerk der weiblichen Maschinen und ihrer künftigen Lustbarkeit.

An einer Kirchweihe müssen die Weiber ihre Gemäldeausstellung haben, und die Kuchen sind die Altarblätter. – Jede benaget und beschauet diese gebacknen Silhouettenbreter und Gedächtniswappen des Adels der andern, der Kuchen hängt an jeder als Medaillon oder, wie Bleistücke am Tuche, als Siegel des Wertes herab. Sie essen und trinken wahrlich fast nichts; aber dicker Kaffee ist ihr gesegneter Abendmahl-Wein und durchsichtiges, dünnes Gebackenes ihr gesegnetes Oblaten-Brot; nur daß bei ihren Freundinnen und Wirtinnen das letzte ihnen dann am besten schmeckt und sie es fast vor Liebe fressen, wenn es versteinert sitzen geblieben und schuß- und stichfest oder zu Beinschwarz verkohlt oder sonst erbärmlich ist; sie erkennen willig alle Fehler, welche ihre innigsten Freundinnen begangen, und suchen die Scharten auszuwetzen, indem sie sie einladen und viel anders abspeisen. – Was unsere Lenette anlangt, so buk sie von jeher so, beste Leserin, daß Kenner ihre Kruste, und Kennerinnen ihre Krume vorzogen und beide beteuerten: »Nur Sie, Beste, könnten etwas Ähnliches backen.« Das Kochfeuer war das zweite Element dieser Salamanderin; denn das erste der guten Nixe war das Wasser. So in einer vollen Haushaltung – wie Siebenkäsens seine war, der alle Ephraimiten von Leibgeber der Kirchweihe geweihet hatte – sich wie in Sand zu baden, zu plätschern, zu scharren, zu schnattern, das war ihr Fach. Es war heute ihrem glühenden Gesichte kein Kuß zu applizieren, aber die Frau hatte auch zu tun; denn um 10 Uhr kam gar eine neue Arbeit hinter dem neuen Arbeiter, dem Fleischer.

Ich benies' es jetzo selber, daß die Welt für einen kurzen Bericht von der Sache mir – und wer kann ihn weiter geben – am Ende danken wird. Es wurde nämlich schon in Sommers Anfang eine schöne dürre Kuh, zu deren Kaufschilling die vier Haushaltungen zusammenschossen, auf die Mastung eingestellet. Der Buchbinder, der Schuhflicker, der Armenadvokat und der Haarkräusler – der sich von seinen Mietleuten nur darin unterschied, daß sie bei ihm, er aber bei seinen Gläubigern zur Miete wohnten – ließen von einer geschickten Hand – sie saß an Siebenkäsens Armröhre – ein authentisches Instrument – der sprachreinigende Kolbe schnauzet hier nach seiner Gewohnheit mich Unschuldigen über fremde Wörter in einem ja römisch-juristischen Aktus an – Lebens und Sterbens der Kuh halber verfertigen und aufsetzen, worin sämtliche Kontrahenten – sie standen alle aufmerksam um das leere Dokument, den ausgenommen, der saß und es fertigte – sich anheischig machten, daß

1 jeder der vier Interessenten am Rinde das besagte Rind alternierend melken sollte und dürfte –

2 daß das Küchen- oder Mast-Personale aus einer gemeinschaftlichen Kriegkasse das Kostgeld, den Küchenwagen und überhaupt den Unterhalt des besagten Rinds bestreiten sollte und dürfte – und

3 daß die Alliierten besagtes Maststück nicht nur den Tag vor Michaelis, den 28. Sept. 1785, totschlagen, sondern auch jedes Viertel desselben wieder in vier Viertel nach dem Ackergesetz (lex agraria) für die vier Teilhaber zerhacken sollten und dürften.

Siebenkäs fertigte vier vidimierte Kopeien vom Partagetraktat aus, für jeden eine; und nie schrieb er etwas mit ernsthafterer Lust. Heute war bloß noch der 3te Artikel von dem friedsamen Hausverein von vier Evangelisten zu erfüllen, welche sämtlich zum Wappentiere nur ein Kompagnie-Tier und noch dazu nur das weibliche des Lukas genommen.

Aber die Gelehrten lechzen nach meiner Kirmes – ich werfe also mein Tier- und Menschenstück nur flüchtig her. Kolbe fährt natürlich fort und fährt mich an. Der Septembrisierer, der Fleischer, tat noch am Ende des Fruktidors seine Pflicht gut – die Vierfürsten von Konviktoristen standen bei allem, und selber die alte Sabine tat viel und zog einiges. – Die Quadrupelalliance speisete sich wie den erschlagnen Viehstand mit einem zusammengeschossenen Pickenick, bloß um den Metzgermeister gratis hineinzuziehen; und allerdings erschien ein Liguist, den ich unten nennen werde, in einer Verfassung und Kleidung am Tische, die nicht ernsthaft genug für das Einschlachten vorkam – die Schlacht-Hansa machte sich dann ans Divisionexempel nach der Gesellschaftrechnung, und das goldene Kalb, um das sie tanzten, wurde mit verschiedenen heraldischen Schnitten, wovon ich keine namhaft machen will als den Wellenschnitt, den Klee-, den Haupt-, den Zahn-, den Stufen- und den Querschnitt, gerecht zerschnitzt – – und dann wars vorbei. Ich denke, ich kann keinem etwas Rühmlichers von der ganzen zootomischen Teilung sagen, als was der Teilhaber Siebenkäs selber sagte: »Zu wünschen wär' es, die zwölf Stämme und in den neuern Zeiten das römische Kaisertum wäre so redlich oder vielfach zerteilt worden als unsere Kuh und Polen.«

Dem Embonpoint der letzten wird man sein Recht gegeben haben, wenn man folgendes Lob des Schuhflickers Fecht anführt: »Daß dich alle Schock Kreuz-Mohren-Schwerenot! Du Schwerenöterin! – (Nun auf einmal mit herabgesunkener frommer Stimme:) Nun der liebe Gott hat dem lieben Vieh recht sein Gedeihen geschenkt und uns unwürdige arme Sünder über alle Maßen gesegnet.« Er hatte sich als ein lustiger Springinsfeld ins schwere pietistische Kutschenzeug eingeschirrt und mußte immer seine alten Flüche mit neuen Seufzern versüßen. Und eben auf dieses Fechtes nicht ganz würdige Verfassung und Kleidung zielt' ich oben, da er leider an dem ganzen Einschlacht-Tage keine Hosen anhatte, sondern bloß im weißen Fries-Rock seines Weibes das Zergliederhaus auf- und abrennte und so seine eigne eheliche Hälfte vorstellte; aber die Sozietät verdachte ihm nichts; er konnte nicht anders, denn seine schwarzledernen Bein-Düten wurden, solange als er sich im demi-negligé einer Amazone aufhielt und wie ein Hermaphrodit aussah, im Färbekessel neu aufgelegt oder gedruckt.

Aber endlich wird Kolbe mein Freund, denn ich fahre deutsch fort wie folgt.

Der Armenadvokat hatte Lenetten gebeten, abends 4½ Uhr sich zu ihm zu setzen und sich nicht mehr abzuarbeiten, etwan mit dem Abendessen, er wolle sich heute eines abkargen und nichts genießen als für einen halben Taler Kuchen: die Flinke rannte und fegte; und wirklich schon um 6 Uhr lagen beide in den weiten ledernen Armen – eines breiten Großvaterstuhls (denn er hatte kein Fleisch, sie keine Knochen) und schaueten ruhig-beglückt wie Kinder, welche essen, die meßkünstlerisch-geordnete Stube an und das allgemeine Gleißen und die Kuchen-Mondsicheln in ihren Händen und das flüssige Glanz- oder vielmehr Zwischgold der tiefen Sonne, das sich an dem blinkenden Zinn-Gerät immer höher rückend anlegte – und ihr Ausruhen wurde wie der Schlaf eines Wiegenkindes von den schreienden klappernden zwölf herkulischen Abendarbeiten der andern Leute im Hause umgeben – und der hellere Himmel und die neugewaschenen Fenster setzten der Länge des Tages eine halbe Stunde zu – und der Glocken- oder Stimmhammer des Abendgeläutes stimmte die melodischen Wünsche sanft hinauf, bis sie – Träume wurden. – Um 10 Uhr wachten sie auf und gingen zu Bette...

Ich habe selber eine Freude an diesem kleinen gestirnten Nachtstück, das mein Kopf so glimmend und verschoben gab, wie die vergoldete Halbkugel meiner Uhr tut, wenn ich sie gegen die Abendsonne halte. – Auf den Abend will der gejagte ermattete Mensch in Ruhe sein; für den Abend eines Tages, für den Abend eines Jahrs (für den Herbst) und für den Abend seines Lebens trägt er seine mühseligen Ernten ein, und da hofft er so viel! – Hast du aber nie dein Bild auf abgeernteten Auen gesehen, die Herbstblume oder Zeitlose, welche ihr Blühen auf den Nachsommer verschiebt und die ohne Frucht der Winter überschneiet und die keine erzeugt als im – Frühling darauf? –

Aber wie schlägt die brausende schwellende Flut des Kirchweih-Morgens an die Bettpfosten unsers Helden! Er tritt in die weiße leuchtende Stube, die seine diebisch aufstehende Lenette vor Mitternacht unter seinem ersten Schlafe gewaschen und zu einem Arabien versandet oder überpudert hatte; auf diese Weise hatte sie ihren und er seinen Willen gehabt. An einem Kirmesmorgen rat ich jedem, das Fenster aufzumachen und den Kopf hinauszulegen wie Siebenkäs, um den flüchtigen Bauten und Mieten der kleinen hölzernen Börsen auf dem Markte zuzusehen und dem Fallen der ersten Tropfen des ganzen Wolkenbruchs von Leuten. Nur bemerke der Leser, daß es nicht auf meinen Rat geschah, daß mein Held im Übermute des Reichtums – denn die Musterkarte aller Kuchen im Hause lag freilich hinter seinem Rücken – zu manchem grünen Patrizier-Räupchen, das noch übermütiger vorüberlief und dessen Naturgeschichte er gern aus dessen Gesichte selber lernen wollte, herunterrief: »Ich bitte Sie, betrachten Sie einmal das Haus da: finden Sie nichts?« Hob das Räupchen die Physiognomie empor und streckte sie abschüssig aus: so konnt' er – das wollt' er ja – letzte bequem studieren und durchlaufen. »Gar nichts finden Sie?« fragt' er. Wenn das Kerbtier den Kopf schüttelte: so fiel er oben bei und sagte: »Ganz natürlich! ich gucke seit Jahr und Tag heraus und finde auch nichts, aber ich wollte meinen Augen nicht trauen.«

Unbedachtsamer Firmian! dein gärender Schaum der Lust kann leicht – wie an jenem Sonnabend, wo du Visitenkarten abgabest – zerfallend niedersinken. – Aber vorher schäumte sein Tropfen Most, den er aus den Vormittagstunden auskelterte – alles war frisch und feurig. – Der galoppierende Hausherr warf mit der Puder-Säemaschine Samen auf gutes Land. – Der Buchbinder brachte seine Güter, die teils in leeren Schreibbüchern, teils in noch leerern Gesangbüchern, teils in Novitäten, in Kalendern, bestanden, auf der Achse zu Markt und mußte zweimal fahren mit dem Schiebkarren; aber abends nur einmal zurück, weil er die Kalender (die eigentlichen größten Novitäten oder Neuigkeiten, da im ganzen langen Laufe der Zeiten nichts so neu ist als ein neues Jahr) an Käufer und Verkäufer abgesetzt. – Die alte Sabel hatte ihr ostindisches Haus, ihre Obstkammer und ihr Ringkabinett aus Zinn unter dem Tore geöffnet; sie hätte ihr Warenlager ihrem eignen Bruder nicht für sechs Gulden abgelassen und war überhaupt eine Stadt-, aber keine Landkrämerin. – Der Altreis flickte heute am hl. Michaelistag keinem Menschen einen Schuh als seiner Frau. –

Sauge dich immer voraus, Held, an diesen feinen Raffinad-Zucker des Lebens an und leere den vormittägigen Konfekt-Teller ab; frage nichts nach dem Teufel und dessen Großmutter, sollten beide auch ihrer Natur nach darauf sinnen, irgend einen Sauertopf und Brechbecher, ja Giftbecher aufzutreiben und dir ihn einzugeben.

Des Mannes größte Lust ist aber noch rückständig – nämlich das unzählige Bettelvolk. Ich will die Lust beschreiben und dadurch austeilen.

Eine Kirmes ist überhaupt die Messe, die Bettler jedes Standes jährlich beziehen; schon ein paar Tage vorher drehen sich alle Fußsohlen, die auf nichts zu fußen haben als auf milde Herzen, als Radien nach dem Orte, aber am Morgen der Kirchweih selber kommt erst der bettelnde Jahrgang und die Krüppelkolonne ordentlich in Gang. Ein Mann, der Fürth gesehen, oder der in Ellwangen unter Pater Gaßners Regierung gewesen, der kann diese Blätter aus seinem Exemplar herausschneiden; aber ein anderer hat nicht eher einen Begriff von allem, als bis ich weiter gehe und ihn zum kuhschnappelischen Tore hineinführe.

Der Straßen-Gottesdienst und die Sing-Ständchen heben nun an. – Blinde singen, wie geblendete Finken, besser, aber lauter – die Lahmen gehen – die Armen predigen das Evangelium selber – die Taubstummen lärmen sehr und läuten die Messe ein mit einem Glöckchen – einer fähret mitten in die Arie des andern mit seiner eignen hinein – vor jeder Haustüre klappert ein Vaterunser, und drinnen in der Stube kann niemand mehr sein eignes Fluchen hören – einerseits werden ganze Heller-Kabinetter verspendet, anderseits eingesteckt – die einbeinige Soldateska wirft in ihre Stoßgebete Flüche als Pfeffer und sakramentiert entsetzlich, weil man ihr so wenig verehrt – kurz, der Marktflecken, der sich heute letzen wollte, ist fast mit Sturm eingenommen vom Bettelpack.

Jetzo erscheinen erst die Krüppel und Preßhaften. Wer ein verholztes Ersatz- oder Vexierbein unter dem Leibe hält und wem eine katholische Wallfahrt-Kapelle zu weit abliegt, der setzt das Nachbein samt dem langen Drittbein und Mitarbeiter, der Krücke, in Gang nach Kuhschnappel und pfählt und pflanzt den spitzigen Fuß nahe am dortigen Tore in nasses Land und wartet, ob das Holz gedeiht und trägt. Wer keine Arme oder doch keine Hände mehr hat, der strecket beide dort aus nach einer geringen Gabe. Wen der Himmel mit dem Talente der Bettler, mit Krankheit, besonders mit den Bettler-Vapeurs, mit Gicht, mäßig ausgesteuert hat, der nimmt sein Pfund und seinen zur Krankheit gehörigen Körper und erhebt damit seine Römermonate von Gesunden. – Wer nur überhaupt als Kupferstich vorn vor Krankheitlehren ebensogut stehen könnte wie vor Toren: der tritt unter diese und berichtet, was ihm fehlet, und das ist vorderhand das fremde Geld. – Es sind viele Beine, Nasen, Arme in Kuhschnappel zu haben, aber doch noch viel mehr Menschen; jedoch angestaunet, obwohl nicht erreicht, sondern nur beneidet – wiewohl bloß von Makulaturseelen, die keinen Vorzug, ohne ihn zu fodern, sehen können – wird ein außerordentlicher Kerl, der nur halb noch da ist, weil seine andere Hälfte schon im Grabe liegt und ihm alles, ist, was Schenkel heißt, weggeschossen ist; denn diese Schüsse setzen ihn in Stand, das Primat und Generalat der Krüppel an sich zu reißen und sich überhaupt als einen Halbgott, dessen Geist statt eines Körperkleides nur noch ein Kollet, ein kurzes Wams, umhat, auf einem Triumph-Karren vor allen herumschieben zu lassen. »Ein Soldat«, sagte Siebenkäs, »der noch mit einem Beine behaftet ist und der deshalb mit dem Schicksal rechten will und es wohl gar fragt: ›warum bin ich nicht zusammengeschossen wie dieser Krüppel und erfecht' ein so schmales Almosen?‹ der bedenkt nicht, daß auf der einen Seite noch tausend andere Krieger neben ihm sind, die nicht einmal ein hölzernes Bein besitzen (geschweige mehre) und die diesen Brand- und Bettelbrief gänzlich entbehren, und daß er auf der andern Seite, wenn ihm die Kugeln noch so viele Glieder abgenommen, immer noch fragen könnte: ›warum nicht mehr?‹« –

Siebenkäs machte sich lustig über das Elend, weil dieses selber sich lustig macht; aber er schlug auf der andern Seite keinen staatswissenschaftlichen Lärm darüber auf, wenn das Elend zuviel soff und fraß – wenn einmal vor einem Hirtenhause der ganze Lazarettwagen ausstieg, und wenn drinnen die Zugpflaster, die Märtererkronen, die Stachelgürtel und Härenhemden abfielen und nichts übrig blieb als ein frisches menschliches Wesen, das eine Minute aufhörte zu seufzen – und wenn, da alle Menschen nicht bloß um zu leben, sondern um zuweilen besser zu leben, arbeiten, auch der Bettler etwas Besseres haben will als sein tägliches Auskommen, und wenn der Krüppel die Göttin der Freude, die unsere Tanzsäle nur en masque besucht, in seine getäfelte Tanzscheune als Mittänzerin hineinzieht, und wenn ihr im Walzen mit dem Krüppel die schwüle Maske abfällt. – –

Um 11 Uhr warf der Teufel, wie ich halb vermutet, eine Hand voll Brummfliegen in Firmians Brautsuppe – nämlich einen Bräutigam selber, den Hrn. Rosa v. Meyern, der seinen Besuch auf nachmittags (statt einer Realterrition) anbot, weil er da den Marktplatz besser überschauen könne, hatt' er als Patrizier sagen lassen. Arme Honoratioren, die in keinem andern Hause etwas zu befehlen haben als in ihrem eigenen, machen in ihres leicht Schießscharten, um daraus zu feuern auf den Feind, der von – innen angreift. Der Advokat hatte in jede Schale seiner Themiswaage eine Unhöflichkeit gegen den Venner zu werfen und suchte bloß die kleinste herauszufinden – die eine war, ihm sagen zu lassen, er möge bleiben, wo er wäre, die andere war, ihn hereinzulassen und übrigens zu tun, als sitze der Kauz im Monde. – Siebenkäs wählte die letzte als die kleinste.

Die guten Weiber müssen immer die Himmelleiter tragen und halten, auf der die Männer ins Himmelblau und in die Abendröte steigen; diese Visite wurde als eine neue Landfracht auf die zwei Tragestangen der Arme Lenettens geworfen. Die Schwemme aller beweglichen Habe und der Weihwedel aller unbeweglichen kamen wieder in Gang. Lenette war Meyern, dem Bräutigam der Kindermörderin, von Herzen gram: gleichwohl wurden alle Glättmaschinen an die Stube angesetzt; ja ich glaube, Weiber putzen sich für Feindinnen noch besser an als für Freundinnen. – Der Advokat ging mit langen Schlußketten wie ein Gespenst behangen einher und wollt' ihr den Gedanken beibringen, sich um den Hasen nichts zu scheren – es half nichts, sie sagte: »Was würd' er von mir denken!« Bloß als sie seinen alten Dintenkopf, worin er erst Dintenpulver für die Auswahl aus des Teufels Papieren zergehen ließ, als eine Krudität der Stube vertrieben, und als sie an die heilige Arche seines Schreibtisches greifen wollte: dann richtete sich der Ehevogt auf und setzte sich auf die Hinterfüße und zeigte mit den vordern auf die Demarkationlinie.

Rosa erschien! – Verfluchen oder totprügeln konnte den Jüngling eigentlich keine nur ein wenig weiche Seele; man gewann ihn vielmehr allezeit in dem Zwischenraum seiner Streiche lieb. Er hatte weißes Haar an Kopf und Kinn und war überhaupt sanft und hatte wie die Insekten fast Milch statt des Blutes in den Adern, so wie die Pflanzen, die vergiften, meistens weiße Milchsäfte haben. Er vergab leicht, ausgenommen den Mädchen, und vergoß abends im Theater oft mehr Tränen, als er mancher Verführten abgedrücket hatte – sein Herz war überhaupt nicht von Stein oder Höllenstein, und wenn er lange betete, wurd' er andächtig und suchte die ältesten Glaubenlehren hervor, um ihnen beizufallen. – Der Donner war für ihn eine Nachtwächterschnarre, die ihn aufweckte aus dem leisen Schlafe der Sünde. – Dürftigen griff er gern unter die Arme, zumal unter schöne. – Im ganzen genommen kann er selig werden, zumal da er nicht, wie etwan die Schuldner der großen Welt, seine Spielschulden bezahlt, und da er in seinem Herzen ein angebornes Duellmandat gegen Schießen und Hauen besitzt. Sein Wort hält er freilich noch nicht; auch würd' er, wenn er ärmer wäre, ohne Bedenken stehlen. Gewichtigen Leuten legt' er sich wedelnd zu Füßen, aber die Weiber zerrt' er wie ein Schoßhund an der Schleppe oder setzte sich mit entblößtem Gebisse zur Wehre.

Solche biegsame Wasserschößlinge flattern vor jedem satirischen Schlage zurück, und es ist ihnen, so sehr sie ihn verdienen, keiner beizubringen, weil die Einwirkung sich nur wie der Widerstand verhält; und Siebenkäs wünschte, Meyern wäre roher und rauher; denn gerade diese nachgiebigen, bereuenden, kraft- und saftlosen weichen Geschöpfe stehlen Glück, Kassenbestand, weibliche Unschuld, Ämter und guten Namen und sind völlig dem Mäusegift oder Arsenik ähnlich, der, wenn er echt ist, ganz weiß, glänzend und durchsichtig scheinen muß.

Rosa erschien, sag' ich; aber unendlich schön: sein Schnupftuch war eine große, und seine beiden Locken zwei kleine Molucken voll Wohlgeruch – auf der Weste war (nach damaliger Sitte) ein ganzer gemalter Viehstand oder Zimmermanns zoologische Karte – seine Beinkleidchen und sein Röckchen und alles salzte die Weiber im Hause bloß durch den Vorübergang zu Lothischen Salzsäuren ein. Mich aber, gesteh' ich, blenden mehr seine bereiften sechs Ringfinger: – Schattenrisse, Gemälde, Steine, sogar Käferflügeldecken waren schön zum goldnen Beschlage seiner Finger verbraucht.

Von der Hand kann man recht gut den Ausdruck »sie wird mit Ringen wie ein Huf beschlagen« brauchen, da man ihn ja schon längst auf den Roßhuf selber anwandte, von welchem doch Daubenton durch Zergliederung erwiesen, daß er alle Teile unserer Hand befasse. Der Gebrauch dieser Hand- oder Fingerschellen ist unschuldig, ja Ringe sind Leute, die in den Nasen welche brauchen, an den Fingern unentbehrlich. Denn nach der angenommenen Meinung sind diese metallne Überbeine der Finger zur Verunstaltung schöner Hände erfunden, gleichsam als Ketten und Nasenringe, um die Eitelkeit zu zähmen; daher Fäuste, die an sich häßlich sind, diese Entstellung leicht entraten. Ich möchte wissen, ob ein ähnlicher Gedanke von mir selber, warum eine schöne Hand eine höckerige Ringkugel (Sphära Armillaris) werden muß, auch wahr ist. Pascal trug nämlich einen großen eisernen Ring mit Stacheln um den bloßen Leib, um sich durch einen kleinen Druck darauf sogleich mit Schmerzen für jeden eiteln Gedanken abzustrafen: sollen nicht vielleicht die kleinern und schönern Ringe auf ähnliche Weise jeden eiteln Gedanken mit kleinen, aber vielen Schmerzen züchtigen? Wenigstens scheinen sie diese Bestimmung zu haben, da gerade Eitle die meisten tragen und die beringelte Hand am meisten bewegen.

Oft laufen unwillkommne Besuche froher ab als andere: man war heute lustig genug, Siebenkäs war in seinem Haus wie zu Hause – er guckte mit dem Venner auf den Markt. Die Frau hatte, nach ihrer Erziehung und nach der kleinstädtischen Sitte der mittlern Stände, nicht den Mut, im Konzert eines männlichen Gesprächs etwas anders zu sein als stumm, höchstens obligat, sie ging und trug ab und zu und versaß die beste Zeit unten bei andern Weibern. – Der höfliche galante Rosa Everard kehrte gegen sie seine Hexenkunst, eine Frau auf einen Platz festzubannen, fruchtlos vor. Er klagte vor dem Ehemann, in Kuhschnappel sei wenig echte Feinheit und noch kein einziges Liebhaber-Theater, worauf man spielen könne wie in Ulm – die besten Moden und Bücher verschreib' er vom Auslande.

Siebenkäs bezeugte ihm bloß seine Freude über das – Bettelvolk auf dem Markt. – Er machte ihn aufmerksam auf die kleinen Buben, die in die rotgemalten Holztrompeten stießen, um, wenn nicht Jericho, doch das Trommelfell zu zerblasen. Aber er fügte mit Wohlbedacht hinzu, er solle darum die andern armen Teufel nicht übersehen, die in ihren Kappen die versprungene Nachlese des zerspalteten Klafterholzes, wie Bauinspektoren die Zimmerspäne, erhöben. – Er fragte ihn, ob er mit andern Kameralisten auch Lotterien und Lottos verwerfe und ob er glaube, daß das gemeine Wesen von Kuhschnappel bei der alten umgestürzten Tonne unten leide, auf deren Boden oben ein Zeiger, der um ein Zifferblatt von Pfefferkuchen und von Pfeffernüssen fuhr, gegen geringen Einsatz von den Teilnehmern umgeschnellt wurde auf Gefahr des Lottodepartements, eines gierigen alten Weibstücks, da mancher Junge statt eines Nüßchens einen Kuchen erwischte. Siebenkäs hatte das Kleine lieb, weil es in seinen Augen ein satirischer zerrbildnerischer Verkleinerspiegel alles großen bürgerlichen Pompes war. Der Venner gewann solchen zweideutigen Darstellungen nicht den geringsten Geschmack ab; allein der Advokat hatte auch gar nicht daran gedacht, durch sie eine andere Langeweile zu zerstreuen als seine eigene. »Darf ich doch«, sagt' er einmal, »mit mir selber alles laut sprechen, was ich nur will; was gehts mich an, daß ein anderer hinter meinem Rücken zuhört oder vor meinem Bauche?«

Endlich warf er sich, nicht ohne Beifall des Venners, der nun mit der Frau ein vernünftiges Wort zu reden hoffte, ganz unter das Marktvolk hinab. Everard wurde durch Firmians Entfernung erst in sein Element, in sein rechtes Hechtwasser gesetzt. Er stellte einleitend vor Lenetten ein Modell von ihrer Geburtstadt auf; er kannte viele Gassen und Leute in Augsburg und war oft vor der Fuggerei vorbeigeritten, und ihm sei es noch wie heute, sagt' er, daß er sie einmal neben einer ungemein schätzbaren Matrone, was gewiß ihre Mutter gewesen, einen Damenhut nähen sehen. Er nahm ohne Bedenken in seine rechte Hand die ihrige, die sie ihm wie aus Dank für so teuere Erinnerungen leicht ließ, und drückte diese; dann ließ er plötzlich nach, um zu sehen, ob sie nicht im Gedränge der Finger etwas erwidert habe oder dem Verlust des Drucks wieder beizukommen suche – aber er hätte ebenso gut Götzens eiserne Hand mit seinen Diebsdaumen pressen können als ihre heiße. Er kam jetzo auf ihre Putzarbeit, sprach über die Coiffüren-Muster als ein Mann, der die Sache verstand, und nicht wie Siebenkäs, der ohne die geringste Sachkenntnis sich in dergleichen mischte, – und bot ihr zwei Lieferungen sowohl von Ulmer Mustern als von kuhschnapplerischen Kundleuten an. »Ich kenne einige Damen«, sagt' er und zeigte ihr in einem Taschenkalender das Verzeichnis von seinen Engagements zu den künftigen Wintertänzen, »die ich schon zwingen kann; ich tanze mit keiner, die nicht etwas von Ihnen aufhat.« – »So schlimm wirds wohl nicht sein«, versetzte vieldeutig Lenette. Er mußte sie letztlich bitten, ein wenig vor ihm zu arbeiten, weil er den Kern ihrer kriegerischen Macht zu schwächen hatte durch Teilung, wenn sie die Augen auf die Nadeln und nur die Ohren gegen ihn postieren konnte. Sie errötete, als sie zwei Stecknadeln ergriff und eine in das rote kleine runde Nähkissen des – Mundes steckte; das litt er nun nicht, er kannte die Gefahren eines Besteckens ganz – eines Bedornens gegen Hasen wie er –, es sei nun, daß eine dieses Stilett selber oder daß sie nur den giftigen Grünspan davon hinunterschlucke. Er zog eigenhändig das Stichgewehr aus ihrer Lippenscheide, ritzte aber – wenigstens bejammerte er dieses – wenig oder nicht den Amarellen-Mund. Ein rechtschaffener Venner glaubt sich in solchem Fall zu den Heilkosten und Schmerzengelde verpflichtet; Everard zog freiwillig seine englische Patent-Pomade heraus und strich sie auf ihren linken Zeigefinger und trug mit diesem Pflaster-Spatel – er mußte aber dabei ihre ganze Hand als den Schaft des Fingers anfassen und oft ohne seinen Willen drücken – den Salben-Lack auf die unsichtbare Wunde auf. Das unglückliche Stilett selber steckte er in sein Hemde, indem er ihr seine eigne Jabot-Nadel daraus gab und dabei seine zarte weiße Brust gern – erkältete. Ich bitte Leute, die den Dienst verstehen, inständig, meinen Helden freimütig zu beurteilen und mir im gesessenen Krieggericht die Bewegungen und Plane anzuzeigen, die falsch gewesen wären.

Daher ließ er die Verwundete nicht mehr arbeiten, sondern sich bloß die ausgebaueten Aufsätze vorweisen; von einem bestellt' er ein Exemplar für die gnädige Frau v. Blaise. Er bat sie, ihn aufzuprobieren, und rückte selber den Aufsatz so, wie ihn die Frau v. Blaise trug. Beim Himmel! er stand noch besser, als er gedacht hatte; und er schwur, so müss' er der Heimlicherin auch lassen, da sie besonders einerlei Länge mit Madame habe. Das letzte war erlogen und diese um eine ganze halbe Nasenlänge kürzer- auch sagt' es Lenette, die jene in der Kirche gesehen. – Rosa blieb dabei und setzte Seele und Seligkeit (denn in solchen Zwisten sprach er ordentlich ruchlos) zum Pfande, die gnädige Frau sei nicht länger, er nehme das Abendmahl darauf, er habe sich 100mal mit ihr gemessen und sie sei einen halben Zoll länger als er selber. »Beim Himmel!« sagt' er plötzlich und sprang auf, »ich führe ja ihr Längenmaß wie ihr Tailleur bei mir, ich darf mich ja nur mit Ihnen messen.«

Ich will hier kleinen Mädchen eine goldne Kriegregel, die ich selber gemacht, nicht vorenthalten – »Streite nie lange mit einem Manne, worüber es sei – die Wärme im Wortwechsel ist auch eine – man vergisset sich und greift zuletzt zu Beweisen durch syllogistische Figuren, die der Feind begehrt und dann umsetzt in poetische, ja in plastische Figuren.«

Lenette stellte sich, im schnellen Wirbel der Begebenheiten schwindelnd, gutmütig an das Rekrutenmaß, an ihren Rekruten Rosa; er lehnte seinen Rücken an ihren: »So ists nichts«, sagt' er »ich seh' es nicht« und schnallte seine rücklingsgebognen, gerade über ihrer Herzgrube eingeknöpften Finger wieder auf. Er sprang herum, stellte sich vor sie, umfing sie locker und wiegte sich gegen sie, um durch die Nivellierwaage des Auges zu erforschen, ob beider Stirnen in einer Ebene lägen. Seine klaffte um einen ganzen Zoll über ihre hinaus; er umschnürte sie fester und sagte errötend: »Sie hatten doch recht; aber ich hatte nur Ihre Schönheit zu Ihrer Länge addieret« und drückte in solcher Nähe seinen roten Mund gar wie Siegellack auf die Urkunde der Wahrheit, auf ihren.

Sie wurde beschämt, verlegen, weich und unwillig, hatt' aber nicht den Mut, gegen einen vornehmen Patrizium in ihre Entrüstung auszubrechen. Nun sprach sie kein Wort mehr. Er setzte sie und sich ans Fenster und sagt' ihr, er woll' ihr, hoff' er, andere Lieder vorlesen, als da unten verkäuflich herumgetragen würden. Er war nämlich einer der größten Dichter in Kuhschnappel, wiewohl er bisher mehr seine Verse bekannt gemacht, als daß diese ihn bekannt gemacht hätten. Seine Gedichte glichen wie die meisten jetzigen ganz den Musen selber, indem sie, wie die Musen, echte Kinder des Gedächtnisses waren. Jede altfränkische Stadt hat wenigstens ihren neumodischen Gecken, der die Honneurs macht; und jede kalte prosaische, reichsgerichtlichstilisierte hat doch ihr Genie, ihren Dichter und Empfinder; oft werden beide Stellen von einem Subjekte verwaltet wie hier. Der Große und der Kleine Rat hießen ihren Rosa ein Kraftgenie, von der Genie-Seuche angesteckt. Diese Seuche gleicht der Elefantiasis, welche Troll in seiner Reise durch Island im 24. Briefe richtig beschreibt und die darin besteht, daß der Patient an Haaren, Ritzen, Farbe, Beulen der Haut und allem völlig einem Elefanten ähnlich sieht, nur daß er seine Stärke nicht hat und in einem kalten Klima lebt.

Everard zog eine rührende Elegie aus der einen oder linken Tasche, worin (ich meine in der Elegie) ein an der Liebe verfalbender Edler sich selber niedersang, und er merkte voraus an, er wolle gern solche ihr vorlesen, falls er sie anders vor Rührung durchbringe; – aber bald preßte dem Verfasser das Gedicht mehr als eine Träne und Rührung ab, und er mußte zu seiner Ehre ein neues Beispiel abgeben, daß, wie männlich und kalt auch er und Dichter seinesgleichen sich bei den größten Leiden der Menschheit zu fassen wissen, sie sich doch nicht ganz bei denen der Liebe bezwingen können, sondern weinen müssen. Sie bereuen freilich solche Tränen nicht. Rosa inzwischen, der sich wie diebische Spieler immer an einer widerspiegelnden Fläche aufhielt – und wär' es Wasser, Fensterscheibe oder polierter Stahl – um die weibliche Physiognomie im Fluge zu treffen, nahm in einem Spiegelchen des Rings der linken Hand, worin er die Elegie vorhielt, nur einige tragische Tau-Spuren in Lenettens Augen wahr, welche sein Dichten nachgelassen. Nun holte er aus der zweiten Tasche eine Ballade (sie muß längst gedruckt sein) hervor, worin eine unschuldige Kindmörderin mit einem weinenden Abschied vom Geliebten ihrem Schwert entgegengeht. Die Ballade hatte (sehr unähnlich seinen andern poetischen Kindern) wahres poetisches Verdienst, da er zum Glück – wenigstens für das Gedicht – selber einen solchen Geliebten vorstellte und mithin aus dem Herzen zu dem Herzen sprechen konnte. Schwer zu malen ist die Rührung und Zerfließung, welche in Lenettens Angesicht erschien; ihr ganzes Herz stand weinend in den blinden Augen; sie hatt' es gar nicht gewohnt, so erfaßt zu werden von Wirklichkeit und Dichtkunst zugleich. Da warf der Venner die Ballade im Feuer weg und sich an – Lenettens Hals und sagte: »Mitempfinderin, Edle, Hehre!«

Ich kann das Erstaunen nicht malen, womit sie, die einen Übergang vom Weinen zum Küssen gar nicht begriff, ihn wegdrückte. Jetzo half es nichts – er war in der Rührung – er foderte ein Andenken dieser »hehren bezaubernden Minute«, nur einen Flock Kopfhaare von ihr. – Ihr niedriger Stand und das großgedruckte Beiwort und überhaupt ihr Unvermögen, nur zu begreifen, was er mit ihrem schwarzen Pelzwerk, und wenn sie ihm ganze Troddeln und Bettzöpfe davon zuschnitte, machen wolle, alles das setzte ihr den dummen Gedanken in den Kopf, er wolle einen Büschel Haare, um damit – zu hexen, etwan um ihr die Liebe antun zu lassen. –

Er hätte sich jetzo auf der Stelle vor ihr erstechen, auseinandersäbeln, lebendig pfählen können – – sie hätte es kalt gesehen, sie hätt' ihn etwan mit ihrem Blute gerettet, aber mit keinem Härchen.

Er hatte noch ein Mittel in petto – überhaupt war ihm ein solcher Vorfall noch niemals vorgekommen – er hob die Hände zum Schwur in die Höhe und beteuerte, er wolle ihr von Hrn. v. Blaise die Erbschaft ihres Mannes und die Anerkennung desselben als Vetter – weil er jenem nur die Nichte sitzen zu lassen drohen dürfe – recht leicht verschaffen, wenn sie die Schere nähme und ihm nur ein härnes Andenken, nur so viel als ein viertels Schnurrbart betrage, abschneide.

Sie wußte vom Zwiste nichts, und er war also, zum Nachteil seines Enthusiasmus, zu einer umständlichen prosaischen Erzählung der species facti des ganzen Prozesses genötigt. Zu seinem wahren Glücke führte er das Zeitungblatt noch in der Tasche, in welchem die Erbschaftkammer sich im Drucke nach der Existenz des Advokaten erkundigt, und konnt' ihr solches hinhalten. Da fing die geplünderte Frau bitterlich an zu weinen, nicht über die Einbuße der Erbschaft, sondern über das lange Schweigen ihres Mannes und am meisten über die Zweifelhaftigkeit ihres jetzigen – Namens, da sie nicht wisse, sei sie an einen Siebenkäs oder an einen Leibgeber verheiratet; – ihre Tränen strömten stärker, und sie hätte in der Trunkenheit des Schmerzes dem Betrüger vor ihr alle ihre schönen Locken hingegeben, wenn nicht, indem er knieend nur um eine bat, ein Zufall die ganze Kette dieser Minuten zerrissen hätte.

Wir wollen aber vorher nachschauen, wo ihr Ehemann herumläuft – anfangs zwischen den Buden; denn das vielstimmige Getümmel und die Olla Potrida von wohlfeilen Genüssen und die aufgeschlagene Musterkarte der Lumpen, aus und auf denen wir Kleidermotten unsere Trachten und Gehäuse zusammenflicken, alles dieses senkte seine Seele in humorisch-melancholische Betrachtungen über unser aus farbigen Minuten, Stäubchen, Tropfen, Dünsten und Punkten zusammengestoppeltes Musaik-Gemälde des Lebens ein. Er lachte und hörte mit einer nur wenigen Lesern begreiflichen Rührung einen Bänkelsänger an, der gellend mit seinem Rhapsoden-Stabe in der einen Hand auf das ausgespannte illuminierte große Blatt eines greulichen Mordes hindeutete, und in der andern gedruckte kleinere Blätter mitteilte, worin das Unglück und der Mörder mit keinen hellern Farben als mit poetischen den Deutschen vorgemalt waren. Siebenkäs machte eine Bestellung von zwei Exemplaren, die er einsteckte, um sie abends zu lesen.

Das traurige Mordstück zeichnete im Hintergrunde seiner Seele die verteidigte Kindmörderin und den Rabenstein aus, auf den die warmen Tränen gefallen waren, womit sein losgespaltnes, nur einem einzigen Menschen verständliches Herz unter dem letzten Riß geblutet hatte. – Er verließ den tobenden Marktplatz und suchte die schweigende Natur und das für Freundschaft und Schuld zugleich bestimmte Isolatorium auf. Es ist ein sonderbares und liebkosendes Gefühl, auf einmal aus einem wühlenden Markte in den ruhigen Umkreis der einfarbigen Schöpfung zu treten, in ihren stummen dunkeln Dom.

Er bestieg mit schwerer Brust die bekannte Stätte, deren harten Namen ich weglassen will, und sah sich auf dieser Ruine in der Schöpfung wie ein letztes Wesen um: weder im Blau des Himmels noch auf dem Grün der Erde fand er eine zweite Stimme. Nur eine verlorne Grille schwatzte noch einsilbig in den aufgedeckten Furchen aus den Stoppeln der abgetriebnen Ährenwaldung. Die Vögel scharten sich unter bloßen Mißlauten zusammen und flogen in die häufigern grünen Garnwänden, statt in den entlegnen grünen Frühling. Über die Auen ohne Blumen, über die Beete ohne Ähren schweiften blasse Gespenstergebilde der Vergänglichkeit, und über den großen ewigen Gegenständen, über Wäldern und Bergen, hing ein nagender Nebel, als wenn sich in seinen Rauch die erschütterte staubende Natur auflösete. – – Aber ein lichter Gedanke zerteilte den dunkeln Staubregen der Natur und der Seele in einen weißen Nebel und den Nebel in bunten Tau und ließ den Tau auf Blumen fallen; er schauete nach Nord-Osten an die Berge, die sein zweites Herz verbargen und hinter denen sein Freund, wie ein im Herbste früher kommender Mond, in einem blassen Bilde aufstieg; und der Frühling, an dem er seinen Heinrich besuchen und wiedersehen wollte, fing jetzo schon an, für ihn eine breite Straße dahin mit Grün und Blumen auszuschlagen. Wie spielt der Mensch mit der Welt um sich und kleidet sie schnell in die Gespinste seines Innern um! Jetzo senkte sich der unbefleckte Himmel mit einem nähern Blau auf die falbe Erde hernieder. – Tönte nicht der künftige Frühling schon von weitem über einen ganzen Winter herüber im Abendgeläute des Weide-Viehes, im Wildrufe der Waldvögel und in den ungehemmten Bächen, die in den künftigen Blumen-Überhang hinein flossen? – Und als eine zuckende Puppe neben ihm noch in der halben eingerunzelten Raupenhülse hing und ihren Blütenkelchen entgegenschlief – und als das Seelenauge der Phantasie von den Grummethaufen in die Abendpracht des Heumonats hinüberblickte – und als jeder vielfarbige Baum gleichsam zum zweiten Male blühte – und als die bunten Gipfel wie vergrößerte Tulpen einen Regenbogen auf den Duft des Herbstes zogen: – so jagten nun nur frühere Mailüfte dem flatternden Laube nach und wehten unsern Freund mit hebenden Wogen an und stiegen mit ihm auf und hielten ihn empor über den Herbst und über die Berge und er konnte über die Berge und Länder wegschauen und siehe, er sah alle Frühlinge seines Lebens, die für ihn noch in Knospen lagen, wie Gärten nebeneinander stehen und in jedem Frühlinge stand ein Freund! –

Er verließ den Ort; aber er streifte in den Wiesen, worin man jetzo nicht ängstlich den Fußsteig zu suchen brauchte, noch lange herum, hauptsächlich damit man es seinen Augen nicht ansähe – zumal da ihm heute so viele Marktleute begegneten –, an wen er unterweges gedacht habe. Aber es half ihm wenig; in gewissen Verfassungen quillet die geritzte Seele wie verwundete Bäume unaufhörlich und beim kleinsten Bestreifen.

Er mied Augenzeugen, besonders wie Rosa, darum, weil er, wie ich leider sagen muß, gerade in der Rührung, es sei aus Scham oder Lebhaftigkeit, am geneigtesten war, seinen Zustand durch Auffahren zu verbergen. Endlich fiel ihm eine Waffe zum Siege über sich in die Hand: der Gedanke, daß er seinem Gaste noch genug für das unhöfliche Wegbleiben abzubitten und zu vergüten habe.

Als er ankam – welcher sonderbarer Anblick! Der alte Gast war fort – ein neuer war da – und neben ihm sein Weib in Tränen. Bei seinem Eintritt trat Lenette an ein Fenster, und ein neuer Tränenguß fiel nieder. »Frau Armenadvokatin«, fuhr der Schulrat noch immer fort und hielt ihre Hand, »schicken Sie sich ums Himmels willen in den Willen Gottes – es ist ja leichtlich zu richten und zu schlichten. – Ich verstatte gern eine Traurigkeit des Herzens; aber eine gemäßigte sei es.« Lenette sah ihren Mann gar nicht an, sondern durchs Fenster. Der Schulrat erzählte jetzo erstlich alles das, was ich schon erzählt habe – indes Firmian, unter dem Horchen und Blicken auf ihn, die glühende Hand der abgekehrten Lenette faßte –; dann fuhr er fort: »Als ich hereintrat, du großer Gott, so lag Ihro Gnaden vor der Frau Advokatin auf den Knieen mit weltlichen Tränen und war gesonnen – ich muß es besorgen –, ihr ihre teure Ehre zu nehmen. Ich aber riß solchen auf, ganz freimütig, und fragte ihn mit paulinischer Unerschrockenheit, die ich vor Gott und Menschen zu verantworten gedenke: ›Ew. Gnaden, sind das die Lehren, die ich Denenselben als Ihr Privatlehrer gegeben habe, soll ein Christ solchergestalt auf die Kniee fallen? Pfui, Hr. von Meyern, pfui, Hr. von Meyern!‹« – Jetzo geriet der Schulrat wieder in einen entsetzlichen Eifer und fuhr in der Stube, die Hände tief in den plüschnen Rocktaschen, auf und ab. Firmian sagte: »Gegen einen solchen Hasen gibt es leicht einen Feldscheu und einen Gartenzaun; aber was gehet es dich an, Liebe«, sagt' er, »und über was weinest du so sehr?« – Sie fing stärker an; da stemmte der Rat die Hände in die Seite und sagte zornig zu ihr: »So? Frau Armenadvokatin, solche schlechte Wurzeln fassen meine heutigen Tröstungen bei Ihnen? – Ich hätte mich dessen ganz und gar nicht vermutet. So hab' ich denn ganz umsonst, muß ich merken, Ihnen in meiner Kutsche, da ich die Ehre hatte, Sie von Augsburg hieher zu fahren, die großen Glückseligkeiten der Ehe, noch dazu, eh' Sie nur solche schon genossen, gleichsam in den Wind mit allem möglichen Feuer vorgehalten; und es ist Ihnen ordentlich alles wie weggeblasen, was ich Ihnen im Wagen sagte, wie selig eine Gattin durch einen Gatten wird, wie sie über seinen Besitz oft beinahe vor Freude weinen muß, wie beide nur ein Herz sind und ein Leib, und beide alles miteinander teilen, Freud' und Leid, jeden Bissen, jeden Wunsch, ja das kleinste Geheimnis ... Aber der Schulrat Stiefel ziehet, seh' ich, mit einer langen Nase ab, Frau Advokatin!«... Da überfuhr und trocknete sie heftig zweimal hintereinander die Augen, blickte ihn gewaltsam heiter mit den freundlichsten Augen an und sagte tief heraufgezogen, aber linde und nicht schmerzlich, nichts als: »Ach!« – Der Schulrat senkte seine Hand mit den bloßen Fingern auf ihre niederhängende wie ein Priester und sagte: »Der Herr aber sei Ihr Arzt und Helfer in allen Ihren Nöten (er konnte nun selber vor kommenden Tränen wenig mehr sagen), Amen, das heißet, ja, ja, es soll also geschehen.« Hier umarmte und küßte er den Mann, aber sehr warm und sagte: »Schicken Sie zu mir, wenn bei der Frau Liebsten kein Trost verfangen sollte – und Gott richte doch beide auf. – O... weswegen ich eigentlich da bin... Die Rezension vom Oster-Programm muß am Mittwoch fertig sein – ich schulde Ihnen auch acht oder mehr Zeilen Honorar für den letzten Wisch, dem Sie ein paar gute Wischer gegeben.«

Aber als er geschieden war, blieb Lenette nicht so getröstet zurück, als man vermuten sollte; sie lehnte am Fenster, in ein tiefes, aber verzweifelndes Staunen und Sinnen verloren. Firmian stellte ihr vergeblich vor, daß er ja seinen oder ihren jetzigen Namen niemals mehr ändere und daß ihre Ehre und Ehe und Liebe ja nicht an elenden Namenzügen hängen, sondern an seiner Person und an seinem Herzen. Sie unterdrückte ihr Weinen, aber den ganzen Abend blieb sie bekümmert und schweigend.

Niemand nenne aber den guten Firmian zu argwöhnisch, wenn er, der erst einen verunglückten Kirchenräuber der Ehe, den Venner, losgeworden, jetzo an einen vulkanischen Ausbruch denkt, der leicht über eine weite Strecke seines Lebens Steine und Asche werfen kann, wenn sein Freund Stiefel wirklich, wie es scheint, seine Lenette, obwohl schuldlos, liebgewonnen. Das ganze Verhalten desselben von den Höflichkeiten des Hochzeittages bis zu seinen häufigen Besuchen und bis auf seine heutige Erbosung über den Venner und auf seine Erweichung, alles das machte ein zusammengehörendes Gemälde einer innigen, wachsenden, obwohl rechtschaffenen und unbewußten Liebe aus. Ob ein versprungener Funke davon in Lenettens Herzen sich verhalte und nachglimme, das konnt' er noch nicht wissen; aber trotz der Rechtschaffenheit seines Freundes und seiner Frau mußte bei den jetzigen Verhältnissen sein Sorgen so stark als sein Hoffen sein.

– Lieber Held! – Bleib aber einer! – Das Schicksal will, wie ich immer deutlicher merke, allmählich die einzelnen Stücke zu einer guten Drill-Maschine, um den Diamanten deines Stoizismus zu durchbohren, ineinander fügen, oder auch aus Dürftigkeit, häuslichem Verdruß, Prozessen und Eifersucht nach und nach britische Scher- und Seng-Maschinen geschickt zusammenbauen, um wie am feinsten englischen Tuche jede kleine falsche Faser wegzuscheren und wegzusengen. Wenn dergleichen geschieht, so komme nur als ein so herrlicher englischer Zeug aus der Presse, als je einer auf die Leipziger Tuch- und Buchhändlermesse geliefert worden, und du wirst glänzen.

Siebenkäs

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