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Beilage zum zweiten Kapitel
ОглавлениеRegierung des H. R. R. freien Marktfleckens Kuhschnappel
Ich hab' es schon in zwei Kapiteln zu sagen vergessen, daß der freie Reichsmarktflecken Kuhschnappel, wovon ein Namenvetter im erzgebürgischen Kreise liegen sollNach neuen Berichten ists mehr ein Reim als ein Vetter, das Dorf Potschappel bei Dresden. , in Schwaben auf der Städtebank von 31 Städten als de 32ste angesessen ist. Schwaben kann sich überhaupt für eine Bruttafel oder ein Treibhaus der Reichsstädte halten, dieser deutschen Niederlassungen und Absteigequartiere der Göttin der Freiheit, welche Leute von Geburt als ihre Hausgöttin anbeten und die nach der Gnadenwahl Sünder selig macht. Ich muß hier endlich den allgemeinen Wunsch eines guten Abrisses von der kuhschnappelischen Regierungsform erhören; aber wenige Leser werden wie Nicolai, Schlözer und ähnliche es mir glauben, mit welcher Not und mit welchem Aufwande von Briefporto ich hinter bessere Nachrichten von Kuhschnappel gelangte, als öffentlich herumlaufen, da Reichs- wie Schweizerstädte ihre Honig-Wachsgewirke ja verkleben und verbauen, als wären ihre Verfassungen gestohlne, noch mit den rechtmäßigen Namen gestempelte Silbergeschirre, oder als wären die Städtchen und Ländchen Festungen – (was sie doch nur mehr gegen die Bürger sind als gegen die Feinde) –, von welchen kein Abriß den Fremden zuzulassen.
Die Verfassung unseres merkwürdigen Reichsplatzes Kuhschnappel scheint ursprünglich der Vorriß gewesen zu sein, welchen Bern, das am Ende nahe genug liegt, in der seinigen kopierte, aber mit dem Storchschnabel ins Größere. Denn Bern hat seinen Großen Rat wie Kuhschnappel, dort macht er so gut Krieg und Frieden und Todesurteile wie in Kuhschnappel und besteht aus Schultheißen, Seckelmeistern, Vennern, Heimlichern, Ratherren, nur aus mehren als in Kuhschnappel; ferner hat Bern seinen Kleinen Rat gleichfalls, welcher Präsidenten, Gesandten und Gnadengelder hergibt und dem Großen nachwächset – die zwei Appellationkammern, die Holz-, Jäger-, Reformationkammern, die Fleischtax- und andern Kommissionen sind offenbar (denn auf die Ähnlichkeit der Namen ist genug zu bauen) nur gröbere Fraktur-Auszeichnungen der kuhschnappelischen Grundstriche.
Die Wahrheit aber zu sagen, hab' ich diese Vergleichung zwischen beiden Freistaaten nur gemacht, um Schweizern, besonders Bernern, ohne viele Worte faßlich zu werden, vielleicht auch gefällig. Denn in der Tat erfreut sich Kuhschnappel einer viel vollkommnern und mehr aristokratischen Verfassung als Bern, die noch in Ulm und Nürnberg teilweise zu finden wäre, wenn beide nicht während der Revolution-Witterung mehr zurück als vorwärts gekommen wären. Vor kurzem waren Nürnberg und Ulm so glücklich, wie Kuhschnappel noch ist, daß sie nicht von gemeinen Handwerkern, sondern bloß von gutem Adel regieret wurden, ohne daß ein gemeiner Bürger sich in Person oder durch StellvertreterDenn die wenigen sogenannten Ratfreunde (aus dem Bürgerstande), die in Nürnberg und Kuhschnappel unter den Patriziern sitzen, haben zwar ihren Sitz, aber keine andere Stimme als eine fremde; und der übrigen ruhigen Stellvertreter, wodurch der dritte Stand wirklich Sitz und Stimme in der Regierung hat, gleichsam durch vidimierte Kopien der Köpfe, nämlich durch Steuergelder, deren können sogar nie genug vorhanden sein. hätte im geringsten darein mischen können: jetzt leider scheint man in beiden Städten das Faß des Staats, weil der obere Bierhahn saures Gesöff herausließ, unten einen Zoll hoch über der Hefe des Pöbels angezapft zu haben. – Ich kann aber hier unmöglich weiter gehen, wenn ich nicht einen zu gewöhnlichen Irrtum über große Städte aus dem Wege räume.
Die Behemoths und Kunturs unter den Städten – Petersburg, London, Wien – sollten, wollte man, die Gleichheit der Freiheit und die Freiheit der Gleichheit allgemein einführen; diesen Endzweck erraten die wenigsten Statistiker, aber er ist so klar. Denn eine Hauptstadt von 2¼ Stunde in Umfang ist gleichsam ein Ätnas-Kessel von gleichem Umkreise für ein ganzes Land und hilft der Nachbarschaft nicht bloß, wie der Vulkan, durch ihre Auswürfe, sondern durch ihre Einfüllungen (Repletionen) auf; sie säubert mit Erfolg das Land von Dörfern und später von Landstädten – diesen ursprünglichen Wirtschaftgebäuden der Residenzen –, indem sie von Jahr zu Jahr immer mehr auseinanderrückt und sich so mit den Dörfern vermauert und verwächst und umrankt. Man weiß, daß London schon die nächsten Dörfer in seine Gassen verwandelt hat; aber nach Jahrhunderten müssen die länger und auseinander wachsenden Arme jeder großen Stadt nicht bloß die Dorfschaften, sondern auch die Landstädte ergreifen und zu Vorstädten erheben. Dadurch werden nun die Steige und Felder und Wiesen, die zwischen der Riesenstadt und den Dörfern lagen, wie das Bette eines Flusses überdeckt mit einem Steinpflaster, und der Ackerbau kann folglich nur noch in – Blumenscherben am Fenster blühen. Ohne Ackerbau seh' ich nicht, was Ackerbauleute anders sein können als Tagediebe, die kein Staat duldet; da man aber einen Fehler besser verhütet als bestraft, so muß der gute Staat solches Landvolk, noch ehe dasselbe zu Tagedieben geworden, wegräumen, es sei durch wirksame Inhibitoriales der Bevölkerung oder durch dessen Abraupen oder durch Veredlung in Soldaten und Bedienten. In der Tat würden in einem Dorfe, das ein eingefügter Zwickstein einer Stadt, eine eingereifte Faß-Daube des Heidelberger Residenzfasses geworden wäre, noch übrig gebliebne Bauern ebenso lächerlich als müßig sein: die Korallengehäuse der Dörfer müssen gleichsam ausgeleert sein, ehe sie das zusammengetürmte Riff oder Eiland einer Stadt erbauen.
Dann ist wohl der schwerste Schritt zur Gleichheit getan; jetzo müssen die innern Feinde der Gleichheit, die Bürger, ebensogut wie die Bauern von der Hauptstadt bekämpft und womöglich ausgereutet werden, welches mehr ein Werk der Zeit als besonderer Verordnungen ist. Inzwischen ist das, was einzelne Residenzstädte hie und da geleistet haben, wenigstens ein Anfang. Dürfte man sich aber das Ideal ausmalen, daß einmal wirklich sich die zwei mächtigsten Oppositionparteien und Widerlagen der Gleichheit, Bürger und Bauern, aus den Riesenstädten durch eine lange Reihe von Glückzufällen verloren hätten; ja daß mit dem Ackerbau sogar der niedere Adel, der ihm abgelegen, zugleich gefallen wäre: so würde eine edlere Gleichheit, als in Gallien war, wo nur lauter gleicher Pöbel wohnte, auf die Erde kommen, es würde lauter gleichen Adel geben, und die gesamte Menschheit besäße dann einen Adelbrief und lauter echte Ahnen. In Paris schrieb die Revolution alles wie in den ältesten Zeiten mit lauter kleinen Buchstaben; nach meiner Voraussetzung würden dann wie in den spätern lauter Anfang- oder Kapitalbuchstaben gebraucht, die jetzo nur wie Türme aus vielen kleinern vorragen. Wenn aber auch ein solcher hoher Stil, eine solche Veredlung der Menschheit nur eine schöne Dichtung bliebe und man nur mit dem kleinern Glücke zufrieden sein müßte, daß in den Städten, wie jetzo eine Judengasse, so eine Bürgergasse übrig bliebe: so wäre genug für die geistige Menschheit in den Augen eines jeden erbeutet, der bedenkt, wie ausgebildet der hohe Adel ist, besonders der Teil desselben, der den größten ausbildet. –
Aber diese Nobilitierung der gesamten Menschheit gewähren uns die Reichsstädte viel sicherer als die größten Residenzstädte. Dieses führt mich auf Kuhschnappel zurück. Man scheint in der Tat zu vergessen, daß es zu viel gefodert ist, wenn die vier Quadrat-Wersten, die eine Residenz etwan groß ist, mehr als 1000 Quadratmeilen des umliegenden Landes überwältigen, verdauen und in Bestandteile von sich verwandeln sollen, so wie die Riesenschlange größere Tiere verschluckst, als sie selber ist. London hat nicht viel über 600000 Bewohner: welche ungleiche Macht gegen die 5½ Millionen des ganzen Englands, denen die Stadt allein entgegenarbeiten und Flügel und Zufuhr abschneiden soll, Schott- und Irland nicht einmal eingerechnet! – So steht es mit guten Reichsstädten nicht: hier ist die Zahl der Dörfer, Bauern und Bürger, die bezwungen, ausgehungert und weggetrieben werden sollen, in einem richtigen Verhältnisse gegen die Größe der Stadt, der Patrizier oder regierenden Geschlechter, die sich damit zu befassen haben und den ebnenden Schlichthobeln der Menschheit vorarbeiten. Hier ists nicht schwer, den Bürger als einen groben Bodensatz, der im Adel schwimmt, niederzuschlagen. Es ist, wenn es ihnen mit dieser Niederschlagung mißlingt, bloß die Schuld der Patrizier selber, weil sie oft am falschen Orte schonen und die Bürgerbank für eine Grasbank im Garten halten, deren Gras zwar für das Niedersitzen und Erdrücken wächset, die man aber doch immer begießet, damit sie unter so vielen Steißen nicht verdorre. Wenn es nichts als freie Menschen, und zwar von der edelsten Klasse, nämlich Reichsfreie und Semperfreie geben soll: so müssen durch Auflagen und Losungen die bürgerlichen Zimtbäume gänzlich abgerundet werden – welches nur pöbelhafte Autoren Schinden und die Haut über die Ohren ziehen nennen –, worauf die Bäume ohnehin verfalben und ausgehen. Freilich kostet diese Reichsfreiheit Menschen. Aber mich bedünkt, eine solche werde durch die wenigen Tausende von Leuten, die sie kostet, wohlfeil genug erkauft, da früher Amerikaner, Schweizer und Holländer für eine weit engere ganze Millionen Menschen bar auf den Tisch des Schlachtfeldes hingezahlt und hingeschossen. Auch fallen neuere Staaten selten in den Fehler der neuern Schlachtenmaler, an welchen man Überladung mit Personen aussetzt. Vielmehr sollte man es mehr bemerken, mit welchen klug gewählten und treibenden Mitteln mehre deutsche Länder die Bevölkerung als eine Krankheitsmaterie und Menschen-Plethora – wie jeder gute Arzt tut – nach unten ableiten, nämlich nach dem gerade unter Deutschland liegenden Nordamerika.
Kuhschnappel hat, um zum vorigen umzukehren, vor 100 Städten den Vorsprung. Ich gebe zu, daß Nicolai beteuert, die vorigen 60000 Nürnberger wären gerade noch halbiert da, nämlich 30000, und dies ist etwas; aber gleichwohl kommen noch immer 50 Bürger (und mehr) gegen 1 Patrizius zu stehen, welches stark ist. – Hingegen bin ich zu jeder Stunde durch Tauf- und Sterbelisten darzutun erbötig, daß im Reichsmarktflecken Kuhschnappel beinahe nicht mehr Bürger als Patrizier leben, welches um so wunderbarer ist, da die letzten – wegen ihres Hungers – schwerer zu leben haben. Ich frage, welcher neuere Staat kann so viele Freie aufzeigen? Waren nicht sogar im freien Athen und Rom – in West-Indien ohnehin – mehr Knechte als Freie, daher man jene durch keinen besondern Anzug zu bezeichnen wagte? Und sind nicht noch in allen Staaten mehr Lehn- als Edelleute, obgleich diese längst in stärkerer Anzahl vorhanden sein könnten, da Bauern und Bürger nur von der Natur, die Patrizier hingegen sowohl von der Natur als von der Kunst aus Reichs- und Fürsten-Kanzeleien nachgesäet werden? –
Wäre die Beilage nicht eine Abschweifung, von welcher man gewöhnlich Kürze fodert: so wollt' ich weitläuftig genug dartun, daß Kuhschnappel noch in mehren Vorzügen manchen Schweizerstädten, wo nicht vor-, doch gleichstelle, z. B. in gutem Abschleifen und Verlängern des Richtschwertes und überhaupt im Handhaben eines rechten knotigen, gestachelten Stab-Wehes – in der geistigen Fruchtsperre, nicht gegen das Ausland, sondern gegen das Innere, um Gedanken und hundert anderes geistiges Zeug nicht einzulassen – und sogar selber im grünen Markt oder Handel mit jungen Leuten; denn was eben letzten anlangt, so ist bis heute der Absatz von jungen Kuhschnapplern nach Frankreich zu Türstehern und zu Kronvorfechtern nur darum so flau, weil die Schweizer den Markt greulich mit kräftigen Jünglingen überfahren, die sich vor jede Türe und (ists Krieg) vor jede Kanone stellen: wahrlich, sonst sollte vor mehr als einer Türe ein Kuhschnappler stehen und sagen: kein Mensch zu Hause. (Ja noch jetzo bei der zweiten Auflage darf ich behaupten, daß Kuhschnappel seinen Titel Reichsmarktflecken wie eine zweite Kurwürde noch fortbewahrt und seine alten Gedanken-Einfuhr- und Nachrichten-Ausfuhrverbote und seinen Blut- oder lebendigen Menschenzehent für Frankreich so gut fortsetzt wie die Schweiz, welche dem Kastellan auf der Wartburg gleicht, der den unauslöschlichen, von Luther gegen den Teufel geworfenen Dintenklecks stets auf der Wand von neuem auffärbt.)