Читать книгу Erotic Collection II - Jeanette Sanders - Страница 10
ОглавлениеLillis Reise
I ch möchte nackt sein! Weißt du, was das bedeutet, Armin? Es bedeutet, dass ich wieder leben will, dass ich mich spüren will, dass ich wie eine Schlange die Haut abstreifen will, die mir an deiner Seite gewachsen ist. Es ist eine Haut, die mich nicht mehr atmen lässt, die mich mit ihrem billigen goldenen Glanz erstickt. Ich will diese Haut loswerden, verstehst du? Und ich will meine eigentliche Haut wieder fühlen. Ich will Männer in mir haben, die diese Haut mit zärtlichen Bewegungen zerreißen, die mich mit ihrem Verlangen von dir befreien, ich will fremde Düfte riechen, um wieder atmen zu können, will männliche Hitze auf meinem Körper genießen, wie diesen heißen Wind heute Nacht.
Es ist unerträglich heiß hier, nichts ist temperiert, so wie du es liebst. Nein, das hier ist eben eine feuchtschwitzige Sommernacht im Süden. Doch für mich ist es mehr, Armin. Für mich ist es wie der feurige Atem eines Drachen, der mich mit aller Macht wieder lebendig machen will. Und wie es scheint, gelingt es diesem Drachen, denn zum ersten Mal seit Jahren möchte ich mir wirklich die Träger des Kleides von der Schulter streifen und den dünnen Stoff über meine Brüste hinabrutschen lassen. Ich möchte meine Brüste von gierigen Mündern liebkost wissen und sie darreichen wie eine kulinarische Köstlichkeit auf einem spiegelnden Tablett, jedem, der sie kosten möchte.
Und dann will ich mir den Slip über meine Schenkel ziehen und die enge Spalte aus ihrem endlosen Schlaf erlösen. Weißt du noch, ich ziehe die Spalte gern mit den Fingern ein bisschen auseinander, damit sich die wollüstige kleine Perle frei entfalten kann. Ich will mir mit dem Finger in den klebrigen Schleim tippen, der aus meiner Grotte heraustropft, und ihn mir um den Mund schmieren, bevor ich jemanden küsse, damit er weiß, dass er mich schmecken muss, mich! Verstehst du? So, wie ich bin.
Dann werde ich mich nackt wieder hinsetzen, auf diesen schlammfarbenen Kunstledersitz, auf dem man so wunderbar festklebt, nur um die Beine weit auseinanderzuspreizen ... und ihm eine gute Sicht ermöglichen, auf das, was er haben kann.
Ja, du hast richtig gelesen, Armin, was er haben kann!
Denn es gibt tatsächlich jemanden!
Jedenfalls in diesem Augenblick. Ich möchte den jungen Mann dort, der mir gegenübersitzt, verführen. Ich möchte ihm langsam den Reißverschluss seiner Hose herunterziehen und mich über seinen harten Schwanz hermachen. Ich möchte ihn in den Mund nehmen und tief schlucken. Es wird mir eine Wonne sein, ihn zu lutschen, bis der ganze Mann anschmiegsam und gierig wird. Diese Vorstellung erregt mich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, denn es bedeutet, dass ich in der Lage bin, dem letzten Kapitel unserer Ehe noch ein paar ausgewählte Sätze hinzuzufügen, Armin, jetzt, da ich auf Reisen bin, fort von dir.
Stell dir vor, ich kann dir sogar verraten, wo ich bin. Denn hierher wirst du mir nicht folgen. Ich bin in diesem Zug, Armin. Wie nanntest du ihn gleich? Diesen verdammten Bummelzug für Aussteiger, der von der Mittelmeerküste rauf nach Paris und wieder zurück fährt, und ich bin eingestiegen, in diesen Zug nach Paris, der durch die Nacht bummelt, um auszusteigen, nicht aus meinem, sondern aus deinem Leben.
Wie gesagt, es ist heiß in diesem Abteil. Es gibt keine Klimaanlage, die du so liebst, und nur ein schummriges Licht brennt über der Tür, gerade hell genug, dass ich dir diesen Brief schreiben kann. Dafür zwängt sich der feurige Nachtwind durch das offene Fenster in den engen Raum, als wolle er ihn ausfüllen, nein, als wolle er sich an den grau-weißen Wänden aufgeilen, wie ein Phallus, der in einer viel zu engen feuchten Spalte feststeckt.
Ja, so wie ein Phallus meinen leeren Körper füllen würde und sich in mir reiben würde, feuchtwarm, mit schnellen Bewegungen. Es ist, als könne man in diesem Zug Sex mit der Nacht draußen haben, die heiß, kraftvoll und männlich ist.
Das glaubst du nicht? Doch, so etwas geht, du hast es nur vergessen, erinnere dich an die Nächte, die wir draußen auf der Wiese verbrachten, erinnere dich, wie wir uns dem Wind hingaben, der unsere nackten Körper berührte und uns das Haar zerzauste wie ein ungestümer Liebhaber.
Doch die Hitze und der Wind sind nicht der Grund, warum ich nackt sein will. Denn hohe Temperaturen und feuchte lange Nächte hatten wir beide oft genug unten am südfranzösischen Mittelmeer und auch an all den anderen, teuren Orten, an denen wir in den letzten Jahren waren. Nicht wahr? Und es hat uns nicht geholfen, wieder zueinanderzufinden oder gierig übereinander herzufallen. Im Gegenteil. »Es ist viel zu heiß!«, war der Satz, den wir beide im Mund führten, wenn Nähe hätte sein können. Weil Hitze und Wind einfach nicht helfen, wenn brennendes Begehren von einst nur noch staubige Asche ist.
Aber dieser junge Mann hier, er schafft es nur durch seine Anwesenheit, dass alles in mir wieder brennt. Verstehst du das, Armin? Plötzlich ist alles wieder da. Ich bin nicht länger tot, wie ich immer glaubte. Die Sehnsucht, die Lust, die Gier von einem dicken Schwanz durchbohrt zu werden, die Lust, mich unter zärtlichen Händen zu winden, sie ist noch in mir.
Und weißt du was? Ich glaube, das Schicksal hat ihn mir geschickt. Denn er ist in diesen Zug gestiegen, und von allen möglichen Abteilen hat er sich gerade dieses ausgesucht, um sich hierherzusetzen. Zu mir!
Vermutlich ist er auch ein Aussteiger, wirst du jetzt sagen, warum sollte er sonst diesen Zug nehmen? Und genau das, Armin, macht ihn für mich so reizvoll.
Lilli hält inne und überlegt, ob sie Armin die ganze Wahrheit schreiben soll. Nämlich dass nicht dieser Junge allein ihren Körper und ihre Sinne wiederbelebt hat, sondern die Tatsache, dass er genau an der Station eingestiegen ist, an der sie vor Jahren einmal – ein einziges Mal – ausgestiegen ist. Das hat sie tief berührt. Es ist schließlich derselbe Zug, nur in eine andere Richtung, da ist man schon mal empfänglich für Spiegelungen der Wirklichkeit.
Der Junge hat sie einfach daran erinnert, nein, falsch: Er erinnert sie die ganze Zeit an jene Nacht damals, als würde sein Erscheinen sie durch einen riesigen heißen Trichter in die Vergangenheit zurückziehen.
Vermutlich hat er so auch ihre Sehnsucht geweckt und dieses innige Verlangen, geliebt zu werden, das sie plötzlich in diesem Zug überfallen hat. So wie Mondlicht einen manchmal verführt, auch wenn niemand greifbar in der Nähe ist. Und weil das Mondlicht so schön ist, sucht man sich halt einen Ersatz. Aber das mit dem Ersatz ist, wie Lilli sich eingestehen muss, in diesem Fall etwas komplizierter.
Denn – sicher, der Junge ist reizvoll, ohne Frage, aber da ist noch mehr ... Sie wagt es kaum zu denken, es ist einfach zu verrückt, doch es ist, als wäre er irgendwie Robert ähnlich! Ja, als wäre er ein geheimer Bote ihrer Liebe, der sie nun endlich heimholt.
Allein die Art, wie er dasitzt, mit den leicht auseinandergestellten Beinen und dem halb offenen Hemd, erinnert sie an Robert. Sie kann kaum an etwas anderes denken. Auch die Art, wie er sie anschaut, dieser etwas verschleierte Blick, das ist fast gespenstisch. Dabei sieht er nicht aus wie Robert! Überhaupt nicht! Robert hat nicht solche blauen Augen, und doch könnten sie Vater und Sohn sein, findet Lilli. Es ist verrückt.
Und ohne, dass sie es verhindern kann, schweifen ihre Gedanken ab, kehren zurück zu jenem Nachmittag, von dem Armin nie erfahren hat. Er war damals vorausgereist, von Paris an die Côte d’Azur, mit dem Flugzeug. Sie war noch in der Stadt geblieben und hatte aus einer Laune heraus ein paar Tage später statt den Flieger den Zug genommen. Sie hatte es romantisch gefunden, und da Armin für diese Art des Reisens nichts übrig hat, war sie sich bewusst, dass es ein einmaliges Erlebnis bleiben würde.
Robert hatte ihr in diesem kleinen Abteil gegenübergesessen. Auch er war in Paris eingestiegen und war ihr sofort sympathisch gewesen. Genau wie dieser junge Mann hier hatte er sie angelächelt und sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit vorgestellt. Robert war damals Mitte vierzig, er trug einen schlichten weißen Leinenanzug, dazu dieses halboffene Hemd und so ein Lächeln im Gesicht, das dauernd sagte: »Küss mich.«
Sie hatten sich eine Weile unterhalten über Paris und über die Provence, und dann hatte er ihr von dem kleinen Sommerhaus erzählt, das er immer mietet. In höchsten Tönen hatte er von dem kleinen Ort geschwärmt, von dem Rosengarten, dem fernen Blick aufs Meer. Er hatte Fotos aus der Reisetasche gekramt und sie ihr gezeigt. Erst war sie nicht sonderlich interessiert, doch kaum hatte sie einen Blick darauf geworfen, hatte sie sich sofort verliebt. Das Haus war nicht besonders groß, aber von einer eleganten, fast bäuerlichen Schlichtheit. Wilder Wein wuchs rund um die blau gestrichene Haustür und an den weißen Fensterläden rankten lilafarbene Blüten. Es war, als hätte Robert ihr ihr eigenes Traumhaus gezeigt. Ein verwunschenes Häuschen, das von einem sanftmütigen Geist bewohnt war. Eine spürbare Stille ging von diesen Fotos aus, die einem versicherten, dass man endlich zu Hause war, dass man endlich angekommen ist. Es war, als flüsterten die Bilder, als flüsterten sie einem zu, dass alles Reisen und Suchen nun ein Ende hat. Und die Treppe, die in so vielen Jahren von Tausenden von Füßen ausgetreten worden war, sollte fortan nur noch hinein in das eigene Leben führen.
Und dann der Garten. Allein die Rosen waren phantastisch, mit Blüten, die taumelnd vor Pracht in rosafarbenen, weißen und dunkelroten Träumen dastanden. Der ganze Garten schien voll von diesen blumigen Schätzen zu sein, als würden sie die alten Mauern des Hauses bewachen und schützen.
»Oh, das muss ich sehen«, hatte sie begeistert ausgerufen, und vor lauter Freude hatte sie sogar dem Schaffner, der gerade in jenem Augenblick nach den Fahrkarten fragte, die Bilder hingehalten. »Was halten Sie davon? «, hatte sie gefragt. »Schauen Sie! Ist das nicht ein zauberhafter Ort?«
Und der Schaffner hatte tatsächlich für einen Augenblick seine Mütze abgesetzt und die Bilder betrachtet. »Das ist reizend, Madame. Wie geschaffen für ein junges Glück.« Hatte er versichert und sie beide angestrahlt. »Trotzdem die Fahrkarten bitte.«
»Ähm, nein, wir sind nicht ... « Sie hatte protestieren wollen, während sie ihm die Fahrkarte hinhielt, doch Robert hatte dem Schaffner zugenickt und gesagt. »Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Dieser Ort ist die Krönung jedes Glücks, Monsieur. Die Dame und ich steigen gemeinsam aus. «
»Aber das ist unmöglich, das kann ich doch nicht machen? « Sie hatte verlegen gekichert wie ein junges Ding und sich gefühlt, als steige sie in eine mit Champagner gefüllte Badewanne.
» Warum nicht? Sind Sie nicht frei?« Robert hatte sich zurückgelehnt und sie zum ersten Mal wirklich angeschaut, tief angeschaut. Seine Augen waren dunkelbraun wie die Erde, mit einem schwarzen Rand rund um die Pupille und von endlos langen Wimpern gesäumt. »Man sollte immer seinem Herzen folgen«, hatte er dann leise gesagt.
In dieser Sekunde war sie sicher gewesen, dass er der Mann gewesen wäre, mit dem sie hätte glücklich werden können. Sie liebten dieselben Dinge. Wenn einer so vom Leben sprach, wenn er Blumen liebte und dieses alte verträumte Haus ... und er sprach von Dingen, die Armin nicht einmal denken würde.
Wie selbstverständlich hatte er diesen Augenblick ihrer Verwirrung, in der ihr klar wurde, was Robert für ein Mann war, genutzt, um sich vorzubeugen. »Was ist? Die Blumen warten auf Sie, Madame«, hatte er gemurmelt und sie im nächsten Moment, ohne zu zögern, zärtlich geküsst.
Ihre Lippen hatten sich zuerst berührt wie zwei scheue Schmetterlinge, die sich wie zufällig begegnen, aber dann hatten sie aneinander Gefallen gefunden und waren sich immer näher gekommen, hatten sich geöffnet, und Roberts Zunge war in ihren Mund eingedrungen, als wäre er dort bereits zu Hause. Es war ein wunderbarer, sehnsuchtsvoller Kuss, von einer Hingabe, die sie bei Armin schon seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Robert hatte mit der Hand über ihr Haar gestreichelt, über ihre Wange, ihren Hals, und hatte dann innegehalten.
Doch sie hatte gewusst, dass es so nicht enden konnte – mit ein paar Fotos und einem Kuss. Sie hatte mehr gewollt, wenigstens einmal, und war an dieser kleinen Station ausgestiegen, um ihm zu seinem Sommerhaus zu folgen.
Das Haus war wirklich so schön und träumerisch wie auf den Fotos. Lilli war begeistert. Es gab eine kanariengelbe Küche, in der sie sich gleich zu Hause fühlte, als hätte man alles für sie bereitgestellt. Der Salon war in warmen Orangetönen gestrichen, hatte einen großen Kamin und einen alten Holzfußboden. Er war sparsam eingerichtet, eine Vitrine, ein kleiner Tisch mit drei großen weißen Sesseln, die luftig und leicht wirkten wie die weißen Vorhänge, von denen aus man auf die Terrasse schauen konnte, mitten hinein in die farbengewaltige Blütenpracht der Rosen. Und am Horizont schimmerte das Meer. Es war perfekt, es war alles so, dass man nie wieder fortgehen möchte. Doch am allerbesten hatte ihr das Schlafzimmer im ersten Stock gefallen. Es war in einem kühlen Blau gestrichen. Die Farbe war direkt auf den Putz aufgetragen worden und wirkte durch Licht- und Schatteneffekte mit ihren schimmernden blau-grünen Tönen wie eine auf zauberische Weise in der Schwebe gehaltene Welle, die sich jederzeit über den ganzen Raum ergießen konnte. Der Fußboden und die Möbel in dem Zimmer waren weiß gestrichen. Auch hier gab es lange Leinenvorhänge vor dem Fenster ...
Robert hatte ihr sanft den Reißverschluss des Kleides aufgezogen, hatte den zarten grünen Stoff von ihrem Körper gestreift, hatte ihr den BH geöffnet und den Slip heruntergezogen und hatte sie nackt auf das weiße Bett gelegt.
»Dein Haar schimmert, als wären die Sonnenstrahlen darin zu Hause«, hatte er leise gesagt. »Und weißt du eigentlich, dass in deinen Augen ein kleiner silberner Fisch wohnt, der schillernd die Welt betrachtet, als würde er sie zum ersten Mal sehen?« Robert hatte damals über seine eigenen Worte gelacht, doch er konnte nicht ahnen, wie Recht er mit dieser Behauptung hatte. Seine Worte trafen ihre eigenen Empfindungen ziemlich genau. Sie hätte ihm nicht sagen können, wie sehr sie wünschte, bleiben zu können, um all das immer wieder zu sehen, wie sehr sie wünschte, hier wirklich leben zu können. Ihr Herz hatte sich längst entschieden.
Wieder war er zärtlich zu ihr, er küsste sie, und diesmal war seine Hand an ihrem Hals entlanggefahren und nicht stehengeblieben, sondern hatte ihre Brüste berührt. Lilli erinnert sich noch genau daran, dass sie das Gefühl hatte, niemals wieder etwas anderes ertragen zu können, niemals wieder einen anderen Mann als Robert begehren zu können, und wie von selbst hatten sich ihre Lenden an ihn gedrückt. Sein Glied war ungewöhnlich stark für seinen fast knabenhaften Körper, ebenso stark wie sanft. Seine Bewegungen waren zuerst weich und behutsam gewesen, doch nach und nach hatte seine Lust die Oberhand gewonnen und hatte mit ihren rascher werdenden Bewegungen auch sie mit fortgerissen.
»Magst du Mozart?«, hatte er später gefragt, und im nächsten Moment war der Raum auf einen Knopfdruck hin von leiser Musik erfüllt. Es lag an der Verteilung der Boxen, wie er ihr erklärte, dass man sich so umhüllt fühlte von den Klängen. Er liebte die gleiche Musik wie sie, die Aussicht auf den Garten, er liebte die Ruhe, genau wie sie... Er war ein wunderbarer Mann, und wenn sie eines in ihrem Leben bereute, dann das – dass sie damals nicht den Mut aufgebracht hatte, bei ihm zu bleiben.
Doch sie hatte Armins Zorn gefürchtet und seinen Einfluss. Aber wenn sie ehrlich ist, war das nur ein Vorwand, den sie Robert nannte, um ihre Feigheit zu kaschieren. Nein, die Wahrheit war, dass sie sich heftig in Robert verliebt hatte und Angst davor hatte, sich zu verlieren. Sie hatte Angst davor, enttäuscht zu werden, sich noch einmal so zu verlieren, wie es bei Armin geschehen war, um dann irgendwann aufzuwachen und festzustellen, das es doch keine Liebe war. Oder vielleicht eine, die ihnen unter den Händen weggestorben war.
Ein lautes Donnern lässt Lilli aufschrecken. Der entgegenkommende Zug auf dem Nebengleis drückt durch die Fahrtgeschwindigkeit noch mehr heiße Luft in das Abteil. Die senffarbenen Vorhänge flattern wütend und reißen Lilli gewaltsam aus der Vergangenheit. Ein ohrenbetäubender Lärm nimmt ihr einen Moment die Sinne und ist im nächsten Moment wieder verschwunden.
Genauso war ihre Affäre mit Robert. Ein kurzer Wirbel mit wütend flatternden Vorhängen. Als sie damals ging, hatte Robert wütend reagiert ... Er wollte um sie kämpfen, war schließlich zornig, dass sie sich ihm entzog, ohne ein klärendes Gespräch.
Nein, darüber wird sie Armin nichts schreiben. Dieser Augenblick ihres Lebens gehört nur ihr, und es hat nichts damit zu tun, dass sie Armin nun verlässt.
»Sollen wir das Fenster schließen?« Die Stimme des Jungen klingt freundlich. Er ist ein aufmerksamer junger Mann. Ihr Blick gleitet über ihn, versucht ihn zu erfassen und sich an die erotische Sehnsucht zu erinnern, die sie hatte, bevor sie den Brief unterbrach, um an Robert zu denken.
»Nein«, sagt sie. »Lassen wir das Fenster ruhig offen, es gefällt mir, wenn der Wind hereinweht. «
Lilli liest die letzten Worte noch einmal, die sie geschrieben hat ... Vermutlich ist er auch ein Aussteiger ... Und genau das, Armin, macht ihn für mich so reizvoll ...
Sie setzt den Stift wieder auf das Papier.
Natürlich wirst du mir vorwerfen, Armin, dass einer wie du, der es so weit gebracht hat, es auf diese uncharmante Weise erfahren muss, wenn ihm die Frau davonläuft.
Aber sei ehrlich, anders hättest du es doch nicht zugelassen. Eben, weil du immer alles, was dich nicht interessiert, gar nicht erst an dich herankommen lässt.
Nein, ich habe nicht vergessen, wer du bist, Armin! Ich habe nicht vergessen, dass du mit maßgeschneiderten Anzügen gern ein bisschen Jet-Set spielst. Aber ich habe auch nicht vergessen, wer ich bin ... zum ersten Mal seit langer Zeit, habe ich mich nicht vergessen, neben dir.
Sicher wirst du mir vorwerfen, dass ich feige und heimtückisch war, weil ich dir zwei meiner Schlaftabletten gegeben habe, um nicht darüber diskutieren zu müssen, was für ein tolles Leben du mir bietest. (Und dass ich schon allein deshalb kein Recht habe, dich zu verlassen.) Du wirst mir vorwerfen, dass ich dir nicht wenigstens einen Zettel hinterlassen habe, ein Wort der Erklärung, die du am Morgen findest, wenn du in unserem Hotelzimmer nach tiefem Schlummer erwachst. Und ich weiß, du wirst es schrecklich finden, ausgerechnet von der Rezeption mitgeteilt zu bekommen, dass ich schon am Abend vorher das Hotel verlassen habe. Trotzdem bleibe ich dabei, es ging nicht anders!
Ich wollte den Zug um 20 Uhr 30 nach Paris erwischen, meinen ganz persönlichen Bummelzug, der meinem Leben eine neue Richtung geben soll, ohne dass du es merkst, ohne dass du einschreiten kannst. Ich wäre sonst erstickt an dieser drückenden Schwüle unserer Beziehung.
Wahrscheinlich wirst du all das nach kurzer Überlegung aufs Wetter schieben, auf die so heißen Tage, auf die dumpfe Hitze, die einem das Gehirn wegschmelzen lässt. Ja, natürlich! Es war das flirrende gleißende Sonnenlicht am Mittag, das deine Frau für einen Augenblick verwirrt hat, so wirst du es begründen. Doch die Wahrheit ist, Armin, auch wenn es in den letzten Tagen tropische Regenfälle gegeben hätte oder wenn es plötzlich angefangen hätte zu schneien, ich wäre trotzdem gegangen und hätte mich auf den Weg gemacht.
Es war an der Zeit, wieder auf Reisen zu gehen, verstehst du? Und das Schicksal gibt mir Recht, denn schau, kaum ein paar Stunden von dir entfernt, beginnt mein Leben wieder spannend zu werden. Beginne ich wieder zu atmen, will ich mich wieder spüren – will ich mich ausziehen!
Ist das nicht Bestätigung genug?
Na ja, vielleicht will ich mich nicht sofort ausziehen, aber gleich, wenn ich mit diesem Brief fertig bin, wenn ich mich diesem Jungen hingebe. Um ihn in mir zu spüren, so wie ich dich irgendwann auch einmal spüren wollte. Aber das ist lange her.
Weißt du, als ich fortging, vorhin, als ich durch den Marmorpalast des Hotels über diese dicken blau-goldenen Teppiche ging, die jedes Geräusch verschlucken, als ich an den schweren Barockspiegeln ein letztes Mal vorüberschritt und dich, wie alles andere dort in diesem Perlmuttglanz zurückließ, wie in einer kostbaren Muschel, da war ich ganz leer. Kein Wort formte sich in mir. Nichts.
Ich meine, ich hatte einfach keine Worte, mit denen ich dir hätte erklären können, was genau zwischen uns geschehen ist.
Ich wollte nur weg, verstehst du, fort von diesem schillernden Ort mit seinen Yachten, in den ich nicht gehöre und du eigentlich auch nicht. Ich wollte fort von dem Lärm am Strand mit seinen schwitzenden, juwelenbehängten Touristen, und ich wollte vor allem eins, dich nie wieder über Geld und gelungene Geschäfte reden hören. Denn das waren die Sätze, die uns beiden die Worte gestohlen haben.
Doch seit dieser hübsche Junge mir gegenübersitzt, kehren die Worte in mir wieder zurück. Meine eigenen Worte. Gedanken, die ich lange nicht gedacht habe. Seltsam genug, sind auch ein paar Worte für dich dabei. Darum also dieser Brief. Denn ich will dir nichts verweigern, was dir als meinem Mann zusteht.
Schau, er ist ein makelloser junger Mann mit seinen blauen Augen, mit den vollen blassroten Lippen und dem halblangen, hellen Haar. Seine Brust schimmert unter dem weißen Hemd, selbst bei diesem schummrigen Licht hier, als hätte die Sonne sie häufig gestreichelt, und erinnert mich, wenn du mir meine poetischen Gedanken verzeihen willst, an ein Plateau, von dem aus man eine andere Sicht auf die Welt hat. Eine völlig neue Aussicht auf ein Leben, glatt, seidig, fließend, ohne Steine, die einem im Weg liegen, und scharfe Kanten.
Seine Beine sind, wenn ich bei der Poesie bleiben darf, schön geformte Säulen, und zwischen diesen Säulen: das nackte, flammende Feuer, das von der starken Wölbung ausgeht, an die ich meinen Leib pressen möchte.
So wie ich es bei dir wollte ...
Gott, war ich einst verrückt nach dir! Weißt du das noch, Armin?
Natürlich hast du es nicht vergessen! Und ich auch nicht. Vielleicht erinnert er mich auch an uns. Dieser junge Mann hier ist wie wir damals waren, kaum zwanzig wird er sein.
Er ist noch unschuldig, er weiß nichts von verlorenen Träumen und Alltag. Er weiß nicht, was in mir vorgeht, nichts von meinem Verlangen, wahrscheinlich auch nichts von dem großen Begehren, das einen so restlos zerstören kann, dass nichts zurückbleibt. So wie es uns zerstört hat, Armin.
Er sitzt nur da, mit geschlossenen Augen, in seiner anmutigen Gestalt, und schweigt.
Oh, warte, nein, das ist nicht richtig. Seinen Namen hat er mir schon verraten. Jules heißt er. Und er hat es genauso schüchtern getan wie du damals. Doch für mich hätte er auch namenlos bleiben können. Was für eine Rolle spielt schon der Name bei einer solchen Begegnung mitten in der Nacht. Dennoch hat er sich vorgestellt, als ich ihm einen Schluck Wasser reichte. Er sah müde und durstig aus, als er einstieg, sehr durstig. Genau wie ich seit Jahren durstig bin ... nur nicht nach Wasser, Wein und Gold wie du. Sondern nach dem zarten Fleisch, das einen trunken macht, wenn es einen umhüllt, wenn es sich über einen beugt. Ich lechze nach fremder, gieriger Haut, und ich gehe zu Grunde, wenn ich diesen Durst nicht bald stille.
Ach Armin, jetzt ist es schon nach Mitternacht, und immer noch ist es so heiß, dass ich aufpassen muss, mit meinen feuchten Händen die Tinte nicht zu verwischen. Der Zug fährt im Augenblick nicht allzu schnell, und das ist gut so. Denn jetzt, da ich unterwegs bin, habe ich es nicht mehr so eilig. Es reicht mir, den schlafenden jungen Mann zu betrachten, zuzuschauen, wie sein Mund sich leicht öffnet, wie seine Brust sich hebt und senkt, mir vorzustellen, was er träumen wird...
Oh, ich weiß genau, was du sagen willst, Armin; du wirst sagen, er ist jung, er hat blaue Augen, schöne Hände, du wirst sagen, eine Frau Ende dreißig hat nach langen Jahren Monogamie da so ihre Bedürfnisse in einer glühenden Sommernacht. Und wenn sie großes Glück hat und der Junge dumm genug ist, sich alterndem Fleisch auszuliefern, dann soll sie es sich doch nehmen.
Du wirst sagen, dass es kein Grund ist, einen Mann wie dich zu verlassen. Du wirst alles als eine erotische Bagatelle abtun, eben ein bisschen Sehnsucht in allzu großer Hitze, die man beim Frühstück bereits vergessen hat. So wie du deine eigenen erotischen Bagatellen auch immer wieder rasch vergisst, sie wie Staub von deinem Jackett wischst, damit ich sie nicht bemerken oder wenigstens nicht ernst nehmen soll.
Doch du vergisst, dass dieser Junge nur der Anfang meiner Reise ist. Der Anfang meiner Reise von dir fort, nicht das Ende meiner Reise zu dir hin, das ist der Unterschied.
Es wird für uns beide morgen kein Frühstück geben, bei dem du diese charmante erotische Bagatelle mit den Brotkrümeln vom Tisch fegen könntest. Denn lieber würde ich mit Jules frühstücken und dann weiter reisen, noch viel weiter fort ... um zu vergessen, wie sehr wir beide uns einmal geliebt haben. Oder was wir damals dafür hielten.
Da fällt mir unser erstes Frühstück ein.
Oh, erinnerst du dich an diese Zeit? Damals war auch Sommer. Wie lange ist das her? Ich trug ein fliederfarbenes Baumwollkleid und war bei dir zum Frühstück eingeladen. Es war das erste Mal, das wir wirklich allein waren, und wir hatten Mühe, auf unseren Stühlen sitzen zu bleiben. Es war fast magisch, wie sehr ich mich nach dir verzehrte, nach deiner Haut, deinen Schultern, deinen Lippen und deinen warmen Händen, die, das wusste ich, geschickt durch meine enge Furche gleiten konnten. Dein harter Schwanz war für mich wie ein heiliger Stab, ohne dessen Berührung ich kaum länger atmen konnte.
Damals hatten wir nur Sex im Kopf. Dein ganzer Körper war eine einzige hungrige Flamme, die alles verzehrte und die ungeheuer ansteckend war. Eine Flamme, die mich später, selbst wenn ich erschöpft von deinen Umarmungen war, immer wieder in Brand stecken konnte. Du hattest eine Menge erotischer Phantasien, weißt du noch? Es war, bevor du deine ersten Geschäftserfolge hattest.
Bei jenem Frühstück in deiner kleinen Junggesellenwohnung, morgens um halb acht, da wolltest du mir unbedingt ein Ei kochen, doch deine eigenen Eier, verzeih mir diesen ordinären Vergleich, kochten dich selbst so weich, dass ich erst am Nachmittag wirklich etwas zu essen bekam. Du hattest tausend Arme und noch mehr Finger, mit denen du mich sanft, aber bestimmt aus der Küche ins Schlafzimmer entführt hast. Du hattest dieses unaussprechlich hässliche Polsterbett, schwarz mit irgendwelchen schreiend bunten Mustern darauf. Es war scheußlich, doch deine Küsse waren göttlich. Du hast dir nicht einmal die Zeit genommen, mir das Kleid auszuziehen, sondern hast mir den weiten Rock hochgeschoben, hast mich auf den Rand des Bettes gesetzt und mir den Slip heruntergezogen. Deine Zunge war weich und nass und klatschte mir, wie von einer sommerlichen Böe aufgepeitscht, gegen die Furche. Ich konnte spüren, wie sich alles in mir öffnete und eine schleimige Flutwelle deinen Lippen entgegenrollte. Du hast diese Flutwelle angenommen wie eine Herausforderung, hast mit deiner Zunge den Meeresschaum meiner Lust zwischen meinen Schamlippen herausgeschleckt, hast deine Lippen saftig über das kribbelige Loch gezogen, um mich auszusaugen, hast mich unermüdlich geleckt, so wie die Brandung gegen einen Felsen schlägt, hast geschleckt und geschluckt und mich keuchend in die Wellen geworfen.
Zitternd vor Lust bin ich schließlich irgendwann auf dieses Bett zurückgesunken, und du hast deinen Schoner in die aufgewühlte See geschickt, hast dich zwischen den Klippen hindurchmanövriert und bist geradewegs in der dunklen Grotte vor Anker gegangen. Mein Körper wurde nass vor Gier, als läge ich im Regen, und durch das offene Fenster konnte ich die Vögel singen hören. Immer und immer wieder hast du diese Wildwasserfahrt mit deinem Schoner gemacht, hast ihn mir außen an der Furt gerieben, und dann bist du plötzlich wieder mit vollen Segeln in die Grotte hineingerudert ... Es war ein wunderbarer Morgen, ich habe mich nie so jung und lebendig gefühlt. Auch wenn mir deine Wohnung nicht gefiel und die Musik, die du aufgelegt hast, schrecklich war.
Später sind wir rausgegangen, und du hast mir plötzlich draußen auf der Wiese hinter einem Baum wieder den Rock hochgehoben, hast an meiner Muschi geschnuppert, ob ich noch nach dir rieche. Es war ein grandioses Gefühl, zwischen all dem Grün und dem Summen der Insekten deine Zungenspitze wieder auf meiner Lustperle kreisen zu fühlen. Ich habe mich nah an deinen Mund gepresst, und du hast mir die Spalte immer tiefer ausgeschlürft, hast deinen und meinen Saft getrunken, während ich mich bebend vor Wonne hin und her gedreht habe.
Muschilecken war deine Spezialität, Armin. Du warst der erste Mann, der so frei war, es sogar in aller Öffentlichkeit zu tun, weißt du es noch? Es war ein paar Tage nach diesem Frühstück. Wir standen unten am Fluss, nur leicht verborgen von einem grünen Strauch, gleich bei einer Ufermauer an der Promenade. Mein Slip war allein durch deine Nähe so nass, als wäre ich schwimmen gewesen. Da hast du mich in den Schatten der Mauer gedrückt und meinen Rock hochgehoben, hast den Reißverschluss deiner Hose heruntergezogen und mir deinen Phallus in die Hand gegeben wie ein Geschenk, obwohl kaum zehn Meter von uns entfernt die Leute entlangspazierten.
»Pass gut auf ihn auf«, hast du gesagt. Dann sind deine Finger gleich auf meiner Möse zum richtigen Punkt gerutscht, ich konnte vor Lust kaum noch etwas sehen, so sehr kribbelte und flimmerte es in mir. Ich klammerte mich mit der freien Hand an deine Schulter, roch deinen Duft, hielt mich mit der anderen an deinem Schwanz fest. Doch du bist wieder wie auf der Wiese einfach in die Knie gegangen, hast den dünnen Stoff zur Seite geschoben – und ich habe deinen Schwanz aus den Händen gelassen. Ja, ich habe ihn losgelassen, habe, wenn du so willst, nicht gut auf ihn aufgepasst, denn von diesem Moment an war klar, dass du mit deiner Zunge über meine Spalte und über mein Leben herrschen würdest, allein herrschen würdest, und ich alles aus den Händen geben würde, selbst das, wonach ich verlangte, nur um von dir geleckt zu werden.
Ich bestand nur noch aus nackter Gier. Meine Knie zitterten, meine Beine hielten mich kaum, ich weiß noch, ich sah den bunt geblümten Rock einer alten Frau, die hinter dem Busch auf der Promenade entlangging ... Ich glaubte zu fliegen, und plötzlich war mir alles egal. Ich stöhnte und wand mich an der Mauer, ich wollte nur noch deinen Mund auf der Ritze, wollte, dass es nie, nie wieder aufhört, dieses Gefühl, wahrhaft deine Frau zu sein.
Aber es hat aufgehört!
Nicht wahr?
Ich war nicht lange deine Frau. Wir waren zu unersättlich, wir haben es zu oft getan, überall haben wir es getan, und als es anfing nachzulassen, dieses Gefühl, da haben wir geheiratet, um nicht zu sehen, dass uns sonst nichts verband.
Wir haben es schnell getan, das mit dem Heiraten, mitten im Winter. Denn wir wollten etwas retten, was sich nicht retten lässt. Und dann kamen deine Erfolge, die dicken Geschäfte. Die haben dein innerliches Feuer voll in Anspruch genommen. Die kleine Wohnung und das scheußliche Bett wurden durch eine große schöne Wohnung, später durch eine Villa am Stadtrand ersetzt, in der man sich tagelang aus dem Weg gehen kann, wenn man es will, und statt deiner Zunge auf meinem Geschlecht spürte ich nur noch seidige Wäsche auf meiner Haut und Perlen.
Immer wieder teure Perlenketten, Juwelenarmbänder, Dinge, die niemals warm werden, da du sie mir gegeben hast als Ersatz für deine Liebkosungen.
Ohne Feuer löst Leidenschaft sich nun mal auf wie Salz im Wasser. Genauso habe ich mich in dir aufgelöst, Armin. Ich bin schal und farblos geworden mit dem schimmernden Schmuck an meinem Hals, und den Kleidern, die aus mir machen sollten, was ich nicht bin. Eine reiche Frau.
Ich will dir was sagen, Armin, auch wenn du es nicht verstehen wirst. Als du arm warst und wir unsere Leidenschaft hatten, da war ich eine reiche Frau, eine glückliche, eine befriedigte Frau. Jetzt, da uns nichts mehr verbindet als die Last der gemeinsamen Jahre, jetzt, da mich die Armut des Reichtums zerfrisst, kann ich nichts anderes tun, als wortlos auf Reisen gehen. Schließlich kann man nur noch fortgehen, wenn man anfängt, sich gegenseitig mit Schweigen zu zerstören, findest du nicht? Auch wenn es ein goldenes Schweigen ist.
Doch dieser Junge hier, der hat mich einen Wimpernschlag lang so angesehen wie du früher. Er hat die Frau in mir gesehen. In seinem Blick lag reines, kristallklares Begehren, bevor er die Augen schloss. Doch es hat ausgereicht, dass ich wieder nackt sein will! Dass ich nackt sein will und einfach nur noch leben, dass ich mich ausziehen will, mich häuten will, um mich einem Mann hinzugeben, um einen harten Schwanz in mir zu spüren und eine Zunge, die mich leckt, die mich vergessen lässt, wie sehr ich dich begehrt habe, Armin ... wie sehr ich hoffte, dass es Liebe war!
Lilli nimmt den Stift von dem Blatt und schaut auf.
Nachdem sie Robert begegnet war, war ihre Leidenschaft für Armin völlig erloschen, denn es hatte nur einen Nachmittag gebraucht, um ihr klar zu machen, was es bedeutet, wenn man die gleichen Dinge liebt, und wie anders das Leben hätte sein können.
Armin und sie begehrten nur einander, berauschten sich aneinander, und als es nicht mehr ging, berauschte Armin sich an seinen Erfolgen und an seinen Besitztümern, von denen sie nur eines unter vielen war. Nie schauten sie dabei in die gleiche Richtung. Er liebte Fleisch und sie Fisch, er liebte Gold und sie schlichtes Silber, er liebte die Sonne, sie den Mond, er ein teures Leben zwischen seidigen Laken und Glamour, sie den stillen Rosengarten in der Provence, der für sie unerreichbar war.
Der junge Mann ihr gegenüber schläft nicht, sondern schaut sie aufmerksam an. Sie weiß nicht, wie lange er es schon tut. Die letzten Zeilen ihres Briefes und die Erkenntnis, dass sie eigentlich mit nichts als einem Haufen verlorener Träume dasteht, haben sie traurig gemacht, so dass sie ihn ein wenig aus dem Blick verloren hat. Sie hat beim Schreiben öfter innegehalten, hat sich Armins Umarmungen vorgestellt, seine Küsse, sein Lachen, wenn er sie nach einem gemeinsamen Höhepunkt herumwirbelte.
Sie hat das vor sich gesehen, was sie für Liebe hielt, und das, was vielleicht wirklich die Liebe ihres Lebens hätte sein können. Seltsam genug, dass ihr das alles in dieser von dröhnender Hitze erfüllten Nacht so klar wird.
Immerhin ist die Geschichte mit Robert Jahre her, in denen sie durchaus nicht ständig daran gedacht hat. Was also hat der fremde Junge hier nur an sich, dass sie derart an Robert denken muss, dass sie das Gefühl nicht loswird, sie solle es noch einmal mit ihm wagen? Ja, dass sie das Gefühl hat, Robert auf der Stelle suchen zu müssen, ihn wiedersehen zu müssen, um vielleicht diesmal für immer zu bleiben.
Sie faltet die Blätter des Briefes rasch zusammen, die vollgeschrieben sind mit ihrer kleinen, geraden Handschrift.
»Ein wichtiger Brief?« Die Stimme des jungen Mannes klingt sanft, wie die von Robert damals. Sie schaut ihn suchend an. Doch, er sieht wirklich nicht aus wie Robert ... Was ist das nur?
»Nein«, lügt sie. »Nichts Wichtiges.« Einen Augenblick zögert sie, denkt an Armin und zerreißt entschlossen die weißen Bögen.
Fragend schaut er ihr zu, als sie aufsteht und die Schnipsel aus dem Fenster, in die schwüle Nacht hinauswirft. Sie versucht zu lächeln, als wäre es wirklich bedeutungslos, einfach so ein Leben hinter sich zu lassen.
»Nur ein paar unnütze Gedanken«, murmelt sie, während sie den weißen Fetzen nachschaut, die vom Wind getrieben auseinanderflattern. Eine Sekunde nagt die Erkenntnis an ihr, auch mit Armin etwas unendlich Kostbares verloren zu haben. Doch sie schüttelt den Kopf.
»So etwas kenne ich«, sagt der junge Mann hinter ihr. »Wenn man auf Reisen ist, gehen einem viele Gedanken durch den Kopf, die belanglos sind, und manches davon kann man selbst nicht verstehen.«
Lilli wendet sich vom Fenster weg und setzt sich wieder. Sie sieht einen flüchtigen, schüchternen Blick und erkennt, wie jung er wirklich ist ... wie wenig er versteht. Trotzdem möchte sie ihn küssen, um den aufkommenden Schmerz in ihrer Brust zu verdrängen, möchte, dass er sie in den Arm nimmt, dass er hier und jetzt mit seiner Jungend in sie dringt, doch er schließt die Augen, lehnt müde den Kopf wieder an seinen Rucksack, der neben ihm steht, und schleicht sich davon, aus ihrer Nähe, als wäre sie ihm unangenehm.
Als Lilli schon glaubt, dass er wieder eingeschlafen ist, öffnet er jedoch noch einmal die Augen. »Es ist heiß«, flüstert er. »Viel zu heiß und zu spät, als dass irgendein Gedanke von Bedeutung sein könnte.«
»Ja«, sagt sie. »Wahrscheinlich ist es für alles einfach zu heiß!«