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ZWEITES KAPITEL

Was hatte sie nur getan?

Wie der Schlag einer Kirchenglocke hallte die Frage durch Celinas Kopf, während sich Suzette an ihrem Rücken mit den Knöpfen des Abendkleides abmühte. Wie hatte sie nur den Mut gefunden, einen Handel mit Rio de Silva zu schließen und diesen mit ihrem Wort zu besiegeln? Aus Sorge um Denys’ Leben war sie zu dem Fechtmeister gegangen, und nun bot sich ihr plötzlich die Möglichkeit, damit die Kontrolle über ihr eigenes Leben zurückzuerlangen! Doch zuerst musste sie sich dem Willen des Silbernen Schattens beugen.

Mit einer geübten Handbewegung zog Suzette ihr das Kleid über den Kopf. Auf dem Weg zu dem Kleiderschrank aus Rosenholz warf sie über die Schulter einen Blick in Celinas Richtung. »Nun?«

»Was, nun?«

»Wirst du mir sagen, was zwischen dir und dem großen Maître d’Armes vorgefallen ist, oder soll ich es erraten?«

»Ich dachte, du würdest ohnehin lauschen.« Celina wich dem Blick ihrer Zofe aus. Sie machte sich an den Schnüren ihrer Unterröcke zu schaffen. »Oder hat dich der Majordomo zu gut unterhalten?«

»Wir haben über dies und das geredet«, antwortete Suzette mit einem Achselzucken.

»Er sieht ziemlich gut aus, nicht wahr?«

»Meinst du Olivier? Oder sprichst du von Monsieur de Silva?«

Einen Herzschlag lang sah Celina vor ihrem inneren Auge den Fechtmeister, wie er vor kaum einer Stunde vor ihr gestanden hatte. Der strenge Schnitt seiner markanten Züge und die silbernen Linien, die seine grauen Augen wie Blitze durchzogen, waren ihr wie ins Gedächtnis gebrannt. Eine feine Narbe erstreckte sich vom Unterlid seines linken Auges bis hinunter auf das Kinn, zeichnete eine schmale, blasse Linie in die bronzefarbene Haut seines Gesichts. Er war größer als die meisten anderen Männer, die sie kannte. Die muskulösen breiten Schultern verdankte er wohl den vielen Stunden, die er jeden Tag auf der Kampfbahn verbrachte. Körperlich schien er in hervorragender Verfassung zu sein. Er bewegte sich geschmeidig und fast geräuschlos, und unter den eng anliegenden Hosen zeichneten sich deutlich die Muskeln seiner Oberschenkel ab. Seine Selbstsicherheit grenzte an Arroganz und spiegelte sich in der Art, wie er den Kopf hielt, wie er die dunklen Brauen hochzog und nicht zuletzt in dem sarkastischen Ausdruck, der manchmal um seine Mundwinkel spielte. Keine Sekunde lang hatte er sie aus den Augen gelassen, er hatte sie fixiert wie ein Raubtier seine Beute.

In scharfem Ton antwortete sie: »Du weißt sehr gut, dass ich diesen Olivier meinte.«

»Ah ja.« Suzette warf Celina einen viel sagenden Blick zu. »Er ist nicht gerade hässlich, das stimmt. Außerdem ist er kein Sklave. Wusstest du das?«

»Tatsächlich?«

»Er und Monsieur de Silva sind einander in Havanna begegnet. Das hat Olivier mir zumindest erzählt. Olivier ist trotz seiner Hautfarbe ein freier Mann. Seine Großmutter war eine Sklavin, wurde jedoch von ihrem Herrn freigegeben, als sie ihm ein Kind – Oliviers Mutter – gebar. Laut Olivier liebten die Großeltern einander. Seine Mutter wuchs im Haus seines weißen Großvaters auf und wurde sogar in eine Klosterschule geschickt. Später heiratete sie einen Kaufmann aus Boston, der allerdings vergessen hatte, ihr zu sagen, dass in Boston schon eine Familie auf ihn wartete. Noch vor Oliviers Geburt kehrte er dorthin zurück und ward nie mehr gesehen. Olivier aber schickte man nach Spanien, wo er an der Universität von Toledo studierte.«

»Wahrscheinlich machte er deshalb einen so kultivierten Eindruck auf mich«, sagte Celina nachdenklich. Tatsächlich hatte sie gespürt, dass sich hinter der ehrerbietigen Maske des Dieners noch etwas anderes verbarg.

Suzette nickte. »Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Nach seiner Rückkehr aus Spanien setzte man Olivier auf der Zuckerrohrplantage seiner Familie als Verwalter ein. Bis zum Tode seines Großvaters führte er das Familienunternehmen. Ein beträchtliches Erbe war ihm zugesichert worden, doch ein naher Verwandter des Großvaters, ein mächtiger, einflussreicher Mann, heuerte ein paar Banditen an, die Olivier eines Nachts kurz nach der Beerdigung auflauerten. Sie richteten ihn übel zu und hätten ihn sicher umgebracht, wenn Monsieur de Silva nicht dazugekommen wäre. Er schlug die Angreifer mit dem Degen in die Flucht. Danach reisten die beiden Männer gemeinsam nach New Orleans – Monsieur de Silva aus geschäftlichen Gründen und Olivier, weil er in Havanna seines Lebens nicht mehr sicher war. Er verdankt dem Maître d’Armes sein Leben. Deshalb will er ihm bis ans Ende seiner Tage dienen.«

»Was für eine romantische Geschichte«, sagte Celina. »Glaubst du, sie ist wahr?«

»Ja, bestimmt. Olivier sagt, Monsieur de Silva hält nichts von Sklaverei, weil er in seiner Jugend selbst ein Sklave war. Das kam mir ein wenig seltsam vor. Aber Olivier schwört, es sei tatsächlich so gewesen.«

Auch Celina fand das sehr ungewöhnlich, behielt jedoch ihre Meinung für sich. »Offenbar hast du dich mit diesem Olivier recht gut unterhalten.«

»Ja, wirklich. Ihm zuzuhören fällt nicht schwer, denn er weiß sich sehr gewählt auszudrücken. Leider sieht er nicht ganz so gut aus wie der Silberne Schatten.« Bei den letzten Worten warf Suzette ihrer Herrin erneut einen forschenden Blick zu.

Celina zuckte die Achseln. »Findest du? Ich dachte immer, dir gefiele nur Croquere.«

Bastile Croquere, ein Mulatte, führte in Rio de Silvas Nachbarschaft eine gut gehende Fechtschule und galt gegenwärtig als der schönste Mann von New Orleans. Man bewunderte seine Eleganz und redete gern über seine wertvolle Sammlung von Kameen in Form von Ringen und Nadeln.

Suzette lächelte amüsiert. »Hast du schon das Neueste über ihn gehört?«

Celina schüttelte den Kopf.

»Man sagt, er habe zu einer Opernaufführung ein Kameenarmband getragen, eine überaus feine Arbeit, aus Muscheln geschnitzt. Ein Mann besaß die Unverfrorenheit, ihn wegen der Wahl seines Schmuckes zu verspotten. Croquere forderte ihn natürlich heraus, doch der andere lehnte ein Duell ab.«

»Das wundert mich nicht.« Männer suchten Croquere auf, um sich von ihm das Fechten beibringen zu lassen. Während der Lektionen fanden sie nichts dabei, mit einem Menschen, in dessen Adern zu gleichen Teilen schwarzes und weißes Blut floss, die Klingen zu kreuzen. Doch ein Duell mit einem Mulatten war undenkbar. Wie sollte man im Kampf gegen einen Mann von niederem Rang seine Ehre verteidigen?

»Pass auf, es geht noch weiter. Monsieur Pasquale nahm es auf sich, sich an Croqueres Stelle von dem Spötter beleidigt zu fühlen. Dieser wird seine Meinung über anderer Leute Schmuck in Zukunft wohl lieber für sich behalten.«

»Pasquale, der italienische Fechtmeister?«

»Genau der. Man nennt ihn auch La Roche.« Die Zofe half Celina aus den bauschigen Unterröcken.

»Meinst du, er heißt wirklich so?« Die meisten der etwa fünfzig Fechtmeister, die in der Passage de la Bourse ihre Studios betrieben, hatten sich Kampfnamen zugelegt.

»Wer weiß das schon? Aber glaub nur nicht, dass du mich mit dem Gerede über gut aussehende Männer vom Thema abbringen kannst, ma chère. Warum bist du vor Monsieur de Silva davongerannt, als wäre der Leibhaftige dir auf den Fersen?«

»Ich bin nicht gerannt.«

»Als gemütlichen Bummel würde ich unseren Nachhauseweg aber nicht bezeichnen. Hat er dich beleidigt?«

»Nein. Zumindest …« Celina verstummte. Ihr Blick ging in die Ferne. Sie dachte an das Gefühl, das seine Lippen auf den ihren hinterlassen hatten, an seine Arme, die sie so festgehalten hatten, als wären sie aus Eisen. Dieser Mann hatte eine gefährliche Gabe. Er brachte sie dazu, sich seinen Wünschen zu unterwerfen und dabei auch noch das Gefühl zu haben, es seien ihre eigenen.

»Ich wusste es! Es war ein Fehler, ihn aufzusuchen. Ich habe es dir doch gleich gesagt: Ein Mann wie er ist nie so edelmütig, wie er dargestellt wird. Du kannst von Glück sagen, dass er nicht über dich hergefallen ist.«

»So weit wäre er nicht gegangen. Er wusste ja, dass du auf mich wartest.«

»Als ob einen wie ihn das kümmern würde. Was immer er zu dir gesagt hat, darf nicht ungesühnt bleiben.«

»Soll ich zu Denys laufen und ihn bitten, de Silva noch einmal herauszufordern? Oder meinst du, ich sollte es meinem Vater überlassen, mit ihm die Klingen zu kreuzen?«

»Mon Dieu! Was hat dieser Mann getan?«

»Eigentlich gar nichts«, sagte Celina. Sie drehte sich so, dass die Zofe ihr das Korsett aufschnüren konnte. »Zumindest nichts, was mir unangenehm gewesen wäre.«

»Das wird ja immer schlimmer. Sag mir sofort, was zwischen euch vorgefallen ist. Sonst male ich mir die schönsten Katastrophen aus.«

Celina wusste, dass es sinnlos war, die Bedingungen ihres Handels mit Rio de Silva zu verschweigen. Suzette war schon ihr Leben lang ihre engste Vertraute. Ihr Großvater hatte sie Celinas Mutter zu deren Geburt geschenkt. »Zuzu« hatte Celina die Zofe als kleines Kind genannt, und auch jetzt benutzte sie diesen Kosenamen noch gelegentlich. Suzette war zwei Jahre älter als Celina, und die beiden wuchsen gemeinsam auf, schliefen im selben Zimmer, heckten zusammen allerhand Streiche aus und standen sämtliche Kinderkrankheiten zur selben Zeit durch. Bis zu dem Tag, an dem Celina in die Schule der Ursulinerinnen geschickt wurde, unterrichtete man sie zu Hause gemeinsam. Bei den Nonnen sollte Celina vor allem Musik und Gesang, die Führung eines Haushalts und das Anfertigen feiner Handarbeiten erlernen. Wochenlang vergossen die beiden Mädchen bittere Tränen, wenn Celina zur Schule gebracht wurde. Leibliche Schwestern konnten einander kaum näher stehen.

Suzette schlief längst nicht mehr in dem Kasten, den man unter Celinas Himmelbett hervorziehen konnte. Doch noch immer kümmerte sie sich um Celinas Schlafzimmer, ihre Kleider, ihre Frisur und ihr Wohlergehen. Ein heimlicher Besucher konnte ihr somit unmöglich verborgen bleiben. Für das Treffen mit Rio de Silva brauchte Celina also die Hilfe und Unterstützung ihrer Zofe.

Suzettes hellbraunes Gesicht färbte sich dunkelrot, während sie Celinas Erläuterungen lauschte. Als Celina geendet hatte, stemmte Suzette die Hände in die Hüften. »Er ist der Teufel in Person!«

»Schon möglich«, sagte Celina. »Obwohl ich glaube …«

»Was?«

»Dass das, was er im Sinn hat, nicht ausschließlich teuflisch ist.« Sie ließ sich von Suzette das Korsett über den Kopf ziehen.

»Wie meinst du das?«

»Ich glaube, es ist ihm wichtiger, dem Grafen zu schaden, als in mein Schlafzimmer vorzudringen.«

Suzette legte das Korsett beiseite und holte das Nachthemd aus besticktem Leinen. Sie hielt es Celina so hin, dass diese in die weiten, langen Ärmel schlüpfen konnte. »Und das imponiert dir?«

»Nun, ich muss zugeben, sehr schmeichelhaft finde ich es nicht.« Celina befreite ihren Kopf aus den Falten des Leinenstoffes und lächelte.

»Du kannst von Glück sagen, dass er sein Vorhaben nicht gleich in seinen Räumlichkeiten in die Tat umgesetzt hat. Es war mehr als töricht, ihn aufzusuchen. Aber wann hast du schon je auf mich gehört?«

»Das tue ich oft, und du weißt es auch. Außerdem kann ich beschwören, dass zwischen uns nichts Unschickliches vorgefallen ist.«

»Höre ich etwa Enttäuschung in deiner Stimme?«

»Wenn du es genau wissen willst: Ich hatte furchtbare Angst. Aber Monsieur de Silva ist genau das, was man von ihm behauptet: ein Gentleman und ein großer Fechtmeister. Wenn er zu einem Duell antritt, dann tut er es mit kühlem Kopf. Er plant seine Schritte und ist nicht darauf aus, die Herzen von Männern oder Frauen zu brechen.«

Suzette stieß eine leise Verwünschung aus, strich die Falten des Nachthemdes glatt und stellte sich dann neben Celinas Frisiertisch. »Du sprichst von dem Mann, der Unmögliches von dir verlangt, damit er das Leben deines Bruders verschont! Und da soll ich mich blind und taub stellen?«

»So schlimm wird es schon nicht werden.«

»Nein, nein, ganz sicher nicht. Er wird dir den Hof machen, dir Liebesbriefe schreiben, kleine Liebesgaben schicken und dir süße Komplimente ins Ohr flüstern. Du kannst nicht so dumm sein, das zu glauben.«

»Wann durfte ich je auf diese Dinge hoffen? Wann wurden sie mir je zuteil?« Celina setzte sich an den Frisiertisch und warf ihrer Zofe im Spiegel einen düsteren Blick zu. »Wie der Graf um mich wirbt, ist dir ja bekannt.«

Suzette studierte das Gesicht ihrer Herrin mit nachdenklicher Miene. Sie wussten beide, dass Celinas Debüt im Opernhaus, auf den Bällen und Festen der winterlichen Saison des Visites ganze drei Jahre später stattgefunden hatte als üblich. Erst hatte sie die Trauerzeit für ihren älteren Bruder abwarten müssen, dann waren die Mutter und die jüngere Schwester gestorben. Inzwischen näherte sich Celina bereits dem Alter, in dem eine Frau ihr Korsett verbrennen konnte und sich darauf einrichten musste, ihre Tage als alte Jungfer zu beschließen. Doch zum allgemeinen Erstaunen der besseren Gesellschaft hatte sie gleich zu Anfang ihrer ersten Saison die Aufmerksamkeit eines spanischen Adeligen erregt, von dem gerade die ganze Stadt sprach. Er würde wohl den größten Teil der Saison in New Orleans verbringen.

Eine romantische Ader schien der Graf allerdings nicht zu besitzen. Als er bei Celinas Vater vorsprach, hatten sie und der Edelmann kaum ein Dutzend Worte gewechselt – noch dazu ausschließlich in der Öffentlichkeit. Das einzige Kompliment, das sie bis jetzt von ihm zu hören bekommen hatte, galt ihrer guten körperlichen Verfassung. Er befand sie offenbar für geeignet, ihm den Erben zu gebären, den seine beiden verstorbenen Ehefrauen ihm vorenthalten hatten. Die Hochzeit wäre gleich an Ort und Stelle bei einem Glas Branntwein arrangiert worden, hätte es nicht eine gewisse Unstimmigkeit gegeben. Celinas Vater bestand darauf, dass ein großer Teil ihrer Mitgift ihr auch weiterhin ausschließlich selbst gehören sollte. Dem Grafen missfiel das. Zähe Verhandlungen folgten.

»Das ist nun einmal der Lauf der Welt«, sagte die Zofe seufzend. »Ein Mann ehrt seine Gattin und verwöhnt seine Geliebte, während die Frau ihren Gatten ehrt und ihre Kinder liebt.«

»Ja, und offenbar gehört es auch zum Lauf der Welt, dass junge Männer unter den berüchtigten Eichen von Allard reihenweise ihr Leben lassen. Aber Denys wird nicht dazu gehören, wenn ich es verhindern kann.«

»Gegen den Tod anzukämpfen, ist sinnlos, Mam’zelle. Man kann ihn nicht aufhalten, ganz gleich, wie sehr man es versucht.« Suzette befeuchtete ein Tuch, damit sich Celina Reispuder und das Karminöl, die einzige Schminke, die sie verwendete, abwischen konnte.

Celina nahm das Tuch, wich jedoch Suzettes Blick aus, denn sie war sicher, sie würde Mitleid und Bedauern darin lesen. Suzette wusste schließlich nur zu gut, was Celina in den vergangenen Jahren durchgemacht hatte. »Ich habe mein Wort gegeben. Nun ist es zu spät.«

»Ich frage mich …«, begann Suzette.

Ein leises Klopfen an der Tür ließ sie innehalten. Unmittelbar darauf steckte eine ältere Frau den Kopf ins Zimmer. Sie trug eine spitzenbesetzte Nachthaube, unter der ihre Locken wie silberne Drähte hervorquollen. Sie war klein und rundlich und hatte freundliche Augen. Ihre schrille Stimme erinnerte an das Zirpen einer Grille.

»Oh wie gut, chère. Ich habe Stimmen gehört. Gelobt seien die Heiligen, dass ihr wieder da seid. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

»Das tut mir Leid, Tante Marie Rose«, sagte Celina. »Aber wir sagten doch, wir würden nicht lange ausbleiben.«

»Ja, aber ich bin sicher, dein Vater hätte es nicht gern gesehen, dass ihr den Krankenbesuch bei Félicité Parmentier ohne mich gemacht habt. Es ist meine Pflicht, auf euch zu achten.« Händeringend betrat die ältere Dame das Zimmer.

»Und dir dabei einen ansteckenden Husten einzufangen? Du weißt, wie empfindlich du bist. Außerdem sind wir ja wohlbehalten zurückgekehrt. Du kannst also beruhigt zu Bett gehen, liebe Tante.«

»Und wie geht es der armen Félicité?«

»Schon viel besser«, antwortete Celina mit Bestimmtheit. Der Vorwand, den sie benutzt hatte, um nach dem Besuch der Opernaufführung im Theatre d’Orleans den wachsamen Augen ihrer Tante zu entkommen, war nicht allzu weit hergeholt. Sie hatte tatsächlich einen Augenblick lang mit der Mutter ihrer Freundin gesprochen. Gern hinterging Celina die Tante nicht.

»Denys ist offenbar nicht mit euch zurückgekommen. Ich habe gerade einen Blick in sein Zimmer geworfen, und das Bett war leer.«

Ihr Bruder schlief außer Haus, damit sich wegen seiner Verabredung im Morgengrauen niemand Sorgen machte. Aber Celina wusste, was sie sagen sollte, wenn jemand nach ihm fragte. Nun war sie froh über seine Anweisungen, denn mit ihrer Hilfe konnte sie den Eindruck erwecken, er sei noch bei ihr gewesen, nachdem sie Tante Marie Rose nach Hause geschickt hatte. »Denys hat vor der Oper Hippolyte Ducolet getroffen. Nachdem sie uns sicher hierher zurückgebracht hatten, wollten sie gemeinsam zu einem Hahnenkampf gehen. Und sicher ist anschließend in Ducolets Junggesellenwohnung noch ein Bett für Denys frei.«

»Ein wirklich ausnehmend netter junger Mann, dieser Hippolyte. Seine Mutter kann stolz auf ihn sein.« Tatsächlich war Hippolyte ein Dandy, der das Leben in vollen Zügen genoss und nur selten vor Tagesanbruch zu Bett ging. Wahrscheinlich hatte Denys ihn deshalb zu seinem Sekundanten erkoren. Er selbst verschlief nämlich regelmäßig und brauchte jemanden, der ihn rechtzeitig für seine Verabredung unter den Eichen weckte.

»Ich weiß deine Sorge um uns zu schätzen«, sagte Celina. »Aber solltest du nicht längst im Bett sein? Du willst doch morgen zum Nähen für die Waisen von St. Joseph gehen!«

»Ja, das stimmt. Aber ich fühle mich so unwohl, dass ich mich vielleicht entschuldigen werde. Es ist wieder meine Leber. Ich hätte auf die Birnentörtchen nach dem Abendessen verzichten sollen. Sie bekommen mir nicht.«

Das entsprach der Wahrheit, doch die Tante griff jedes Mal herzhaft zu und beklagte sich dann hinterher. »Vielleicht hilft dir ein Kräutertee.«

»Ich war gerade auf dem Weg in die Küche, um mir einen zu machen, da hörte ich euch.«

»Ich bitte dich, Tante Rose, du hättest doch nur läuten müssen.«

»Das sagt dein Vater auch immer. Aber zu dieser späten Stunde möchte ich keine Unruhe mehr ins Haus bringen.«

Tatsächlich verhielt sich die Tante am liebsten so unauffällig wie möglich. Die Schwester der Mutter war nach dem Tod ihres Gatten für eine Woche zu Besuch gekommen – und lebte nun schon zwanzig Jahre im Haus. In all ihrer Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit war sie der ideale Gast und fungierte inzwischen als Celinas Anstandsdame. Aber leider wurde sie regelmäßig von Krankheiten aller Art befallen und widmete sich ihren zahllosen Leiden und Gebrechen mit Hingabe. »Soll dir Suzette vielleicht den Tee kochen? Du weißt, wie gut sie sich mit Kräutern auskennt.«

»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte«, sagte die Zofe sofort. Sie warf Celina einen ironischen Blick zu, denn sie wusste genau, dass diese nur einen Vorwand suchte, um Tante und Zofe loszuwerden.

»Nein, wirklich«, sagte Tante Marie Rose verlegen. »Das wäre zu viel verlangt. Ich darf doch nicht erwarten … ich würde lieber …«

Celina kam ihr zu Hilfe. »Du weißt selbst am besten, wie du deinen Tee haben möchtest.«

»Genau«, antwortete die Tante mit einem Seufzer der Erleichterung. »Ich gehe jetzt in die Küche und werde dort auch nichts durcheinander bringen. Ich weiß, wie sehr es deinen Vater ärgert, wenn die Köchin einen Wutanfall bekommt, weil sie etwas nicht finden kann.«

»Ist Vater denn zu Hause?«

»Nein, nein. Er ist immer noch mit dem Grafen von Lérida unterwegs, glaube ich. Ist es nicht großartig, wie gut sie sich verstehen? Aber nun gute Nacht, chère. Schlaf gut.«

»Du auch, Tante«, sagte Celina. Sie hörte, wie die alte Dame zur Hintertreppe tappte. Sie führte zur Küche hinunter, die hinter dem Haus lag.

»Für dich wird es nun auch höchste Zeit, dass du ins Bett kommst«, sagte Suzette. Dabei schlug sie die Decken zurück. »Wer weiß, was der Morgen bringt.«

»Du meinst, wer weiß, ob man am Morgen nicht meinen Bruder auf einem Fensterladen ins Haus trägt oder ob mein zukünftiger Gatte meinen Vater nicht in eine Spielhalle zerrt, wo er alles verliert – einschließlich meiner Mitgift.«

»Er wird erst dein Zukünftiger werden, wenn der Ehevertrag unterzeichnet ist. Und dein Vater ist klug genug, nicht über seine Verhältnisse zu spielen.«

»Aber der spanische Edelmann beeindruckt ihn ungemein, und er möchte ihn unbedingt zum Schwiegersohn haben.«

»Er will nur dein Bestes, das weißt du.«

»Er will beweisen, dass er bereit ist, sich um mich zu kümmern, obwohl ich daran schuld bin, dass …«

»Nein, chère«, unterbrach Suzette sie scharf. »Er ist um dein Glück besorgt.«

»Ja, so sehr, dass er mich mit einem um Jahrzehnte älteren Mann verheiraten will, der ein Korsett trägt, das steifer ist als das meine, der süchtig ist nach Karten und hohen Einsätzen beim Poker.«

»Du wüsstest nichts von alledem, wenn Denys es dir nicht erzählt hätte.«

»Es nicht zu wissen, hätte meine Begeisterung für diese Ehe auch nicht gesteigert.«

Suzette zog die weiße Kamelienblüte aus Celinas aufgetürmter Lockenpracht. Dann entfernte sie die Kämme und Nadeln, die die Frisur hielten. »Frauen haben sich seit jeher dem Willen ihrer Familie zu beugen.«

»Das tun sie nur, weil sie weder einen eigenen Kopf noch ein Rückgrat haben.«

»Sie tun es, weil das nun einmal so ist. Sie mögen weinen und betteln, aber am Ende gehorchen sie doch. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Oft lernen sie im Laufe der Zeit, ihren Gatten zu lieben, und werden in ihrem neuen Heim glücklich.«

»Und manchmal geht es ihnen so schlecht, dass sie das Dasein nur ertragen, wenn sie ihre Sinne mit in Orangenblütenwasser gelöstem Laudanum betäuben«, entgegnete Celina gereizt. »Sie tanzen und spielen Karten, als hinge ihr Leben davon ab, stürzen sich in Krankheiten oder sterben im Kindbett. Wieder andere tun schamlose Dinge, nur damit sie von ihrem Gatten getrennt leben können.«

»Schamlose Dinge, chère?«

Celina ging nicht weiter darauf ein. »Das alles ist so sinnlos, und ich will nicht genauso enden, wenn ich es verhindern kann.«

»Ja, aber kannst du es denn?«

Celina schwieg. Plötzlich fröstelte sie in dem dünnen Nachthemd. Rio de Silva ging ihr nicht aus dem Sinn – seine Art, wie er sich ihr genähert hatte, der silberne Glanz in seinen Augen und die Anspannung auf seinen Zügen, als er sie berührte. Noch immer konnte sie seine Finger auf ihrer Wange spüren. Sie wusste, dass all ihre Proteste umsonst gewesen wären, wenn er beschlossen hätte, es nicht dabei zu belassen.

»Du zitterst ja, Mam’zelle. Komm, lass uns schnell weitermachen, und vielleicht sollte ich dir dann zur Beruhigung deiner Nerven auch einen Kräutertee kochen.«

»Mir fehlt nichts.«

»Das merke ich«, sagte Suzette in vorwurfsvollem Ton. Sie legte die Kamelie und die Haarnadeln beiseite und begann, Celinas Haar zu bürsten.

Celina schloss einen Moment lang die Augen. Sie genoss das Gefühl der Bürste auf ihrer Kopfhaut, die von den Nadeln, die ihr schweres Haar gehalten hatten, ganz wund war. Doch auch dieses Wohlgefühl lenkte sie nicht lange von ihren Gedanken ab. »Was ist, wenn Monsieur de Silva nicht Wort hält? Was ist, wenn Denys stirbt?«

»Ich mache mir mehr Gedanken darüber, was passiert, wenn er das Duell überlebt!«, sagte Suzette grimmig. »Du hast dich auf einen unsäglichen Handel eingelassen, Mam’zelle. Wenn du die Abmachung einhältst, bist du ruiniert.«

»Das macht nichts, denn ich werde ohnehin niemals heiraten.«

»Und was willst du deinem Vater sagen? Oder Denys? Welch ein Irrsinn! Ich hätte heute Abend niemals mit dir gehen dürfen.«

»Dich trifft keine Schuld. Wahrscheinlich war es wirklich töricht, mich einzumischen, aber ich dachte …«

»Du wolltest wieder einmal deinen Bruder retten. Wirst du es denn nie begreifen?«

»Aber ich habe doch nur noch ihn.«

»Dein Vater ist auch noch da.«

»Ja.« Mehr sagte Celina dazu nicht.

Suzette schüttelte den Kopf. »Was geschehen ist, ist geschehen. Und nun ab ins Bett mit dir. Bis zum Morgen ist es nicht mehr lange.«

»Ich werde kein Auge zutun.«

»Über das, was kommen mag, nachzugrübeln, nutzt nichts.« Suzette hielt das Moskitonetz auf, während Celina die Stufen zu ihrem Bett erklomm und sich auf die dicke Matratze legte. »Denk einfach nicht daran.«

»Das ist leichter gesagt als getan«, erwiderte Celina und schloss seufzend die Augen. In ihrer Vorstellung sah sie zwei Männer mit gezückten Degen, die einander im ersten Morgenlicht gegenüberstanden. Sie schlug die Augen wieder auf. »Suzette?«

»Mam’zelle?« Die Zofe räumte gerade den Frisiertisch auf und drehte sich zu ihr um.

»Meinst du, wir könnten …«

»Nein!«

»Aber du weißt doch gar nicht, was ich sagen will«, protestierte Celina.

»Ich kenne dich und warte schon lange darauf, dass dir einfällt, du könntest die Sorge um deinen Bruder noch ein wenig weitertreiben und als Beobachterin zu dem Duell fahren. Aber so etwas gehört sich nicht. Dein Vater wäre außer sich.«

»Er müsste es ja nicht erfahren.«

»Du meinst, du könntest dir zu dieser frühen Stunde eine Kutsche kommen lassen, und er würde es nicht merken? Der Kutscher würde dich niemals fahren, ohne vorher bei deinem Vater nachzufragen, ob er die Ausfahrt erlaubt.«

»Du könntest mir eine Mietdroschke besorgen, ich würde durch die Seitentür hinausschlüpfen und dich an irgendeiner Straßenecke treffen.«

»Und woher sollte ich das Geld dafür nehmen? Keine von uns besitzt mehr als ein paar Piaster.«

Suzette hatte Recht. Celina legte nachdenklich die Stirn in Falten. Ihr Vater war ein vermögender Mann, und sie durfte einen gewissen Betrag für Kleider, Handschuhe, Fächer und Sonnenschirme ausgeben. Die Rechnungen dafür beglich sie allerdings nicht selbst. Sie wurden ins Stadthaus geschickt. Selbst wenn sie auf den französischen Markt ging, feilschten Suzette oder der Butler Mortimer an ihrer Stelle mit den Händlern und händigten ihnen das Geld aus, genau wie sie auch den Korb trugen. Man ging davon aus, dass junge Damen aus gutem Hause kein eigenes Geld brauchten, außer um sich gelegentlich bei einem Straßenhändler ein paar Reiskekse und eine Hand voll Pralinen zu kaufen, oder um in der Kathedrale eine Kerze anzuzünden.

»Es muss doch möglich sein«, murmelte Celina vor sich hin.

»Schlag dir das aus dem Kopf, ich bitte dich«, sagte Suzette. »Stell dir nur vor, was man über dich sagen würde, wenn es herauskäme. Denk an deine arme Tante! Sie würde sich schreckliche Vorwürfe machen, weil sie dich nicht zurückgehalten hat. Außerdem wäre es deinem Bruder sicher furchtbar peinlich, wenn er auf diese Art erfährt, dass du ihm nicht zutraust, seine Belange selbst zu regeln.«

Was die Leute über sie redeten, interessierte Celina nur am Rande. Dass sich ihre Tante Vorhaltungen machen würde, konnte sie sich zwar gut vorstellen. Aber man würde der alten Dame wohl kaum die Schuld für Celinas Eigenmächtigkeit geben. Was Denys betraf, so hatte Suzette Recht. Wenn sie zu dem Duell erschien, würde sie ihn vor seinen Freunden unmöglich machen. Und an das, was passieren konnte, wenn ihn ihre Gegenwart in einem kritischen Moment ablenkte, wollte sie lieber gar nicht erst denken.

»Ich wünschte, ich wäre ein Mann!«, sagte Celina voller Inbrunst. »Dann könnte ich durch die Straßen laufen, wie es mir beliebt, und dürfte mir auch dieses Duell ansehen.«

»Aber du bist kein Mann, und deshalb bist du zum Warten verdammt.«

»Ja.« Celina schloss die Augen wieder. »Und ich werde beten, dass Monsieur de Silva Wort hält.«

Suzette schüttelte seufzend den Kopf. »Ich fürchte, genau das wird er tun«, sagte sie grimmig.

Rächer des Herzens

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