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Drittes Kapitel

Eigentlich war es nicht Caids Tag im Salon. Es hatte sich so eingebürgert, dass die maîtres d’armes ihre Salons an unterschiedlichen Tagen öffneten. Diese Regelung gab den Kunden die Gelegenheit, sich die Technik der verschiedenen Fechtmeister anzusehen und, so sie es denn wollten, bei mehr als einem von ihnen Unterricht zu nehmen. Die Fechtmeister wiederum konnten sich von dem anstrengenden stundenlangen Training auf der Fechtbahn erholen. Caid bedauerte dieses Arrangement jetzt beinahe. Er hätte ein paar Fechtgänge gut gebrauchen können – um den Ärger loszuwerden, der noch immer an ihm nagte.

Er trat unter der Arkade hervor, von der aus die Treppe zu seinem Fechtstudio im ersten Stock führte. Zu dieser Stunde war die Passage de la Bourse ruhig, denn das Vieux Carré pflegte die Tradition der Siesta, die noch aus einer Zeit stammte, als Louisiana von Madrid und Havanna aus regiert wurde. Ein, zwei Angestellte eilten mit Papieren vorüber, die sie von einem der Büros in der Canal Street zu den Regierungsämtern im Cabildo beförderten. Auf diesem Fußweg, der den männlichen Beschäftigten vorbehalten war, kamen sie schneller voran, obwohl sie im Moment noch einen Umweg um die Stelle machen mussten, wo man die Trümmer des St. Louis Hotels fort räumte. Sie konnten zügig ausschreiten, ohne den ausladenden Röcken der Damen ausweichen oder sich ständig grüßend verbeugen zu müssen. Nur wenige Frauen zeigten sich an diesem Ort, wo sie mit dem Anblick von Herren rechnen mussten, die bei weit geöffneten Studiotüren in Hemdsärmeln trainierten. Auch liefen sie Gefahr, Pfiffe und freizügige Kommentare von den jungen Burschen zu ernten, die auf den offenen Balkonen herumlungerten. Die einzigen Frauen auf der Straße waren Händlerinnen, die dies und jenes und des Nachts auch persönlichere Dienste feilboten.

Caid blieb stehen und überlegte, was er zu Mittag essen sollte. Er konnte eine Kleinigkeit in einem der Kaffeehäuser zu sich nehmen, von denen es in der näheren Umgebung ein halbes Dutzend gab. Er konnte aber auch in der neu eröffneten Gastwirtschaft von Alvarez einkehren, dessen früheres Lokal zusammen mit dem St. Louis Hotel abgebrannt war. Dort würde er sich ein großes Glas bière Creole bestellen und sich dazu gratis ein paar Scheiben Roastbeef und ein Baguette von den diversen kalten Imbissplatten an der Bar aussuchen. Oder aber er schlenderte zum Restaurant an der Stadtbörse hinüber, um sich dort an gebackenen Austern und Rotbarsch gütlich zu tun. Falls er noch weiter laufen oder etwas mehr anlegen wollte, konnte er zum St. Charles Hotel spazieren und seine Wahl unter den reichhaltigen Menüs treffen, die zwei Dutzend Vorspeisen und doppelt so viele Suppen und Salate beinhalteten, serviert unter gewaltigen Kristalllüstern, angeblich den größten in Amerika.

Die Lösung für sein Problem erschien in Gestalt einer Gumboverkäuferin, einer hoch gewachsenen Frau mit zimtfarbener Haut, einem blütenweißen Tignon, dessen Zipfel ihr wie Katzenohren vom Kopf abstanden, und einer behaglichen Leibesfülle, die für die Qualität ihrer Waren sprach. Die Wintersuppe in ihrem Kessel war nach einem beliebten Rezept von Alvarez‘ Küchenchef zubereitet und enthielt wie üblich Würstchen und Huhn. Sie duftete herrlich und Caid ging zurück ins Studio, um sich eine Schüssel davon zu genehmigen.

Nachdem er dieses vordringliche Problem gelöst hatte, wandten sich Caids Gedanken der Vereinbarung mit Madame Lisette Moisant zu. Welcher Teufel ihn geritten hatte, diese Abmachung zu treffen, konnte er nicht recht sagen, aber vielleicht hatte es etwas mit sanften grauen Augen und dem Mut der Verzweiflung zu tun. Auf jeden Fall war er eine Verpflichtung eingegangen und dazu musste er nun stehen.

Zunächst einmal galt es ein Haus zu finden. Für ihn selbst und seine bescheidenen Bedürfnisse wäre das kein Problem, doch für eine wohlhabende junge Witwe würde es wohl nicht so einfach werden. Was er brauchte, war ein guter Rat, und er wusste auch, wo er den finden konnte. Also ging er hinunter in das Studio, das direkt unter dem seinen lag.

Kaum hatte er den oberen Salon betreten, wurde er schon von Rio, dem Besitzer des Studios, begrüßt – oder richtiger von Damian Francisco Adriano de Vega y Riordan, frisch gebackener Conde de Lérida. Bei ihm hielt sich La Roche auf. Diesen bei den Kreolen sehr beliebten Vornamen hatte man dem Italiener verliehen, weil er beim Kämpfen wie ein Fels in der Brandung stand. Eigentlich hieß er Nicholas Pasquale oder vielleicht auch ganz anders, da viele Fechtmeister einen Künstlernamen bevorzugten und es in den Fechtsalons zum guten Ton gehörte, bei solchen Dingen nicht allzu genau nachzufragen. Die beiden Männer wirkten entspannt, wie sie da auf ihren Stühlen lümmelten, doch das schien nur so. Ihnen entging kaum etwas von dem, was im Salon oder unmittelbar vor der Tür geschah. Ihre Wachsamkeit erschien Caid sehr vertraut, da sie auch ihm zur Gewohnheit geworden war.

An diesem Tag hatte Rio seinen salle d’armes geöffnet, doch wegen der nachmittäglichen Essenszeit gab es gerade nichts zu tun. Er deutete auf einen Stuhl und füllte dann für Caid ein Glas aus einer Flasche Bordeaux, die auf dem Tisch neben einer offensichtlich neuen Degenschatulle stand.

»Wo hast du dich denn herumgetrieben, mon ami?«, fragte La Roche, lehnte sich zurück und setzte seinen Stiefel auf die Querleiste des Stuhls neben sich. »Gestern Abend bin ich bei dir gewesen und heute ganz früh noch einmal, aber du warst nie zu Hause.«

»Du musst entschuldigen«, antwortete Caid mit einem schiefen Lächeln, »aber ich nehme an, es war nichts Wichtiges, oder? Hattest wieder mal einen Ausflug nach The Twin Oaks zu einer deiner Freundinnen gemacht oder etwas Ähnliches?«

»So was in der Art«, bestätigte der Italiener achselzuckend.

»Dann ist es ja gut.« Caid konnte sich nie genug darüber wundern, wie La Roche es fertig brachte, fast die ganze Nacht mit heimlichen Rendezvous zu verbringen, über die er kaum ein Wort verlor, und dann am nächsten Morgen frisch und munter zur Arbeit in seinem Studio zu erscheinen. Mit seinem dunklen Haar, den dunklen Augen und der rührenden Zartheit, die er Frauen gegenüber an den Tag legte, war er schon berühmt für seine Eroberungen, obwohl er sich erst seit kurzem in der Stadt aufhielt.

»Wo warst du denn nun?«

»Anderweitig beschäftigt.«

»Ah ja«, sagte La Roche wissend.

»Warst du bei einer Dame?«, fragte Rio, der neben dem Italiener saß. »Ich dachte, du hättest keine Zeit für die Frauenzimmer.«

»Es musste sein«, antwortete Caid, dem die Hitze in den Nacken stieg. »Außerdem habe ich nie behauptet, ich hätte keine Zeit. Ich habe nur was Besseres zu tun als mich vor dem Haus irgendeiner Frau herumzudrücken wie ein streunender Köter. Nur weil dich die reizende Celina bald am Bändel hat, heißt das noch nicht, dass wir anderen es dir unbedingt nachmachen wollen.« Rio war mit Celina Amalie Vallier verlobt, ohne Zweifel eine Liebesverbindung, obwohl die Braut eine bedeutende Erbin war.

»Wer hat von Heirat gesprochen?«

Rios belustigter Blick verriet Caid, dass er vielleicht schon zu viel gesagt hatte. Es wurde Zeit, das Thema zu wechseln, bevor er gänzlich indiskret wurde. »Niemand außer dir, dem sie im Kopf herumspukt. Wie gehen die Hochzeitsvorbereitungen voran?«

»Gut, so viel ich weiß«, antwortete Rio leichthin. »Nach zwei Wochen ermüdender Einkauferei habe ich gestern den corbeille de noce mit den Brautgeschenken abgeschickt. Meine Aufgabe ist damit erfüllt und ich muss jetzt nur noch in der Kathedrale erscheinen.«

»Haben sie Mademoiselle Vallier gefallen?«

Rios Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen und in seinen dunkelgrauen Augen glitzerte es wie Silber. »Offensichtlich wusste sie meine Mühe zu würdigen.«

Caid konnte sich ganz gut vorstellen, wie diese Würdigung ausgesehen haben mochte, doch der Anstand und ein gesunder Sinn für Selbstschutz hielten ihn von entsprechenden Bemerkungen ab. Danach zu urteilen, mit welcher Hingabe Rio sie ausgesucht hatte, mussten es zweifellos verschwenderische Gaben gewesen sein. Der corbeille de noce war der traditionelle Hochzeitskorb, ein Geschenk des Bräutigams an die Braut. Wie sich Caid hatte sagen lassen, war er eine vergoldete Kostbarkeit, gefüllt mit den schönsten und erlesensten Geschenken, die für Geld zu haben waren – Kaschmirschals, so fein gewebt, dass man sie durch einen Trauring ziehen konnte, Juwelengehänge, kunstvoll bemalte Fächer, geschnitzte Kämme, edelsteinbesetzte Handschuhe und was dergleichen mehr war. Einem Bräutigam fiel immer ein Stein vom Herzen, wenn er den Korb endlich bestückt und überreicht hatte.

»Der große Tag ist bald da«, sagte Caid. »Hast du die Vorbereitungen für die Reise nach Spanien schon getroffen?«

Rio schüttelte den Kopf. »Celina möchte lieber in der Stadt bleiben, bis die saison des visites vorbei ist und die Sommerhitze einsetzt.«

»Und was wäre dir lieber? Ich könnte mir vorstellen, dass du darauf brennst, deine alte Heimat wiederzusehen.«

»Es ist jetzt schon so viele Jahre her, dass es auf paar Wochen mehr nicht ankommt«, entgegnete Rio unbekümmert.

In Wahrheit, dachte Caid, war Rio ganz vernarrt in seine französisch-kreolische Braut und hätte ihr zuliebe alles getan. Fast hätte man Mitleid mit ihm haben können, wenn seine Celina nicht ebenso in ihn verliebt gewesen wäre. Es gab Augenblicke, in denen Caid Rio um diese Zuneigung und seine strahlend glückliche Zukunft beneidete, doch er hütete sich, es sich anmerken zu lassen. »Dann wirst du also zum Fechtturnier noch hier sein?«

La Roche kam Rio mit der Antwort zuvor. »Warum sollte er mit anderen Fechtmeistern die Klingen kreuzen, wenn er kein maître d’armes mehr ist, sobald er die Stadt verlassen hat? Außerdem wird er wohl kaum das Leben, das ihn an der Seite der schönen Celina erwartet, aufs Spiel setzen.«

»Stimmt beides«, pflichtete Rio ihm gutmütig bei. »Ich überlasse einem von euch den Siegespreis.«

»Damit meint er natürlich, dass wir gegen ihn keine Chance hätten«, sagte Caid grinsend zu La Roche.

»Für diese Rücksichtnahme sind wir ihm überaus dankbar.« Der italienische Fechtmeister erhob sein Glas und trank ihm zu.

Caid musste sich eingestehen, dass seine Chancen wirklich bedeutend besser standen, wenn Rio aus dem Rennen war. Der Spanier war ein ernst zu nehmender Gegner, der seine Ausbildung, wie er selbst, in Paris genossen hatte, obwohl sich ihre Wege dort seltsamerweise niemals gekreuzt hatten. Auch La Roche, ein Meister des italienischen Stils, war ein ausgezeichneter Fechter. Die Rivalität zwischen den Dreien war freundschaftlicher Natur, was sich nicht von allen Fechtmeistern in der Passage behaupten ließ. Es konnte sehr wohl sein, dass sich durch das bevorstehende Turnier die Reihen lichteten. Der Wettkampf hatte noch nicht begonnen und schon schlugen die Gefühle so hohe Wellen wie der Mississippi bei Hochwasser – besonders unter denjenigen Fechtlehrern, die man vom Wettbewerb ausgeschlossen hatte, weil sie kein Diplom einer anerkannten Fechtakademie vorweisen konnten. Caid hatte sein Diplom natürlich in Paris erworben, darum focht er im französischen Stil, wogegen La Roche und einige andere die italienische Methode bevorzugten. Er war gespannt, welche Richtung die erfolgreichste sein würde.

Doch um diese Frage ging es beim Turnier natürlich nicht, sondern einzig um die Ehre. Und auch darum, ein breiteres Interesse an der Fechtkunst zu wecken und den einzelnen Lehrern Gelegenheit zu geben, sich gegenüber möglichen Kunden mit ihren Stärken und ihrer Kunstfertigkeit zu präsentieren.

»Was ist das?«, fragte Caid und deutete auf die Degenschatulle auf dem Tisch. »Wollt ihr mir erzählen, dass einer von euch seine Seele für eine Meisterklinge verkauft hat?«

»Aber nicht doch.« La Roche stellte sein Glas ab und hakte den Deckel der Schatulle auf. »Eher das Ergebnis einer Wette. Was hältst du davon?«

Auf dem Samtfutter der Schatulle lag ein Paar Colichemarde-Klingen oder Rapiere, unverkennbar eine Arbeit von Coulaux et Cie in Paris. Es waren echte Wunderwerke der Waffenschmiedekunst, spiegelblank poliert, mit eingraviertem Schneckenmuster und elegantem Heft und Handschutz. Caid nahm eines heraus, blickte an der Klinge entlang und wog es prüfend. Es lag in seiner Hand, als sei es für ihn gemacht.

»Schön«, sagte er nur und gab sich alle Mühe, nicht neidisch zu klingen. »Du hast verteufeltes Glück.«

La Roche zuckte mit der Schulter. »Ab und an. Hoffen wir, dass das auch für die Lotterie gilt.«

»Wirfst du immer noch dein Geld für Lose hinaus?«

»Was willst du? Ich strebe eben nach Höherem.«

»Gelinde gesagt.« Es war eine harmlose Gewohnheit, dachte Caid bei sich, doch er selbst würde seine hart verdienten Silberdollars nicht dafür opfern. Vielleicht fehlte es ihm aber auch nur an der entsprechenden Zuversicht.

»Ich habe mir überlegt, in die Louisiana-Legion einzutreten, solange wir auf den Beginn des Turniers warten«, fuhr La Roche fort, während er das andere Rapier aus der Schatulle nahm und es hin und her drehte.

»In die Miliz? Mon Dieu, warum denn das?«, kam die belustigte Frage von Rio.

»Das hat viele Gründe«, antwortete der Italiener. »Der wichtigste ist wohl meine fatale Sympathie für die schwächere Partei in einem Kampf, denn es hat den Anschein, als würde die Legion verstärkt Freiwillige anwerben, um in dieser Angelegenheit zwischen Texas und Mexiko mitmischen zu können.«

»Keine schlechte Sache«, stellte Caid fest.

La Roche nickte. »Außerdem wird der Drill härter, wenn ein Krieg bevorsteht, und ich finde, ich habe im Moment jede Menge überschüssiger Energie.«

»Und wenn die Kriegsbegeisterung wächst, werden sich die Milizionäre professionelle Fechtlehrer suchen, die ihnen beibringen, wie man im Kampf seine Haut rettet, oder etwa nicht?«

»Im Laufe der Zeit werden immer mehr Regimenter aufgestellt und immer mehr Leute melden sich freiwillig. Und unsere potenziellen Kunden werden zu Offizieren ernannt, die selbstverständlich einen Degen zu ihrer Uniform tragen.«

»Wenn du dazu gehörst, vielleicht auch als Offizier ...«

»Dann wird mir das Gelegenheit geben, ihnen all die guten Gründe für einen Besuch in meiner salle d’armes zu demonstrieren.«

»Du hast es erfasst.« Caid fuhr behutsam mit dem Daumen über die Degenklinge, die er immer noch nachdenklich betrachtete.

»Außerdem verleiht eine Uniform einem Mann ein gewisses Ansehen, vom Eindruck auf die Damen mal ganz zu schweigen.«

Caid schnaubte verächtlich. »Als ob du da Hilfe nötig hättest!« An Rio gewandt fragte er dann: »Was sagst du dazu, mon ami? Bist du fürs Militär?«

»Eher nicht.« Rio lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Vielleicht werde ich monatelang in Spanien bleiben, möglicherweise sogar ein Jahr oder länger. Diese kleinen Misshelligkeiten mit Mexiko sind wahrscheinlich schon beigelegt, bis ich zurückkomme.«

»Ich könnte mir vorstellen, dass du dein Studio dann wohl nicht wieder eröffnen wirst, deshalb musst du dich auch nicht anderswo um neue Kunden bemühen.«

Obwohl diese Bemerkung von La Roche kam, war auch Caid mehr als gespannt auf die Antwort.

Rio bedachte die beiden mit einem trägen Lächeln. »Findet ihr zwei, dass ich zumachen sollte? Ach ja, und meinen Kunden vielleicht eure exzellenten Dienste empfehlen?«

»Warum sollten wir nicht an so etwas denken?«, fragte Caid und schaute Rio mit vorgetäuschter Verwunderung groß an. »Schließlich wirst du das Geld nicht mehr nötig haben, wenn du erstmal mit Celina verheiratet bist. Ich meine, ihr Vater ist so reich wie der legendäre Valcour Aime. Und dann hast du ja auch noch dieses riesige Landgut in Spanien.«

»Ich gebe zu, es ist ungerecht«, seufzte Rio, »aber ich werde das Klirren der Klingen, die Strapazen und vor allem die Gesellschaft meiner Freunde vermissen.«

Diese Spur von südländischer Sentimentalität machte Caid ein wenig verlegen, obwohl er wusste, was Rio meinte. Hinter der nach außen sichtbaren Rivalität der Fechtmeister, mochte sie nun freundschaftlich oder unerbittlich sein, verbarg sich ein eigentümliches Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie waren eine Klasse für sich. Mit ihrer außergewöhnlichen Kraft und Willensstärke wurden sie von manch einem gefürchtet, von den meisten gerühmt, in allem nachgeahmt und doch nur halb geachtet. Diese Lehrer, Vorbilder und Gladiatoren, deren Großtaten auf dem Felde der Ehre die Neugierigen in Massen anzogen, bildeten eine eigene Gemeinschaft innerhalb der französisch-kreolischen Gesellschaft von New Orleans und das Herz dieser Gemeinschaft schlug in den wenigen Häuserblöcken der Passage de la Bourse. Sie schufen sich ihre eigenen Regeln, halfen und verteidigten einander, auch wenn sie stets bestrebt waren, Freund und Feind gleichermaßen auf der Fechtbahn zu übertreffen. Jeder dieser Männer musste für sich selbst einstehen, doch kränkte man einen von ihnen, so kränkte man alle, was nach sofortiger Wiedergutmachung verlangte. Sie waren ein eigener Schlag und wollten es meist auch gar nicht anders haben.

Die drei Freunde sprachen nun von anderen Dingen: von dem Mord an einem angesehenen Bürger und davon, wie oft leider dergleichen geschah, von der schrecklichen Explosion auf einem Flussdampfer, die vierunddreißig Todesopfer gefordert hatte, von den Präsidentschaftswahlen, bei denen es wohl auf einen Zweikampf zwischen den Whigs und den von Jackson geführten Demokraten hinauslaufen würde. Überall erklang zurzeit der Wahlslogan »Tippecanoe and Tyler, Too«, denn mit der Erinnerung an die siegreiche Schlacht von Tippecanoe versuchte die Whig-Partei für John Tyler als Vizepräsident Stimmung zu machen.

Endlich, als gerade keiner der beiden anderen etwas sagte, schnitt Caid das Thema an, das ihm nicht mehr aus dem Sinn ging, seit er Lisette Moisant verlassen hatte.

»Du überraschst mich, mein Freund«, sagte Rio mit hochgezogenen Brauen, »ich hätte nie gedacht, dass du Zeit und Lust hättest, dir eine chérie amie anzulachen.«

»Habe ich auch nicht«, kam die knappe Antwort. »Die Dame ist absolut ehrbar. Ich muss ein Haus in einer guten, anständigen Gegend für sie finden.«

»Wie kommt es, dass dir diese Aufgabe zufällt? Hat sie keine männlichen Verwandten, die das für sie erledigen könnten?«

»Keiner, der sich die Mühe machen würde.«

»Aber du würdest es tun, ja? Komm schon, wer ist die Schöne? Und wie willst du es anstellen, sie irgendwo unterzubringen, ohne dass sie sich durch den Umgang mit dir unmöglich macht?«

Caid kniff die Lippen zusammen. Er hätte es sich denken können, nun musste er die ganze Geschichte berichten. Obwohl er nicht zu befürchten brauchte, dass seine Freunde ihm falsche Motive unterstellen oder die Sache herumerzählen würden, ging ihm das gegen den Strich. Einfach, weil seine Bekanntschaft mit der Witwe Moisant etwas sehr Persönliches war, was er mit niemandem teilen wollte.

Doch er wusste sehr wohl, dass es damit nicht ganz seine Richtigkeit hatte, und so holte er tief Luft und erzählte, wie sie einander begegnet waren.

»Was für ein Schlamassel«, bemerkte La Roche, als Caid fertig war. »Die Dame hat doch sicherlich noch andere Möglichkeiten, oder?«

»Sie behauptet, nicht.«

»Und du hast geschworen ihr zu helfen? Ich möchte wissen, wie sie das fertig gebracht hat.«

»Sie hat mich einfach darum gebeten«, entgegnete Caid und erwiderte offen den Blick, den ihm der Italiener aus zusammengekniffenen Augen zuwarf. Er konnte La Roche sein Misstrauen nicht verdenken. Es wäre ganz normal gewesen, wenn sich Lisette weiblicher Tricks bedient hätte, um seinen Beistand zu gewinnen. Warum hatte sie es nicht getan? War sie zu naiv, um zu wissen, welche Macht in ihrer Schönheit und weiblichen Anziehungskraft lag, oder war sie einfach zu offen und ehrlich, um sich zu einer solchen Bestechung herabzulassen?

Da gab es natürlich noch eine Möglichkeit. Vielleicht war er in ihren Augen viel zu weit unter ihrem Stand.

»Du fühlst dich verantwortlich, was? Oder hat sie vielleicht an deine Ritterlichkeit und an dein gutes Herz appelliert?«

»Ich besitze weder das eine noch das andere«, sagte Caid und funkelte ihn an.

»Doch, mein Freund, ich denke, das besitzt du«, sagte La Roche. »Vielleicht mehr als wir alle.«

»Ich kenne mich in der Stadt auch nicht besser aus als ihr.« Mit diesen Worten machte Rio dem kleinen Wortwechsel ein Ende. »Aber wie es meist bei den Städten ist, die nach europäischem Muster angelegt wurden – je näher an der Kathedrale, desto besser die Adresse.«

»Stimmt«, sagte Caid nachdenklich.

La Roche schüttelte hartnäckig den Kopf. »Wenn du ein Haus anmietest, und sei es auch auf den Namen der Dame, wird ganz gewiss jemand davon erfahren und dann werden sie über deine Motive spekulieren, mein Freund.«

»Wie soll ich es denn sonst anfangen?«

»Madame Herriot ließe sich eventuell für die Sache einspannen«, überlegte Rio und rieb sich die Nase. »Obwohl es vielleicht doch keine allzu gute Idee wäre, sie da noch weiter hineinzuziehen. Moisant mag darüber hinweg sehen, dass sie seine Schwiegertochter für eine Nacht beherbergt hat, doch wenn sie sie weiterhin unterstützt, wird er ihr das schwerlich verzeihen.«

»Maurelle bewegt sich mit ihren Allüren sowieso schon auf dünnem Eis und sollte es nicht noch darauf anlegen sich Feinde zu machen«, pflichtete Caid ihm bei.

»Man könnte einen Rechtsanwalt beauftragen«, schlug La Roche vor, »der die Angelegenheit diskret regelt, sobald du das Haus ausgesucht hast.«

»Auch da sehe ich Probleme«, entgegnete Rio. »Wenn Moisants ehemalige Schwiegertochter ihren eigenen Hausstand gründet, verliert er seine Einnahmequelle und ich glaube nicht, dass er sich das widerstandslos gefallen lässt. Wie will man verhindern, dass er in ihr Haus eindringt und sie verschleppt?«

»Dadurch, dass ich sie beschütze«, gab Caid mit sanfter Stimme zu bedenken.

»Aber wie willst du das anfangen, vor allem bei Nacht, wenn du nicht zur Stelle bist?«

»Man müsste eben Wache halten.«

»Ich nehme an, du willst auf ihrer Schwelle schlafen. Das würde zwar zu deiner Rolle als fahrender Ritter passen, aber es gäbe auch Gerede – und abgesehen davon wäre es verdammt unbequem.«

»Sehr witzig«, sagte Caid ohne erkennbare Belustigung. »Was schlägst du also vor?«

»Du kannst ihr ja einen Heiratsantrag machen.«

Das fand er noch weniger amüsant. »So verzweifelt ist ihre Lage nun auch wieder nicht.«

»Als einzige Lösung fällt mir dann noch ein, sie in einem Haus unterzubringen, in dem es kräftige Diener gibt und zu dem du notfalls leicht Zugang hast.«

»Mit anderen Worten, bei Maurelle.«

»Genau.«

»Ich glaube kaum, dass sie mir den Gefallen tun wird, einen Dauergast aufzunehmen.«

»Außer, wenn du sie dazu überredest.«

»Willst du damit andeuten, dass ich einen besonderen Einfluss auf sie hätte?«

Rio schüttelte den Kopf. »Nur deinen Charme und deine Beredsamkeit. Du könntest Madame Herriot ja ihre eigenen früheren Probleme in Erinnerung rufen, dann bekäme sie vielleicht Mitleid mit ihrem Gast.«

»Ich bin sicher, das hat sie schon.«

»Also dann?«

»Ich weiß nicht.« Caid prüfte die Spitze des Rapiers. »Ich muss noch mal darüber nachdenken.«

Alle drei schwiegen, bis Caid wieder das Wort ergriff. »Wisst ihr was, Freunde, ich habe schon nachgedacht.«

»Pass nur auf«, bemerkte La Roche mit seinem bedächtigen Humor, »das könnte dir glatt zur Gewohnheit werden.«

Rio schüttelte mit gespieltem Tadel den Kopf. »Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«

»Wenn ich es richtig sehe, sind wir drei mit dem gleichen Ziel nach New Orleans gekommen, nämlich um Rache zu nehmen. Dieses Ziel haben wir – jeder auf seine Art – erreicht. Doch die gleichen Verbrechen, die uns so empört haben, geschehen straflos überall um uns herum und das liegt vor allem daran, dass die Stadt vor ein paar Jahren in diese drei seltsamen Verwaltungseinheiten aufgeteilt wurde. Die Gendarmen sind dünn gesät und die Polizeireviere in den einzelnen Gerichtsbezirken arbeiten kaum zusammen. Nach Einbruch der Dunkelheit sind die Straßen nicht mehr so sicher wie zu der Zeit, bevor die Amerikaner kamen, das habe ich zumindest gehört, und die Gesellschaft ist bei weitem nicht mehr so zivilisiert. Ich finde, da muss etwas geschehen.« Er verstummte unvermittelt, ganz verlegen, dass er so offen ausgesprochen hatte, was ihn bewegte.

»Lass mich raten«, sagte La Roche trocken, »mithilfe deines wackeren Degens willst du Diebe und Mörder von den Straßen vertreiben und brave Bürger aus ihnen machen.«

Caid bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Wenn überhaupt, hatte ich nur die Idee, denjenigen eine Lektion zu erteilen, die sich an Frauen und Kindern vergreifen – die ihre Ehefrauen schlagen, den Sadisten und Vergewaltigern, deren Opfer schutzlos sind und auch vom Gesetz kaum Hilfe zu erwarten haben. Es wird allgemein angenommen, dass solche Männer durch gesellschaftliche Ächtung einigermaßen in Schach gehalten werden, aber das ist nicht wahr.«

»Und das willst du ändern?«

»Wir könnten es, wenn wir wollten.«

»Wir?«, kam Rios leise Frage.

»Die Fechtmeister, und zunächst einmal wir drei«, sagte Caid und wandte sich zu ihm um. »Es wäre so einfach! Ein kleiner Hinweis, dem der kalte Stahl ein wenig Nachdruck verleiht, würde oft schon ausreichen. Wenn nicht, gäbe es eine Forderung zum Duell und dann eine heilsame Benimmlektion. Wenn das ein paar Mal so ginge, würde die Zahl der Übergriffe sicher rasant zurückgehen.«

»So etwas passiert jetzt schon«, sagte La Roche nachdenklich. »Nimm doch nur den Fall von Defossat, der erst letzte Woche von seinem erwachsenen Stiefsohn mit dem Degen durchbohrt wurde. Offiziell ging es um Schulden, aber die Bediensteten erzählen sich, dass Monsieur Murrett etwas gegen die blauen Flecken seiner Mutter hatte. Sie wurde vor drei Jahren Witwe und hat Defossat im letzten Frühjahr geheiratet. Es gehört zu den segensreichsten Auswirkungen des code duello, dass man jemandem damit Manieren beibringen kann.«

»Es wäre kein Problem, unsere Kräfte gemeinsam dafür einzusetzen.«

»Das würde ich nicht unbedingt sagen«, widersprach La Roche.

»Dann vergesst die ganze Sache. Es war nur eine Idee.«

»Wegen deiner Schwester«, schloss Rio messerscharf.

»Wegen Brona, ja, aber auch wegen Maurelle Herriot, Lisette Moisant und all den anderen. Außerdem fände ich es gut, wenn bei der Furcht, die wir verbreiten, auch etwas Gutes herauskäme.«

»Das gefällt mir«, sagte Rio. »Bei allen Heiligen, das gefällt mir wirklich.« Mit der Klinge seines Degens tippte er leicht auf diejenige in Caids Hand. »Ich finde es sogar besonders gut, weil ich dabei sicher genauso in Übung bleibe, als wenn ich zur Miliz ginge. Sollen wir einen Eid auf unsere gekreuzten Schwerter leisten?«

Caid hätte wissen müssen, dass sie mitmachen würden. Trotzdem war ihm angesichts dieses Freundschaftsbeweises die Kehle wie zugeschnürt. »Unbedingt.«

»Was sollen wir schwören?«, überlegte Rio. »Nun, ganz einfach. Für mich liegt es auf der Hand: Rache.«

»Ja, warum nicht? Schließlich wollen wir doch die Gepeinigten rächen.« Mit diesen Worten nahm Rio einen Degen von der Wand hinter sich. »Und lasst uns außerdem Wachsamkeit geloben.«

Als seine beiden Freunde ihre Handgelenke auf das Tischchen legten, bildeten die aufrecht stehenden, gekreuzten Degen mit ihren silberglänzenden Klingen ein funkelndes ›V‹. Wie aus einer Eingebung heraus sagte Caid: »Also dann: ›Auf Tapferkeit und Waffen‹«, und richtete seinen Degen im gleichen Winkel neben den beiden anderen auf.

Für einige Sekunden trafen sich ihre Blicke über den Klingen. In diesem Augenblick wallten alle ritterlichen Regungen in Caid auf, die er jemals empfunden hatte. Sein Herz war erfüllt von dem Drang, die Welt zu verbessern, bis sie so rein und anständig war, wie er es sich als Junge erträumt hatte. Dann verebbte das Gefühl und er schaute sich ein wenig unbehaglich um, ob jemand ihre etwas überschwängliche Geste bemerkt hatte.

»Richtig so«, sagte Rio zustimmend, der Caids Blick bemerkt hatte, und hängte seinen Degen wieder an die Wand. »Ich denke, wir sollten vorsichtig sein und unsere Absichten nicht verraten.«

»Nein, was allein zählt, ist die Wirkung unserer Taten. Wir selbst sollten dabei im Hintergrund bleiben.« Caid legte das Rapier wieder in seine Schatulle zurück.

»Masken«, schlug La Roche vor und schnippte mit den Fingern.

»Na, ich weiß nicht ...«

»Aber in den Romanen der dichtenden Damen sind die geheimnisvollen Unbekannten immer besonders interessant.«

»Viel zu melodramatisch, außer vielleicht an Mardi Gras.« Rio verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Da wir zu dritt sind, werden jedenfalls die Strafaktionen eher zufällig als geplant wirken, zumindest eine Zeit lang.«

La Roche seufzte, während er seinen Degen verstaute. »Ihr beide habt nicht den geringsten Sinn für Romantik.«

»Stimmt«, bestätigte Caid. »Du weißt, das Ganze ist kein Spiel.«

»Ja, ich weiß schon. Ihr seid alle beide immer so todernst.« La Roche zuckte die Achseln. »Womit fangen wir also an? Ich habe davor zwei Tagen was erlebt ...«

Er verstummte abrupt, da ein Mann in der Tür erschien. Er war groß, unbestreitbar gut aussehend und hatte die braune Haut eines Mulatten. Der Besucher trug einen taubengrauen Gehrock mit dunkelgrauen Hosen, eine blassgrau und pfirsichfarben gestreifte Satinweste und ein schneeweißes Halstuch, an dem eine kunstvoll geschnittene Kamee prangte. Er kam zu ihnen herübergeschlendert, schwang einen Stuhl herum und ließ sich rittlings darauf nieder. »Das trifft sich ja gut, meine Freunde«, sagte er und ließ seinen Blick von einem zum anderen schweifen. »Was heckt ihr denn aus? Ihr müsst es mir auf der Stelle erzählen, denn ich schwöre euch, ich sterbe vor Langeweile. Habt keine Angst, dass ich euch verraten könnte, denn dann wäre der Spaß ja vorbei.«

Der Neuankömmling war Bastile Croquère, stadtbekannt für seine Kameensammlung, seine vollendet elegante Kleidung und sein Geschick im Umgang mit dem Degen. Er besaß ein Studio nahe den Ruinen des St. Louis Hotels. Wie Caid gehört hatte, war er früher für sein aufbrausendes Temperament berüchtigt gewesen, doch mittlerweile hatte er gelernt, seinen Zorn in die Fechtkunst umzulenken. Sein Salon wurde von den jungen Burschen gut besucht, obwohl man ihn, ebenso wie den berühmten Juan Pépé Llulla, nicht zum Turnier zugelassen hatte, da er kein richtiges Diplom vorweisen konnte. Das war besonders schade, denn ein Wettbewerb, an dem diese beiden Männer nicht teilnehmen durften, zählte eigentlich nicht.

Caid wechselte einen Blick mit Rio und La Roche. Es war ein verführerischer Gedanke, Bastile in ihren Kreis aufzunehmen, da er eine echte Bereicherung wäre. Andererseits war es vielleicht besser, abzuwarten, wie ihr Vorhaben sich anließ, bevor sie andere ins Vertrauen zogen. Unter Umständen konnte er ja später noch mitmachen.

»Wir reden von Bräuten und anderen Damen«, sagte Rio leichthin. »Sag mal, hast du gestern Abend Madame Calvé in der Oper gehört? Ich fand, sie hat keine gute Stimme, aber Mademoiselle Vallier meint, dass ich Unrecht hätte und die Diva vielmehr an einem Frühjahrsschnupfen litt. Wem von uns beiden gibst du Recht?«

»Madame Calvé in ihrer schlechtesten Form ist immer noch besser als alle anderen in ihrer besten«, antwortete Croquère diplomatisch. Dann brachte er die Sprache auf die Rennen, die jetzt bald auf der Métairie-Rennbahn außerhalb der Stadt beginnen würden, und die Gelegenheit war vorbei.

Es war schon Nachmittag, als Caid zum Stadthaus der Herriots zurückkehrte. Er hatte eigentlich mit Maurelle allein sprechen wollen, doch Solon führte ihn direkt in das hintere Wohnzimmer, wo sich die Hausherrin mit Lisette und einer Modistin beriet. Bei Caids Erscheinen gab sie gerade Anweisungen, wie der Saum von Lisettes Kleid aufzustecken war, während ihr Gast, mit der Schneiderin zu ihren Füßen, auf einem kleinen Brokatfußbänkchen stand.

»Verzeihung«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Ich komme später wieder.«

»Nein, nein!«, rief Maurelle und winkte ihn heran. »Sag uns bitte deine Meinung. Findest du nicht, dass dieses Kleid auch ohne Schultertuch gesetzt genug wirkt? Es ist schon schlimm genug, dass die arme Lisette Schwarz tragen muss, da braucht sie nicht auch noch wie eine Nonne auszusehen.«

Das Kleid war schlicht, aber gut geschnitten, so weit Caid das beurteilen konnte. Es schmiegte sich eng an die schlanke Taille der jungen Dame, die er gerettet hatte, und gab die Wölbung ihres Busens wunderbar wieder. Die dunkle Seide bildete einen auffallenden Kontrast zu ihren weißen Schultern, der weiche Stoff des Rockes ließ die Weichheit des Körpers darunter erahnen und der tiefschwarze Farbton brachte den kastanienbraunen Schimmer ihres Haares zur Geltung. Falls Maurelle mit Schultertuch das Stückchen Spitze meinte, das Lisette an die Brust gepresst hielt, so war es seiner Ansicht nach wirklich überflüssig. Das sagte er auch und hoffte dabei inständig, dass die Fieberglut, die unvermittelt in ihm aufstieg, sich nicht in seiner Stimme niederschlug.

»Sehen Sie, was habe ich Ihnen gesagt?« Maurelle schnappte sich das Tüchlein und warf es beiseite. »Fragen Sie immer einen Mann, wenn Sie in diesen Angelegenheiten die Wahrheit hören wollen.«

»Das hätte sie wohl kaum gesagt, wenn ich nicht ihrer Meinung gewesen wäre«, bemerkte Caid mit einem spöttischen Lächeln und schaute Lisette an. »Aber dürfen Sie denn schon auf sein, Madame Moisant? Ich habe erwartet, Sie noch im Bett anzutreffen, mit einem Tablett auf dem Schoß.«

»Ich bin wieder ganz wohlauf, danke. Außerdem fehlt mir die Geduld für diese Art von Kränkelei, die heute so in Mode ist.«

»Also gibt es bei Ihnen keine Ohnmachtsanfälle und überreizten Nerven? Das muss ich mir merken.«

Sie runzelte ein wenig die Stirn. »Wie meinen Sie das? Ich empfinde die Erschütterung und den Schmerz eines Verlustes ebenso wie jeder andere, das kann ich Ihnen versichern.«

»Ich wollte nie etwas anderes andeuten«, entgegnete er und wunderte sich ein wenig über ihren scharfen Ton. »Erlauben Sie mir zu sagen, wie erleichtert ich bin, dass Sie sich wohl genug für das hier fühlen.« Er machte eine Handbewegung in Richtung auf die Modistin, eine Terzeronin, die ihm kaum einen Blick gegönnt hatte, seit er ins Zimmer gekommen war.

»Es ist nicht zu anstrengend, denn wir lassen nur zwei oder drei der Kleider für sie umändern, die ich während meiner Trauerzeit getragen habe«, erklärte Maurelle. »Sie müssen lediglich hier und da ein wenig zurechtgezupft werden. Die neuen Kleider, die sie für Besuche und Abendgesellschaften, zum Spazierengehen und Reiten braucht, können warten, bis es ihr besser geht.«

»Man sollte meinen, sie hat gar nichts anzuziehen.«

»Das hat sie auch nicht, mon brave. Ich habe im Haus der Moisants überaus höflich darum ersuchen lassen, dass man den Inhalt ihres Kleiderschranks zusammenpackt und hierher schickt. Man hat es abgelehnt.«

Das sah Moisant ähnlich, unter den gegebenen Umständen so ungefällig wie möglich zu sein, dachte Caid. »Ich bitte um Verzeihung, das hätte ich wissen sollen.«

»Die Garderobe, die ich zurückgelassen habe, füllte nicht einmal einen halben Kleiderschrank und war überhaupt nicht modisch«, sagte Lisette und hob das Kinn ein wenig. »Ich werde sie nicht vermissen.«

Unmöglich zu sagen, ob sie die Wahrheit sprach oder nur gute Miene zum bösen Spiel machte. Wie auch immer, Caid bewunderte sie auf jeden Fall dafür. »Ich wünschte nur, das Problem mit Ihrer Unterbringung ließe sich ebenso leicht lösen. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger scheint es mir geraten, dass Sie ein eigenes Haus beziehen.«

»Wirklich?« Lisettes Stimme wurde so kühl wie der Nordwind.

»Ich fürchte, dann wären Sie Kränkungen oder Schlimmerem allzu offen ausgesetzt.«

»Ich habe mir Gedanken über das Problem gemacht«, sagte sie hoheitsvoll. »Und ich kenne genau die richtige Dame, die mir Hilfe und Unterstützung geben kann, ein wahrer Ausbund an Ehrbarkeit.«

»Das glaube ich Ihnen gern, aber das reicht nicht. Madame Herriot hat für die Sicherheit ihres Hauses ein paar kräftige Diener bei der Hand und ich bin sicher, sie wird Ihnen noch ein wenig länger ihre Gastfreundschaft gewähren, zumindest bis zum Ende der Saison.«

»Caid, mon cher …«, setzte Maurelle an.

»Wie könntest du das auch nicht?« Er wandte sich ihr mit einer bittenden Geste zu. »Erinnerst du dich nicht mehr, wie schwierig das Leben mit einem älteren Mann von unerfreulichem Charakter war? Ich weiß, du warst froh, diesen Zwang endlich los zu sein. Und ich weiß außerdem, dass du in Wahrheit sehr mitfühlend bist. Da kannst du doch gewiss dieser Dame dein Haus und dein großes Herz öffnen.«

»Natürlich, wenn du mich so fragst«, sagte Maurelle und auf ihren Wangen bildeten sich zwei rote Flecke. »Trotzdem glaube ich nicht ...«

»Ich möchte viel lieber meinen eigenen Weg gehen«, sagte Lisette bestimmt.

»Auch wenn es ebenso gefährlich wie unklug ist?«

»Selbst dann«, antwortete Lisette mit Nachdruck. »Ich kann nicht zulassen, dass Madame Herriot meinetwegen leidet, was sehr wohl der Fall sein könnte, falls mein Schwiegervater glaubt, sie stünde seinen Wünschen im Wege. Außerdem werde ich nicht dulden, dass dieser Herr auch noch aus der Ferne mein Handeln lenkt, jetzt, wo ich ihm glücklich entronnen bin. Ich werde mich nicht vor ihm verkriechen und ich werde auch nicht zitternd im Bett liegen und darauf warten, dass er mit Gewalt meinen Gehorsam erzwingt. Ich will und werde meine eigene Herrin sein.«

»Und was dann?«, fragte Caid. »Was werden Sie tun, wenn Sie sich in Ihrem Haus eingerichtet haben und niemand besucht Sie, niemand schickt Ihnen eine Einladung oder lässt sich herab Sie zu empfangen?«

»Niemand? Oder meinen sie die Haute volée? Ich gebe nicht viel um die feine Gesellschaft und ihren endlosen Reigen von Festlichkeiten, bei denen man immer die gleiche Musik hört und immer dieselben Leute trifft. Ich wünsche mir den Umgang mit einigen wenigen Freunden, die meine Interessen teilen und mit denen ich mich über geistreiche Themen unterhalten kann. Und die vor allem zu klug sind, um die Lügen zu glauben, die man über mich verbreitet.«

»Das meinen Sie nicht im Ernst. Es wird Ihnen nicht gefallen, von der guten Gesellschaft ausgeschlossen zu sein und nie auf die Bälle und Soirées der Saison gehen zu können.«

»Also hör mal, cher«, protestierte Maurelle, »musst du wirklich alles so schwarz malen?«

»Ich schildere nur die Probleme«, antwortete Caid knapp.

Ein kampflustiges Glitzern trat in Lisettes Augen. »Er will damit nur sagen, dass ich schwerlich wieder einen Ehemann finden werde, wenn ich nicht unter Leute gehe. Er ist der Meinung, ich sollte wieder heiraten, obgleich ich ihm gesagt habe, dass mir nicht der Sinn danach steht.«

»Oh, tatsächlich?«, murmelte Maurelle.

»Es wäre eindeutig die beste Lösung«, beharrte Caid. Die Aussicht, nach zwei Jahren der Abhängigkeit von Mann und Schwiegervater endlich frei zu sein, hatte Lisette offensichtlich den Kopf verdreht. Man musste sie zügeln, bevor es zu spät war.

»Die beste Lösung für wen?« Maurelle wandte sich an Lisette. »Mir fällt da gerade ein Stadthaus in der Rue Royale ein, das für Sie das Richtige wäre, ma chère. Es gehört Monsieur Freret, der sich vor drei oder vier Wochen nach Frankreich eingeschifft hat. Er begleitet seine Tochter, deren Erziehung dort den letzten Schliff erhalten soll. Er und seine Frau bleiben für ein Jahr bei Verwandten in Paris und möchten für diese Zeit ihr Haus vermieten. Bis sie zurückkehren, haben Sie bestimmt eine geeignetere Wohnung gefunden.«

»Ausgezeichnet. Ich schaue es mir gern an«, antwortete Lisette und warf Caid einen Blick zu, den man bei einem Mann nur herausfordernd hätte nennen können.

»Ich bin sicher, sein Makler wird sehr erfreut über ein Treffen mit Ihnen sein. Und wenn es Ihnen gefällt, könnte man alles ohne weitere Umstände arrangieren.«

»Sie sind sehr freundlich.«

»Ja, nicht wahr?« Caid blickte Maurelle mit zusammengekniffenen Augen ins Gesicht. »Ich hoffe, du wirst diese Freundlichkeit nie bereuen.« Sie schlägt sich auf Lisettes Seite, dachte er, weil sie sich über meinen Versuch ärgert, ihr einen unerwünschten Gast aufzuhalsen.

»Das hoffe ich auch«, sagte Maurelle honigsüß, »aber da habe ich eigentlich keine Angst. Als Beschützer der Dame musst du eben dafür sorgen, dass alles gut geht.«

Das muss ich fürwahr, dachte Caid, Gott stehe mir bei.

Gefechte der Leidenschaft

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