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Viertes Kapitel

Als Lisette ihre Augen durch den Salon wandern ließ, stieg ein Hochgefühl in ihr auf wie die Perlen in teurem Champagner. Der Raum war weitläufig und elegant, mit zwei Kaminen aus grauem Marmor an den gegenüberliegenden Wänden, darüber zwei hohe Spiegel. Ein Paar verglaste, sprossenverzierte Doppeltüren wurde von prächtigen Draperien aus rosenfarbener Seide umrahmt und der Spiegel an der Wand zwischen ihnen gab das Bild eines in gedämpften Laubfarben gehaltenen Aubussonteppichs wider. Auf dem Teppich standen eine Polsterbank, eine Chaiselongue und mehrere Gobelinstühle sowie einige Tischchen mit Elfenbein- und Schildpattintarsien.

Für das ganze kommende Jahr würde dieser Raum, dieses Haus ihr gehören. Vor einer halben Stunde hatte Monsieur Frerets Makler die Zahlungsanweisung für ihre Bank entgegengenommen und ihr den Schlüssel ausgehändigt.

Sie war entkommen. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie wirklich frei. Und das sollte sich auch nie wieder ändern, schwor sie sich wild entschlossen. Sich dem Willen anderer zu beugen, unvernünftige Forderungen zu erfüllen, ihre Gefühle und Gedanken zu verbergen, all das war wie eine Art Tod gewesen. Doch nun, nach all den Anstrengungen, war sie wieder ganz sie selbst. Vom heutigen Tag an würde sie froh und ohne Furcht leben. Sie streckte die Arme aus und drehte sich langsam im Kreis. Diese Hochstimmung – so musste es sein, wenn man beschwipst war. Wenn das stimmte, konnte sie sich an das Gefühl gewöhnen.

Sie blieb so plötzlich stehen, dass die Röcke um ihre Knöchel schwangen. Vielleicht hätte sie die Ratschläge Caid O’Neills nicht gänzlich in den Wind schlagen sollen, denn seine Bedenken waren berechtigt. Sie war nicht so dumm, das nicht zu erkennen. Da er es nun einmal übernommen hatte, für ihre Sicherheit zu sorgen, wollte er diese Aufgabe eben so sicher wie möglich erfüllen. Sie nahm ihm das nicht übel, war es aber endgültig leid sich vorschreiben zu lassen, was sie tun und lassen sollte. Um jeden Preis wollte sie ihre eigene Herrin sein.

Aber wie er geschaut hatte, als sie ihm sagte, dass ihr oberflächliches Geschwätz egal sei und sie eine intelligente Unterhaltung bevorzuge! Verblüffung und Missbilligung wechselten sich auf seinem interessanten Gesicht ab. Und schien er nicht auch ein klein wenig fasziniert zu sein? Aber was fiel ihm eigentlich ein, ihre Worte und Taten zu missbilligen? Dadurch, dass er auf ihre Bitte einging, war er schließlich nicht ihr Besitzer geworden!

Das Rasseln einer Kutsche, die vor der Tür hielt, zog Lisettes Aufmerksamkeit auf sich. Geschwind ging sie zu einer der Glastüren hinüber, die auf den Balkon an der Straßenseite führten, und öffnete sie. Dann machte sie einen Schritt hinaus und spähte über die schmiedeeiserne Brüstung.

Einer Mietdroschke, die direkt unter ihr hielt, entstieg soeben eine Dame von eckigem Körperbau und aufrechter Haltung, gekleidet in düster grau-braun gestreifte Merinowolle, auf dem Kopf eine billige Strohhaube. Mit einer energischen Bewegung drehte sie sich um und bedeutete dem Kutscher ihr das Gepäck anzureichen.

»Agatha! Da bist du ja schon!«, rief Lisette vom Balkon hinab. »Ich kann es kaum glauben. Bleib da, ich komme gleich runter und bezahle die Droschke.«

»Unsinn, meine Liebe«, setzte die Dame zum Sprechen an, aber Lisette hörte sie schon nicht mehr. Sie wirbelte herum und rannte durch den Salon und hinaus auf die Galerie, die um den Innenhof herumlief. Am anderen Ende, nahe der Mauer des Nachbarhauses, lag die Treppe, die sie jetzt mit fliegenden Röcken hinuntereilte, wobei sie in ihrer Hast beinahe strauchelte. Im Laufschritt durchquerte sie die angenehm kühle Kutschendurchfahrt, die, von Backsteinmauern gesäumt, unter den oberen Stockwerken hindurchführte. An ihrem Ende öffnete sie die kleine, in das größere schmiedeeiserne Tor eingelassene Fußgängerpforte und trat auf die Straße hinaus.

Die Mietdroschke fuhr bereits davon und Agatha Stilton stand neben ihren bescheidenen Habseligkeiten – einem abgeschabten Koffer, einer prall gefüllten Reisetasche und einem voluminösen wollenen Handarbeitsbeutel. Sie hielt ihr Ridikül mit lockerem Griff und ein kleines Lächeln erhellte ihr schmales Gesicht. »Also, meine Liebe?«

»Oh, Aggie!« Lizzie rief den Namen, den sie als Kind benutzt hatte, und schloss die dünne Gestalt in die Arme. »Ich habe dich so vermisst!«

»Ich dich auch«, entgegnete die Ältere mit hochroten Wangen und feuchten Augen, während sie die Umarmung erwiderte. »Es scheint mir so lange her zu sein, seit wir zusammen waren.«

»Zu lange«, bestätigte Lisette, denn es waren seitdem wirklich schon viele Monate vergangen. Agatha, die aus Boston stammte, war von Lisettes fünftem Lebensjahr an bis zu deren Heirat ihre Gouvernante gewesen. Als eine Dame, die ihre eigenen, ganz entschiedenen Ansichten über die Rechte und Fähigkeiten von Frauen vertrat, hatte sie Lisette auf eine Art und Weise erzogen, die eher für einen jungen Mann gepasst hätte als für ein Mädchen, das zwangsläufig heiraten würde. Im Laufe der Zeit hatte sich aus ihrer Lehrerin-Schülerin-Beziehung eine Freundschaft entwickelt, in der Lisette nichts vor ihrer lieben Aggie verheimlichte.

Die Gouvernante war gegen die von Lisettes Mutter eingefädelte Verlobung gewesen, zum einen, weil sie ihren Schützling mit achtzehn Jahren für zu jung zum Heiraten hielt, zum anderen, weil sie den Eindruck hatte, der Bräutigam lasse die angemessene Begeisterung für die Ehe vermissen. Obwohl in den meisten Dingen eine durchaus praktisch veranlagte Frau, hatte sie durch ihre Vorliebe für romantische Dichtung doch gewisse schwärmerische Züge angenommen. Daher erschien ihr die kreolische Sitte, Ehen auf der Basis von Vermögen und Abstammung zu arrangieren, überaus bedauerlich.

Nach Lisettes Heirat war Agatha bei einer Familie in St. Francisville in Stellung gegangen und etwas über ein Jahr dort geblieben. Als sie wieder in der Stadt war, wollte Lisette sie in das Haus der Moisants einladen, doch Eugenes Vater hatte es verboten. Er hegte eine tiefe Abneigung gegen diese Frau, die ihre eigene Unabhängigkeit auch ihrem Zögling vermittelt hatte, und wollte auf jeden Fall vermeiden, dass Lisette in ihr eine Verbündete fand. Wenn sie Agatha sehen wollte, musste sie sich heimlich davonstehlen, was vor Eugenes Tod schwierig und danach unmöglich war.

»Komm gleich mit hinein«, drängte Lisette. »Es tut mir wirklich Leid, aber es ist keiner hier, der uns mit dem Gepäck helfen könnte, da ich gerade erst eingezogen bin. Wenn du mir den Koffer gibst und die übrigen Sachen nimmst, haben wir dich im Handumdrehen in deinem Zimmer untergebracht.«

Kurz darauf saßen sie schon gemütlich an einem kleinen Tisch im Salon. Lisette hatte Reiskuchen, calas genannt, und Kaffee von einem der Händler gekauft, die fast an jeder Straßenecke ihre Waren feilboten. Sie goss den Kaffee in eine Sèvres-Kanne, die sie in einem Schrank gefunden hatte, und richtete die Kuchen auf einem passenden Teller an. Sie war sehr erleichtert, dass sie ihrem Gast etwas anbieten konnte, denn nichts war peinlicher, als mit leeren Händen dazustehen, wenn Besuch kam.

Statt Kaffee hätte Lisette eigentlich lieber Tee gehabt, eine Vorliebe, die sie von Agatha übernommen hatte. Überhaupt hatte es eine Zeit gegeben, da die Gouvernante ihr in allem, vom Benehmen über die Kleidung bis hin zu den Essgewohnheiten, ein Vorbild gewesen war. Kein Wunder, denn in vieler Hinsicht stand sie Lisette damals näher als deren eigene Mutter. Die Kindersterblichkeit war so hoch, dass viele Leute ihre Kinder bis zum Alter von fünf oder sechs Jahren praktisch nicht beachteten, damit der Schmerz nicht unerträglich wurde, falls die Kleinen starben. Lisette war eigentlich erst durch die Verbindung mit Eugene ihrer Mutter näher gekommen und durch deren Krankheit, die schließlich zu ihrem Tod führte. In jenen Monaten vor ihrer Hochzeit hatte Lisette erkannt, dass sich in der Sorge ihrer Mutter um sie und in der Angst, sie allein in der Welt zurücklassen zu müssen, das wahre Ausmaß ihrer Liebe zeigte. Sie redeten über vieles miteinander in jenen langen Nächten, in denen ihre Mutter vor Schmerzen nicht schlafen konnte, und packten die Erinnerungen und Ratschläge eines ganzen Lebens in die Stunden, da Lisette die zerbrechliche Hand ihrer Mutter hielt. Und um ihr ein wenig Frieden zu geben, hatte sie sich am Ende einverstanden erklärt, Eugene rasch zu heiraten.

»Ich freue mich, dass du so schnell kommen konntest«, sagte Lisette, schob ihren leeren Teller beiseite und füllte aus der rosenbemalten Porzellankanne Kaffee nach. »Das macht alles viel einfacher.«

Agathas zarte Wangen waren rosig überhaucht. »Ich brauchte bloß meine Siebensachen zusammenzupacken, was ich herzlich gern tat. Ich muss gestehen, seit ich meine letzte Stelle verlassen habe, war weit und breit keine neue in Sicht. Das ist natürlich meine eigene Schuld – warum konnte ich auch meinen Mund nicht halten! Weißt du, der Mann, für den ich arbeitete, wollte mir keine Empfehlung ausstellen, aber ich konnte es einfach nicht widerspruchslos hinnehmen, dass er sein reizendes Töchterchen, das erst fünf war, in ein Korsett mit Holzleisten im Rücken zwängte, und das auch nachts. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so aufgebracht gewesen, zumal sie ein so zartes, kleines Ding war! Eine Frau muss viel Ungesundes über sich ergehen lassen, bis sie so aussieht, als könne sie jeder Windstoß umpusten.«

»Aber das ist heute gang und gäbe.«

»Das stimmt, aber es macht die Sache nicht besser.« Agatha schüttelte den Kopf. »Demnächst wird man noch hören, dass sie Kinder mit Essig und Arsen traktieren, genau wie ihre Mütter. Aber, wie gesagt, meine Aussichten waren nicht gut und die kleine Pension für Frauen, in der ich zwischen zwei Anstellungen wohne, ist zwar recht behaglich, aber nicht gerade sehr ... anregend. Deine freundliche Einladung kam also wie ein Geschenk des Himmels.«

In Wahrheit war die Pension, wie Lisette wusste, ein trübsinniger Ort mit düsteren, abgenutzten Möbeln, wo es streng nach Katzen roch. Es hatte sie immer Überwindung gekostet, ihre alte Lehrerin dort zu besuchen. »Hier wird es viel lustiger zugehen, das verspreche ich dir.«

»Während deiner Trauerzeit? Ich weiß sehr wohl, dass du nicht gerade untröstlich bist, aber trotzdem ...«

»Ja, einige Zugeständnisse muss ich schon machen.« Lisette nippte an ihrem Kaffee. »Aber weißt du, New Orleans ist in dieser Hinsicht nicht so streng wie Boston, ich will mich also nicht beklagen. So ist es zum Beispiel durchaus erlaubt, in die Oper zu gehen, solange man ganz hinten in der Loge sitzt oder hinter dem Logengitter verborgen bleibt, und niemand wird etwas dabei finden, wenn ich ein paar Freunde zu einer kleinen Abendgesellschaft einlade.«

»Du musst tun, was du für richtig hältst, aber eine junge Witwe sollte immer besonders vorsichtig sein, weil alle genau aufpassen, ob sie sich auch anständig benimmt.«

»Lass sie doch, das kümmert mich nicht.«

»Es sollte dich aber kümmern, meine Liebe, sofern du weiterhin zur guten Gesellschaft gehören willst.«

»Eine weit überschätzte Ehre.«

»Oh, da stimme ich dir zu. Aber was bleibt dir sonst übrig? Und es ist besonders wichtig, wenn du einen neuen Ehemann finden willst.«

»Warum meint jeder, ich müsse wieder heiraten? Ich bin ganz zufrieden als Witwe.«

»Jetzt vielleicht noch.«

»Du hast dir dein Leben auch ohne Mann eingerichtet«, gab Lisette mit scheinbar unschlagbarer Logik zu bedenken.

»Das Alleinleben erfordert Seelenstärke und die Fähigkeit, sich selbst genug zu sein. Außerdem bin ich mir nicht sicher, dass ich einen Heiratsantrag abgelehnt hätte, wäre er nur von dem richtigen Mann gekommen. Ich hätte gern eine Tochter wie dich gehabt, meine Liebe.« Agatha war wieder rot geworden, ein Zeichen dafür, wie bewegt sie in diesem Augenblick war.

»Was für ein nettes Kompliment«, sagte Lisette leise. »Ach, es ist so wunderbar, wieder mit dir unter einem Dach zu leben!«

Über den Tisch hinweg warf Agatha ihr einen langen Blick zu, bevor sie sich ihrer Kaffeetasse zuwandte, um ihre Rührung zu verbergen. Sie räusperte sich und sagte: »Nun ja, aber in deiner Nachricht hast du eine romantische Rettung erwähnt. Ich komme um vor Neugier! Wurdest du aus dem Haus deines verstorbenen Mannes gerettet und wie und wann ist es passiert? Komm, erzähl mir alles darüber.«

Das tat Lisette nur zu gern. Als sie geendet hatte, saß Agatha da und starrte sie mit offenem Mund an. Dann tat sie durch ihre kühn geschwungene Nase einen hörbaren Atemzug. »Meine Güte, was für ein Abenteuer! Ich kann es kaum glauben.«

»Ich versichere dir, jedes Wort davon ist wahr.«

»Oh, ich wollte nicht sagen, dass du lügst, meine Liebe, es ist nur ... so außergewöhnlich! Sich in die Hand eines maître d’armes zu geben – wie kamst du dazu?«

»Kurz gesagt, aus reiner Verzweiflung. Kaum ein Mann wird sich an einen wie Monsieur O’Neill heranwagen.«

»Sie tun, was ihnen gerade passt, diese Fechter, und ich habe Skandalöses über sie gehört, wie du sicher auch. Manche werden reich durch Erpressung, indem sie gegen Geld auf eine Forderung zum Duell verzichten. Ein paar lassen sich dafür bezahlen, dass sie einen Feind ihres Auftraggebers beiseite schaffen. Wieder andere wählen sich ihre Mätressen nach Belieben, auch aus den höchsten Kreisen, wie gemunkelt wird, denn welche Dame kann sich ihnen verweigern, wenn andernfalls ihrem Ehemann, Vater oder Bruder eine Forderung droht? In solchen Dingen können sie völlig skrupellos sein.«

Bei der Vorstellung lief Lisette ein seltsamer Schauder, halb Furcht, halb Wonne, den Rücken hinab, doch sie unterdrückte ihn sofort. »Diese Geschichten können sich wohl kaum auf Monsieur O’Neill beziehen, da er erst so kurze Zeit in der Stadt ist.«

»Das bedeutet nur, dass keiner sagen kann, was für ein Mann er eigentlich ist«, stellte Agatha fest. »Doch nun hast du dich auf die Bekanntschaft mit ihm eingelassen und ich weiß nicht, was daraus noch werden soll.«

»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich glaube, Monsieur O’Neill war nur bereit mir zu helfen, weil er sich am Tod meines Mannes schuldig fühlt. Auf jeden Fall hat er einfach nur versprochen mich zu beschützen.«

»Ja, aber vielleicht bringt dich sein Schutz noch in eine äußerst kompromittierende Lage. Hüte dich vor der Hilfsbereitschaft von Gentlemen, meine Liebe. Sie erwarten oft eine Gegenleistung.«

In Agathas Stimme klang eine Spur Bitterkeit – und das war nicht verwunderlich, dachte Lisette. Als junge Frau, die nach dem Tod ihrer Eltern allein dastand, hatte Agatha eine Stelle als Gouvernante bei den Kindern eines Gentlemans von Beacon Hill angenommen, der ohne zu zögern ihre Situation ausnutzte. Um ihm zu entkommen, brannte sie mit dem Kutscher durch, einem Mann, der sich mit Verwandten in Westindien brüstete. Das Paar machte sich auf den Weg zu ihnen, doch bei einem Zwischenaufenthalt in New Orleans ließ der Mann Agatha sitzen. Sie war nie ganz darüber hinweggekommen.

»Ich bezweifle sehr, dass Monsieur O’Neill so etwas im Sinn hat«, winkte Lisette ab. »Er hat in seinem salle d’armes zu tun und kann sich bestimmt Amüsanteres als Zeitvertreib vorstellen.«

»Wofür wir dankbar sein müssen.«

»Richtig. Wir sollten uns keine Sorgen machen, sondern uns mit praktischen Angelegenheiten befassen.« Lisette nahm sich einen Reiskuchen, brach Stücke davon ab und steckte sie sich in den Mund.

»Als da wären?«

»Dienstboten, zum Beispiel. Dieses Haus ist viel zu groß, als dass wir es allein in Ordnung halten könnten.«

Agatha zog die Brauen hoch. »Bist du da ganz sicher? Mir macht es absolut nichts aus zu schrubben und Staub zu wischen.«

»Das ist lieb von dir, aber ich habe dich nicht eingeladen, damit du hier das Mädchen für alles spielst. Wen, glaubst du, brauchen wir wohl am dringendsten?«

»Nun ja, wenn du Gesellschaften geben willst, und sei es auch nur im kleinsten Kreis, brauchst du eine Köchin und außerdem einen Butler, der Besucher meldet, das Essen serviert, Lebensmittel einkauft und sich um die männlichen Gäste kümmert«, zählte Agatha an den Fingern ab. »Unbedingt erforderlich ist eine Frau oder ein Junge für den Abwasch, ebenso ein Hausmädchen, das den Salon und die Schlafzimmer in Ordnung hält. Und dann noch ein Mann, der Hof und Bürgersteig sauber macht. Das sind mindestens fünf, es sei denn, du willst auch eine Equipage halten.«

»Das werde ich wohl.«

»Dann müssen wir noch einen Kutscher und einen Stallknecht suchen. Also sieben, falls du nicht noch eine Kammerzofe möchtest. Damit wären es acht.«

»So viele«, murmelte Lisette mit gerunzelter Stirn. »Ich weiß nicht, ob ich die Verantwortung dafür übernehmen möchte, so viele Sklaven zu kaufen und zu halten.«

»Du wärst eine bessere Herrin als manch andere. Und wenn du besonders menschenfreundlich sein willst, kannst du ihnen ja einen Lohn zahlen und ihn dann mit ihrem Kaufpreis verrechnen. Oder du erlaubst ihnen, in ihrer Freizeit mit Gemüse, Pralinen oder Ähnlichem hausieren zu gehen. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, sich unter den irischen Einwanderern geeignete Leute zu suchen.«

»Ein ausgezeichneter Vorschlag, Agatha. Ich sehe schon, wir werden hervorragend miteinander zurechtkommen.«

»Sind Sie da sicher?«

Die tiefe Stimme kam von der Tür. Lisette fuhr herum und erblickte Caid O’Neill, wie er lässig mit einer Schulter am Türrahmen lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt. Unmöglich zu sagen, wie lange er dort schon stand und wie viel er mitangehört hatte, doch der grimmige Zug um seinen Mund ließ sie vermuten, dass er mitbekommen hatte, wie sie seine Landsleute als Dienstboten ins Auge fassten.

»Monsieur O’Neill …«, begann sie und stand auf.

»Das wird sicher ein Spaß«, schnitt er ihr das Wort ab, richtete sich auf und kam näher. »Schon die Vorstellung, zwei Frauen allein in diesem hübschen Haus, in dem es wie Hechtsuppe durch die acht doppelten Glastüren zieht, durch die jeder mit Leichtigkeit eindringen kann, sofern er sich nur die Mühe macht eine Glasscheibe einzuschlagen.«

»Wieso sind Sie hier?«

»Madame Herriot hat mich geschickt, da sie Sie schon vor einer Stunde zurückerwartet hat. Ich vermute, Sie wurden durch das Treffen mit Ihrer Freundin aufgehalten.«

»So ist es. Verzeih Agatha, du hast es sicher schon erraten, das ist ...«

»Monsieur Caid O’Neill«, sagte Agatha, erhob sich und reichte ihm die Hand. »Wie überaus angenehm. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen.«

»Das haben Sie ja jetzt.«

In Caids Stimme klang unterdrückter Ärger, als er mit abschätzendem Blick eine Verbeugung andeutete. Agatha schien es nicht zu bemerken. »Ich denke, es ist tatsächlich das Beste, wenn wir uns unverzüglich miteinander bekannt machen, wo wir doch dieselbe Aufgabe übernommen haben, nämlich Mademoiselle Lisette vor den Klauen ihres ehemaligen Schwiegervaters zu bewahren.«

»Ich hatte eher den Eindruck, als wollten Sie sie auch vor meinen Klauen bewahren.«

Lisette fühlte eine heiße Röte von der Brust bis zum Haaransatz aufsteigen. Auch Agatha lief rosa an, blieb jedoch bemerkenswert kaltblütig. »Sie haben also gelauscht. Das habe ich schon befürchtet, aber ich bedaure es nicht. Irgendwann hätten wir das Thema ja doch zur Sprache bringen müssen.«

»Da können wir es also auch jetzt gleich tun? Gut, Madame Stilton.«

»Mademoiselle.«

Mit einem leichten Nicken nahm Caid die Richtigstellung zur Kenntnis. »Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich keinen wie immer gearteten Anschlag auf Madame Moisants Tugend plane.«

»Absolut keinen? Sind Sie da sicher?«

Lisette musste feststellen, dass sie im tiefsten Inneren sehr gespannt auf seine Antwort war. Welche Frau, dachte sie bei sich, hörte schon gern, dass sie nicht die Spur von Begehren im Herzen eines Mannes entfachte?

»Sie ist hier, weil ich den Tod Moisants verursacht habe, und es wäre unglaublich gemein, diese Umstände auszunutzen.«

»Da haben Sie Recht«, stimmte Agatha ihm zu und faltete die Hände auf Höhe ihrer Taille. »Doch damit haben Sie meine Frage noch nicht beantwortet.«

Wie sich ein Blitzstrahl auf den Meereswogen spiegelt, so flackerte sekundenlang Zorn in Caids Augen auf. Doch erlosch er sofort wieder und machte einem leisen Ausdruck von Hochachtung, gemischt mit Belustigung Platz. »Ich habe gelobt, sie vor Unheil zu bewahren, und ich werde mein Wort halten. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

»Dann müssen wir es wohl dabei belassen«, entgegnete Agatha mit grimmigem Nicken. »Fürs Erste.«

Die beiden musterten einander lange. Dann neigte Caid den Kopf, als wolle er mit ironischem Einverständnis ihre Abmachung besiegeln.

»Also«, sagte Lisette und ließ den Atem ausströmen, den sie unwillkürlich angehalten hatte, »seid ihr beide jetzt zufrieden? Wenn ja, könntet ihr euch vielleicht daran erinnern, dass ich auch noch da bin und bei dieser Absprache ein Wörtchen mitzureden habe?«

Beide wandten sich ihr mit einem so verdutzten Gesichtsausdruck zu, dass eine leise Erheiterung in ihr aufstieg. »Meine Liebe«, sagte Agatha eifrig und besorgt, »ich wollte dich nicht kränken, sondern hatte bei meinen Worten nur dein Wohlergehen im Sinn.«

»Ich weiß«, sagte Lisette mit einem kleinen schiefen Lächeln, bevor sie sich an den Fechtmeister wandte. »Und aus Ihren Bemerkungen schließe ich, dass Sie sich die Räumlichkeiten schon angesehen haben.«

»In gewisser Hinsicht.« Er wirkte verschlossen und in sich gekehrt.

»Dann haben Sie wohl auch bereits die Fenster, Schlösser und die Pforte zur Kutschendurchfahrt überprüft?«

Sie fand sein Stirnrunzeln unnachahmlich, zumal sie sich nicht davor zu fürchten brauchte. »Noch nicht, aber ich habe mir fest vorgenommen, all das und noch mehr zu tun.«

»Ausgezeichnet. Ich werde Sie begleiten, weil ich auch noch nicht alle Räume gesehen habe. Agatha?«

»Ja, ich komme auch mit.«

Mit Lisette an der Spitze marschierten sie aus dem Salon. Das Gesicht ihrer alten Lehrerin spiegelte ihre Entschlossenheit, dafür zu sorgen, dass in den leeren Zimmern nichts Schlimmes geschah. Caid bildete die Nachhut. Die Vorstellung, dass er beobachten konnte, wie ihre Röcke beim Gehen schwangen, machte Lisette so verlegen, dass ihr Nacken ganz heiß wurde. Wäre sie sich seiner Gegenwart ebenso bewusst gewesen, wenn Agatha nicht derart deutliche Worte gesprochen hätte? Wahrscheinlich schon. Caid besaß das äußerst beunruhigende Talent, ihr seelisches Gleichgewicht zu stören.

Der Weg führte über die obere Galerie, von einem Raum in den nächsten, wobei sie dazu entweder Verbindungstüren oder die lange, überdachte Veranda benutzten, die als Außenkorridor diente. Caid prüfte die Schlösser und Riegel und zeigte ihnen zuerst die Holzkeile, die, der Länge nach zwischen Schiebefenster und Rahmen geklemmt, die Fenster verschlossen hielten, und danach die lange Eisenstange am Fußgängerpförtchen im Tor zur Kutschendurchfahrt. Wurde sie als Riegel durch einen Ring an der Wand geschoben, ließ sich die Pforte nicht mehr von außen öffnen. Das Haupthaus schien einigermaßen in Ordnung, ebenso wie Küche und Waschküche im Erdgeschoss des Flügels, in dessen erstem Stock sich die garconnière, die so genannte Junggesellenwohnung, befand.

»Also«, sagte Lisette, als sie aus der Waschküche traten, wo es wegen des Steinbodens angenehm kühl war, »ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie an diesen Gebäuden etwas auszusetzen haben, Monsieur.«

»Sie sind ganz in Ordnung«, musste Caid zugeben. Trotzdem prüfte er mit scharfem Blick den Hof und vor allem die mit Kletterfeige bewachsenen Mauern.

»Was dann?«

»Es will mir immer noch nicht gefallen.«

Ihr entfuhr ein ärgerlicher Seufzer. »Weil Sie von Anfang an nicht dafür waren.«

»Weil Sie hier allein sind.«

»Das bin ich nicht. Ich habe doch Agatha.«

»Eine ehrenwerte Dame mit dem Mut einer Löwin, da bin ich ganz sicher«, sagte er mit einem flüchtigen Seitenblick auf ihre Begleiterin. »Doch verteidigen kann sie Sie wohl kaum.«

»Das gilt auch für Madame Herriot.«

»Sie hat ihre Wachen, wie ich schon sagte. Auch habe ich Zutritt zu ihrem Haus, wohingegen mir dieses verschlossen bleiben muss.«

»Aber Sie sind doch jetzt auch hier«, bemerkte Lisette so geduldig wie möglich.

»Ein Besuch, der sich, wenn überhaupt, nur äußerst selten und in Gesellschaft wiederholen darf.«

»Ich wüsste nicht, warum.«

»Weil Sie darauf bestehen, dickköpfig und unvernünftig zu sein.«

Sie bedachte ihn mit einem wütenden Blick. »Ich möchte mein eigenes Haus haben. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?«

»Keineswegs, aber es macht mir meine Beschützeraufgabe verflixt schwer.«

»Dann entbinde ich Sie davon«, erklärte sie und stützte die Hände in die Hüften. »Vergessen Sie meine Bitte. Vergessen Sie, dass Sie mich vor zwei Tagen gefunden haben. Vergessen Sie, dass es mich gibt.«

»Unmöglich.«

Wie meinte er das? Sie hätte ihn gern gefragt, traute sich aber nicht recht. »Dann müssen Sie eben Ihr Bestes geben, denn ich habe nicht die Absicht, Madame Herriot auch nur eine Sekunde länger zur Last zu fallen.«

Diesmal war sein Stirnrunzeln geradezu beängstigend finster. »Sie bleiben also heute Nacht hier?«

»O ja«, erwiderte sie und hob trotzig das Kinn. Bis zu diesem Augenblick hatte sie den Entschluss noch gar nicht gefasst, doch auf einmal war sie überzeugt, dass es einfach sein musste.

»Ohne Diener im Haus? Ohne jeden Schutz?«

So gesehen erschien ihre Entscheidung nicht allzu klug, aber sie wollte nicht nachgeben. »Es wird ja nicht lange so bleiben.«

»Und woher nehmen Sie die geeigneten Leute? Sie können schwerlich selbst auf den Sklavenmarkt gehen.«

Das gehörte sich nicht, da hatte er vollkommen Recht. Frauen galten als zu empfindsam für solche Geschäfte. Es wurde allgemein angenommen, dass sie einen Sklaven eher aus Mitleid als aus praktischen Erwägungen kaufen würden.

In diesem Augenblick öffnete sich ein paar Meter entfernt quietschend eine Tür und ein dunkles Gesicht lugte durch den Spalt. Dann trat ein großer, schmalschultriger Mann heraus und kam auf sie zu. »‘Tschuldigung, Monsieur, Madame«, sagte er zögernd, »ich habe alles mitangehört. Wir sind hier.« Er machte eine vage Handbewegung in Richtung eines Raumes, wo im schummerigen Dunkel einige weitere Sklaven sichtbar wurden. Offensichtlich handelte es sich um eine Vorratskammer, die unmittelbar neben den drei oder vier eigentlichen Sklavenquartieren lag.

Wie um sie zu schützen, stellte sich Caid mit einem Schritt vor Lisette. Sie warf ihm einen scharfen Blick zu, protestierte jedoch nicht. Angesichts Caids fürsorglicher Geste blieb der dunkelhäutige Mann stehen.

»Wer bist du und was machst du hier?«, fragte Caid in strengem Ton.

»Ich bin Felix und wir leben hier, wenn Sie erlauben, Monsieur. Das hier ist unser Zuhause, im Moment jedenfalls.«

»Ich muss es nicht erlauben, sondern die Dame hier«, sagte Caid mit einem Nicken zu Lisette hinüber. »Wieso habt ihr euch bisher nicht sehen lassen?«

Der Diener blickte kurz beiseite. »Wir waren nicht sicher ... das heißt, es schien uns am besten, zu warten, bis uns jemand rufen würde.«

Was er damit meinte war, wie Lisette erkannte, dass sie sich versteckt hatten, um erst einmal zu sehen, welche Leute das Stadthaus übernommen hatten. Vor Agatha und ihr würden sie doch wohl keine Angst haben!

Das konnte sich Caid auch nicht vorstellen. »Die Damen hatten keine Ahnung, dass ihr da seid, dass überhaupt jemand da ist.«

»Wir wollten nichts Unrechtes tun.«

Das Lächeln des Mannes war beschwichtigend, doch nicht unterwürfig. Als Lisette dennoch ehrliche Furcht in den feuchten braunen Augen erkannte, machte sie ein paar Schritte um Caid herum. »Ich vermute, ihr gehört Monsieur Freret, dem Eigentümer des Hauses. Es tut mir Leid, aber der Makler hat euch nicht erwähnt. Seid ihr hier schon lange allein?«

»Fast drei Wochen, seit der Master und seine Familie nach Frankreich abgereist sind.«

»Und seid ihr ohne ihn gut zurechtgekommen?«

»Ganz gut, Madame, vielen Dank für Ihre Nachfrage.«

Die Worte kamen zögernd und Lisette konnte nur vermuten, dass man ihnen recht wenig Lebensmittel und Geld dagelassen hatte. »Ihr gehört also zum Haus und ich kann eure Dienste daher in Anspruch nehmen, ist das richtig?«

»Ganz recht, Madame. Das wäre überaus freundlich von Ihnen. Wir haben darum zu le bon Dieu gebetet. Der Master kann sich keine untätigen Sklaven leisten, und falls Sie uns nicht beschäftigen können, muss uns sein Beauftragter noch vor Ende der Woche auf den Sklavenmarkt bringen.«

Agatha unterdrückte einen Ausruf und Lisette fasste sich an die Kehle. »Das erscheint mir hart.«

»Ein harter Mann, Monsieur Freret, aber gerecht. Er hat gesagt, wir müssen eben zusehen, dass Sie unsere Dienste benötigen.«

Lisette hatte das Gefühl, dass sich die schwere Verantwortung wie ein Gewicht auf ihre Schultern legte. »Wie viele seid ihr?«

»Nicht viele, wirklich, nur ein Dutzend. Aber, gnädige Madame, vier sind noch klein und essen nur sehr wenig und dann ist da noch Tante Magda, die kaum noch etwas sieht, aber wundervoll Geschichten von Geistern, Kobolden und den chats-haunt, den Käuzchen, erzählen kann, um die Kleinen ruhig zu halten. Sie werden kaum merken, dass sie da ist.«

»Und du?«, fragte Caid, »was ist deine Stellung im Haus?«

»Butler und Kammerdiener von Monsieur Freret, Monsieur«, antwortete Felix und straffte die Schultern.

»Bist du vielleicht mit ihm zur Jagd aufs Land gefahren? Kannst du mit einer Pistole umgehen?«

Ein interessierter Ausdruck trat in die Augen des Dieners. »Aber ja, beides. Ich bin oft mit dem Master auf die Jagd gegangen.«

»Mir scheint, wir haben unser Personal bereits zusammen«, stellte Agatha fest, die neben Lisette stand.

Lisette nickte, wandte sich aber an Felix. »Vielleicht könnten die anderen ja auch einmal herauskommen.«

»Sofort, Madame.« Der Diener drehte sich um und winkte gebieterisch. Kurz darauf traten die anderen blinzelnd aus der dunklen Vorratskammer. Zuerst die Männer, gefolgt von den Frauen mit den Kindern, die sich an ihre Röcke klammerten. Wie zur Besichtigung stellten sie sich in einer unregelmäßigen Reihe auf und starrten auf den Boden. Trübsinn und Abwehr umgaben sie wie eine Wolke. Doch wirkten sie alle ordentlich und sauber und wiesen kein Zeichen körperlicher Misshandlung auf.

»Besser, als Sklaven kaufen zu müssen«, sagte Agatha, »auch wenn du Monsieur Freret damit ein Jahr lang die Sorge für ihren Unterhalt abnimmst.«

»Ja, gewiss.« Besser wohl auch, als irische Dienstboten einzustellen.

»Madame Moisant …«, begann Caid.

Lisette beachtete ihn nicht und blickte dann erwartungsvoll die Reihe entlang. »Gibt es unter euch auch einen Koch?«

Ein Mann von beeindruckendem Umfang, eindeutig der dickste von allen, trat vor. »Ich bin Koch, Madame, ausgebildet in der Küche von Monsieur Alvarez. Ich bin ein ganz außergewöhnlicher Koch.«

»Das will ich gern glauben«, sagte sie und lächelte über den offensichtlichen Stolz des Mannes. »Es wird mir ein Vergnügen sein, deine Kunst auf die Probe zu stellen. Und gibt es auch ein Zimmermädchen?«

»Das habe ich gelernt, Madame.« Eine stämmige Frau, das Haar verborgen unter einem weißen Tuch mit Enden wie Katzenohren, trat vor und machte einen flüchtigen Knicks.

»Ausgezeichnet.« Lisette wandte sich zu Caid um. »Sehen Sie? Ich bin überhaupt nicht allein, sondern habe Menschen, die mich bedienen und beschützen.«

Er schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht.«

»Wie können Sie so etwas sagen, wo wir doch jetzt so viele sind?«

»Dienerschaft im Haus zu haben ist besser als nichts. Doch das wird niemanden abhalten Sie zu belästigen, wenn er nur entschlossen genug vorgeht.«

»Belästigen? Das ist ein starkes Wort.«

»Hätte ich besser ermorden sagen sollen? Auch das ist nicht unmöglich.«

Lisette blickte ihn eindringlich an. »Es wird sicher nichts dergleichen geschehen. Sie wollen mir nur Angst einjagen.«

»Leider ist es mir nicht gelungen.«

Lisette bemerkte kurz Agathas besorgten Gesichtsausdruck, bevor sie sich wieder an den Fechtmeister wandte. »Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen, Monsieur, und kann sie auch in gewisser Weise nachempfinden. Aber ich werde nicht zulassen, dass Furcht mein Leben bestimmt. Ich schicke Felix oder einen der anderen nach meinen paar Sachen. Von heute an werden wir hier leben.«

Caid schwieg einige Sekunden lang, dann nickte er knapp. »Wie Sie wünschen.« Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um, ging durch die dunkle Kutschendurchfahrt davon und schlug die Fußgängerpforte klirrend hinter sich zu.

Bei diesem Klang überlief Lisette unwillkürlich ein Schauer. Eigenartig, aber auf einmal fühlte sie sich gar nicht mehr so sicher. Die Anwesenheit Caid O’Neills war wie ein Bollwerk gegen alles Böse gewesen und nun, da er fort war, verließ sie dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit. Die Erkenntnis war nicht besonders angenehm, zumal jetzt, da es zu spät war.

Die Nacht brach herein. Aus Madame Herriots Haus brachte man Lisettes Sachen, ihr frisch gewaschenes Nachthemd, die Kleider, die Maurelle ihr hatte anfertigen lassen, und einige andere Dinge wie Zahnpulver, Haarnadeln, Bänder und Strümpfe, geliefert von der Modistin zusammen mit einem neuen Korsett und einem Unterrock, der am Saum mit crin, oder Rosshaar, versteift war. Es gab ein improvisiertes Abendessen, bestehend aus einer dünnen Suppe aus ein paar Resten, und danach stellte Lisette eine Einkaufsliste für Felix zusammen, der am Morgen zu den Märkten am Fluss gehen sollte. Die Betten wurden mit Leintüchern bezogen, die sich, mit duftenden Vetiver-Wurzeln zwischen den Falten, in einem Wäscheschrank fanden. Felix ging durchs Haus und überprüfte, ob alle Türen und Fenster verschlossen waren, um dann zu melden, dass alles in Ordnung sei. Nachdem er in sein Quartier hinuntergegangen war, saßen Lisette und Agatha noch beisammen, sprachen von Vergangenem und von ihren Plänen für die kommenden Tage. Endlich ließ der Lärm der Kutschen und Fußgänger auf der Straße nach, das Hundegebell verstummte und es wurde Zeit ins Bett zu gehen.

Lisette entzündete zwei Nachtkerzen an der Tranlampe im Salon und gab eine davon ihrer neuen Gefährtin. Dann löschte sie die Lampe und folgte Agatha über die Galerie bis zu ihrem Schlafzimmer, wo sie sich gute Nacht sagten. Sobald Lisette ihr Zimmer betreten hatte, sperrte sie in Windeseile die Tür zu. Da wurde sie mit hartem Griff von hinten um die Taille gepackt und in eine stürmische Umarmung gezogen. Eine Hand griff nach der Kerze, löschte sie und warf sie beiseite. In der plötzlichen Dunkelheit hörte sie eine Stimme, tief und melodisch, die ihr mit zartem Kitzeln ins Ohr flüsterte: »Ich bin hier um dich zu belästigen, ma chère. Was willst du jetzt machen?«

Gefechte der Leidenschaft

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