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NOCH EINE ERINNERUNG

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Im Jahr 2019 besaßen 0,9 Prozent der Weltbevölkerung 43,9 Prozent des globalen Vermögens. Über die Hälfte der Menschheit (56,6 Prozent) besaß nur 1,8 Prozent davon.39 Der reichste Mensch der Welt war am 20. September 2020 der Amazon-Gründer Jeff Bezos mit einem geschätzten Vermögen von 175 Milliarden US-Dollar. Drei Tage später wuchs es auf 182,5 Milliarden US-Dollar an.40

Anna Mayr beschreibt in Die Elenden die Funktion, die »Verelendete«, also perspektivlose und arme Menschen, innerhalb der Gesellschaft übernehmen: Man hält sie »den Arbeitern als verzerrenden Spiegel« vor, »um ihnen zu zeigen, wie sie enden, wenn sie sich nicht anstrengen«41. Die Armen und Abgehängten der Gesellschaft halten als unsichtbare Kraft die Arbeitenden in Schach – damit die wiederum arbeiten und arbeiten und arbeiten und sich für diese Schufterei zwischendurch mit spontanen Flugreisen für 15 Euro, der neuen Küchenmaschine oder Tüten voller Billigmode belohnen. Um danach vielleicht noch effizienter oder überhaupt weiterzufunktionieren.

Global betrachtet, gehört jemand die:der in Deutschland einen Medianlohn von 2.500 Euro brutto verdient, allein lebt und netto davon 1.700 Euro übrig hat, zu den zehn Prozent der reichsten Menschen auf dem Planeten: Nur 5,7 Prozent der Menschen, die gerade leben, sind reicher.42 Im globalen Vergleich könnten wir uns also eine Menge leisten – haben aber vor allem angesichts steigender Mieten und allgemein hohen Lebenshaltungskosten nicht nur das Gefühl, dass unsere Kaufkraft immer weiter zurückgeht: Wir können von demselben Gehalt abzüglich Miete, Strom und anderen Fixkosten auch faktisch immer weniger erwerben.

Tatsächlich nimmt die durchschnittliche Kaufkraft pro Einwohner:in in Deutschland stetig zu: Im Jahr 2019 lag sie bei knapp 24.000 Euro. Jetzt kommt das große Aber: Davon müssen noch die Ausgaben für Lebenshaltungskosten, Versicherungen, Miete und Nebenkosten sowie Heizung, Strom, Bekleidung oder Sparen abgezogen werden. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf die langfristige Entwicklung von Haushaltsausgaben, dass seit den 1980er-Jahren ein immer größerer Anteil des Einkommens für Miete, Wasser, Strom und Gas aufgewendet werden muss: 1993 gaben die 20 Prozent der Bevölkerung mit dem niedrigsten Einkommen noch 27 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens fürs Wohnen aus – im Jahr 2013 waren es bereits 39 Prozent.

Bei allen Bevölkerungsgruppen, außer den oberen 20 Prozent, lässt sich in diesem Zeitraum ein Zuwachs der Wohnkosten feststellen. Die Einkommen der unteren 40 Prozent der Bevölkerung konnten nicht mit diesem Anstieg mithalten – in der Folge gingen die Ausgaben für sonstigen Konsum zurück: Bei den einkommensschwächsten 20 Prozent der Bevölkerung betrug der Anteil am Nettohaushaltseinkommen im Jahr 1993 72 Prozent und sank auf 63 Prozent im Jahr 2013.

Das bedeutet auch, dass die Möglichkeit zum Sparen abgenommen hat: Immer mehr Menschen müssen sich verschulden, um ihren Lebensstandard zu halten, insbesondere in den unteren Schichten. Die einkommensstärksten Haushalte hingegen geben weniger für Wohnen aus und behalten ihren sonstigen Konsum weitgehend bei, konnten ihn sogar geringfügig steigern.43 Das hängt auch mit der Verfügbarkeit von Wohneigentum zusammen: Seit 1990 sind die Preise für Immobilien um über 112 Prozent angestiegen – und dieser Trend setzt sich fort. Die Konsequenz: Die unteren 50 Prozent besitzen nur 2,7 Prozent des Wohneigentums in Deutschland, den oberen zehn Prozent gehören fast 60 Prozent.44


Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist für viele Menschen nicht erst seit der Coronapandemie erschreckend real – und Angst verleitet zu pessimistischen Verhaltensweisen.45 Sie sorgt dafür, dass wir vor allem an eines denken (müssen): uns selbst und unser Überleben. Nun bedeutet Überleben im sicheren Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht mehr, vor dem metaphorisch nun schon etwas strapazierten Säbelzahntiger wegzurennen. Überleben meint hier: würdevoll innerhalb einer Gesellschaft zu bestehen. Und das wird für immer mehr Menschen zu einer Herausforderung.

»Angst lässt uns die Menschlichkeit der anderen vergessen, sie lässt uns in ihnen Feinde sehen. Genau deshalb ist sie so ein guter Motor für den Kapitalismus: Angst treibt Menschen an, immer mehr zu leisten, immer mehr zu kämpfen. Angst verhindert, dass wir Mitgefühl empfinden für diejenigen, die den Kampf verlieren.«46

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