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EIN ESSAY VON CIANI-SOPHIA HOEDER

WARUM IST DIE NACHHALTIGE BEWEGUNG SO WEISS?


Die Klimaszene hat ein Rassismusproblem. Fridays For Future, Greenpeace, Extinction Rebellion – all diese Bewegungen werden regelmäßig dafür kritisiert, dass sie sich zwar für das Klima einsetzen, aber nicht intersektional sind, also Menschen mit Mehrfachdiskriminierung berücksichtigen. Zuletzt kochte der Diskurs hoch, als die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate zur 50. Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos von der Nachrichtenagentur AP aus einem Gruppenbild mit Luisa Neubauer, Greta Thunberg, Isabelle Axelsson und Loukina Tille herausgeschnitten wurde.61 In einem Video erklärte Nakate: »Afrika ist der geringste Verursacher von Kohlendioxid, aber wir sind am stärksten von der Klimakrise betroffen. Wenn ihr unsere Stimmen auslöscht, ändert das nichts. Wenn ihr unsere Geschichten auslöscht, ändert das nichts.« Weiter ging es mit Tonny Nowshin.62 Sie nahm als einzige nicht weiße Aktivistin gemeinsam mit sieben weiteren Aktivist:innen an einem Protest gegen das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 teil. Im Anschluss an die Aktion twitterte Greenpeace Deutschland Fotos. »Alle, die dabei waren, waren abgebildet. Nur ich nicht. In einer Szene hatte ich sogar direkt neben Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer gestanden – aber das Foto hörte neben ihr auf. Ich war lediglich getaggt«, erklärte Tonny im Nachhinein.63

Weiblich, weiß, schlank und mit einem akademischen Hintergrund – das fasst zumindest den sichtbaren Prototyp der nachhaltigen Szene zusammen. Bestätigt wurde das bereits in einer Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin (ipb): 87 Prozent der Fridays-for-Future-Demonstrant:innen haben demnach mindestens eine Fachhochschulreife oder streben sie an, deutlich mehr als die Hälfte zählt sich selbst zur oberen Mittelschicht oder Oberschicht – und der Anteil der Menschen mit einer Migrationsgeschichte ist niedriger als in der Gesamtbevölkerung.64 Das heißt allerdings noch lange nicht, dass BIPoC sich nicht für die klimatischen Veränderungen auf unserem Planeten interessieren. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Der Klimawandel ist nicht nur ein umweltpolitisches Thema, nein, er zeigt die rassistischen und klassistischen Problematiken, in Deutschland und global. So haben Menschen mit Migrationsgeschichte auch hier in Deutschland einen mangelnden Zugang zur Natur oder gesunder Ernährung. Sie sind, laut dem Umweltbundesamt, einem starken Verkehrslärm und somit auch einer höheren Schadstoffbelastungen ausgesetzt.65 Kurzum: Wir leben in Deutschland mit einer Ungleichverteilung von Umweltnutzen undbelastungen. Mit all diesen Hintergründen sollten doch viel mehr BIPoC auf umweltaktivistischen Demos vertreten sein?

BIPoCBlack, Indigenous, People of Color

Eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen, die nicht als weiß, deutsch und westlich wahrgenommen werden und sich auch selbst nicht so definieren.

Es ist so: Wenn Polizeigewalt und Racial Profiling das täglich Dinkelbrot für Menschen mit einer sichtbaren Migrationsgeschichte sind, wird eine kleine Versammlung, die potenziell in einer polizeilichen Auseinandersetzung enden könnte, zu kei-ner Lappalie, sie ist lebensgefährlich. Dabei ist George Floyd das jüngste Exempel. Deutsche Beispiele gibt es aber auch einige: William Tonou-Mbobda, Oury Jalloh oder Amad Ahmad, um nur ein paar zu nennen. Hinzu kommt, dass Deutschland eine lange »Braune Grüne«-Geschichte hat, die bis in die Frühromantik (1795 – 1804) zurückreicht. In den aktuellen Debatten über Natur- und Umweltschutz gibt es viele Anknüpfungspunkte für rechtskonservative bis rechtsextreme Akteur:innen, die mithilfe sozialökologischer Themen versuchen, ihr biologistisches, rassistisches und antisemitisches Weltbild in breiteren Bevölkerungsschichten salonfähig zu machen. Die Anastasia-Bewegung ist dabei die neueste Strömung. Ihre Mitglieder hängen dem Konzept der Eugenik an – eine Vorstellung von Rassenhygiene, die in der Zeit des Nationalsozialismus entwickelt wurde.

Die eigenen Privilegien zu nutzen ist gut. Sogar wichtig. Diese Seiten dienen nicht als Rant. Es ist etwas anderes, BIPoC auszuschließen oder die Infrastruktur so zu konzipieren, dass es keinen Platz für sie gibt. Dabei werfe ich der Szene nicht vor, dass sie dies wissentlich tut. Ich glaube, sie ist sich der internalisiert-rassistischen Mechanismen nicht bewusst. So erklärte Tonny Nowshin in einem Interview: »Ich werde in der Klimaszene geduldet, solange ich sie mir nicht so zu eigen mache wie die weißen Aktivist:innen. Als BiPoC – also Schwarze, Indigene und People of Colour – sind wir nur willkommen, wenn wir die Vorzeigebetroffenen spielen.«66

Allmählich nähern wir uns dem Kern des Problems. Der Grund, weshalb Vanessa Nakate und Tonny Nowshin herausgeschnitten oder überhaupt nicht abgelichtet wurden, lässt sich im White Gaze und dem Eurozentrismus finden. Jedes Buch, jedes Lied und jeder Film wird für weiße Menschen konzipiert. Weißsein ist die Norm. Diesem Narrativ folgend, »entdeckte« Kolumbus Amerika. Dabei ging es den Menschen vor Ort vermutlich weitaus besser, bevor er kam. Doch es geht noch weiter. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nowshin, die aus Bangladesch stammt, teilte eine ihrer Erfahrungen bei Greenpeace mit: »Hier wurde ich sogar gefragt: ›Oh, musstest du aus deinem Land fliehen, weil dein Haus überflutet wurde?‹ In solchen Fällen steckt so viel Vorurteil, dass es zum einen lustig ist – zum anderen aber auch beschämend.«67

Die Klimabewegung und die nachhaltige Szene folgen einem Narrativ. Weiße Menschen retten die Welt. Sie retten die Umwelt, die Tiere und die armen Menschen, die davon betroffen sind. Klassischer White Saviorism. Ein Retter:innen-Komplex, der immer dann auftritt, wenn eine weiße Person nicht weißen Menschen auf vermeintlich selbstlose Weise hilft. Es sind die beliebten Bilder auf Instagram, auf denen Schwarze Kinder als Requisiten posieren. Die Auszeit vor dem Abitur oder Studium, wo junge privilegierte Menschen sich bei einem Workaway-Programm entscheiden können, ob sie auf Sri Lanka Schildkröten retten oder in einem kongolesischen Dorf ein wenig Lehrerin spielen, ohne jegliche pädagogische Ausbildung und ohne die geringste Ahnung über die Auswirkungen, die die ständig wechselnden »Lehrkräfte« auf die Kinder haben können.

Dabei geht es um das Bedürfnis, die Welt zu retten, das allerdings auf einem kolonialistischen Bild basiert. Es ist dasselbe Narrativ, das damals lautete: Europa muss Afrika retten. Jetzt seht, wo es uns hingebracht hat. In dieses Konstrukt passt eine BIPoC nicht hinein, die oder der kämpft, anprangert und strukturelle Rassismen kritisiert und somit den Bewegungen den Spiegel vorhält. Dieses Verhalten zerstört das eurozentrische Bewusstsein. Dann müssten Debatten über die realen Dimensionen unserer Umweltungerechtigkeit geführt werden. Wie beispielsweise, dass Rassismus ein integraler Bestandteil unserer heutigen umweltpolitischen und sozialpolitischen Herausforderungen ist. Es wären unbequeme Unterhaltungen.

Dabei ist es schon perfide. Im Einklang mit der Natur zu leben, statt sie zu zerstören, war und ist eine Philosophie von vielen indigenen Gemeinschaften. Bereits seit Jahrhunderten. Diese Lebensweise war einer der Gründe, warum sie als unkultiviert und primitiv erachtet wurden. Natürlich neben vielen weiteren Mechanismen wie Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus und Kapitalismus führt es zu der Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden. Die Folgen beeinflussen Schwarze Menschen und People of Color bis heute – und auch unser Klima.


CIANI-SOPHIA HOEDER

Schreiben. Es klingt pathetisch, aber genau das war Ciani-Sophia Hoeders Ziel. Vielleicht ist es ein natürlicher Prozess, als junge Frau all die großen und kleinen Gedanken zu Papier zu bringen? Heute nennt man es Journaling, damals Tagebuch schreiben, für Ciani war es: Den Sinn und Unsinn des Lebens zu begreifen. Deshalb hat sie das Schreiben zur Berufung gemacht. Heute ist Ciani-Sophia Hoeder freie Journalistin, SZ-Magazin-Kolumnistin, schreibt an der Ariane Alter Show bei ZDF Neo mit, Gründerin des ersten Online-Lifestylemagazins für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum namens RosaMag, Solopreneurin, frisch gebackene Grimme Online-Nominierte und wurde vom Medium Magazin zu den 30unter30 ernannt. Sie schreibt, Video editiert und berichtet nicht nur über den alltäglichen und den institutionellen Rassismus, sondern auch über Gesellschaftsthemen sowie politische Debakel, über das Dasein eines Millennials, intersektionalen Feminismus und die Für- und Widrigkeiten der Popkultur.

Kommen wir zurück zu der Ausgangsfrage: Warum sind nachhaltige Bewegung so weiß? Wenn ich als – vermutlich einzige BIPoC – in eine solche Bewegung hineinginge, müsste ich viele Menschen dort dekolonialisieren. Ich wäre eine kostenlose Antirassismus-Coachin. Ich müsste ihnen erklären, dass Rassismus nicht immer explizit ist. Dass Rassismus komplex ist. Er ist eine Ideologie, die besagt, dass Menschen mit bestimmten äußerlichen Merkmalen weniger wert seien als andere. Rassismus geschieht zugleich ganz konkret, nebenbei, unbewusst, gedankenlos. Das Gesicht einer Bewegung wird von einer weißen Person bevorzugt, da es als professioneller und glaubwürdiger angesehen wird als ein Schwarzes. Rassismus ist auch, wenn eine Schwarze Person aus einem Bild geschnitten oder aus einem herausgenommen wird. Diesen Vorgängen waren wir – Schwarze als auch weiße Menschen – über Jahrhunderte ausgesetzt. Das Resultat ist, dass weiße Menschen automatisch weiße Gedanken und Meinungen bevorzugen. Rassismus raubt Zeit und Energie. Er findet auf individueller als auch auf institutioneller Ebene statt. Er ist tief mit der Kolonialgeschichte, mit den staatlichen Strukturen und eben auch mit der Klimabewegung verwoben.

Versteht mich nicht falsch. Ich nehme den Klimawandel sehr ernst. Nachhaltigkeit ist ein essenzielles Thema in meinem Leben. Privat wie auch beruflich. Sie ist ein grundlegender Bestandteil meines Magazins RosaMag – ein Online-Lifestyle-magazin für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum. Trotzdem fällt es mir bis heute schwer, mich mit den Initiativen und Organisationen rund um die Klimabewegung und der nachhaltigen Szene zu identifizieren. Aus den besagten Gründen, aber auch aufgrund des Umstands, dass das Wegwerfen aller äußeren Zeichen von Status und Identität ein Luxus ist, den sich nur diejenigen in der Gesellschaft leisten können, die nicht anhand ihrer Hautfarbe beurteilt werden.

Rassismus wurde nicht von Schwarzen Menschen erfunden. Er ist das Problem von Weißen. Trotzdem müssen wir uns mit ihm herumschlagen. Es gibt viele BIPoC, die sich um den Klimawandel sorgen. Einige haben Verwandte, die davon betroffen sind, wieder andere erleben die Auswirkungen hier vor unserer Nase, zum Beispiel durch den mangelnden Zugang zu Naturerholungsgebieten, und dann gibt es noch diejenigen, denen das Thema, ohne persönlich involviert zu sein, einfach am Herzen liegt.

Letzteres betrifft nicht nur den Klimawandel, sondern umfasst auch die Fragen rund um Klassismus und Rassismus. Doch die beiden Aspekte sind ein integraler Bestandteil des Klimawandels und sind dementsprechend ein Imperativ, um die Debatte – wie wir zu einer umweltgerechteren Welt gelangen – mit diskutieren zu können. Jede klimaaktivistische Person, die sich nicht bemüht, die eigenen internalisierten Rassismen zu dekolonalisieren, muss sich fragen, wie ernst sie es meint. Ist das Klima wichtiger als Rassismus? Angesichts der Tatsache, dass Rassismus, Kapitalismus und Klassismus so eng miteinander verwoben sind, sollte die Frage eigentlich überflüssig sein. Trotzdem wird so wie bisher weitergemacht, an der Oberfläche des Problems gekratzt, betretene Konversationen darüber geführt, dass man sich in der Bewegung ja doch schon BIPoC wünscht, und gleichzeitig aber nie über die eigenen Rassismen diskutiert. Es werden nicht die Ärmel hochgekrempelt, um die Strukturen so zu verändern, dass eben auch BIPoC teilhaben können. Es wird bedauert, nicht verbessert. Es wird gesprochen statt gehandelt. Wenn sich das nicht ändert, bleibt die Bewegung vor allem eines: weiß.


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