Читать книгу Schwertprinz - Jennifer Roberson - Страница 8

2

Оглавление

Leider bekamen wir niemals die Gelegenheit, jemanden zu töten. Weil sehr früh klar wurde, dass die Renegadas auf ihrem Schiff mit den blauen Segeln kein Interesse daran hatten, sich mit uns einzulassen. Uns bedrängen, ja. Sie trieben uns voran, wie man einen Hund hinter Schafen hertreibt. Aber sie kamen uns nicht nahe genug, um uns zu entern, was gewiss auch bedeutete, dass wir niemanden mit einem Schwert töten konnten.

Zumindest nicht sofort.

Zuerst trieben sie uns voran, und dann fielen sie zurück, als wollten sie unser Schiff weiteren Schändlichkeiten aussetzen. Aus einer gewissen Entfernung. Sie lagen dort draußen überheblich auf der Lauer, nachdem sie uns gezeigt hatten, dass sie uns leicht einholen konnten. Und taten doch nichts.

Warum sollte man immerhin Mühen darauf verschwenden, Beute zu stehlen, wenn sich die Beute törichterweise selbst vernichtete?

Da ich nicht sehr an Schiffe und Ozeane gewöhnt war, wusste ich nichts über die Gezeiten. Nichts darüber, wie wichtig der Tiefgang eines Schiffes war. Nichts darüber, dass Dinge unter der Wasseroberfläche lauern mochten, die die Arbeit der Renegadas übernehmen konnten.

Es dauerte nicht lange, bis ich es herausfand. Als der Kapitän und seine Crew den Plan begriffen, war es zu spät. Und ich erfuhr aus erster Hand einiges über Gezeiten und Tiefgang und all das, was unter dem Wasser lauerte.

Eines muss ich dem Kapitän zugute halten: Er versuchte, seinen Fehler wiedergutzumachen. Es ist keine schlechte Idee, eilig eine Insel anzusteuern, um dem Feind zu entkommen. Nur dass er entweder nichts von den Sandbänken wusste, was unwahrscheinlich schien, oder die Wasserrinne zwischen den Sandbänken nur gut genug zu kennen glaubte, um sie benutzen zu können. Weil ich herausfand, was passiert, wenn ein Ozeanschiff mit viel Tiefgang gegen eine Reihe von Sandbänken läuft, die, bei Flut, nicht das geringste bewirkt hätten.

Bei Ebbe taten sie es.

Vielleicht dachte unser Kapitän, das Schiff der Renegadas sei ein Schiff mit viel Tiefgang und würde auf Grund laufen. Es war keines, und es tat das nicht. Sie trieben uns einfach auf die Sandbänke, wo unser Schiff, obwohl unser Kapitän seiner Crew hektisch zu handeln befahl, in kleine Stücke zerbrach.

Bäume schwimmen gut, ja. Aber sie splittern, reißen, rammen, zertrümmern, zerquetschen und pfählen menschliche Haut auch gut.

Ich tat alles in meiner Macht Stehende, um nicht voller Splitter, zerrissen, gerammt oder sonstwie gepfählt zu werden. Dazu brauchte ich beide Hände, was bedeutete, dass ich das Schwert loslassen musste – selbst wenn jenseits der Sandbänke Renegadas lauerten. Del und ich duckten uns beide, rollten herum, sprangen auf, glitten aus, fluchten, rappelten uns wieder hoch und griffen nach Seilen und Balken. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Del mich daran erinnerte, dass ich nicht schwimmen konnte, was ich bereits wusste, und verkündete, sie könnte es, was ich ebenfalls bereits wusste, erkannte ich, dass noch jemand zu unserer Gruppe gehörte, der wahrscheinlich nicht besonders erfreut war, dass das Schiff unter seinen Füßen zerbrach. Auch wenn er vier davon besaß.

Del rief mir gerade zu, ich solle mich an einem großen Stück Holz festbinden, als ich mich abwandte und mich auf den Weg zu einem der großen Lukendeckel machte. Daraufhin fragte sie mich laut und ganz aufgeregt, was, zu den Hoolies, ich täte, woraufhin ich mit Schweigen antwortete. Mein Mund war voller Blut von einer frisch durchstoßenen Wange. Ich zog den großen Splitter heraus, warf ihn beiseite und griff nach dem Lukendeckel neben meinen Füßen.

»Tiger!«

Ich spie Blut und Holzstückchen aus, während ich den Lukendeckel aufzog. Wenn ich auf das erste Deck hinunter gelangen konnte, konnte ich den großen seitlichen Lukendeckel des Schiffes öffnen, denjenigen über der Wasserlinie, der, wenn er geöffnet wäre, auf Land aufliegen und so eine Rampe bilden würde. Wie wir den Hengst ursprünglich auch an Bord bekommen hatten. Die Stoffhülle über seinem Kopf hatte ihn etwas weniger scheu gemacht, und es war mir gelungen, ihn die Rampe hinauf und in den oberen Laderaum des Schiffes zu führen. Seile bildeten einen unsicheren ›Pferch‹, und er konnte auf Lagen von Stroh liegen. Ein Fass mit Wasser war an einen Balken gebunden, und ich teilte ihm die Vorräte an Gras und Getreide persönlich zu. Nach zwei Wochen hatte er tatsächlich nur noch gelegentlich getreten und gebissen.

»Geh nicht hinunter!«, rief Del. »Tiger ... du musst jetzt von diesem Schiff runter, dich an irgendetwas festbinden ...«

Wir waren nicht sehr weit von der Insel entfernt. Del konnte wahrscheinlich dorthin schwimmen, solange sie durch das auseinanderbrechende Schiff nicht verletzt wurde. Der Hengst ebenfalls –, aber nicht wenn er angebunden war. Und ich hatte ihn noch dazu gut angebunden: ein starres neues Halfter, ein dünnes geflochtenes, geknotetes Seil um seine Schnauze, damit er sich mit Sicherheit benahm, sowie zwei robuste Stücke dicken Seils, die ihn, über Kreuz an zwei Balken gebunden, hielten. Er würde nirgendwo hingehen ... was zunächst der Grundgedanke gewesen war. Doch dies war nicht das gewünschte Ende der Geschichte. Oder es wäre sein Ende.

Ich glitt und rutschte die Leiter hinab, mir unbehaglich der Tatsache bewusst, dass aus allen Richtungen Wasser eindrang. Ich hörte Rufe, Schreie und Gebete der gefangenen, gequetschten, gepfählten oder durch gähnende Löcher geschwemmten Seeleute. Es war recht erstaunlich, wie schnell ein Schiff in Stücke brechen konnte.

Und ein Körper übrigens auch.

»Tiger ...«

Ich schaute zurück und schüttelte mir das nasse Haar aus den Augen. Ich sah Del die Leiter herabsteigen. »Raus hier!«, schrie ich. »Geh schon. Ich bringe den Hengst raus ...« Ich spie erneut Blut. »Du kannst schwimmen ... spring ins Wasser!«

»Du wirst ertrinken«, rief sie zurück. »Oder er wird dich töten, wenn er freizubrechen versucht!«

Wasser strömte gegen meine Knie. Über das Schreien der Crew, das Brüllen des Wassers, die gefährliche Todesmelodie eines zerschlagenen Schiffes hinweg hörte ich das panische Hufeschlagen gegen nasses Holz und das schrille Schreien des verängstigten Hengstes. Ich glitt aus, wurde seitwärts geschwemmt, bekam etwas zu fassen und zog mich wieder hoch.

»Geh!«, schrie ich Del an.

Aber sie ist ebenfalls stur und nichts, was ich sagte, konnte sie dazu bewegen hinzugehen, wo sie nicht hingehen wollte. Im Augenblick schien es, als wollte sie mich nicht verlassen. Nett. Und ich wollte den Hengst nicht verlassen. Er könnte dennoch sterben, aber er würde, bei jedem Gott, den man nennen mag, nicht angebunden und hilflos sterben.

Doch das Schiff war jetzt zerfallen. Es herrschte kein Sturm: Blauer Himmel und Sonnenschein überstrahlten die Überreste des Schiffes unbarmherzig, sodass ich sehen konnte, wo unser Teil des Schiffes begann und abbrach. Jäh. Ein steifer Wind schob das Wrack gegen die Sandbänke, Teile davon auf die Insel zu und andere Teile aufs offene Meer. Große Teile blieben auf den Sandbänken hängen. Unseres gehörte dazu. Wenn es lange genug ruhte, dass ich den Hengst erreichen, ihn losbinden oder die Knoten durchschneiden konnte, die er zweifellos in ...

Ich ging zu Boden, als sich das Schiff verlagerte, auf der Sandbank entlangknirschte und – schabte. Ich hörte Dels Rufe, die Schreie des Hengstes. Ich rappelte mich wieder hoch, spie Wasser aus, schüttelte mir das durchtränkte Haar aus den Augen. Etwas stieß gegen meine Knie und bedrohte mein Gleichgewicht erneut. Ich schob den Leichnam fort, fluchte und arbeitete mich durch das ansteigende Wasser mühsam zu dem um sich tretenden Hengst vor.

Er zitterte, als ich ihn berührte. Ich spürte seine erhitzte Haut unter dem Leder. Er hatte Angst. Die Knoten waren, wie erwartet, unmöglich zu lösen, und ich hatte weder Messer noch Schwert bei mir.

»Halt durch«, murmelte ich. »Gib mir eine Chance ...«

Das Schiff drehte sich. Was über der Wasserlinie gewesen war, schien es jetzt nicht mehr zu sein. Ich kam hustend und um mich schlagend hoch, eine Hand in die wirre, hochstehende Mähne des Hengstes gekrallt. Er brauchte ebenso sehr einen Haarschnitt wie ich. Ich hielt mich mit dieser Hand fest. Mit der anderen griff ich über seine Schnauze hinweg zwischen seine Ohren und packte den Stirnriemen. »Kämpf nicht gegen mich an ...«

Was er aber natürlich tat und was es noch schwerer machte, und ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, das Halfter über beide Ohren zu ziehen. Als das jedoch vollbracht war, löste sich alles Übrige leicht. Ich zog den verknoteten Nasenriemen herab und warf das Halfter, das noch immer über Kreuz festgebunden war, beiseite. Jetzt schien nur eines wichtig.

Bis zum Oberschenkel reichendes Wasser machte es schwer, mich auf den Pferderücken zu schwingen, sodass ich es gar nicht erst versuchte. Ich ergriff nur borstige Strähnen der Mähne und kletterte bestmöglich hinauf, warf ein Bein über seinen Rücken. Er zuckte und zitterte unter mir, kämpfte gegen das ansteigende Wasser an, gegen die Enge, gegen den Gestank von Angst und Tod.

»... raus ...«, keuchte ich, während ich mich hochzog. Ich schlug ihm die Fersen in die Rippen und spürte, wie er einen Satz machte und gegen den Sog des Wassers ankämpfte. Ich beugte mich tief über seinen Hals, während er um Gleichgewicht und Freiheit focht, versuchte, meinem Kopf einen weiteren Stoß zu ersparen. »... raus ...«

Aber es war nicht leicht, heraus zu gelangen. Und als er sich seinen Weg durch die zerbrochenen Balken und Planken freibrach, betete ich mit aller Kraft, dass ihn nichts von unten aufspießen würde. Er war jetzt frei. Wir mussten nur noch aus dem Wrack heraus gelangen, von der Sandbank fort und auf die Insel zu.

Noch während ich mich auf dem Hengst festklammerte, schaute ich zur Leiter zurück. Dorthin, wo Del gewesen war ...

Gewesen war.

O Bascha ...

Der Hengst schwamm aus seinem Gefängnis heraus, während es von der Sandbank schlidderte und versank. Er scharrte an der Sandbank und brummte vor Anstrengung. Ich sah Bilder von abgeschürfter Haut und durchtrennten Sehnen ...

»Del ...?«

Wo, zu den Hoolies, war sie ...?

Die Sandbank schien trügerisch. Ich spürte, wie der Hengst unter mir einknickte, ausglitt und abrutschte. Ich spürte ihn untergehen, spürte das Feuer in meinem Bein aufbrechen. Ich glitt seitwärts herab, ließ aber seine Mähne nicht los, selbst als ich mit den Füßen in den Vertiefungen der Sandbank nach Halt suchte. Ich verlor meine Sandalen.

»... hoch ...«, drängte ich und versuchte, meinen Worten selbst Taten folgen zu lassen. Wenn wir von der Sandbank freikommen könnten, wieder ins offene Meer gelangen könnten ... »Lauf ...«, keuchte ich. »Weiter, du flohbefallener, hängeohriger ...« Ich spie einen Mund voll Salzwasser aus und sog Luft ein. »... dickköpfiger, dreimal verfluchter Sohn einer Salseziege ...« Ich benutzte die Sandbank zu dem Versuch, mich wieder auf seinen Rücken zu hieven. Schaffte es ein Stück ... und dann machte er einen Satz zur Seite, die Hufe glitten aus, scharrten. Etwas schlug mir gegen den Kopf, ließ meine Sicht verschwimmen. Ich schabte mir an der Sandbank weiter Haut ab. Dann kam der Hengst schließlich frei, stieß sich von dem trügerischen Halt wieder ins Wasser ab, schwamm unbelastet – auf mich zu. Aber wenn ich losließe ...

Egal.

Ich schwamm, so gut ich konnte, versuchte mein Gewicht oben zu halten, auch wenn mich der Hengst zog. Er schwamm in kräftigen Zügen, die Nase in die Luft gereckt. Ein Huf traf mein Knie, schabte Haut ab. Ich bekam den Kopf ausreichend lange über Wasser, um nach Luft zu schnappen.

»Wenn ich das überlebe«, belehrte ich ihn, »werde ich entweder niemals wieder an Bord eines Schiffes gehen ...« – Hoolies, das war das andere Knie – »... oder ich werde schwimmen lernen ...«

Aber im Augenblick schwamm er glücklicherweise für uns beide.

Ich drehte mich, spähte hin und wieder über die Schulter, suchte nach Delilah. Mein unmittelbarer Horizont war bestenfalls wechselhaft: Ich sah viele aufeinander folgende Wellen, hoch aufragende, unerkennbare Teile des Schiffes, treibende Fässer, mit Seilen zusammengebundene Holzblöcke. Und dahinter ein Schiff mit blauen Segeln, das jetzt wie ein Wüstenfalke heranschoss.

Es kam mir, noch während ich mich mit aller Kraft an den panischen Hengst klammerte, in den Sinn, dass die Renegadas nicht gewollt haben konnten, dass das Schiff so vollkommen zerbrach. Ich konnte ihre wahre Absicht erkennen: uns auf Grund laufen zu lassen und dann zu töten. Aber es war jetzt, da das Schiff zerbrochen war, gewiss fast unmöglich, noch irgendwelche der Waren, hinter denen sie vermutlich her waren, zu finden.

Andererseits hatten sie vielleicht nur nicht gewollt, dass das Schiff so vollständig zerbrechen sollte. Oder überhaupt. Vielleicht wollten sie es nur einholen und waren ebenso bestürzt über seinen schnellen Untergang wie wir.

Ich hörte Rufe. Ich wusste nicht, ob sie von Mitgliedern unserer eigenen Crew oder von den Renegadas kamen. Ich wusste nur, dass ich eine Ladung Salzwasser geschluckt und an der Sandbank einen oder zwei Streifen Haut zurückgelassen hatte. Aber ich lebte, und solange ich den Hengst nicht losließ, würde es so bleiben. Vorausgesetzt, dass er es bis zum Land schaffte.

Im nächsten Augenblick war ich nicht mehr so sicher, dass er es schaffen würde = oder dass ich es schaffen würde. Seine Hufe trafen auf etwas Festes, und er trat um sich. Ich rutschte mit einer Hand von seiner Mähne ab, als er ausschlug, den Kopf aufwarf und um sein Gleichgewicht rang. Meine Füße stießen gegen etwas Hartes und Raues. Jetzt musste ich um Gleichgewicht ringen. Unter uns befand sich Erde oder eine Sandbank oder irgendetwas. Es genügte, dass der Hengst alle vier Hufe darauf stellen konnte und dass ich ausgleiten und abrutschen und schließlich allen Halt verlieren konnte.

Bevor ich ein Wort hervorbrachte, bevor meine Füße wieder Halt fanden, sprang der Hengst von dem ab, worauf auch immer wir standen. Er war wieder im Wasser und schwamm so kräftig wie zuvor. Ich sah jenseits von ihm einen Streifen Land, eine Reihe dürrer, hoher, spitzer Bäume. Ich erkannte, dass er es schaffen würde. Er war nur noch zehn Pferdelängen davon entfernt. Aber ich andererseits, nun ...

Es gelang mir aufzustehen. Es war eine Sandbank, kein Land. Wasser schwappte um meine Knie. Der größte Teil meines Körpers befand sich jetzt darüber. Ich war nicht in Gefahr zu ertrinken – solange ich auf der Sandbank blieb.

Ein Körper trieb heran. Mein Herzschlag setzte aus, als ich das blonde Haar sah, dann aber erkannte, dass es einer der Seeleute war. Ich wandte mich um, versuchte, darüber hinweg zu sehen, versuchte, irgendetwas zu sehen, das vielleicht Del sein mochte. Dann traf mich ein schwimmendes Stück Holz und fegte mich von der Sandbank.

Ah, Hoolies ...

Ein Balken.

Ein schwimmender Balken.

Ich griff danach, bekam ihn zu fassen, klammerte mich mit allem daran, was ich hatte. Drängte mich noch näher heran, versuchte mich weit genug hinaufzuziehen, um teilweise aus dem Wasser zu gelangen. Er rollte, ruckte. Ich schluckte Meerwasser. Schließlich verschränkte ich meine Hände um ein Tauende und hielt mich fest, mit dem Bauch nach unten treibend. Solange ich den Balken felsenfest halten konnte, würde ich nicht untergehen, nicht ertrinken. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wo er oder ich landen würden. Meines Wissens würde er wieder aufs Meer hinaus treiben ... Also widmete ich mich der Aufgabe, das Geheimnis des Ausrichtens und Steuerns eines Holzbalkens, der vielleicht ein Teil des Schiffsmasts war, zu entdecken. Wenn ich so paddelte; wenn ich das Holz auf besondere Art ausrichtete und dann paddelte ... He. Vielleicht lernt man so schwimmen.

Unwahrscheinlich.

Wie auch immer – es endete damit, dass der Mast und ich dem Land schließlich näher waren als dem offenen Meer und ich eine lange Reihe atemloser Flüche ausstieß, als ich endlich Sand unter mir spürte, der nicht nur eine Sandbank bedeutete.

Das Wasser sog den Sand fast ebenso schnell unter meinen Füßen fort, wie ich darauf gelangt war. Ich stolperte, fing mich wieder, sprang vorwärts. Der Wind hatte das Wasser ausreichend aufgewühlt, dass mein Halt und Gleichgewicht trügerisch waren. Ich zog mich ganz aus dem Wasser und spürte den Sand unter meinen bloßen Füßen erneut entgleiten. Schließlich befreite ich mich aus den Wellen, konnte dem Ozean ganz entkommen und stolperte auf den festgetretenen nassen Sand des Strandes.

Ich wandte mich um, suchte nach Del, nach den Überresten unseres Schiffes: sah ein Schiff, jawohl, aber nicht unseres. Und Menschen, die über Bord in ein kleineres Boot kletterten. Mehrere deuteten auf die auseinander gebrochenen Schiffsteile. Auf das Land. Auf mich.

Würfele, Tiger. Lass sie dich einsammeln, dich an Bord eines schnellen, gepflegten Schiffes bringen, dir Nahrung und Rhuum geben, oder lauf wie die Hoolies davon.

Ich lief davon.

Irgendwann, nachdem ich in meiner Flucht innegehalten hatte, schlief ich ein. Oder wurde ohnmächtig. Oder Ähnliches. Ich erwachte erst, als eine Hand meine Schulter umfasste.

Ich stand taumelnd auf und beendete die Bewegung dann, indem ich – mit knirschenden Gelenken – aufsprang. Ich hatte keine Waffe, aber ich konnte eine Waffe sein.

Doch es war nicht nötig war. »Ich bin es«, sagte Del.

Sie war es. Lebendig und heil. Was mir die Freiheit gewährte, zornig zu sein. »Wo, zu den Hoolies, bist du gewesen?«

»Ich habe nach dir gesucht.« Sie hielt inne. »Offensichtlich dringlicher, als du nach mir gesucht hast.«

»Augenblick mal«, protestierte ich. »Ich hatte eigentlich nicht geplant, einzuschlafen. Das geschah, nachdem ich diesen Renegadas entkommen war« – und den halben Ozean erbrochen hatte, aber das sagte ich ihr nicht – »und ich herausfand, dass ich mich besser eine Weile flach hinlegen und dich dann suchen sollte.« Ich setzte mich wieder hin – und zuckte zusammen. In Wahrheit war ich von der Anstrengung, Land zu erreichen, so erschöpft gewesen, dass ich nicht mehr die Kraft besaß, etwas anderes zu tun als zusammenzubrechen. »Bist du in Ordnung? Nein. Du bist es nicht.« Ich runzelte die Stirn. »Was ist dir passiert, Bascha?«

Sie entzog mir ihren linken Arm, als ich die Hand danach ausstreckte. »Es ist nur ein Kratzer.«

Der Kratzer verlief ihren ganzen Arm von der Schulter bis zum Handgelenk herab. Der Ellbogen sah besonders schlimm aus, wie ein Stück übriggelassener Fleischabfall – für aasfressende Vögel. »Ein Riff?«

»Ein Riff«, bestätigte sie. »Ich glaube, wir haben dort hinten beide Haut gelassen.«

Jetzt, da sie es erwähnte, spürte ich Salz in verschiedenen Schnitten, Kratzern und Schürfwunden brennen. Ich war steif und wund und wenig geneigt, mich zu bewegen, und doch war Bewegung genau das, was wir brauchten. »Wasser«, sagte ich knapp. »Frisches Wasser. Wir müssen das Salz abwaschen und etwas trinken.« Meine Füße waren kaum noch zu gebrauchen. Ihre vermutlich ebenfalls nicht. »Hast du jemanden von den Renegadas gesehen?«

»Nicht seitdem ich wieder in Wald und Unterholz zurückgelangt bin.« Dels Haar hing in Strähnen herab, die von Salz starrten und trockneten. Über einer Augenbraue war ein flacher Schnitt zu sehen, und ihre Unterlippe war angeschwollen. »Ich glaube nicht, dass sie mich überhaupt gesehen haben. Sie sahen den Hengst, sahen dich ... Ich habe mich in der Hoffnung im Wasser treiben lassen, dass sie mich nicht bemerken würden. Als sie hinter dir und dem Kapitän herhetzten, ging ich an Land.«

»Der Kapitän lebt?«

»Zumindest als ich ihn sah.« Del beschattete ihre Augen und spähte den Weg zurück, den ich gekommen war. In Richtung Meer. »Wir könnten bis nach Sonnenuntergang warten.«

Ich knirschte mit den Zähnen. »Das könnten wir. Natürlich könnte ich bis dahin durch das Salz wahnsinnig werden.«

»Oder wir werden so starr, dass wir uns beide nicht mehr bewegen können«, stimmte sie mir zu und sah mich dann von der Seite an. »Es gibt dafür jedoch ein Gegenmittel. Und jetzt, da wir Platz haben ...«

Ich grinste. »Hoolies, Bascha, du suchst dir die ungelegensten Zeiten aus, um anschmiegsam zu werden!«

Del rümpfte die Nase. »Ich bin nicht ›anschmiegsam‹. Ich bin zu groß, um ›anschmiegsam‹ zu sein.«

Ich streckte die Hand aus und berührte sehr sanft den Kratzer an ihrem Arm. Del stieß einen Zischlaut aus und zog den Arm jäh zurück. »Und zu geschunden«, vermutete ich. »Zusätzlich zu dem Salz noch Sand? Nein danke.« Ich regte mich und wünschte augenblicklich, ich hätte es nicht getan. Ich zog die Beine unter mich. »In welche Richtung ist der Hengst verschwunden?«

»Dort entlang.« Sie deutete mit dem Kopf nach links. »Er ist kein Schiff, Tiger. Er kann uns wohl kaum übers Wasser nach Skandi befördern.«

»Aber er könnte uns zu einem Schiff bringen.« Ich stand ganz langsam auf und konnte einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken. »Autsch.«

»Du bist ganz klebrig«, stellte sie fest. »Ist das Blut? Tiger ...«

»Ich habe mich recht gut mit dem Riff bekannt gemacht. Mit mehreren Riffen.« Ich bewegte meine Schultern und wackelte mit den wunden Fingern. »Nur Schnitte und Kratzer, Bascha.« Ich streckte eine Hand aus. »Komm mit.«

Del ergriff die Hand, benutzte sie. Sie biss trotz meines sichtlichen Unbehagens die Zähne zusammen, doch ich erkannte es in der äußersten Bewegungslosigkeit ihrer Züge nur zu gut. Wie ich, war auch sie klebrig vor sickerndem Blut, Flüssigkeiten und Salz und mit cremefarbenem Sand überkrustet.

Ich sagte es für sie. »Autsch.«

Del sah mich an. »Dein armes Gesicht.«

»Mein Gesicht? Warum?« Ich betastete es. »Was stimmt mit meinem Gesicht nicht?«

»Zuerst die Krallenspuren des Sandtigers auf einer Wange, und dann dringt auch noch ein Splitter durch die andere.«

Das hatte ich vergessen. Kein Wunder, dass Wange und Mund schmerzten. Ich betastete die Wunde vorsichtig und befühlte sie von innen mit der Zunge. »Nun, ein weiterer Beitrag zur Legende«, sagte ich lässig. »Der Mann, der Angriffe von Sandtigern und Schiffbrüche überlebt.«

Sanft: »Aber natürlich würde der Jhihadi das tun.« Ich bedachte sie mit einem sehr düsteren Blick.

Del lächelte zufrieden. »Wollen wir also dein hergelaufenes Pferd jagen?«

»Du meinst das hergelaufene Pferd, das mich – fast – an Land gebracht und mir somit das Leben gerettet hat? Das Pferd?«

»Ich wiederhole nur, wie du ihn genannt hast.«

»Er hat uns vermutlich mit weitaus schlimmeren Bezeichnungen bedacht.«

»›Uns‹? Ich habe ihn nicht geritten.«

»Mich.«

»Schon besser.« Del strich sich eine Strähne sandverkrusteten Haars hinter ein Ohr. »Wasser – oder Pferd. Was zuerst?«

»Pferd. Er wird uns wahrscheinlich zum Wasser führen.«

Sie fragte rhetorisch: »Aber wird er trinken?«

Mit viel Zähneknirschen, aber ohne verbale Beschwerden bewegten wir uns langsam, ruhig, vorsichtig – und schmerzerfüllt – durch die Vegetation in die Richtung, in der Del den Hengst hatte verschwinden sehen.

Schwertprinz

Подняться наверх