Читать книгу Schwertprinz - Jennifer Roberson - Страница 9
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ОглавлениеWir fanden den Hengst. Wir fanden Wasser. Wir fanden, was notwendig war, um uns so gut wie möglich zu säubern, unsere Kleidung abzustreifen und das Salz sowohl vom Stoff als auch von der Haut abzuspülen, zu zittern und zu murren, Zischlaute auszustoßen und lebhaft zu fluchen, als wir verschiedene klebrige Kratzer, Schnitte und Wunden, sowie das Versprechen vieler Quetschungen an zu zahlreichen Stellen, um sie alle aufzuzählen, entdeckten. Ich zog meinen Lederdhoti wieder an, aber sonst war nach der Begegnung mit dem Riff nichts mehr zu retten. Ich war barfuß und ohne Hemd. Dels lange elfenbeinfarbene Ledertunika wies einige weiß abgescheuerte Stellen auf, blieb aber brauchbar. Sie wirkte nicht so zerschlagen wie ich, weil sie über das Riff hatte hinwegschwimmen können – nun, zumindest über den größten Teil des Riffs –, aber sie hatte einige hässliche Kratzer an den Beinen und an ihrem Arm.
Wie erwartet, waren unsere Fußsohlen am schlimmsten zerschnitten, weil wir beide unsere Sandalen verloren hatten. Del verzog vielsagend, wenn auch stumm das Gesicht, als sie ihre schmerzenden Füße ins Wasser tauchte.
Ich war schon draußen und untersuchte den Hengst. Seine Fesselgelenke waren geschwollen, die Knie schwitzten, von seinen unbeschlagenen Hufen fehlten Stücke und er verlagerte sein Gewicht auf drei, nicht auf vier Beine. »Gut, alter Mann – lass mich nachsehen ...«
Er wollte mich nicht nachsehen lassen. Er sagte es mir in der Pferdesprache: angelegte Ohren, ein peitschender Schweif, gebleckte Zähne, ein unbekümmertes seitliches Schnappen in meine Richtung.
Ich schlug ihm mit der flachen Hand auf die Nase und schimpfte über die Kränkung, und als er mich mit geweiteten Augen und betrübt ansah, beugte ich mich über den Vorderlauf. »Gib ihn her.« Ich wartete. »Gib ihn her.«
Er gab ihn mir schließlich, wenn auch unter Protest.
»...halt still ...« Sein Kopf war gefährlich nahe an meinem, aber ich ignorierte ihn und die zitternde Oberlippe. »Lass mich nur einmal nachsehen ... O Hoolies, Pferd! Sieh nur, was du dir zugezogen hast!« Kein Wunder, dass er nur drei Beine belastete. Er hatte sich die Sehne aufgeschnitten, das darunterliegende Innere stand v-förmig vom Huf ab.
»Was ist los?« Del wrang ihr Haar aus, das durchs Wasser zu Weizengold gedunkelt war. »Er hat sich geschnitten. Wahrscheinlich am Riff. Es wird wieder heilen, aber inzwischen kann er nicht geritten werden.«
»Wir befinden uns auf einer Insel, Tiger. Wir können ohnehin nicht allzu weit reiten.«
»Oder fortreiten«, murmelte ich, während ich sorgfältig nach weiteren Verletzungen des Hufes schaute. Er hatte zweifellos ebenfalls Quetschungen erlitten. Und hatte ebensolche Schmerzen und war ebenso erschöpft wie wir. Wobei noch weitaus mehr an ihm war, was schmerzen konnte. »Es wird Tage dauern, bis dies geheilt ist.«
»Vermutlich haben wir tagelang Zeit«, stellte Del ernst fest. »Wahrscheinlich sogar wochenlang und möglicherweise auch monatelang ...« Sie brach ab. »Was ist los?«
Ich schwieg. Ich konnte nichts sagen.
»Tiger?«
Ich stand über den Huf gebeugt. Ich weiß nicht, ob es das war, oder das zu viele frische Wasser nach dem Meerwasser, oder einfach die Reaktion darauf, fast ertrunken zu sein. Aber mein Magen beschloss in diesem Augenblick, dass ihm sein Inhalt nicht gefiel. Ich setzte den Huf ganz vorsichtig ab und richtete mich dann langsam auf. Anschließend beugte ich mich fast augenblicklich wieder hinab, sank auf Hände und Knie.
»Was ist los?«
»Unnngffu«, brachte ich nur hervor. Leider brachte mein Magen etwas völlig anderes hervor.
Del besaß das Taktgefühl zu warten, bis ich mit Erbrechen und Fluchen fertig war. Dann sagte sie höflich: »Danke, dass du das Wasserloch gemieden hast.«
Ich sah sie unheilvoll an und trat mit zwei Schritten an den Rand desselben. Dort kauerte ich mich elend auf schmerzende, stechende, vom Riff abgeschürfte Knie und wusch mir Mund und Gesicht.
Hände berührten meinen Kopf, strichen das Haar beiseite, um den Schädel zu betrachten. »Du hast ihn dir irgendwo angeschlagen«, sagte sie und betastete die Schwellung.
»Ich habe ihn mir an mehreren Irgendwos angeschlagen.« Am Schiff, am Hengst, am Riff. »Ich bin wahrscheinlich so verbeult wie eine schlechte Matratze – autsch!«
Sie rückte das nasse Haar wieder an seinen Platz. »Das erinnert mich daran, dass dir der Hengst in Iskandar gegen den Kopf getreten hat. Vor dem Schwerttanz. Es endete damit, dass ich für dich tanzen musste.«
Nun ja. Der Hengst hatte mich tatsächlich getreten. Gegen den Kopf. In Iskandar. Es hatte für mich zusätzlich damit geendet, dass ich obendrein noch, dank eines wohlmeinenden Freundes, zu viel Aqivi trank, und Del hatte tatsächlich den Tanz gegen Abbu Bensir für mich bestritten, bevor sie unterbrochen wurden. Aber es war noch mehr daran gewesen als nur das. Es war Magie im Spiel gewesen.
»Du weißt ...« Aber ich brach ab. Niemand wusste besser als ich, wie sich eine ans Rückgrat gehaltene Klingenspitze anfühlt. »Es ist es nicht wert«, belehrte ich sie und spürte, wie sie sich neben mir anspannte. Und es war es nicht wert. Wir waren zu steif, zu zerschlagen, zu langsam, abgesehen davon, dass wir unbewaffnet waren. Sie würden uns niedermetzeln, bevor wir uns auch nur umgewandt hätten.
Del murmelte etwas Knappes in der Hochlandsprache. Der Hengst fügte dem ein feindseliges, Feuchtigkeit erzeugendes Schnauben hinzu und hinkte dann einige Schritte fort.
Nun, es war immerhin ein Pferd. Kein Wachhund.
Eine große Hand berührte mich, ein starrer Finger stieß mich an – und mit einem erstickten Überraschungslaut erbrach ich erneut. Nur dass nichts mehr zum Erbrechen da war, sodass ich nur würgte.
Was alle anderen außer mir amüsierte. Und vielleicht außer Del.
Jemand schlug mich so auf den Hinterkopf, wie ich den Hengst schlug, wenn er eigenwillig war. »Dieser Narr ist kein Seemann!« Zwischen weiterem Lachen.
Nun, nein, das war ich nicht. Aber andererseits hatte ich das auch niemals behauptet. Ich schwankte auf den Knien und einem aufgestützten Arm und hegte in meinem misshandelten Kopf sehr unfreundliche und unfeine Gedanken.
»Vielleicht hat dich etwas gestochen«, bemerkte Del. »Vielleicht etwas am Riff? Wer weiß, welche Lebewesen in diesen Rissen und Spalten lauern. Oder vielleicht etwas im Wasser selbst.«
Ich konnte mir viele andere Dinge außer dem vorstellen, was mir Übelkeit verursachte, über die wir hätten reden können. Es gelang mir, ihr einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, und dann spürte ich den markigen Hieb eines Schwertes gegen meine Rippen. Ich zuckte zusammen, als es auf mein wulstiges Narbengewebe auftraf. Zu meinem Glück wurde der Hieb mit der flachen Seite der Klinge ausgeführt.
»Sehen Sie her.« Dieselbe Stimme wie zuvor. »Sehen Sie her, Sie Narr!«
»Ich glaube, du solltest es besser tun«, schlug Del nach einem weiteren Klingenschlag vor. »Sie ansehen, meine ich.«
Ich tat es in gewisser Weise. Ich setzte mich auf die Fersen zurück, ließ sie sehen, dass ich unbewaffnet war – was sie wahrscheinlich bereits wussten, aber es schadet niemals, solche lebenswichtigen Einzelheiten zu betonen – und wandte meinen Körper dann weit genug um, um sie hinter uns aufgereiht stehen zu sehen.
»Oh. Nur sechs«, entgegnete ich mit sorgfältig verhüllter Verachtung.
»Vier mehr als Sie«, sagte der nächststehende Mann und schlug mir mit einer breiten Handfläche auf den Kopf, als wäre ich ein auf Abwege geratenes Kind.
»Ihm wird wieder schlecht werden«, warnte Del, während ich fest die Zähne zusammenbiss. Was unter den sechs Renegadas zusätzliche Leichtfertigkeit bewirkte.
»Vielleicht später«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, entschlossen, meinem störrischen Magen Selbstbeherrschung aufzuerlegen. »Hoolies, Bascha – musst du so verflucht hilfreich sein?«
»Ich dachte nur ...« Und dann lag ein Schwert an ihrer Kehle. Stahl blitzte auf, helles Haar wurde bewegt – und eine Locke fiel herab. Das war eine hübsche Warnung. Es war ein scharfes Schwert.
»Nein«, sagte jemand. Die Stimme einer Frau, mit Akzent, aber verständlich. »Sie werden uns nicht mit törichtem Gerede ablenken.« Sie hielt inne. »Selbst wenn Sie Narren sind.«
Oh, danke.
»Wir sind keine Narren«, fuhr sie fort. »Sie sollten ganz still sitzen, ganz ruhig, und zu welchen Göttern und Göttinnen auch immer Sie beten, dass wir nicht die Geduld verlieren. Damit Sie nicht Ihr Leben verlieren.«
Ich betrachtete sie, bemerkte Schwerter, Dolche, Haltungen, Mienen. Sechs. Fünf Männer, alle recht groß, alle in recht guter Verfassung, alle ausgewogen und bereit, augenblicklich zu handeln. Eine Frau, die nicht so groß – tatsächlich war sie eher klein –, aber ebenso bewaffnet, in ebenso guter Verfassung, ebenso ausgewogen und ebenso bereit schien.
Und es bestand auch überhaupt kein Zweifel daran, dass sie eine Frau war. Nicht in dieser Kleidung. Nicht mit diesem Körper. Ich blinzelte, war beeindruckt.
»Nein«, sagte der Mann und schlug mich schon wieder.
Mich dreimal zu schlagen, war mehr, als ich irgendjemandem zugestand, wenn ich die Wahl hatte. Also duckte ich mich, rollte mich herum und sprang mit einem seiner Knöchel in meinen Händen auf. Ich drehte mich, riss das Bein hoch, wich dem unkontrollierten Streich seines Schwertes aus, drehte den Knöchel in sich und warf den Mann um.
Natürlich unterbanden sie das alles recht schnell. Jemand warf Del mit dem Gesicht in den Sand und setzte sich auf sie, eine Hand mit mächtigem Griff in ihrem Haar verschränkt, während er mit der anderen Hand ganz beiläufig die Dolchklinge seitlich an ihren Hals anlegte. Drei weitere Männer landeten auf mir. Als wir das alles geklärt hatten, war ich wieder sand- und grasbedeckt, und mein Magen rebellierte erneut. Ich fand mich – erneut – auf Knien wieder, während zwei der größeren Männer mit einer Hand meine Handgelenke ergriffen und mir fast die Arme ausrissen, wobei sie ihre Klingen locker, aber eifrig auf sandbestäubten Rippen, Muskeln und Narbengewebe ausbalancierten, das jetzt waschbrettartig starr hervorstand, da mich die Renegadas streckten, als wäre ich eine in der Sonne zu trocknende Haut.
Del, die mit dem Gesicht nach unten ausgebreitet dalag, gelang es, den Kopf in meine Richtung zu drehen. Langsam. Vorsichtig, um keine Reaktionen auszulösen. Sie spie Sand und einen Grashalm aus. »Ein gekonnter Zug«, bemerkte sie knapp. »Verzeih mir, wenn ich dir nicht danke.«
»Er hatte es verdient.« Ich lächelte den großen, sonnengebräunten Mann, der fluchend und einen verdrehten Knöchel reibend im Sand saß, huldvoll an. Er sprach, genau wie die Frau, mit Akzent. Keiner der übrigen hatte bis jetzt gesprochen. Ich bemerkte zum ersten Mal, dass der Mann kahlköpfig war oder seinen Kopf geschoren hatte. Und auch, dass sein Kopf tätowiert war. »Und tun Sie es nicht wieder.«
Er wölbte ungläubig eine Augenbraue. Die Frau brach in Gelächter aus. Sie trug, wie die übrigen, ein Schwert. Sie war, wie die übrigen, sonnengebräunt und von Wind, Salz und Sonne gezeichnet. Ihr Haar, zu einem wirren, halbwegs geflochtenen Pferdeschwanz zurückgenommen, war flammend rot. Die darunterliegenden, zu den Augenbrauen passenden Augen waren haselnussbraun. Und jedes Fleckchen sichtbarer Haut an Gesicht, Armen und Beinen war dicht mit Sommersprossen übersät.
»Lieber nicht«, sagte sie zu dem tätowierten Mann. »Dieser Narr ist ein gefährlicher Narr.«
»Mit schwachem Magen«, grollte er.
Nun ... ja.
Del fragte mit auf den Boden gepresster Wange: »Haben Jhihadis schwache Mägen?«
»Ich bin froh, dass sich hier jedermann auf meine Kosten so gut amüsiert«, beklagte ich mich. »Und was, zu den Hoolies, wollen Sie überhaupt? Wie Sie aus dem Zustand dessen, was von unserer Kleidung übriggeblieben ist, ersehen können, sind wir nicht gerade mit Geld gesegnet. Oder mit Edelsteinen. Oder auch nur mit Waffen.« Ich betrachtete die Frau. »Und wie haben Sie uns überhaupt gefunden? Wir haben keine Spuren hinterlassen.« Wir waren in diesem Punkt in der Tat sehr umsichtig vorgegangen. Wir waren so bald wie möglich von Sand auf Gras übergewechselt und hatten uns eher bedächtig als sorglos vorwärtsbewegt.
Die rothaarige Frau grinste, wodurch sich ihre sonnengegerbte Haut bis zu den Augenwinkeln kräuselte. Ihre Zähne standen schief. »Es gibt nur einen Platz mit gutem Wasser«, sagte sie einfach. »Wir wussten, dass alle anderen Überlebenden hierher kommen würden. Also segelten wir um die Insel herum, gingen von Bord und warteten.« Sie warf Del einen belustigten Blick zu. »Und dann kamen Sie, und hier sind wir nun. Um diesen Tanz zu tanzen.«
Sie meinte nicht diese Art von Tanz, obwohl es mir genauso recht gewesen wäre. Weil ich dann ein Schwert gehabt hätte. Aber vorläufig konzentrierte ich mich auf etwas, das sie gesagt hatte. »Andere Oberlebende?«
Sie reckte das Kinn. »Der Mann, der uns verflucht und um sein verlorenes Schiff geweint hat.«
»Ah. Der Kapitän.« Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf Del. »Sie können sie loslassen, bevor der dicke Mann sie erstickt.« Der größte Teil des fleischigen Gewichts auf Dels Rückgrat bestand anscheinend aus Muskeln, nicht aus Fett, aber eine Beleidigung ist es, ungeachtet der Wahrheit, immer wert, eingesetzt zu werden. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns irgendwohin geht.«
»Aber das tun Sie«, sagte die Frau leichthin. »Sie gehen an Bord unseres Schiffes.«
»Vielen Dank, aber das würde ich lieber nicht tun. Das letzte Schiff, auf dem ich gewesen bin, sank.«
Der Mann, den ich umgeworfen hatte, erhob sich. Er probierte seinen verletzten Knöchel aus, warf mir unter bronzebraunen Brauen – die weder rasiert noch tätowiert, aber, wie ich mit widerwilliger Faszination bemerkte, von mehreren Silberringen durchbohrt waren – einen feindseligen Blick aus grünen Augen zu und sah dann die Frau finster an. »Nun?«
Sie dachte über ihn nach. Sie dachte über mich nach. »Ja. Er ist fast so groß wie Sie. Es wird einfacher sein.«
»Gut.« Der Mann tat drei Schritte über den Sand und boxte mir mit einer geballten Faust seitlich gegen das Kinn. »Ach du meine Güte«, rief er mit gespieltem Entsetzen, »ich habe es schon wieder getan!«
Du Narr, dachte ich, wobei ich mir nicht so ganz sicher war, ob ich ihn oder mich damit meinte – und dann versank die Welt.
Ich kam zu mir und wurde mir bewusst, dass wir uns wieder auf einem Schiff befanden, weil ich nach zwei Wochen an das Schlingern gewöhnt war. Ich lag mit geschlossenen Augen und fest zusammengepressten Zähnen da und bat meinen Körper zaghaft um irgendeine Zusicherung, dass er überleben würde.
Er würde überleben. Selbst mein Magen. Für etwas Neues.
Das Schiff roch anders. Fühlte sich anders an. Bewegte sich mit einer Anmut und Sparsamkeit, die mich an Abbu Bensir erinnerte, einen Schwerttänzer von einigem Ruf, der kleiner als ich und schnell und sehr, sehr geschickt war. Ein Mann, dem ich zuletzt in einem Kreis in Aladars Palast begegnet war, der der Palast von Aladars Tochter wurde, als ich jeden Eid gebrochen hatte, den ich jemals geleistet hatte, jeden Kodex eines Alimat-Schülers, Schwerttänzer des siebten Grades, und etwas anderes geworden war, als ich lange Zeit gewesen war.
Abbu und ich hatten nichts entschieden. Er hielt sich noch immer für den Besten. Und ich hielt mich für den Besten. Und jetzt würde dieser Wettstreit niemals entschieden werden, weil ich niemals gegen ihn tanzen könnte, um ihn zu entscheiden. Nicht wirklich. Nicht wo es zählte. Weil er seine Ausbildung, sein Schwert, seine Ehre niemals entweihen würde, indem er eine Herausforderung annahm, noch würde er eine Herausforderung aussprechen.
Natürlich war in diesem besonderen Augenblick nichts von alledem wichtig, weil meine Zukunft vielleicht nicht über diesen Tag hinausreichte.
»Bist du da?«, krächzte ich.
Ich hörte eine Bewegung und scharf eingesogenen Atem. Dann: »Wo sollte ich sonst sein?«
Ah. Sie lebte. Ich öffnete zuerst ein Augenlid und dann das andere. Rollte meinen Kopf auf dem Deck herum, um sie ansehen zu können. Sie saß gegenüber der Stelle einer winzigen Kabine, wo ich ausgestreckt auf dem Rücken lag, das Rückgrat an die Wand gelehnt. Es gab Kojen, keine Hängematten, nicht einmal eine Decke. Kein Wunder, dass meine Knochen schmerzten.
»Wie lange?«
»Nicht lange. Sie haben dich an Bord geschleppt, dich hier hineingeworfen, den Anker gelichtet, und dann sind wir davongesegelt.«
»Ist die Tür verriegelt?«
»Nein.«
»Nein?« Ich sah sie finster ungläubig an. »Was, zu den Hoolies, tust du dann hier drinnen?«
Del lächelte. »Ich habe darauf gewartet, dass du aufwachst.«
Ich führte eine Hand an meinen Kiefer und bewegte ihn kräftig. Ich konnte noch immer kauen, wenn auch nur vorsichtig – solange sie sich die Mühe machten, uns etwas zu essen zu geben. Ich unternahm den Versuch, mich aufzusetzen, und es gelang mir mit gedämpften Selbstermahnungen und Bemerkungen des Inhalts, dass ich für alles das zu alt wurde.
»Nun ja«, stimmte Del mir zu.
Ich richtete mich ruckartig auf. »Der Hengst!«
Sie machte mit dem Daumen eine Geste. »Dort hinten.«
Ich kratzte über sandverkrustete Stoppeln und Narben. »Wie haben sie ihn an Bord bekommen? Ich hätte gedacht, dass er niemals wieder auch nur in die Nähe eines Schiffes gehen würde ...«
»Das haben sie nicht. ›Dort hinten‹ bedeutet ... dort hinten. Auf der Insel.«
»Sie haben ihn dort zurückgelassen?«
Del nickte ernst.
»O Hoolies ...« Die Vorstellung gefiel mir überhaupt nicht. Armes altes Pferd, armes altes lahmes Pferd, armes altes lahmes und zerschlagenes Pferd, das auf einer Insel allein zurückgelassen worden war ...
»Mit frischem Wasser«, sagte Del, »und Gras.«
Sie hatte ihn noch nie sehr gemocht. »Wage es nicht, mir zu erzählen ...«
»... dass es ihm gut gehen wird«, beendete sie meinen Satz. »Gut. Das werde ich nicht. Aber es wird ihm gut gehen.«
»Wir müssen dorthin zurückkehren und ihn suchen«, sagte ich düster. Dann sah ich sie stirnrunzelnd an. »Geht es dir gut? Haben sie dir etwas getan?«
Dels Miene wirkte seltsam belustigt, aber sie äußerte sich nicht dazu. »Es geht mir gut. Nein, sie haben mir nichts getan.«
»Hat irgendeiner dieser Männer ...«
»Nein, haben sie nicht.«
»Hat irgendeiner der sich hier an Bord des Schiffes befindenden Männer ...«
»Nein, haben sie nicht.« Del wölbte die hellen Augenbrauen. »Sie haben uns hauptsächlich einfach ignoriert.«
»Niemand ignoriert dich, Bascha.« Ich versuchte lange, die Steifheit meiner Wirbelsäule zu lockern, und zuckte zusammen, als die trocknenden Kratzer protestierten. Und Del hatte auch ihren Anteil daran. »Was macht dein Arm?«
»Schmerzt.«
»Und alles andere?«
»Schmerzt.«
»Zu sehr, um ein Schwert zu führen?«
»Wenn ich eines hätte, könnte ich es führen.«
Wenn sie eines hätte. Wenn ich eines hätte. Aber wir hatten beide keines. »Nun, jetzt kannst du vermutlich behaupten, dass dich zum ersten Mal in deinem Leben ein Mann ernst genommen hat.«
Daraufhin runzelte sie die Stirn. »Warum?«
»Weil sich dieser dicke Mann in dem Augenblick, in dem ich handelte, auf dich geworfen hat. Niemand wollte dir die Gelegenheit lassen, dich zu verteidigen.« Ich lächelte selbstgefällig. »Wie ist es, wie ein Mann behandelt, anstatt als unbedrohlich abgetan zu werden?«
»In diesem Fall«, erklärte sie, »ist es ärgerlich.«
»Ärgerlich?«
»Ja, denn wenn sie mich in dem Glauben, ich sei unfähig, mich selbst oder dich zu verteidigen – weil ich eine Frau bin – nicht beachtet hätten, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, etwas zu tun.« Sie legte ihr Kinn auf die angezogenen Knie. »Ich glaube, es hat mit der Tatsache zu tun, dass ihr Kapitän eine Frau ist.«
»Sie ist ihr Kapitän?«
»Eine Südbewohnerin«, murmelte Del verächtlich. »Da hast du's wieder. Und ich dachte, ich hätte dir das abgewöhnt.«
Gefährlicher Boden. Ich zog mich sofort zurück. »Nun, sagten sie etwas darüber, warum sie uns mitgenommen haben?«
Dels Augen glitzerten. Sie wusste, wie und warum ich das Thema so rasch wechselte. »Noch nicht.«
»Nun, wir sind nicht gefesselt, und die Tür ist nicht verriegelt – was sagst du also dazu, wenn wir jemanden suchen gehen und nachfragen?«
»Führe mich, o Messias.«
Der Messias übernahm die Führung. Zögernd.
Die rothaarige Frau war tatsächlich der Kapitän dieses Schiffes. Sie erklärte diese Tatsache kurz. Und sie erklärte ausführlicher, wenn auch barsch, dass es, auch wenn wir vielleicht etwas anderes annahmen, vollkommen zulässig war, wenn Del oder ich einen Versuch unternahmen, sie oder ihren Ersten Offizier – bei diesen Worten deutete sie auf den Mann mit dem geschorenen Kopf, den Ringen in den Augenbrauen und den Tätowierungen, der wenige Schritte entfernt stand und mich anlächelte – oder andere Mitglieder ihrer Crew zu töten, weil, wie sie schnell aufzählte: erstens, sie zu sterben verdienten, wenn wir gut genug wären, sie zu töten; zweitens, sie uns einfach außenbords werfen würden, wenn wir es versuchten und scheiterten; und drittens – wo würden wir hingehen, wenn es uns entgegen allen Umständen und Wahrscheinlichkeiten tatsächlich irgendwie gelänge, jeden einzelnen von ihnen zu töten?
Der erste Punkt ärgerte mich, weil er voraussetzte, dass wir nicht gut genug wären, jemanden von ihnen zu töten. Der zweite Teil fand wenig Anklang bei einem Mann, der nicht schwimmen konnte und jetzt auch kein Pferd mehr besaß, das es für ihn tun konnte. Der dritte Punkt bedrückte eben jenen Mann, weil sie vollkommen recht hatte: Del und ich konnten dieses Schiff nicht segeln. Und wenn wir nicht jeden an Bord töteten, wenn wir erst ihren Kapitän getötet hätten, bekämen wir nicht einmal eine Chance zu versuchen, dieses Schiff zu segeln.
Mir kam eine Idee. Ich vermied es sehr sorgfältig, zu Del zu schauen.
Die Frau bemerkte dies, sah, dass auch Del mich nicht ansah, und lachte. »Darum ist er in einer verriegelten Kajüte angekettet«, sagte sie mit breitem Grinsen.
Jetzt wechselten Del und ich Blicke, da es nicht mehr wichtig war. So viel zum Kapitän unseres früheren Schiffes, der uns wahrscheinlich hätte erklären können, wie man dieses segelte. Wenn wir zuerst alle töteten, angefangen mit diesem Kapitän und ihrem lebhaften Ersten Offizier?
»Ihr könntet vermutlich versuchen, ihn herauszubekommen«, sagte die Frau nachdenklich, »aber wir würden ihn sofort töten, was ihn zweifellos erzürnen würde, und wo wärt ihr dann?«
»Wo sind wir überhaupt?«, fragte ich verärgert. Sie nahm nichts von alledem hier ernst.
»Oh, mit dem Schiff ungefähr fünf Tage von Skandi entfernt«, antwortete sie. »Und noch weiter von dem Ort entfernt, wo Sie vielleicht herkommen.« Das stimmte. »Und jetzt zum Geschäft: Wer auf dieser Welt würde für Ihr Leben Geld bezahlen?«
Del und ich deuteten prompt aufeinander.
»Nein, nein«, erklärte die Frau barsch, »das ist unannehmbar. Sie können nicht ihr Lösegeld zahlen«, sagte sie an mich gewandt, »weil Sie nichts haben, womit Sie bezahlen könnten. Und sie kann nicht Ihr Lösegeld zahlen« – ein Blick zu Del – »weil sie auch nichts hat.« Sie wölbte die kupferfarbenen Augenbrauen und deutete aufs Meer jenseits der Reling. »Soll ich euch also von Bord werfen lassen?«
»Wie wäre es, wenn Sie das nicht täten?«, konterte ich, dem entschieden daran gelegen war, an Deck zu bleiben.
»Warum nicht?« Die Frau liebte melodramatische Verwirrungen. »Sie haben kein Geld, Sie haben niemanden außer sich selbst, der Ihr Leben erkaufen könnte – und Sie sind als Seeleute niemandem von Nutzen.« Sie hielt inne. »Was würden Sie mit sich machen?«
Der tätowierte Seemann brummte. »Soll ich es Ihnen sagen, Kapitän?«
»Wie geht es Ihrem Knöchel?«, fragte ich mit Nachdruck.
»Wie geht es Ihrem Kiefer?«, fragte er zurück.
»Wie die Kinder«, murrte Del zutiefst angewidert, was dem – weiblichen – Kapitän ein erfreutes Grinsen entlockte.
»Nein, ich will, dass Sie es mir sagen.« Sie stand fest auf dem Deck, während das Schiff über vom Wind aufgepeitschte Wogen glitt, wobei ihr dichter Haarzopf über eine zarte Schulter peitschte. »Wenn Sie es können.«
»Gewiss fällt mir etwas ein«, sagte ich rasch. »Letztlich.«
»Nun, wenn es soweit ist, dann kommen Sie wieder zu mir.« Die Frau machte eine beredte Handbewegung. »Und jetzt gehen Sie spielen.«