Читать книгу Kein Drummer zum Küssen - Jennifer Schreiner - Страница 10
1 – Arbeitsbedingungen
ОглавлениеSeltsamerweise war ich aufgeregt. Nicht so sehr auf das Treffen mit einem waschechten Rockstar, sondern auf das mit meiner Kollegin Niobe. Was aber auch daran liegen konnte, dass besagtes Treffen kurz vor dem Date mit dem Star stattfand, damit wir uns bereits in der VIP-Lounge des Flughafens auf eine vernünftige Linie einigen konnten.
Wenn ich schon mit einer hyper-dominanten Diva zusammenarbeiten musste, wollte ich sie vorher dahingehend einnorden, dass es bei den Sessions um Schönheit ging und nicht so sehr um Schmerz. Ich wollte Jacob zur Hingabe an die Kunst bewegen, nicht mich selbst in einem Strudel von Lust und sinnlichen Versuchungen wiederfinden.
Schließlich war ich nicht von Walt Disney großgezogen worden und kannte Niobes Schwachpunkte beinahe so gut wie meine eigenen. Sie konnte einer Herausforderung nicht widerstehen, und ich wurde schwach, wenn jemand kreativ war und meinen Sinn für Vollkommenheit teilte.
Vielleicht war auch das der Grund, warum mich Niobes Anblick, als sie in die beinahe leere kleine Aufenthaltshalle schwebte, wie immer ein wenig aus der Fassung brachte. Ihre langen, schwarzglänzenden Haare, ihre Haut, die an einen guten Milchkaffee denken ließ, und ihr perfektes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den mandelförmigen Augen genau wie ihre hervorragende Figur, ließen mich jedes Mal an die junge Naomi Campbell denken – abgesehen natürlich von der Hautfarbe. Genau wie ihr stolzes Auftreten, das sie wie eine ägyptische Göttin aus vergangenen Zeiten wirken ließ. Wenn man auch nur ein winziges bisschen devot war, war man verloren. Man wollte vor ihr niederknien und ihre Füße küssen – wahlweise auch ihre Schuhe, auch wenn ich lieber Haut unter meinen Lippen spürte.
Selbst jetzt fühlte ich den Drang vor ihr zu knien, obwohl ich doch der Boss des Auftrags war.
»Hallo, Kleine!« Niobes Lächeln, mit dem sie ihren Koffer abstellte, war echt. Sekunden später küsste sie mich auf den Mund. »Ich freue mich, dass wir zusammen spielen.«
»Du weißt, dass ich nicht auf Frauen stehe?«, erkundigte ich mich, ein wenig perplex ob dieser Begrüßung.
Zum Glück schien Niobe kein Problem mit dieser Abfuhr zu haben, sondern meinte belustigt: »An was hast du denn sonst so gedacht?«
Ich reichte ihr den Zettel, auf dem ich kurz zuvor meinen extra für die Woche gebuchten Lieblingsort und einige meiner Lieblingsspiele skizziert hatte – und die, die ich schon immer hatte ausprobieren wollen.
Die glutäugige Schönheit überflog die Notizen und nickte schließlich anerkennend. »Ich hoffe, ich bekomme das hin!«
Ihr Tonfall war so besorgt, dass er mich wider besseren Wissens rührte. Anscheinend passten wir doch ganz gut zusammen und konnten uns gegenseitig unterstützen und vor Fehlern oder Versäumnissen bewahren. Etwas, was allerdings ohne Wissen des Kunden stattfinden musste, um unsere Autorität nicht zu untergraben oder den Fluss des Spieles zu gefährden.
»Kannst du noch Gebärdensprache?«, fragte ich, ohne Worte zu benutzen. Eine der wenigen Leidenschaften, die wir beide miteinander teilten: Ich, weil mich diese Möglichkeit der Kommunikation schon immer fasziniert hatte, und Niobe, weil ihre Mutter gehörlos war.
»Ja«, antwortete Niobe nach einer kurzen Pause, in der man ihr ihre Überraschung ansehen konnte.
»Dann werden wir uns so verständigen«, beschloss ich. Die Chancen, dass ein Rockmusiker mehrere Sprachen konnte, war deutlich höher, als die Wahrscheinlichkeit, durch haptische Zeichen aufzufallen.
Niobe starrte mich an. Sie schien immer noch verwirrt zu sein, weswegen ich mich genötigt sah, sie vollständig in meinen Plan einzuweihen. Und je mehr ich sprach, desto deutlicher konnte ich sehen, wie ihre Unsicherheit verflog. Schließlich zog sie mich in eine Umarmung und drückte mich kurz aber herzhaft. »Danke.«
»Wofür?«
»Ich hatte ein wenig Sorge, ob es klappt, weil ich mehr das Mädchen fürs Grobe bin und normalerweise nur extrem devote Männer übernehme, die wissen, auf was sie sich bei mir einlassen.« Sie strich mir über die Wange. »Aber so bleibst du die kleine, devote Unschuld, obwohl du mich leitest.«
Jetzt war ich diejenige, die starrte. Wer hätte gedacht, dass auch so eine wunderschöne, dominante Frau wie Niobe so etwas wie Selbstzweifel kannte und sich selbst hinterfragte? Unwillkürlich musste ich grinsen und ertappte mich bei dem Gedanken, dass dieses Experiment vielleicht doch interessant und ein klitzekleines bisschen erfreulich werden konnte. Zumindest dachte ich das, bis ich »das Tier« auf uns zuschlendern sah. Seine struppigen Haare waren zu lang, sein Bart zu voll und seine zerrissene, graue Kleidung schien noch nie eine Waschmaschine gesehen zu haben. Trotzdem wirkte er lässig und gefährlich und kein bisschen erfreut.
Meine ohnehin schlechte Laune sank ins Grenzenlose, während ich auf die beiden wartenden Frauen zuging, die ganz offensichtlich vom Escort-Service kamen. Entweder das, oder sie waren »Golddigger«, High-Class-Groupies, die für Aufmerksamkeit und die Aussicht auf eine feste Bindung mit einem Star alles tun würden.
Einschließlich sich von einem Escort-Service anheuern zu lassen, dachte eine fiese Stimme in meinem Inneren.
In letzter Zeit war ich immer häufiger dieser Sorte Frau begegnet und mal abgesehen davon, dass ich ohnehin die Nase voll hatte von Vertrauen und Kontrolle und eher lästigen SM-Spielchen, bei denen ich mich nicht wirklich fallenlassen konnte, hatte ich auch jetzt keine große Lust, mich auf neue Bekanntschaften einzulassen.
Stumm verfluchte ich meinen besten Freund Alex Roth, seines Zeichens Sänger, weil er mich überredet hatte, es noch einmal mit dem Office-Escort zu versuchen. Nicht weil er Recht hatte und auch die bezaubernde Trish, die er mir vor der Nase weggeschnappt hatte, eine von diesen SM-Profis war, sondern weil die eine wirkte wie eine Domina-out-of-Hell und die andere wie eine blutige Anfängerin, beziehungsweise in diesem Zusammenhang wie eine bunt gekleidete, softe Prinzessin. Eine Regenbogen-Barbie.
Ich setzte ein Lächeln auf, obwohl ich überlegte, die beiden sofort in die Wüste zu schicken, um Alex zu ärgern. Schließlich hatte ich auch nur eine Begleiterin gewollt, nicht zwei und … mir kam ein Gedanke, der mich fast dazu gebracht hätte, mir mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen: Trish! Natürlich! Sie musste sich eingemischt und irgendetwas arrangiert haben.
Mein Blick glitt von der Blonden zur Dunkelhaarigen und ich schwankte zwischen Belustigung und Verärgerung. Hatte ich es so nötig? Wirkte ich wie jemand, der auf Teufel komm raus gerettet werden musste?
Fast hätte ich abfällig geschnaubt. Keine der beiden wirkte wie jemand, der meine Träume erfüllen konnte oder überhaupt bereit war, es zu versuchen. Trotzdem gelang es mir, ein tiefes Seufzen zu unterdrücken, als ich zu ihnen trat und mich vorstellte.
»Das ist Ava Courtney«, stellte die ägyptische Schönheit ihre Kollegin vor, bevor sie mir ihre Hand reichte. »Ich bin Niobe.«
Ihr Händedruck war warm und nur ein wenig zu fest. So als bemühte sie sich, nicht noch dominanter zu wirken, als es ohnehin der Fall war. Sie war unbestreitbar schön, aber es war die Makellosigkeit der anderen, die mich ärgerte.
»Sie sieht aus wie Barbie«, urteilte ich über den Kopf der Blonden hinweg und in Richtung der Ägypterin.
»Sie ist taub«, zischte die Dunkelhaarige empört und tatsächlich musste ich mich zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken. Eine perfekte, blonde Model-Maus zu beleidigen war eine Sache, aber jemanden, der taub war … das war sogar unter meinem derzeitigen Niveau.
»Wie hast du dir die sieben Tage vorgestellt?«, lenkte Niobe ein, die meine Reaktion anscheinend richtig interpretiert hatte. »Der Auftrag war ja relativ offen und hat uns einiges an Freiraum gegeben.«
»Wir fahren in meine Suite und vertreiben uns die Zeit außerhalb der Sessions mit Events, Restaurants und Partys«, schlug ich vor. Hauptsächlich, weil ich den beiden Frauen dann zum größten Teil aus dem Weg gehen und mein Leben weiterleben konnte. »Die Sessions finden alle in der Suite statt«, ergänzte ich deswegen mit einem Blick auf die zwei gepackten Koffer. Immerhin waren die beiden vorbereitet!
Die Blonde schüttelte den Kopf und gestikulierte: »Nein, no way! Wir haben einen ruhigen Ort, ungestört und … schön.«
Und nur weil ich meine Hände gerade in meinen Hosentaschen hatte, gelang es Niobe zu übersetzen, bevor ich antworten konnte. Gebärdensprache? Das konnte vielleicht doch interessant werden!
Wieder glitt mein Blick von der einen zur anderen, bevor sich ein fieses Grinsen auf mein Gesicht schlich. Aber der Gedanke war genial und er würde genau die richtige Person – oder die richtigen Personen – ärgern. Selbst schuld, wenn ich immer noch den Schlüssel für Alex’ kleines Refugium hatte.
»Ruhig, ungestört und schön?«, wiederholte ich noch einmal, hauptsächlich um mich zu vergewissern und den Frauen eine Ausrede unmöglich zu machen.
Zum Glück nickte Niobe, auch wenn Barbie nicht allzu happy über diese Geste zu sein schien. Offensichtlich war sie die klügere von beiden – oder die misstrauischere.
»Dann habe ich etwas Unschlagbares!« Ich deutete auf die Koffer. »Und Sachen habt ihr ja anscheinend schon dabei!«
Ohne den Zweien die Chance auf Argumente zu geben, setzte ich mich in Bewegung. Entweder würden sie mir folgen oder ihren Auftrag verlieren.
Fünf Minuten!, dachte ich. Genau fünf Minuten hatte »das Tier« gebraucht, um mich wütend zu machen und jede schlechte Meinung zu bestätigen, die ich je von einem Rockstar gehabt hatte.
Trotzdem folgte ich ihm brav, was hauptsächlich Niobe zuzuschreiben war und dem geschickten Angebot, das Jacob uns zugespielt hatte. Wir konnten gar keinen Rückzieher machen!
Dabei hatte er von unserem Vorschlag alles andere als begeistert gewirkt. Wahrscheinlich mochte man als Tier eher laute Musik, Groupies und Partys, statt mit zwei Escorts in der Einsamkeit abzuhängen.
Als wir durch eine Passkontrolle gingen, wurde ich neugierig. Was hatte Jacob vor und warum? Doch egal wie sehr ich die Ohren spitzte, ich konnte nichts hören. Trotzdem wurde ich erst ernsthaft stutzig, als wir auf einen Hubschrauber zugingen. Ich griff nach Niobes Arm und meine Finger überschlugen sich fast.
»Du hast einen Flugschein für Hubschrauber?«, erkundigte sich meine dominante Helferin beinahe wortwörtlich bei dem Drummer.
»Offensichtlich«, gab er einsilbig zurück, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Seine Augen waren fest auf die wunderschöne Flugmaschine gerichtet.
»Ich bin angenehm überrascht«, schwindelte die Ägypterin, während Barbie nicht so aussah, als wäre ihr die Überraschung angenehm. Immerhin gab sie sich keine Mühe, diesen Umstand zu überspielen, sondern warf mir und ihrer Freundin einen bösen Blick zu. Dabei fiel der leicht grünliche Ton um ihre Nase besonders ins Auge.
»Schon mal geflogen?«, erkundigte ich mich, plötzlich ein wenig besser gelaunt.
Sie schüttelte den Kopf und gestikulierte etwas, was Niobe nahezu simultan übersetzte: »Nicht im Hubschrauber.«
»Magst du Fliegen?«
Die Blonde schüttelte den Kopf. »Nein, obwohl … wenn man aufschlägt, ist man immerhin ein interessanter Rorschach-Test, in dessen Kleckse man dann eine Menge hineindeuten kann.«
Ich starrte sie einen Moment fassungslos an, dann musste ich mich abwenden und einsteigen, um nicht vor ihr in lautes Lachen auszubrechen. Für eine Barbie war sie verdammt schlagfertig und frech und … ich starrte auf das Instrumentenpult, während mir ein böser Verdacht kam.
Ich schloss schicksalsergeben die Augen und prüfte noch einmal den Halt meiner Sitzgurte. Der schöne Ort in der Einsamkeit war ja irgendwie meine blöde Idee gewesen, also musste ich jetzt auch mit Jacobs Vorschlag und diesem Flug leben. Blieb nur zu hoffen, dass der Typ nur nach Drogen aussah und keine nahm. Er hatte klar geklungen und auch an seinen Augen hatte ich nichts ablesen können.
Trotzdem betete ich leise darum, nicht als spannender Blutklecks in der Landschaft zu enden. Immerhin hatte Jacob ja einen Co-Piloten. Wo auch immer er den so schnell her hatte. Und auch den Hubschrauber …
Sekunden später wurde es laut und das Gefühl in einer startenden Kiste mit plötzlich viel zu vielen Fenstern zu sitzen, war gelinde gesagt so gruselig, dass ich an nichts anderes denken konnte.
»Wohin fliegen wir?« Niobes Stimme über Kopfhörer riss mich aus meinen Gedanken.
»Nova Scotia«, antwortete unser Klient von vorne, nicht ohne einen gewissen Triumph aus den zwei Worten klingen zu lassen.
Nova Scotia? Kanada?
Ich konnte sehen, wie Niobe blass wurde. Ging mir ähnlich. Als ich »ruhig« und »schön« vorgeschlagen hatte, hatte ich nicht an »verschollen« gedacht.