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2 – Aufgeflogen

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Das Haus, vor dem der Hubschrauber landete, wurde von einer unzähligen Solarstrahlern beleuchtet, genau wie der kleine Landeplatz, den man trotz der Dunkelheit perfekt ausmachen konnte. Es war wunderschön, wie ein kleines Juwel in der Finsternis der kanadischen Wälder.

Neugierig folgte ich Jacob und Niobe in Richtung des Holzhauses und staunte. Das, was den Charme einer kleinen Jagdhütte hatte, schien sich einiges vorgenommen und als großes Vorbild ein Schloss zu haben.

Jacob öffnete die Eingangstür und meinte, nachdem er zahlreiche mysteriöse Schalter am Eingangspanel umgelegt hatte: »Ich denke, ich führe euch erst herum!«

Wie selbstverständlich übernahm er die Leitung und selbst Niobe folgte ihm, ohne ihn in Frage zu stellen. Der Typ sollte devot sein? Interessant!

Auf einmal war ich sehr dankbar für die Anwesenheit der erfahrenen Escort-Dame, denn in meinem Geiste tummelten sich plötzlich ein Haufen fast genauso fantastischer neuer Ideen, streckten ihre schwarzen Fühler aus und brachten die Schmetterlinge in meinem Unterleib zum Fliegen. Aber das war natürlich naiver Blödsinn!

»Wieso sind wir ausgerechnet hier?«, erkundigte sich Niobe, ganz ohne meine Hilfe.

»Weil es den Besitzer ärgert«, erklärte Jacob, im Wohnzimmer angekommen.

»Wer ist der Besitzer?«

»Alex Roth«, gestikulierte ich, aber Jacob kam mir mit der Antwort zuvor und wirkte dabei so selbstgefällig, dass ich mich fragte, ob ich nicht doch etwas bei dem Escort-Auftrag oder dem Telefonat mit Trish übersehen hatte.

»Dann verratet mir mal, an welche Spiele ihr so gedacht habt«, forderte Jacob, während er uns ungefragt einen Whiskey einschenkte – und sich auch.

Ich schüttelte den Kopf und der Bärtige zog eine Augenbraue hoch und musterte mich, als hätte ich ein Rad ab. Ein Eindruck, der sich noch verstärkte, als Niobe meinte: »Wir haben uns hauptsächlich ästhetische Spiele ausgedacht, optische Leckerbissen und deswegen würden wir mit einer visuellen Aufbereitung anfangen.«

»Ihr meint, ihr wollt mich rasieren und mir die Haare schneiden?«, übersetzte Jacob. Er klang amüsiert, zumindest einen Moment lang. Ich atmete erleichtert ein. Er war also nicht dumm und schien auch Humor zu haben.

Leider verschwand zumindest der letzte Eindruck, als sich sein Blick umwölkte und er energisch den Kopf schüttelte. »Ich bin ganz zufällig glücklich mit meinem Aussehen.«

»Weil es Alex Roth ärgert?«, gestikulierte ich und Niobe wiederholte meine Frage laut, während »das Tier« erst ihr ein Glas in die Hand drückte und dann zu mir trat.

»Ja, Kleines«, meinte er und nutzte seine Größe, indem er demonstrativ auf mich herabblickte. »Weil es Alex ärgert.«

Jacob roch nach Vanille und süßlichem Rauch – und das ließ mich deutlich wissen, dass mir der Rockstar zu nahe war. Viel zu nahe. Und er wusste es genau, wusste, wie man jemanden einschüchterte!

Unwillkürlich musste ich daran denken, dass keine Sau wusste, wo Niobe und ich waren: Irgendwo im Nirgendwo.

Niobe fing sich schneller als ich und meinte entschieden: »Ohne visuelle Aufbereitung sind wir raus!«

Jacob verharrte in der Bewegung und sah Niobe genauso ungläubig an wie ich. Doch im Gegensatz zu mir fing er an zu lachen. »Weil ich nicht bereit bin, mich zu verändern?«

Ich sah Niobe strafend an, doch sie schien es ebenso wenig zu merken, wie die Tatsache, dass sie eben weit über jedes Ziel hinausgeschossen war. Unter meiner wütenden Beobachtung setzte sie sogar noch einen drauf: »Der Bart macht es meiner Partnerin beinahe unmöglich dich zu verstehen, weil sie aufs Lippenlesen angewiesen ist.«

Jacobs Blick irrte zu mir und ich nickte innerlich. Niobe hatte tatsächlich ein gutes Argument gebracht. Der Drummer wischte es mit einer Handbewegung zur Seite. »Dafür bist du da.«

Jacob sah auf meine Gesten, die Niobe ignorierte. Im Moment war ich förmlich versucht, sie anzufallen. Etwas, was Jacob zu spüren schien, sie aber nicht, denn er wandte sich zu mir und entließ mich betont langsam und deutlich in eine schöne und entspannte Nacht, ohne seine schlechte Laune, die überraschenderweise mir persönlich zu gelten schien, zu verbergen.


Verwirrt und ein wenig gekränkt machte ich mich allein auf, das Haus zu erkundigen. Ich fand die Küche, machte mir eine dieser eher schrecklichen fünf Minuten Suppentöpfchen und schenkte mir ein Wasser ein, rollte meinen Koffer auf eines der Zimmer, räumte die Kleidung in den Schrank und liebäugelte einen Augenblick mit dem Fernseher, bevor mir einfiel, dass ich ja taub war. Ich sah mich in dem kleinen, aber fein eingerichteten Raum um: Bett, Nachttisch, Kleiderschrank, Badezimmer. Auf dem Nachttisch das obligatorische Telefon. Mein Blick glitt zurück zum Fernseher. Neben dem Gerät lag ein Bademantel, ein Saunatuch und weiße Badeschluffen. Es gab also eine Sauna und mindestens einen Whirlpool. Irgendwo auf der anderen Seite des Hauses diskutierten Niobe und Jacob inzwischen lautstark miteinander. Ich konnte zwar kein einziges Wort erkennen, jedoch würde ich mich hüten, in Niobes Nähe zu kommen. Aber wie sollte ich in dieser Stimmung schlafen?

Wieder fielen mir die weißen, flauschigen Wellnesssachen ins Auge.


Ich blieb in der Tür stehen und starrte die Frau an, die meine Lieblingsbank besetzt hatte. Hatte ich sie nicht fortgeschickt?

Aber nein, dort saß Miss-Perfekt-Barbie, sittsam in ihr Saunatuch gewickelt und genoss die wohlige Wärmekabine, die ich bereits bei unserer Ankunft vorgeheizt hatte. Als sie die Augen aufschlug, wurde mir klar, dass sie genauso wenig über meine Anwesenheit erfreut war, wie ich über ihre.

»Du bist nur taub, nicht stumm, oder?« Ich musterte sie und gab mir Mühe nicht herablassend zu klingen, während ich mich neben sie setzte. Rache wurde am besten ohne Vorwarnung serviert!

Sie nickte huldvoll und allein diese Geste reicht, um jeden Gedanken daran, dass sie vielleicht etwas anderes als böse Absichten hatte, verfliegen zu lassen. »Sag mal was?!«

»Wieso, scheint doch vergebliche Liebesmühe zu sein«, behauptete sie herausfordernd.

Ihr Blick hing wie gebannt an mir und meinen Lippen und nur zu gerne hätte ich gewusst, was sie über mich dachte. Stattdessen begnügte ich mich mit einer weiteren Frage: »Du hättest deiner Kollegin vorhin am liebsten den Kopf abgerissen, oder?«

Sie sah mich mit gerunzelter Stirn an und ich wiederholte meine Frage langsam und deutlich – ganz ohne ihr den hübschen Hals umzudrehen.

»Ja«, gab sie zu.

»Wieso hast du sie nicht unterbrochen?«

Blondie zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich wusste sie es selbst nicht, oder es war ihr egal. Ihre Worte ließen auf Letzteres schließen: »Wieso ist dir das wichtig?«

»Ich will wissen, ob ich dich in meiner Nähe ertragen kann.«

Obwohl sie mich immer noch anstarrte, gab sie mir durch eine Geste zu verstehen, dass ich den Satz wiederholen sollte. Ich seufzte leise und setzte mich neben sie. Wie konnte jemand so hübsches nur so … daneben sein?

Unwillkürlich begannen meine Finger einen kleinen, nervösen Rhythmus zu klopfen.


Natürlich wiederholte Jacob seinen Satz nicht. Stattdessen trommelte er auf der Sitzbank herum und streifte dabei meine Finger. Ich zog meine Hand fort und verfluchte ihn im Stillen, weil er mir schon wieder zu nahe war. Durch seine Nähe wurde mir nervtötend intensiv bewusst, dass er halbnackt war – und ich auch.

»Es würde vielleicht helfen, wenn du die Ohropax rausnimmst«, gestikulierte er plötzlich und ich starrte blinzelnd auf seine Hände. Hatte er eben …?

In der nächsten Sekunde wurden meine langen Haare nach hinten gestrichen und Jacob musterte mich wie etwas besonders Ekeliges, das sich in seine Sauna verirrt hatte.

»Erklärung«, verlangte er nonverbal.

»Das gehörte zu dem Spiel, das wir für dich aufbauen wollten – um dich nicht abzulenken.«

»Es ist eine verdammte Lüge!«, meinte er und seine Stimme war bar jeder Freundlichkeit.

»Bei einem Office-Escort-Spiel geht es um Fantasie und darum, Wünsche zu erfüllen. Man muss sich darauf einlassen«, erklärte ich erzwungen geduldig, aber seriös.

Jacob starrte mich an, seine Augen dunkel und unergründlich. Dann entfernte er kommentarlos und ohne mich zu fragen die weichen Stöpsel, die ich trug, um halbwegs glaubwürdig taub spielen zu können, aus meinen Ohren.

»Dann war das Spiel Scheiße!«, meinte er. Er klang überheblich und genau wie ich mir einen Rockstar immer vorgestellt hatte. Korrektur: Genau wie ich wusste, dass Rockstars waren.

»Vielleicht wäre es okay gewesen, wenn ich nicht ganz zufällig eine taubstumme Mutter hätte«, meinte Jacob einlenkend. Offenbar erwartete er keine Entschuldigung oder eine Antwort, denn er stellte sofort eine weitere Frage: »Wieso also habe ich zwei Mädchen bekommen, wenn ich eigentlich eines wollte?« Er sah mich an und zum ersten Mal fiel mir auf, dass er schöne Augen hatte. Doch es war seine Warnung, die mich nachdenklich werden ließ: »Zu einem Spiel mit mir gehört Ehrlichkeit!«

Ich dachte kurz über seine Worte nach und entschied mich wirklich für die Wahrheit: »Es hieß, es würde jemand für ästhetische Aufgaben gesucht, aber auch jemand, der sehr dominant ist. Da es zurzeit keine Escort-Dame gibt, die beides kann und ich für meine Lieblingsaufgaben gerne auf Hilfe und ein menschliches ‚Stoppschild‘ zurückgreife, bot es sich an.«

»Du bist also die mit dem ästhetischen Gespür?«, erkundigte sich Jacob und musterte mich, als hoffte er, mich so einer Lüge zu überführen.

Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, dass das besonders klug war.

»Du bleibst hier. Niobe fliegt heim!«, beschloss er. Sein Tonfall ließ keinen Spielraum für einen Widerspruch.

Ich tippte mir trotzdem an die Stirn. Eine universelle Geste, die meinem Gegenüber klar machte, was ich von der Idee hielt. »Ich denke, wir zwei sind nicht kompatibel.«


»Und ich denke, das interessiert mich nicht.« Ich schenkte Barbie ein böses Lächeln. Sie hatte sich die Suppe eingebrockt, jetzt konnte sie diese auch alleine auslöffeln! Selbst schuld, wenn sie gemeinsame Sache mit Trish und Alex machte!

»Sie bleibt oder wir gehen beide«, verhandelte die widerspenstige Escort-Dame und ihre Wut klang wie Musik in meinen Ohren.

»Ich befürchte, diese Entscheidung liegt nicht bei dir.«

Das Timing des startenden Hubschraubers hätte nicht besser sein können, denn genau in diesem Moment drang der Lärm der Rotoren bis in die Sauna.

Barbie starrte mich einen Augenblick mit großen, blauen Augen an, dann sprang sie auf. Auf dem Weg zur Tür bemerkte sie, dass sie niemals schnell genug sein würde, denn sie hielt an und wandte sich zu mir. »Bist du irre?«

»Nein, ich weiß nur, was ich will.« Ich stand auf und trat zu ihr. So nahe, dass sie zu mir aufsehen musste, und ich genoss, dass sie klein war und wirklich exquisit. Jemand wie sie war vermutlich noch nie mit jemandem wie mir konfrontiert worden. Und ich war wirklich sauer auf sie, wegen der Lüge, weil sie irgendwas mit Alex zu schaffen hatte und weil sie niemals meinen Sinn von Ästhetik treffen konnte.

»Du kannst nicht einfach mittendrin alles ändern«, protestierte sie. »Es gibt Regeln und der Vertrag …«

»Genau das Stichwort, meine Schöne.« Ich schob mich näher zu ihr, drohender.

»Versuchst du mich einzuschüchtern?« Sie verschränkte unwillig die Arme vor der Brust und sah genervt zu mir auf. »Ich dachte, du bist devot?«

»Devot ist aber nicht gleichbedeutend mit blöd«, spottete ich.

»Und wieso sollte ich darauf eingehen?« Immer noch wich sie nicht zurück und ließ sich auch nicht anmerken, ob ich sie tatsächlich einschüchterte.

»Weil du das Geld brauchst, um deiner Mutter zu helfen?!«, schlug ich vor, um anschließend zu genießen, wie ihr Gesicht entgleiste. Völlig. Erst als sie sich wieder unter Kontrolle hatte, ergänzte ich: »Als mir klar wurde, dass du nicht taub bist, habe ich Erkundigungen eingeholt. Ich lasse mich ungerne verarschen.«

»Und ich arbeite nicht für einen erpresserischen Entführer«, zischte sie böse.

»Du hast einen Arbeitsvertrag unterschrieben«, erinnerte ich sie, »halte ihn ein!«

»Leck mich!« Ich konnte sehen, dass sie ihre Hände unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte – so als würde sie sich nur zu gerne auf mich stürzen. Etwas, was mich Grinsen ließ, genau wie mein Konter: »Wenn du es befiehlst gerne!«


Inzwischen war ich richtig wütend. Was zum Geier dachte sich dieser bescheuerte Rockmusiker? Dass er mich entführen oder einsperren konnte und ich mit ihm ins Bett ging? Ich würde nicht einmal meinen Job machen!

Verärgert stampfte ich aus der Sauna und griff nach meinem Handy, das ich draußen zusammen mit dem flauschigen Bademantel platziert hatte. Kein Empfang. Verwirrt starrte ich das Display an, dann Jacob, der mir gefolgt war, nur um einen Wimpernschlag später in Richtung meines Zimmers zu gehen.

»Die Telefone funktionieren nur mit Code«, erklärte Jacob. Seine Worte brachten mich zum Anhalten. Langsam drehte ich mich zu ihm um. Hatte ich vorher gedacht, ich wäre wütend, so war ich inzwischen beinahe rasend.

»Was hältst du davon, wenn du dich erst einmal beruhigst?«, meinte er mit einer Mischung aus Arroganz, Amüsement und Herablassung.

»Gib mir einen Autoschlüssel«, verlangte ich, obwohl ich mit keiner positiven Antwort rechnete.

»In dieser Phase werde ich dir ganz sicher keinen Autoschlüssel geben!«, meinte Jacob und schlug vor: »Du beruhigst dich und wir reden morgen beim Frühstück?«

»Was zum Teufel ist dein Problem?« Ich trat einen Schritt auf ihn zu.

»Wieso sollte ich ein Problem haben?«, fragte er lässig.

»Du bist echt ein typisches Rockstar-Arschloch. Du bist reich, siehst gut aus, bist charmant, die Welt und die Frauen liegen dir zu Füßen, und obwohl die Presse auf jeden Fehler von dir lauert, verzeiht sie ihn dir und liebt dich dafür, dass du ein Comeback versuchst, einen Drogenentzug machst oder dich in die nächste Beziehung stürzt. Sie lieben dich sogar dafür, dass du dich gehen lässt und dich wie ein Vollpfosten benimmst. Whatever.«

Die letzten Worte hatte ich Jacob beinahe ins Gesicht gebrüllt. Dementsprechend perplex war auch sein Blick. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass eine Frau nicht sofort vor ihm niederkniete und ihn anbetete, wenn er danach verlangte.

»Wir reden morgen beim Frühstück«, meinte er schließlich überraschend sanft, drehte sich um, ging aus dem Wellnessbereich und ließ mich einfach stehen. Scheiße!

Kein Drummer zum Küssen

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