Читать книгу Vergeben und Vergessen - Jenny Kutzner - Страница 7

5.

Оглавление

Eine weitere Woche verging bis Dr. Rousseau beschloss, dass ich stabil genug sei, um entlassen zu werden und Peter mich nach Hause brachte. Es war ein seltsames Gefühl, diese Wohnung nach einem Monat wieder zu betreten. Peter bestand darauf mich über die Schwelle zu tragen. Ich sträubte mich, aber er ließ es sich nicht nehmen. Genauso wenig, wie er es sich im Krankenhaus nicht hatte nehmen lassen, mir als Ersatz für den verlorenen Ehering diesen Plastikring aus dem Kaugummiautomaten an den Finger zu stecken. Es schien ihm wirklich wichtig zu sein, also ließ ich ihn. Es half schließlich auch mir dabei, mich damit anzufreunden tatsächlich eine verheiratete Frau zu sein.

Unsere Wohnung war nicht sonderlich groß. Eigentlich eine ziemliche Untertreibung, sie war wirklich winzig. Doch es war unser Heim und für uns zwei war sie perfekt. Doch als er mich, einen Monat nach unserer Hochzeit, über die Schwelle trug, war es nicht, als würde ich nach Hause kommen. Das wohlige Gefühl auf das ich gehofft hatte, wollte sich einfach nicht einstellen. Ich redete mir ein, dass es daran lag, dass auch Peter im letzten Monat kaum Zeit in der Wohnung verbracht hatte. Wenn er nicht arbeitete, war er bei mir im Krankenhaus gewesen. Es war kalt, eine dicke staubige Schicht hatte sich auf die Möbel gelegt und die Pflanzen ließen traurig die Blätter hängen. In jedem Fall war es nicht mehr das Heim, das ich so hoffnungsvoll mit Peter verlassen hatte. Gerade das, was ich so an ihr geliebt hatte, die unweigerliche Nähe zu Peter, ließ mich nun nur noch erschaudern.

Ich fühlte mich schrecklich. Schließlich war er mein Mann. Ich liebte ihn doch und vor allem liebte er mich. In den darauffolgenden wöchentlichen Sitzungen bei Dr. Rousseau sprach ich meine Probleme mit Peter an. Dr. Rousseau beruhigte mich damit, dass meine Gefühle vollkommen normal seien und dass alles wie früher werden würde, sobald mein Verstand begriff, dass Peter keine Schuld an meiner Amnesie hatte. Also versuchte ich diese Gefühle zu verdrängen, genau wie meine Erinnerungen.

Damals bezeichnete ich meine Situation ein Stück weit sogar als Glück und war dankbar, dass mir die Erinnerungen an die Katastrophe erspart blieben. Besonders nach dem Erlebnis im Krankenhaus, als mich die erste Erinnerung heimgesucht hatte, konnte ich gut und gerne darauf verzichten.

Nachdem mich Peter nach Hause gebracht hatte, ließ ich das Thema ruhen. Wir redeten nicht mehr darüber und einige Wochen ging das auch gut. Peter hatte mich überredet eine Auszeit zu nehmen. Er meinte, dass unsere Kollegen mir wohl Löcher in den Bauch fragen würden und dass dann alles wieder hochkommen würde. Also blieb ich zu Hause und ging selbst Freunden und Bekannten aus dem Weg. Peter half mir dabei und wimmelte unsere Freunde bereits an der Haustür ab, wenn sie dann nach unzähligen unbeantworteten Anrufen vorbeikamen. Nach und nach verschwanden sogar die täglichen Berichterstattungen aus den Medien, während mir langsam aber sicher die Decke auf den Kopf fiel. Anfangs versuchte ich unsere Wohnung neu einzurichten, doch egal was ich auch unternahm, das Gefühl von Heimat wollte einfach nicht zurückkommen. Also gab ich es schließlich auf. Ich wollte nur mein altes Leben wieder. Ich wollte wieder arbeiten, recherchieren, Interviews führen und vor allem wollte ich wieder schreiben. Also holte ich nach Wochen der Abstinenz meinen Rechner wieder hervor. Der Akku war vollkommen leer und es dauerte eine Weile bis er hochfuhr. Wie früher, wollte ich meine Emails checken – der Posteingang musste mittlerweile überquellen – doch eigenartigerweise ließ sich mein Account nicht öffnen. Wahrscheinlich hatte ich einen Fehler bei der Anmeldung gemacht, immerhin hatte ich die Anmeldedaten eine ganze Zeit schon nicht mehr benutzt. Gerade als ich es erneut versuchen wollte, kam Peter aufgeregt durch die Tür. Er erzählte mir, dass er einen neuen Job als Chefredakteur in einer anderen Stadt angenommen hatte. Niemand würde uns kennen. Wir würden von vorne anfangen können. Er hatte sogar schon ein Haus für uns gefunden. Es war bereits alles geregelt. Wir mussten nur noch unterschreiben, und das taten wir auch. Ich war dankbar aus unserer alten Wohnung rauszukommen und nahm sogar hin, dass meine Karriere noch etwas länger auf Eis liegen würde. Dafür bot das neue Haus ausreichend Platz, um Peter aus dem Weg zu gehen, denn entgegen Dr. Rousseaus Meinung wurde es mit Peter kein bisschen besser. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Wir hatten uns verändert. Der 18. Juli hatte uns verändert. Peter versuchte nun jede Sekunde für mich da zu sein, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Er wollte auf einmal immer wissen, wo ich gerade war oder was ich machte. Wenn es mir nicht gut ging, ließ er alles stehen und liegen. Er machte Zukunftspläne, wollte so schnell wie möglich eine Familie gründen. Auf einmal war ich seine Nummer Eins. Und ich? Noch vor kurzem hätte ich vor Glück Purzelbäume geschlagen, doch ich war ganz und gar nicht glücklich. Statt einer Stelle als Redakteurin nahm ich einen Job als Kellnerin in einer Bar an und ließ mich für jede Spätschicht einteilen, nur um nicht in seiner Nähe sein zu müssen. Das Schlimmste jedoch war, dass ich Peter einfach nicht mehr in die Augen schauen konnte. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen, stieg eine Welle des Zorns und der Enttäuschung in mir auf und ich verstand einfach nicht warum. Nach unserem Umzug hatte ich anfänglich noch versucht diesen Gefühlen auf den Grund zu gehen. Ich beschloss mich mit einer alten Freundin zu treffen, ich musste mich und mein Gefühlschaos einfach jemandem anvertrauen. Mit Peter konnte und wollte ich nicht reden. Außerdem, was ihn anging, hatte der 18. Juli nie stattgefunden. Als ich ihm von dem bevorstehenden Treffen erzählte, war er alles andere als erfreut darüber. Er redete mir eindringlich ins Gewissen, dass wir mit dem Umzug doch alles zurücklassen und einen kompletten Neuanfang beginnen wollten. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen, doch als er keine Ruhe gab, sagte ich das Treffen ab. Doch schon mein Opa sagte immer, dass es sich nicht lohnen würde davonzulaufen. Die Vergangenheit wäre ein verdammt flinkes Biest und würde einen immer einholen, egal wie schnell und weit man laufen würde. Und das traf auch auf uns zu. Am 22. November war es dann so weit. Die Vergangenheit hatte uns nicht nur eingeholt, sie überrannte uns förmlich. Rückblickend betrachtet war das der Tag an dem mein Leben sich ein weiteres Mal veränderte – grundlegend und endgültig. Ich lernte John kennen.

Vergeben und Vergessen

Подняться наверх