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1.1. Vom Problem der Glaubwürdigkeit
ОглавлениеAls Autor kommt man beim Schreiben manchmal an einen Punkt, den man Schreibhemmung nennt. Nichts scheint mehr zu stimmen – die Figuren handeln planlos oder gar nicht, der strukturelle Faden geht verloren und die Charaktere sind einfach nicht glaubwürdig. Dieser Moment tritt genau dann ein, wenn wir unsere Figuren noch zu wenig kennen. Würden wir sie tatsächlich kennen, dann wüssten wir genau, wie sie handeln sollen. Die Zuschauer folgen den Handlungen der Figuren jedoch nur dann, wenn sie glaubhaft sind. Aber wie schafft man als Autor glaubwürdige Charaktere und Typen?
Anders gefragt: Gibt es kausale Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften einer Figur, nach denen ein Charakter mit der Eigenschaft A auch wahrscheinlich die Eigenschaften B und C aufweist, aber eher nicht D und E? Unsere Lebenserfahrung sagt uns, dass es genau so ist. Aber Lebenserfahrungen sind natürlich verschieden und subjektiv. Und wir suchen nach möglichst objektiven Zusammenhängen.
Welche Möglichkeiten haben wir Autoren denn? Wir können Figuren nach unseren eigenen Erfahrungen formen, aber dabei besteht die Gefahr, dass sie uns alle gleichen oder zumindest ähnlich sind. Wir können Figuren an reale Menschen anlehnen, die wir gut genug kennen. Bei dieser Methode kann man Freunde verlieren, die sich wieder erkennen, außerdem bewegen auch wir uns in einem begrenzten sozialen Umfeld und in anderen Umfeldern nicht. Wir können an einer Drehbuchaufstellung teilnehmen – wenn wir daran glauben und wenn wir dafür Geld bezahlen wollen. Wir können recherchieren. Das ist immer gut. Aber es ist auch aufwendig und wir müssen erst das Vertrauen mehrerer fremder Menschen gewinnen, damit diese von sich erzählen. Aber werden sie uns auch die Wahrheit sagen? Werden sie ihre tiefsten inneren Konflikte preisgeben? Können sie das überhaupt oder verhindert ihr Selbstbild nicht geradezu die Objektivität, die wir gern hätten? Sinnliche Erfahrungen können wir durch Method Writing gewinnen, indem wir uns selbst in die Situation der Figuren begeben und fühlen, was sie fühlen würden. Das ist auf jeden Fall ein Gewinn, aber wieder führt der Weg nur über uns selbst. Die Figur würde das gleiche Erlebnis vielleicht ganz anders werten oder ganz anders handeln.
Tja, wenn es doch ein Modell gäbe, ein Werkzeug, ein Instrumentarium, um die Glaubwürdigkeit der Charaktere zu überprüfen. Nehmen wir einmal an, ein Autor schriebe ein Stück mit dem Titel DER GEIZIGE. Dieses Werkzeug müsste ihm helfen weitere Eigenschaften zu finden, die eine vor allem geizige Figur höchstwahrscheinlich hat und es müsste ihm abraten von Eigenschaften, die für eine solche Figur eher unglaubwürdig sind …