Читать книгу Zwischen "Lügenpresse" und konstruktivem Journalismus - Jens Brehl - Страница 5

Mein Weg in den Journalismus

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Hätte mir jemand erzählt, ich würde einmal den Beruf des Journalisten ergreifen, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt. Im Grunde hatte ich überhaupt keine Ahnung davon, wie Journalisten überhaupt arbeiten. Hätte man mir dann noch gesagt, dass ich einmal mehrere Bücher veröffentlichen werde, hätte ich mein Gegenüber endgültig für verrückt erklärt.

Tatsächlich bin ich mit dem Realschulabschluss in der Tasche völlig planlos in meine berufliche Zukunft gestartet, was ich aus heutiger Sicht erschreckend finde. Weder habe ich gewusst was mich interessiert, noch wo meine Stärken und Schwächen lagen. In einem dreiwöchigen Schulpraktikum hatte ich in einem medizinischen Labor reingeschnuppert und so dachte ich zunächst, ich möchte medizinisch-technischer Assistent werden. Allerdings war dies eine schulische Ausbildung, die ich mir nicht hätte leisten können – mein Vater machte mir deutlich, dass ich den Beruf zwar ergreifen könne, er mich aber nicht unterstützen würde. Heute bin ich froh darüber, denn auf Dauer hätte auch er mich nicht erfüllt.

Zudem war ich ein noch schlechterer Schüler als ich bislang glaubte. Zumindest, wenn ich meine Noten richtig interpretiere. Mein Abschlusszeugnis bescheinigt mir jeweils ein „Ausreichend“ in Deutsch, Mathematik und Informatik. Während ich im Fach Musik ebenfalls noch auf „ausreichend“ kam, reichte es bei Kunst nur für „mangelhaft“. Intelligent und kreativ war ich demnach nicht. Puh, so durchwachsen hatte ich meine Noten gar nicht mehr in Erinnerung.

Tatsächlich ging es mit meinen schulischen Leistungen im Laufe der Jahre immer weiter bergab. Die Scheidung meiner Eltern warf mich ein wenig aus der Bahn, ist aber nur eine lahme Ausrede. In Wahrheit interessierte mich die Schule kaum, weil mir alles viel zu theoretisch war. Wenn mir der Mathematik-Lehrer nicht erklären konnte, wofür ich diverse Formeln im Alltag benötigen würde, verlor ich augenblicklich das Interesse. Zudem habe ich meine Zeit lieber genutzt, um Blödsinn zu machen. An manchen Tagen hatte ich mehr Strafarbeiten als Hausaufgaben zu erledigen. Heute ist mir klar, dass mir alleine durch mein Abschlusszeugnis die Arbeitswelt keinesfalls zu Füßen lag. Dennoch war ich froh, endlich den Muff der Schule hinter mir lassen zu können. Ich habe mich sogar bei meinem letzten Gang vom Schulhof zu einer äußerst respektlosen Geste hinreißen lassen und zum Abschied auf den Boden gespuckt. Der Rüffel von meinem Vater hat mich in dem Augenblick nicht die Bohne interessiert.

Trotz meiner eher unterdurchschnittlichen schulischen Leistungen begann ich eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerwirtschaft – ein kaufmännischer Beruf in der Fachrichtung Logistik. Mit meinem Zeugnis und meiner Bewerbung habe ich garantiert keine Begeisterungsstürme ausgelöst, aber Vitamin B war hilfreich. An den Inhalt meines Bewerbungsgesprächs erinnere ich mich nur verschwommen, denn die meiste Zeit habe ich geschwiegen und mein Onkel hat für mich gesprochen. Im Nachhinein fällt mir auf, dass ich niemanden für die Chance gedankt habe, die meinen Start ins Berufsleben überhaupt ermöglicht hat.

Die Lehre konnte mich nach ein paar Startschwierigkeiten durchaus begeistern und in der Berufsschule bekam ich beste Noten. Hier lernte ich endlich etwas, was ich auch in der Praxis umsetzen konnte. Aufgrund guter Leistungen verkürzte ich die Lehrzeit sogar um ein halbes Jahr. Doch als Geselle war ich alles andere als glücklich. So konnte ich mir kaum vorstellen, die nächsten zehn Jahre in der Abteilung zu arbeiten, in der ich nach bestandener Lehre gelandet war. Im Grunde war ich ziellos. Da ich damals leider mit niemandem offen über meine Probleme sprach und nicht wusste, wie ich Konflikte beilegen sollte, entschied ich mich zur Flucht. Eines Tages überraschte ich meine Vorgesetzten mit der Kündigung und machte mich augenblicklich im Vertrieb von Gesundheitsprodukten und Büchern selbständig. Allerdings entdeckte ich in meiner Lehrzeit eine ungeahnte Fähigkeit, die mir damals noch gar nicht bewusst war. Da ich verschiedene Abteilungen durchlaufen hatte und somit die Arbeitsweisen meiner Kollegen kannte, hatte ich Verständnis für deren Vorgehen. Andere meckerten oft, warum Abteilung A etwas so und nicht anders macht oder warum Kollege B unverständlich reagiert. In meinen Augen fehlten nur ein offener Informationsaustausch und die Bereitschaft, sich in andere hineinzuversetzen. Das hätte viele Konflikte gelöst und die Zusammenarbeit reibungsloser gestaltet. Allerdings fehlten mir damals der Mut und die rhetorischen Fähigkeiten, um dies anzusprechen. Es sollte auch noch ein paar Jahre dauern, bis ich mich für Kommunikation und Journalismus interessierte.

Nachdem sich mein jugendlicher Leichtsinn ein wenig gelegt hatte, wurde mir klar, dass ich kaum meine Miete bezahlen konnte. Daher arbeitete ich als Minijobber im Elektroeinzelhandel und landete über die Zeitarbeit bei einem großen Telekommunikationsunternehmen. Gerade bei letzterem wurde ich zusehends unglücklicher und so hielt ich es hier auch nur zehn Monate aus. Zumindest hatte ich eins gelernt: Ich kann nicht als Angestellter arbeiten. Die meiste Zeit hatte ich das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort die falschen Dinge zu tun. Aber was war das Richtige?

Es folgten noch Jahre der Irrungen und Wirrungen, die mich allerdings auch auf den Weg in die Medienwelt brachten. So landete ich bei einem gerade gestarteten Online-Nachrichtenportal, mit dessen Herausgeber ich eng befreundet war. Als Hobby hatte ich neben meiner Ausbildung ab und an ein wenig geschrieben, aber nichts Berauschendes. Alles weit entfernt von journalistischer Qualitätsarbeit. Meist war ich für den Herausgeber honorarfrei tätig, da ich an den Erfolg des Projekts und der damit verbundenen späteren Vergütung glaubte. Zudem verband uns, wie ich damals annahm, eine wirklich tiefe Freundschaft und ja, ich schaute auch zu ihm auf. Im Grunde arbeitete ich für Kost und Logis. Man kann auch sagen, dass ich mich durch meine Naivität ausnutzen ließ. Nach und nach erkannte ich das fehlende Fachwissen meiner Kollegen, was ich mir selbst erst in den Folgejahren erarbeiten musste. Erst am Abgrund meiner finanziellen Existenz stehend, zog ich die Reißleine. Mittlerweile hatte ich etwa 15.000 Euro Schulden angehäuft und verfügte über keinerlei berufliche Perspektive.

Nach dem schmerzhaften Schlussstrich, bei dem „Freundschaften“ zerbrachen, es durchaus böses Blut und wüste Drohungen gab, suchte ich mir im Herbst 2007 eine Wohnung in meiner Geburtsstadt Fulda. Damals schrieb ich ab und an ein paar Artikel für Magazine und begleitete kleine Verlage oder einzelne Buchautoren in der Pressearbeit. Nun saß ich mit meinen wenigen Möbeln in meinem neuen Heimbüro und musste schleunigst Geld verdienen. Zum Glück wussten meine Vermieter nicht, dass ich mir im Grunde nur die nächsten beiden fälligen Monatsmieten leisten konnte. Heute lebe ich schon fast zehn Jahre hier und bin noch keinen Euro schuldig geblieben. Doch der Druck war gerade in der Anfangszeit enorm.

Aus der Not machte ich eine Tugend und eröffnete mein eigenes Medienbüro. Mehr schlecht als recht hielt ich mich mit kleinen Aufträgen über Wasser. Das änderte sich schlagartig, als ich eine Berufskollegin kennenlernte. Sie arbeitete frei in der Kommunikation für einen Konzern und holte mich mit an Bord. Als freie Mitarbeiter teilten wir uns die klassischen Agenturleistungen auf, wobei ich meist für Pressetexte zuständig war. Schlagartig schoss mein Verdienst in ungeahnte Höhen und finanzielle Sorgen waren passé. Auch mein Schuldenberg schmolz wie ein Eiswürfel in der Sonne. Allerdings plagten mich bald Gewissensbisse, da wir zwar nicht logen, aber manchmal auch nicht die ganze Wahrheit sagten. Durch den guten Verdienst konnte ich fast meine kompletten Schulden abbauen. Doch die Party war ab einem gewissen Punkt für mich vorbei.

Im Jahr 2008 durchlebte ich mehrere persönliche Krisen und Zusammenbrüche. Es fiel mir immer schwerer, mich zu konzentrieren. Bauchschmerzen wurden zu meinen ständigen Begleitern. Ich schlief zunehmend schlecht und fühlte mich ausgelaugt. Drei Krisen stand ich durch, indem ich mein Arbeitspensum weiter in die Höhe schraubte. Schließlich brauchte ich auch mehr Zeit, um Aufträge zu erledigen. Dabei reihte ich immer öfter einen (Anfänger-)Fehler an den nächsten. Es kam vor, dass ich den Inhalt eines Telefonats in der Sekunde vergaß, in der ich das Gespräch beendet hatte. Im Dezember dann das endgültige Aus – Diagnose: depressives Erschöpfungssyndrom, umgangssprachlich auch „Burnout“ genannt. Meine komplette Geschichte vom Zusammenbruch bis zur Genesung erzähle ich in meinem Buch „Mein Weg aus dem Burnout – Der Stress-Falle entkommen, Lebenskunst entwickeln“.2

Als ich nach etlichen Monaten wieder an meine berufliche Zukunft denken konnte war klar, dass ich weiterhin als freier Journalist arbeiten möchte. Dazu musste ich allerdings neue Vorzeichen schaffen, denn ich wollte mich nicht noch einmal verbiegen. Daher wählte ich enkeltaugliches Wirtschaften, gesellschaftlichen Wandel und Medien als meine Themenschwerpunkte, da sie mich sehr interessieren. Schon immer steckte in mir ein kleiner Revoluzzer und ein Träumer, der die Welt ein kleines Stück besser machen wollte. Mit meiner PR-Arbeit für den Konzern hatte ich mich vom System fressen lassen. Daher nahm ich nur noch Aufträge an, hinter denen ich auch stehen konnte und bis heute hat sich daran nichts geändert. Mein Medienbüro stellte ich unter das Motto „Menschen inspirieren, Wandel gestalten, Beziehungen schaffen“, denn in meinen Augen sind das wichtige Aufgaben des Journalismus. Mit meiner Arbeit zeige ich neue Sichtweisen auf, lege den Finger in die Wunde, präsentiere mögliche Lösungen und bringe – wenn alles klappt – die Menschen ein Stück näher zusammen.

Im Sommer 2013 startete ich meinen Medienblog „Der Freigeber“3, um Einblicke in die Medienwelt zu geben, auf herausragende Projekte aufmerksam zu machen und dergleichen. Wenige Monate später folgte mein Blog „Brehl backt!“4, bei dem sich alles um Genuss mit gutem Gewissen, Bio-Lebensmittel, ökologische Landwirtschaft, leckere Rezepte und Bio-Nachrichten aus meiner Region dreht. Dazu in einem späteren Kapitel mehr. 2015 erschien der Nachfolger meines bereits erwähnten Burnout-Buchs mit dem Titel „Herzensfolger – Sich treu bleiben im Beruf: Zwischen ökonomischem Zwang und dem Traum vom Gemeinwohl“.5 Ein Jahr später landete „Regionale Biolebensmittel – Gesundes und Köstliches aus Fulda, Rhön, Vogelsberg und Nordhessen“6 in den Bücherregalen.

Rückblickend bin ich froh, in die Medienbranche gestolpert zu sein, auch wenn sie viele Schattenseiten aufweist. Meinen Beruf liebe ich von ganzem Herzen, denn ich habe die Lizenz ständig Fragen zu stellen, lerne immer wieder neue Menschen kennen und darf in viele Bereiche blicken, die mir sonst nicht zugänglich wären. Doch ist nicht alles Gold was glänzt: Viele technische Neuerungen erleichtern den Arbeitsalltag, doch die ganze Branche befindet sich im Umbruch. Bei Tageszeitungen brechen die verkauften Auflagen ein, wobei etliche Medienhäuser zeitgleich (zu) wenig mit ihren Internetauftritten verdienen. Journalismus ist vielerorts zur Massenware auf dem Grabbeltisch geworden. Dabei brauchen Recherchen neben Zeit vor allem auch Geld. So bin ich mit meiner Berufswahl in mehrere Spannungsfelder geraten: Sollten Informationen keine Verkaufsware, sondern als Gemeingüter für alle frei zugänglich sein? Wie verdiene ich mit meinen Blogs Geld, wenn Leser es gewohnt sind, im Internet gratis lesen zu können? Und möchte ich mir eigentlich ständig leidige Diskussionen über meinen Berufsstand antun?

Zwischen

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