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Ein Talent lernt Handwerkskunst


Man lerne erst das Handwerk der Kunst! Wisse bevor – und dichte dann!

Johann Gottfried Schadow

Der Schneidermeister Gottfried Schadow (1738–1788) und seine Ehefrau Anna Katharina, geb. Nilles, (1740–1797) hatten fünf Kinder, zwei Jungen und drei Mädchen.

Johann Gottfried, der Erstgeborene, erblickte am 20. Mai 1764 des Licht der Welt. Die Schadows wohnten damals in Berlin zunächst in der Lindenstraße, nahe dem Halleschen Tor, bevor sie 1766 eine Wohnung in der Heiligengeiststraße Nr. 6/7 bezogen, in der Vater Schadow selbstständig als Schneider arbeitete.

Seine Hauptkundschaft fand er unter den bei Hofe tätigen Kunsthandwerkern und unter den Mitarbeitern der Königlichen Bildhauerwerkstatt. Darunter waren viele Franzosen, Nachfahren der Hugenotten, die in Berlin alle Freiheiten in Brauchtum, Sprache, Religion und Kunst wahrnehmen durften und das auch in Sachen Mode taten (was dem Schneider Schadow entgegenkam).

Nach dem «Edikt von Potsdam» (1685) des «Großen Kurfürsten» waren die Hugenotten als protestantische Glaubensflüchtlinge («Réfugiés») aus Frankreich in Berlin und Brandenburg herzlich willkommen gewesen. Um 1700 waren schon rund ein Fünftel der Einwohner Berlins aus Frankreich Zugewanderte.

Der zu Schadows Jugendzeit regierende Friedrich der Große (1712–1786), Freund französischer Sprache und Lebensart, der nicht nur mit Voltaire (1694–1778) gern französisch parlierte und philosophierte, war durchaus kunstsinnig. Er hielt allerdings relativ wenig «von deutschen Künstlern, ob es nun Schriftsteller, Komponisten, Sänger, Maler oder Bildhauer waren. Italiener oder Franzosen mussten es sein» (Joachim Lindner: «Wo die Götter wohnen», Berlin, 2008).

Diese Kunsthandwerker, «die sich nach des Tages Last und Mühe mit echt romanischer Grazie und Lebenslust in ihren goldbordierten Samtröcken mit bestickten Manschetten, Jabots und seidenen Kniehosen … wie Kavaliere bewegten» (ders.), bildeten die «Zielgruppe» des Schneidermeisters Gottfried Schadow. Er lieferte gute, modische Arbeit, doch die Zahlungsmoral seiner Künstler-Kunden war oft schlecht. Er brauchte aber dringend Geld, um seine Familie zu ernähren und die Stadtschule «Zum Grauen Kloster» zu bezahlen, die seine beiden Söhne besuchten.

Der älteste Schadow-Sohn, Johann Gottfried, hatte schon als Schüler großes Talent zum Zeichnen offenbart. Lehrer, Nachbarn, aber auch Fremde von der Straße, denen er Zeichnungen anbot, zeigten sich erstaunt und angetan von den Künsten des Knaben.

So kam es, wie Schadow später rückblickend schreibt, «zu einer zufälligen Veranlassung». Ein immer wieder säumiger Kunde seines Vaters, Giovanni Battista Selvino, Italiener, Modellzeichner und Bildhauergehilfe aus dem Königlichen Atelier, stand beim Schneidermeister derart «in der Kreide», dass man nach einer Lösung suchte. Wie wäre es, dachten die Schadows, wenn Selvino seine Schulden abarbeitete, indem er dem talentierten Knaben als «Gegenwert» Zeichenunterricht erteilte?

Und daraus entwickelte sich mehr. Während des Unterrichts bei Selvino entdeckte Madame Marie-Edmée Tassaert das Talent des jungen Schadow. Madame Tassaert, erfolgreiche Pastell- und Fächermalerin, französische Gattin des flämisch-stämmigen preußischen Hofbildhauers Jean Pierre Antoine Tassaert, nahm sich des vierzehnjährigen «garçon allemand» an und machte «Godefroi», wie sie Gottfried nannte, zum Zeichenschüler, der fortan ganztägig in den Ateliers der Künstler arbeiten und lernen durfte. Das alles fand in französischer Sprache statt, die Schadow bald auch perfekt beherrschte. Zusätzlich besuchte er gemeinsam mit Jean-Joseph Tassaert, dem Sohn des Hofbildhauers, Vorlesungen in der «Akademie der mechanischen Wissenschaften und Schönen Künste» im alten Marstallgebäude in Berlin Unter den Linden.

Schließlich wurde er «garçon d’atelier» beim Hofbildhauer Tassaert. Bei ihm lernte er in aller Gründlichkeit das Handwerk des Künstlers.

Tassaert (1727–1788) hatte in England und in Paris gearbeitet, bevor er 1770 nach Berlin übersiedelte und in die Dienste des preußischen Königshauses trat. Er schuf mehrere Statuen und Gruppen für das Palais des Prinzen Heinrich und fertigte etliche Porträtbüsten und Denkmale. Schließlich wurde er Rektor der Kunstakademie. Sein eifrigster Schüler wurde später sein Nachfolger: Johann Gottfried Schadow.


Schadows Lehrmeister Jean Pierre Antoine Tassaert, Mezzotinto, 1788

Der junge Schadow durchlief eine strenge handwerkliche und künstlerische Schule und nahm durchaus auch schon kritisch auf, was er sah. Er schildert beispielsweise, dass er dabei war, als Tassaert Moses Mendelssohn (1729–1786), den ersten bedeutenden jüdischen Philosophen deutscher Sprache, porträtiert und seine Büste aus Marmor herausgearbeitet hatte. Der junge Schadow selbst hatte den großen Mendelssohn, der körperlich ein kleiner, buckliger, feingliedriger Mann war, persönlich auf die Stellage geholfen, auf der er Modell sitzen musste, und er durfte das Entstehen des Werkes verfolgen. Vom Ergebnis war er allerdings deswegen nicht so sehr angetan, weil Tassaert nach seiner Auffassung das Wesen des klugen Denkers und feinsinnigen Philosophen nicht so getroffen hatte, wie es Schadows elementarem Kunstverständnis entsprach. Also versuchte er, dieses selbst zeichnerisch in einem Mendelssohn-Porträt auszudrücken.


Johann Gottfried Schadow: Moses Mendelssohn, Radierung, 1787

Menschliches Maß und Königliche Kunst

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