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Darstellende Kunst und menschlicher Ausdruck


Von da, wo die Gemütsbewegungen dargestellt werden, beginnt eigentlich die Kunst.

Johann Gottfried Schadow

Gemeinsam mit dem Tassaert-Sohn Jean-Joseph begeisterte sich «Godefroi» Schadow auch für die darstellende Kunst. Madame Tassaert hatte ihnen ein Theater-Abonnement geschenkt, weil sie meinte, auch das gehöre zur umfassenden Bildung von Kunstjüngern.

So erlebten die beiden schon sehr früh den großen Mimen Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), der in Berlin «Hamlet» inszenierte und 1777 selbst die Hauptrolle übernahm. Im Dezember desselben Jahres spielte Schröder den König Lear, und im März 1780 war er erneut auf Gastspielreise in Berlin.

Schröder «war der erste, der es wagte, auf der Bühne natürlich zu sprechen» (Manfred Barthel: «Theater in Briefen», München, 1983). Er «spielte keine Rolle gut, er war immer der Mann selbst» (Friedrich Gottlieb Klopstock). «Seine Nachahmungsgabe überstieg alles Dagewesene» (Johann Wolfgang von Goethe). Schröder «hat versucht, Musik, Malerei, Poesie und Denken mit dem wirklichen Leben zu einigen» (Ludwig Tieck).

War es bisher üblich, am Theater mit großer Gestik und Gebärde zu agieren, so war gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit Schröder erstmals ein Schauspieler als wahrhafter Menschendarsteller präsent, der Charaktere überzeugend darstellen konnte und mit Gemütsregungen angemessen ausdrucksvoll umging.


Johann Gottfried Schadow: Szene aus «König Lear», Radierung, 1784

Schadow war deswegen so begeistert von Schröders Schauspielkunst, weil es ihm selbst künstlerisch um den menschlichen Ausdruck ging und weil er immer bemüht war, in seinen Zeichnungen und später auch in seinen bildhauerischen Arbeiten alles Pathetische, überzogen Gebärdenreiche zu vermeiden. Auch ein dargestellter Held war schließlich nur ein Mensch. Auf dem Zeichenblatt, in Marmor oder auf der Bühne.

Inspiriert vom Ausdrucksspiel Schröders, modellierte Schadow zusammen mit dem jungen Tassaert Handpuppen für das Puppenspiel, das sich damals einiger Beliebtheit erfreute. Für Schadow war es ein erster, noch spielerischer Entwicklungsschritt vom Zeichner zum Skulpteur.


Friedrich Ludwig Schröder als «König Lear», zeitgen. Grafik

Bei Friedrich Ludwig Schröder muss man neben dessen Schauspielkunst noch eine andere prägende Seite seiner Persönlichkeit ansprechen. Schröder war 1774 Freimaurer geworden, Mitglied der Loge «Emanuel zur Maienblume» in Hamburg, bei der er 1787 zum «Meister vom Stuhl» gewählt wurde. Das war die Zeit, als sich ein mystisch überhöhtes System von Ritualen und «Erkenntnisstufen» in den deutschen Landen verbreitet hatte. Schröder, Anhänger der geradlinigen «historischen» englischen Freimaurerei, trat gegen diese bunten Strömungen an und wurde fortan zum bedeutenden Reformator der deutschen Freimaurerei. Am Schröder’schen Lehrsystem orientieren sich bis heute viele Logen.

Ein anderer Reformer wirkte in den 1790er Jahren in Berlin: Ignaz Aurelius Feßler (1756–1839). Feßler war Mitglied der Loge, der auch Johann Gottfried Schadow ab 1790 angehörte. Es wird noch viel von ihm die Rede sein. Auch nach Feßlers Reformideen wird noch heute in den Logen gearbeitet.

Schröder und Feßler diskutierten über Form und Fassung ritueller Abläufe. Feßler sah diesen Gedankenaustausch «im Dienste der Vernunft und Tugend, im Kampfe und Arbeit für Wahrheit und Recht» (1798 in Schröders Stammbuch).

Schadow wird später noch in Verbindung zu diesen beiden Logenbrüdern stehen.

Das Theater hat Schadow sein Leben lang fasziniert. Er hat selbst Gedichte verfasst und vorgetragen, schrieb kleine Bühnenstücke und inszenierte Theater für private Kreise. Seine Stücke «Das Intermezzo» und «Der Teekessel» sind im Nachlass erhalten.

Im Theater fand er viele seiner Modelle. Schadow: «Schauspielerinnen sind für mich die interessantesten weiblichen Wesen und ziehen gewöhnlich die Aufmerksamkeit auf sich». So porträtierte er die Schauspielerinnen Friederike Unger, Henriette Sontag oder Louise Fleck. Eng verbunden war er mit dem Mann der Letztgenannten, dem Regisseur des Königlichen Nationaltheaters, Johann Ferdinand Fleck, dessen Grabmal er gestaltete (1801). Auch die Reliefs an der Fassade des Nationaltheaters am Gendarmenmarkt hatten (natürlich!) Theaterbezug. Schadow hat sie ebenso entworfen, wie die Figuren der Musen für den Theatervorhang.

Der künstlerische Ausdruckstanz interessierte ihn. Es gibt eine Reihe von Bewegungsstudien der Tänzer Salvatore Vigano und seiner Partnerin Josefa Maria.

Schließlich muss man Schadows Verbindung zum Direktor der Königlichen Schauspiele erwähnen, zu August Wilhelm Iffland (1759–1814), «…der auf der Bühne jeden seiner Finger mitsprechen ließ …» (Schadow).

Näher gekommen sind sich die beiden über das Theater, aber auch über die Freimaurerei. Iffland war von Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg zum Freimaurer aufgenommen worden. Iffland schrieb Schröder die schönen (vielleicht freimaurerisch inspirierten) Worte ins Stammbuch: «Der bessere Mensch ist der bessere Künstler.»

Eine solche Grundhaltung hatte wohl auch Johann Gottfried Schadow. Sie musste sich freilich erst entwickeln. Die Lehrjahre bei Tassaert stehen am Anfang der Selbstfindung.


August Wilhelm Iffland als Pygmalion, Gemälde von Anton Graff, 1800

Menschliches Maß und Königliche Kunst

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