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Linus oder Die Angst

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Ende Januar, an einem nicht allzu kühlen Wintermorgen des Jahres 1960, brach Linus Carl Pauling zu einem längeren Spaziergang außerhalb der Deer Flat Ranch auf, die der zweifache Nobelpreisträger seit 1956 mit seiner Frau Ava Helen bewohnte. Ihre Ranch, die herrliche Ausblicke auf den Ozean gewährte, anfangs nur mit dem Allernötigsten ausgestattet war, weder über einen Telefonanschluss noch Elektrizität verfügte und erst später zu einem komfortablen Domizil umgebaut wurde, befand sich im südlichen Abschnitt von Big Sur. Geschützt von einer kleinen Ausbuchtung der Küste, mehrere Meilen unterhalb von Gorda, aber noch nördlich von Ragged Point, unweit der Salmon Creek Falls und am Ende einer Abzweigung des Cabrillo Highway. Keine zwei Stunden, so die Planung, sollte Paulings Strand- und Waldbummel dauern. Es wurden vierundzwanzig.

Der damals Achtundfünfzigjährige, ein deutschstämmiger Chemiker aus Portland, Oregon, den man für seine bahnbrechenden Forschungen, etwa auf dem Gebiet der Quantenchemie, vielfach ausgezeichnet hatte, war in mehrfacher Hinsicht ein höchst ungewöhnlicher Wissenschaftler. Als Wegbereiter der Molekularbiologie galt er in universitären Kreisen als Pionier und veritables Genie, war anerkannt und unumstritten, erntete größte Bewunderung. Doch zählte er auch zu den ersten maßgeblichen Skeptikern, was die Nutzung der Atomenergie und den Umgang mit Nuklearwaffen anging, und wandelte sich, erschüttert durch entsprechende Erlebnisse und Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs und danach, allmählich zum Friedensaktivisten und erklärten Widersacher der Atomrüstung. Er sah es, gerade weil er allseits als Autorität wahrgenommen wurde, als seine Pflicht an, die Menschen auf allen Kontinenten über die Konsequenzen dieser bedenklichen Entwicklung aufzuklären und über die Gefahren des Wettrüstens sowie die Gesundheitsrisiken von Atomtests zu informieren.

Schon 1943 hatte er ein Angebot Robert Oppenheimers zur Mitwirkung am berühmt-berüchtigten »Manhattan Project« ausgeschlagen, damals indessen aus familiären Gründen. Einige Jahre später hatte er Albert Einsteins achtköpfigem »Emergeny Committee of Atomic Scientists« angehört, was ihn noch stärker zu einem friedliebenden, verantwortungsvollen und unbeirrbaren Ausnahmeakademiker formte. Paulings Engagement als Vorreiter eines neuen, wissenschaftlich begründeten Pazifismus trug ihm das Image als »Protagonist und Mentor linksliberalen Zeitgeistes«, wie die Zeit in einem Nachruf schreiben sollte, als Dissident, der sich in der Öffentlichkeit wiederholt detailliert über die bedenklichen Aspekte des Hochrüstens und die fatalen Nebenwirkungen von Atomtests ausließ, die Wertschätzung und Hochachtung zahlloser kritischer Mitbürger und Kollegen im In- und Ausland ein, führte allerdings auch dazu, dass man ihm, vor allem von staatlicher Seite, zunehmend mit Misstrauen begegnete.

Dieses lautstarke und nicht nachlassende Engagement, stets diplomatisch, wenngleich mit Entschiedenheit vorgebracht, sowie Paulings Mitgliedschaft in der sowjetrussischen Akademie der Wissenschaften waren den selbst ernannten Sittenwächtern, politischen Zensoren und Denunzianten der McCarthy-Ära, die hinter jeder pazifistischen Meinungsäußerung kommunistische Umtriebe und antiamerikanische Verschwörungen witterten, ein Dorn im Auge. So kam es zu der grotesken Situation, dass der Mahner, der nach Kriegsende bereits die Medal for Merit erhalten hatte, mithin die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten, Anfang der Fünfziger und somit auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges mit einem Ausreiseverbot belegt wurde, als er im westlichen Ausland an einem wissenschaftlichen Kongress teilnehmen wollte. Seinem internationalen Renommee tat diese absurde Demütigung, die ihn zeitweise ins innere Exil trieb, keinen Abbruch; die Rehabilitierung folgte auf dem Fuße. Außerhalb der USA war die Wertschätzung für seine Leistungen schier grenzenlos: 1954 erkannte man ihm den Nobelpreis für Chemie zu, ein Jahrzehnt danach den Gandhi-, den Lenin-Friedenspreis der UdSSR und den Friedensnobelpreis für sein Vorhaben und seinen Willen, fortan seine ganze Kraft dem Weltfrieden zu widmen. Diese zweimalige Ehrung durch das Nobelpreiskomitee in unterschiedlichen Disziplinen war zuvor und ist seitdem außer Marie Curie noch keiner anderen Einzelperson zuteilgeworden.

1960 lag dieser zweite Nobelpreis noch in der Zukunft, ebenso wie sein Einsatz gegen die zunächst unheilvolle, dann verheerende amerikanische Beteiligung am Vietnamkrieg oder auch der letzte, weit weniger überzeugende und von seltsamen Verlautbarungen und Publikationen beherrschte Schaffensabschnitt Paulings, in dem er mit wirren und nicht immer seriösen Theorien zur Lebensverbesserung und -verlängerung durch exzessiven Vitaminkonsum aufrief. Damals galt er noch nicht als Spinner, Wunderdoktor oder Guru, sondern ließ sich mit Vorliebe als liebenswürdiger Herr in den mittleren Jahren ablichten, spitzbübisch in die Kamera lächelnd, stets mit einer Baskenmütze angetan. Zu diesem Image als keineswegs abgehobener, sondern bodenständiger und naturverbundener Zeitgenosse, weise und schalkhaft zugleich, passte der Entschluss Linus’, was seinen Lebensmittelpunkt anging: dem aufreibenden universitären Umfeld in den Großstädten schon früh den Rücken zu kehren, den Medienrummel zu ignorieren und sich, wann immer es nur möglich war, nach Big Sur zurückzuziehen. Ava, die er schon mit Anfang zwanzig geheiratet hatte und die im Laufe der Jahre ihrerseits zu einer leidenschaftlichen Verfechterin von Frauen-, Friedens- und Bürgerrechten wurde, sowie ihre gemeinsamen vier Kinder, allesamt brillante Nachwuchswissenschaftler, folgten ihm gern in die selbst gewählte Einsamkeit und fühlten sich rasch auf der spartanisch eingerichteten Deer Flat Ranch und in deren näheren Umgebung wohl und heimisch.

An jenem Januarmorgen, einem Samstag, wäre Pauling die triviale Entscheidung für einen Spaziergang beinahe zum Verhängnis geworden. Ava hatte er mitgeteilt, er wolle den Zustand einiger Zäune überprüfen, die unweit vom Meer ihr Grundstück eingrenzten, und werde zum Mittagessen wieder zurück sein, zu dem ein Gast erwartet wurde. Nach Abschluss der Zaunkontrolle aber wandte sich Linus, der nur leichte Kleidung trug, einen Spazierstock mitführte und natürlich keine Wanderausrüstung dabeihatte, einem kleineren Berggipfel oberhalb des Strandes zu, in dessen Nähe er schon immer die Mündung des Salmon Creek vermutet hatte, wandte sich ohne erkennbares Motiv aber vom Meer ab und kam so – suchend, gedankenverloren – immer weiter von seinem ursprünglichen Weg ab. Neugier und Abenteuergeist trieben ihn an, als wäre er auf einer Exkursion.

Ohne auf Zeit und Orientierungspunkte zu achten, folgte er Wildfährten, kletterte über Felsen und kam auf einmal vor einer steil aufragenden steinernen Wand zum Stehen. Direkt über ihr musste der neue Weg irgendwo weitergehen, aber das Hindernis ließ sich weder frontal noch seitlich überwinden. Also bewegte er sich zentimeterweise an einer anderen Stelle auf zusehends unsicherem Gelände vorwärts, rutschte über Geröllbrocken, glitt aus, richtete sich auf, machte, als er einsehen musste, dass er auch hier nicht weiterkam, wieder kehrt und blickte, von einem ins Freie ragenden, ungeschützten Felsvorsprung aus, den er Minuten zuvor mühelos überquert hatte, zum ersten Mal wieder zurück – in die Richtung, aus der er gekommen war. Eine fatale Entscheidung: Unter ihm gähnte ein Abgrund, zwanzig Meter vor ihm in der Tiefe peitschten die Wellen gegen die Klippen, links und rechts von ihm führten alle Abzweigungen in die Irre, und weiter nach oben mochte er sich auch nicht wagen.

Aus unerklärlichem Grund fühlte er sich außerstande, auf dem bewährten Hinweg – der nun auch viel zu riskant auf ihn wirkte – wieder hinabzusteigen. Er saß fest. Plötzliche Todesangst überkam ihn. Und er beschloss, nachdem er sich, um Hilfe bittend, die Seele aus dem Leib geschrien hatte, einstweilen einfach tatenlos abzuwarten. Er hoffte, die Küste mit den Augen absuchend, auf das Erscheinen seiner Frau, die ihn vom Meer aus doch einfach entdecken musste, sobald sie sich auf die Suche nach ihm machte. Oder auf einen Geistesblitz, der nicht kam. Für unbestimmte Zeit, so viel stand fest, wurde der Felsvorsprung, weder besonders breit noch lang, wohl oder übel zu seinem neuen Zuhause oder Gefängnis. Sei es, weil ihm seine übliche Zuversicht abhandengekommen war, sei es, weil er das Vertrauen in Trittsicherheit und Schwindelfreiheit verloren hatte: Pauling ließ die Stunden im Sitzen verstreichen und hoffte, zwischen Grübeln und Panikattacken schwankend, inständig auf einen Wink des Schicksals. Erst kam ihm das Ganze fast lachhaft vor, dann erkannte er den Ernst seiner Lage. Mit Ungeduld war der verfahrenen Situation nicht beizukommen. Vernünftige Optionen, sich zu befreien, gab es keine. Die Essenszeit war längst vorüber, der Nachmittag zog sich in die Länge. Schatten senkten sich über ihn herab. Er fröstelte. Seine neuerlichen Rufe verhallten ungehört, und dann brach die Dämmerung herein.

Ihm wurde klar, dass er die Nacht hier würde verbringen müssen. Ohne Schutz vor Kälte und selbstverständlich ohne Verpflegung. In einer Vertiefung etwa auf der Mitte seines Felsens richtete er sich ein halbwegs bequemes Lager ein, brach Äste von den ihn umgebenden Büschen ab und formte sie zu einer Art Sitzkissen, schaufelte Erde unter sich und deckte sich, nachdem er die Beine ausgestreckt hatte, mit laubbehangenen Zweigen zu, so gut es eben ging. Inzwischen vermochte er nicht mehr zu entscheiden, wovor er sich am meisten fürchtete – hier tagelang zum Ausharren gezwungen zu sein, bis er schließlich verhungerte oder sich aus Verzweiflung in den Tod stürzte. Oder, von Müdigkeit übermannt, einzuschlafen, die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren und in die Tiefe zu gleiten. Daher entschloss er sich zu einer ganzen Reihe von Denkübungen: Er rekapitulierte die Gleichungen und Resultate seiner einstigen Forschung in allen Einzelheiten und sagte sie sich mit lauter Stimme vor; er ging, Reihe für Reihe, das Periodensystem der Elemente durch und versuchte sich dabei an jedes Detail zu erinnern; er zeichnete mit seinem Stock die verschiedenen Sternbilder über sich nach, denen, so dankbare wie zum Widerspruch unfähige, stumme Zuhörer, er kleine Vorträge hielt. Er sorgte dafür, dass ihm weder die Beine noch die Arme einschliefen. Zwischendurch zog Nebel auf, bewölkte sich der Nachthimmel. Kurz vor Morgengrauen hielt er sich weiterhin wach und zählte in allen ihm bekannten Sprachen mit eiserner Disziplin vor sich hin. Schließlich wurde es allmählich hell, und ein neuer Tag mit ungewissem Ausgang lag vor ihm.

In der Zwischenzeit hatte rund um die Deer Flat Ranch eine fieberhafte Suche nach Linus eingesetzt. Von seinem Ausbleiben beunruhigt und von einer kurzen Wanderung den Strand entlang ohne ein Lebenszeichen von ihm zurückkehrend, hatte Ava Alarm geschlagen und nacheinander einen Ranger, ihren Schwiegersohn und auch einen Sheriff mobilisiert, die, jeder für sich, auf die Suche gingen, einmal sogar in Reichweite Paulings gerieten und erst am späten Abend ihre Aktionen unverrichteter Dinge abbrechen mussten. Einer der Männer machte sich sogar erneut während der Nachtstunden auf, lief freilich abermals in die verkehrte Richtung, da er allein auf Avas Mutmaßungen angewiesen war. Am nächsten Morgen wurde die Suche, an der sich nun weitere Menschen beteiligten, ausgeweitet, und genau einen Tag nachdem der berühmte Forscher verschwunden war, gelang gegen zehn Uhr früh überraschend die Kontaktaufnahme zwischen einem der Retter und dem wild gestikulierenden Eingeschlossenen. Der Helfer informierte den Sheriff, der seinerseits Ava die beruhigende Nachricht zukommen ließ, dass ihr Ehemann lebend aufgefunden worden sei, und es wurden Stricke und Seile geordert. Doch noch bevor sie eintrafen, sah sich Pauling sehr wohl in der Lage, unter Hilfestellung des Sheriffs von allein von seinem Felsvorsprung hinunterzusteigen – etwas, was er sich vormals nicht getraut hatte. So als hätte er eine vorübergehende geistige Lähmung überwunden, fand er sein Selbstvertrauen wieder. Ohne gestützt werden zu müssen, gelang es dem sichtlich erleichterten Linus in Begleitung vom Sheriff und einem Mann aus dem Verstärkungstrupp, die Klippen hinter sich zu lassen und am Strand entlang wieder zu seinem Haus zu wandern. Sogar zu flachsen vermochte er. Und er nahm auch ein arg verspätetes Mittagessen ein. Noch schien ihm die gerade zurückliegende Erfahrung nicht zuzusetzen, er wirkte weder konfus noch überwältigt, ließ sich keine übertriebenen Emotionen anmerken und verfiel auch nicht in freudige Hysterie.

An einen vollständigen Rückzug und echte Entspannung daheim war jedoch an diesem Sonntag vorerst nicht zu denken. Zunächst galt es, viele Hände zu drücken, aufrichtigen Dank auszusprechen sowie einige aufdringliche Reporter und andere hartnäckige Neugierige abzuwimmeln, mit denen Ava ihre liebe Not hatte. Einige sensationslüsterne Journalisten hatten unterdessen, noch bevor man Linus ausfindig gemacht hatte, voreilig das törichte Gerücht in Umlauf gebracht, Pauling sei tot – was von einer Radiostation in der San Francisco Bay Area unüberprüft verbreitet wurde und zwei von Paulings erwachsenen Kindern zu Ohren kam, noch bevor es dementiert werden konnte. Sie waren entsetzt, mussten mehrere Stunden lang mit der Falschnachricht klarkommen und beruhigten sich erst wieder, als sie sich vor Ort persönlich vom Gegenteil überzeugen konnten.

Auch sonst war das Medienecho auf den Vorfall in Big Sur beträchtlich – bescheiden für heutige Verhältnisse, nach damaligen Maßstäben aber enorm und voller wilder Spekulationen. Was Linus anging, so ließen Nachwirkungen wie die Freude, überlebt, der Triumph, dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen, und die Einsicht, sich aus Fahrlässigkeit in eine bedrohliche Situation manövriert zu haben, noch eine Weile auf sich warten. Gemeinsam mit Ava belud er sein Auto und kehrte nur zwei Tage nach seiner Rettung an seine langjährige Wirkungsstätte in Pasadena, ans angesehene California Institute of Technology, kurz Caltech, zurück. Am Dienstag machte er sich dort zu einer Vorlesung auf, so als wäre es ein beliebiger Tag an der Uni und als hätte er sein traumatisches Erlebnis bereits vollständig verdrängt. Dann aber verließ ihn, von einer Minute auf die andere, kurz nach dem Eintreffen die Beherrschung. Er weigerte sich, ohne eine Erklärung abzugeben, an einer kleinen Willkommensfeier teilzunehmen, die man ihm zu Ehren ausrichten wollte, schritt grußlos, brüsk und in sich gekehrt an Kollegen, Studierenden und Freunden vorbei, verschanzte sich in seinem Büro und ließ alle Verdutzten wissen, dass er sich den Tag freinehme und solange um Rücksicht bitte, indem er eine entsprechende Notiz unter seiner Tür hindurchschob. Wieder wurde der Schwiegersohn verständigt, der Pauling gut zuredete und ihn schließlich heimfuhr, diesmal in das Haus in Pasadena.

Erst jetzt traf ihn der Schock mit ganzer Wucht. Erst jetzt kam ihm zu Bewusstsein, dass er sich und den Seinen einen gehörigen Schrecken eingejagt, dass er sich selbst mit seiner leichtsinnigen Aktion eine Lektion in Demut erteilt hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als tagelang das Bett zu hüten, wo er das Erlebte wieder und wieder Revue passieren ließ und die monotone Erfahrung der Mutlosigkeit reaktivierte. Mit allen unerfreulichen Details. Ein zurate gezogener Arzt verordnete Ruhe und kümmerte sich vornehmlich um einen Hautausschlag Paulings, den sich sein Patient in seinem Bett aus Laub und Zweigen zugezogen und der Allergien und Juckreiz bei ihm ausgelöst hatte. Linus, dem Eloquenten, gingen die Worte aus. Stumm und teilnahmslos dämmerte er in seinem Schlafzimmer vor sich hin, haderte mit seinem Zustand, quälte sich mit Zweifeln und Selbstvorwürfen. Ein Besuch von Tochter und Enkelkindern heiterte ihn nicht auf, sondern ließ ihn die Fassung verlieren und in Tränen ausbrechen. Womöglich konnte ihn aber ein liebevolles und auch witziges Telegramm von Marlon Brando wieder aufmuntern. Darin bat der gefeierte Filmschauspieler den »lieben Dr. Pauling«, sich doch bitte in Zukunft von abschüssigem Gelände und steilen Felsen fernzuhalten. Jedenfalls so lange, bis die brennenden Fragen der Atomtests und der Abrüstung endgültig geklärt seien – schöner, ironischer und einfühlsamer konnte man kaum in wenige Worte fassen, dass viele Menschen in den USA und anderswo auf Linus’ Engagement nicht verzichten konnten und wollten, dass sie auf ihn, ein Vorbild und ein Ausbund an Geradlinigkeit, setzten und dass schon diese kurze Unterbrechung von ihnen als empfindlicher Verlust empfunden wurde.

Überall wurde der Hoffnungsträger Pauling vermisst. Glück- und Genesungswünsche aus der ganzen Welt trafen bei ihm ein; Hunderte sprachen ihm schriftlich und mündlich Mut zu. Vertraute wie Wildfremde versetzten sich in Briefen und Gedanken in die Lage des auf seiner Klippe Gefangenen, der sich insgeheim noch immer keinen Reim darauf machen konnte, warum er hoch oben über dem Meer, angezogen und festgehalten von einem übermächtigen, unsichtbaren Magneten, keinen Ausweg zu finden vermocht hatte und passiv geblieben war. Es war ihm ein Rätsel, warum er sich dort oben in der Einsamkeit als hilflos und handlungsunfähig erwiesen hatte. Zwei ganze Wochen dauerte die dringend notwendige Regenerationsphase, in der wohl auch viel Hektik und Stress als Folge seiner zahllosen Aktivitäten in den Vorjahren von ihm abfielen. Die Verunsicherung saß weit tiefer, als er es sich anfangs eingestehen mochte. Für alle Zeit war er zum Opfer seines eigenen Übermuts, seiner eigenen Naivität geworden – diese Erkenntnis ließ sich weder beschönigen noch auslöschen.

Als er einigermaßen erholt, bescheiden und dankbar geworden und erst unvollkommen geläutert wieder ins Alltagsleben zurückkehrte, wusste er nur eines mit Sicherheit: In Big Sur, wo er 1994 dann auch, nach einem erfüllten Dasein, dereinst das Zeitliche segnen sollte, hatte er, mutterseelenallein über dem Ozean thronend und von seiner eigenen Zaghaftigkeit wie eingekerkert, zum ersten Mal dem Tod ins Auge geblickt.

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