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ZWISCHENSPIEL I Beethoven und das Klavier Einleitung

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Beethoven formte fast jedes Medium um, mit dem er in Berührung kam, und kleinere Werke gibt es nur wenige. Sogar in seinen frühesten veröffentlichten Werken, die er komponierte, als er sich noch stark mit der Klassik, vertreten durch Mozart und Haydn, identifizierte, erweiterte er sowohl Länge als auch emotionale Bandbreite der überkommenen Formen. Die drei Klaviertrios Op. 1 und die drei Klaviersonaten Op. 2, alle 1794–95 vollendet, sind weitaus länger als die Sonaten und Trios von Mozart und Haydn im Schnitt. Im Ganzen erfordern Beethovens Sonaten einen Grad an Virtuosität, der weit über die schwierigsten haydnschen oder mozartischen Sonaten hinausgeht, ausgenommen Haydns letzte Sonate Nr. 62 Es-Dur. Während die Sinfonien bei Haydn und Mozart im Schnitt gut unter einer halben Stunde dauern, erstrecken sich Beethovens dritte und sechste Sinfonie bis zu knapp 50 Minuten, während die Neunte um die 70 Minuten dauert. Was die Form betrifft, wie so viele andere Dinge, etablierte Beethoven schon früh seine Unabhängigkeit und griff auf die Tradition nur zurück, wo es ihm gefiel. Er verwendet die klassische „Sonatensatzform“ mit noch größerer Freiheit und Eigenart als sein Lehrer Haydn. Die kraftvoll integrierten Einheiten in Beethovens Musik (die Generationen von Musikliebhabern ohne jegliches technisches Verständnis aufgenommen haben) entstammen größtenteils der organischen Beschaffenheit ihrer Entwicklung. Dessen muss man sich beim Hören nicht bewusst sein. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Beethoven sich dessen selbst nicht bewusst war. Aber der Grad der thematischen Einheit in seinen Werken ist bemerkenswert. Beinahe alle Themen seiner berühmten „Pathétique“-Sonate leiten sich z.B. auf die ein oder andere Weise vom Motiv der ersten vier Noten ab, während das zweite Hauptthema im ersten Satz der „Appassionata“-Sonate im Grunde eine Variante der ersten ist, nur umgekehrt – eine haydnsche Technik, die hier mit beispielloser Ausdruckskraft angewendet wurde.

Nur wenige Komponisten vor Beethoven kommen dem Umfang, der Intensität und dramatischen Gegenüberstellung von Emotionen auch nur nahe, die in all seinen bedeutenden Werken und in vielen seiner unbedeutenderen offenbar sind, und kein Komponist kam an seine Heftigkeit heran. Es ist kaum eine Übertreibung zu behaupten, dass es in Beethovens Musik mehr stechende, peitschende, hämmernde, rhythmisch verzerrende Akzente gibt als in der Musik aller seiner Vorgänger zusammen. Es heißt, Beethovens letzte Tat in dieser Welt war, seine Faust gen Himmel zu schütteln, als er mitten in einem Ungewitter aus dem Koma erwachte. In seiner Musik hatte er fast zeit seines Lebens hin und wieder dasselbe getan. Beethoven war der dramatischste Komponist, der je gelebt hat. Er war zudem der erste, für den die offene Gefühlsäußerung das beständigste Leitprinzip in seiner Musik war. Wo die Auflösung verbundener Gegensätze das oberste (und utopistischste) Prinzip der klassischen Sonate war, ist der Angelpunkt bei Beethoven die Auflösung (oder nicht) eines Konflikts. In seinen größten tragischen Werken, wie der turbulenten „Appassionata“, werden die Spannungen nicht aufgehoben, und Utopia hat keine Chance. In seinen heiteren Spätwerken, wie dem letzten Satz seiner letzten Klaviersonate, werden die Spannungen nicht nur gelöst, sondern ganz ausgelöscht, und wir bleiben in einer Welt transzendenter seelischer Reinheit zurück. Beethovens reife Werke fallen grob in drei Abschnitte, die man gemeinhin frühe (ca. 1790–1803), mittlere (ca. 1803–1815) und späte (ca. 1815–1826) Periode nennt. Weitgehend ist die frühe Periode die, in der er hauptsächlich mit dem Erbe der klassischen Tradition arbeitet; der mittlere Abschnitt umfasst die sogenannte „heroische“ Periode, in der er die großen klassischen Formen Sonate, Streichquartett und Sinfonie derart erweiterte und vertiefte, dass es viele als formale und dramatische Grenzen empfanden, und dehnte die technischen Anforderungen seiner Instrumentalkompositionen auf eine Weise aus, dass sie nur in Reichweite der besten Amateure waren; die späte Schaffensperiode vereint transzendente Spiritualität, eine zunehmende Beschäftigung mit dem Kontrapunkt und eine neue Betonung der formalen und thematischen Einheit innerhalb mehrsätziger Stücke. Aber dies kann nur als Verallgemeinerung angesehen werden, da es in jeder Periode zahlreiche Werke gibt, die die Charakteristika anderer Perioden beinhalten. In jedem Fall sind weder Kunst noch Leben so akkurat.

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