Читать книгу Auf silbernen Gefilden - Jerzy Żuławski - Страница 5

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Siebzig Stunden sechsundvierzig Minuten nach Ankunft auf dem Mond.

O’Tamor ist gestorben.

Der erste Mondtag, drei Stunden nach Sonnenaufgang.

Wir sind nur noch vier. In einer Weile treten wir die Reise an. Alles ist bereit: unser Fahrzeug hat sich, nachdem die Räder befestigt sind und nach Aufstellung des Motors, in einen Wagen verwandelt, der uns, diese Wüste durcheilend, dem Lande zuführen soll, wo wir leben und atmen können ... O’Tamor wird hier bleiben ...

Wir sind von der Erde geflohen, — aber der Tod, der mächtige Herr des Erdengeschlechtes, hat mit uns den Weltenraum durchflogen und uns gleich im Anfang in Erinnerung gebracht, daß er bei uns ist — unbarmherzig, siegreich — wie dort! Wir fühlten seine Gegenwart und Nähe, seine Allherrschaft so lebhaft wie niemals auf der Erde. Wir sehen uns unwillkürlich an: Wer kommt jetzt an die Reihe? ...

Es war noch Nacht, als plötzlich Selena aus der Ecke hervorkam, wo sie seit einigen Stunden zusammengekauert gelegen und, die Schnauze dem durch das Fenster leuchtenden Halbmond der Erde entgegenstreckend, entsetzlich zu heulen begann. Wir sprangen alle auf, wie von einer inneren Kraft in die Höhe geworfen.

— Der Tod kommt! schrie Martha.

Woodbell, der sich besser fühlte, stand am Lager O’Tamors und wandte sich langsam zu uns:

— Er ist schon gekommen, sagte er.

Wir trugen die Leiche aus dem Fahrzeug hinaus. In diesem felsigen Grunde ist es unmöglich ein Grab zu graben. Der Mond will unsere Toten nicht beherbergen — wie wird er uns Lebende aufnehmen?

Wir legten also die Leiche auf diesem harten Mondfelsen auf den Rücken, das Gesicht der am Himmel leuchtenden Erde zugekehrt und sammelten die hier und da auf der Ebene zerstreut liegenden Steine, um aus ihnen ein Grab zurechtzulegen. Wir umgaben den Dahingeschiedenen mit einem nicht allzu hohen Wall, konnten jedoch keine genügend große Steinplatte finden, um ihn zu bedecken. Da sagte Peter durch das Rohr, das unsere Köpfe verband und so eine Verständigung ermöglichte:

— Lassen wir ihn hier so liegen ... Siehst du nicht, daß er auf die Erde blickt?

Ich betrachtete den Toten. Er schien in der Tat mit verglasten, weit aufgerissenen Augen in das Auge der Erde zu starren, das sich immer mehr schloß, immer mehr vor dem Glanze der uns noch unsichtbaren Sonne, die bald aufgehen sollte. Mag er so liegen bleiben ...

Aus zwei Eisenstäben, den Bruchstücken des zerschmetterten Gerüstes, das uns während des Falles vorm Zermalmen bewahrt hatte, machten wir ein Kreuz und befestigten es auf dem Steinwall über dem Haupte O’Tamors.

Da — als wir die traurige Arbeit gerade beendet hatten und zum Fahrzeug zurückkehren wollten, geschah etwas Seltsames. Die Gipfel der Berge, die vor uns in dem fahlen Schein der Erde auftauchten, färbten sich plötzlich, ohne jeglichen Übergang, blutigrot und dann erstrahlten sie in einem weißlich glühenden Glanze auf dem Hintergrunde des tiefschwarzen Himmels. Der Fuß der Berge erschien jetzt, durch den Kontrast der Beleuchtung gänzlich verdunkelt, fast unsichtbar; nur die höchsten Kappen hingen über uns, wie ein im Feuer erglühter Stahl, sich allmählich, aber stetig vergrößernd. Infolge des Mangels der Luftperspektive, die auf der Erde die Schätzung der Entfernung ermöglicht, schienen diese weißen Flecke auf dem Hintergrunde des schwarzen Himmels, inmitten der Gestirne, gerade über unseren Häuptern zu hängen, wie abgerissen von dem felsigen Fundament, das sich in der Dämmerung verlor. Wir wagten kaum die Hand auszustrecken, aus Furcht, diese Stücke des lebendigen Lichtes zu berühren.

Sie aber wuchsen und wuchsen vor unseren Augen, als wenn sie sich uns in langsamer, unerbittlicher Bewegung näherten; bald waren sie so dicht vor uns, daß wir unwillkürlich zurückwichen ... gänzlich vergessend, daß diese Gipfel Hunderte, vielleicht auch Tausende von Metern von uns entfernt sind.

Plötzlich sah Peter sich um und stieß einen Schrei aus. Ich wandte, seiner Bewegung folgend, den Kopf und — stand wie festgebannt vor einem unerhörten, nicht zu schildernden Schauspiel im Osten!

Über dem schwarzen Grat eines Berges glimmte die blasse, silberne Säule eines Zodiakallichtes. Wir starrten, einen Augenblick den Toten vergessend, auf diesen Punkt, als unten an der Säule, dicht an der Grenze des Horizontes, kleine, springende rote Flämmchen im Kranze zu flackern begannen.

Die Sonne ging auf! Die mit so heißer Sehnsucht erwartete, lebenspendende Sonne, die O’Tamor hier nicht mehr sehen soll!

Wir weinten beide wie Kinder.

Und schon erstrahlte sie am Horizonte, hell und weiß. Jene zuerst wahrgenommenen roten Flämmchen waren Protuberanzen, starke Ausströmungen glühender Gase, die von der Sonnenkugel nach allen Richtungen hinschießen und auf der Erde, wo sie durch die Atmosphäre verblassen, nur während einer vollkommenen Sonnenfinsternis sichtbar sind. Hier, beim Fehlen der Luft, zeigten sie uns das Erscheinen der Sonnenscheibe an und werden es noch lange jeden Tag so anzeigen, für kurze Augenblicke einen blutigen Schein auf die Berge werfend, ehe sie in blendender Weiße im vollen Tagesglanz erglühen.

Nach einigen Minuten erschien an Stelle des roten Flammenkranzes ein weißes Segment der Sonnenscheibe über dem Horizont; eine volle Stunde brauchte diese Scheibe, um hinter den Felsen im Osten hervorzukommen.

Diese ganze Zeit hindurch waren wir, trotz der immensen Kälte, mit den Vorbereitungen zur Reise beschäftigt. Jeder Augenblick ist wertvoll; man darf die Abfahrt nicht länger hinausschieben. Jetzt ist schon alles bereit.

Es ist seit Aufgang der Sonne wärmer geworden. Ihre Strahlen, obwohl sie noch schräg fallen, wärmen mit der ganzen Kraft, da sie nicht durch die Atmosphäre abgeschwächt sind, wie dies auf der Erde der Fall ist. Ein seltsamer Anblick! ...

Die Sonne flammt wie eine strahlenlose Kugel, die auf den Bergen wie auf einem mächtigen schwarzen Kissen ruht. Es gibt hier nur zwei Farben, die durch ihren scharfen Kontrast das Auge unaussprechlich quälen: Weiß und Schwarz. Der Himmel ist schwarz und, obwohl es schon Tag geworden, mit einer unermeßlichen Anzahl von Sternen übersät; rings um uns breitet sich eine leere, wilde, Entsetzen erregende Landschaft, ohne Milderung des Lichtes, ohne Halbschatten, zur Hälfte schimmernd weiß vom Sonnenglanz, zur Hälfte dagegen in tiefes Schwarz gehüllt. Es fehlt jene Atmosphäre, die auf der Erde dem Himmel die wundervolle blaue Farbe verleiht, die, selbst von Licht übersättigt, die Sterne vor Sonnenaufgang verrinnen läßt und wonnige Dämmerungen schafft; die sich beim Morgen- und Abendrot in zartes Rosa taucht, in Regenbogen tränkt, mit Wolken verfinstert und feine Übergänge vom grellen Licht zur milden Dämmerung malt.

Nein, unsere Augen sind nicht für dieses Licht und diese Landschaftsbilder geschaffen!

Wir befinden uns auf einer weiten Ebene von massivem Gestein, das hie und da von Spalten zerrissen ist, die sich in nordwestlicher Richtung erstrecken. Im Westen (Osten und Westen unsrer Welt bezeichne ich, übereinstimmend mit der tatsächlichen Lage, also umgekehrt wie wir dies in den Mondkarten auf der Erde finden) im Westen also sieht man steile Hügel, über denen in nordwestlicher Richtung der zerrissene Grat eines Berges thront. Im Norden erhebt sich die Ebene allmählich, jedoch, wie es scheint, zu bedeutender Höhe. Nach Osten zu werden unzählige Spalten, Gebirgsvorsprünge und kleine Schluchten, die künstlich ausgegrabenen Vertiefungen ähneln, sichtbar, und gegen Süden erstreckt sich eine unabsehbare Flachebene.

Varadol behauptet, auf Grund der in Eile vorgenommenen Messungen des Höhenstandes der Erde am Himmel, daß wir uns tatsächlich auf dem Sinus Medii befinden, wohin wir nach den Berechnungen hätten fallen müssen. Mir scheint dies jedoch nicht ganz richtig zu sein, denn die Gipfel, die im Norden und Westen jene Flachebene begrenzen, nämlich die aus den Karten bekannten: Mosting, Sommering, Schroter, Bode und Pallas, entsprechen weder ihrer Lage noch ihrer Höhe nach dem, was wir hier vor uns sehen. Aber schließlich ist es einerlei! Wir fahren nach Westen, um längs dem Äquator, wo nach den Karten der Mondgrund am gleichmäßigsten zu sein scheint, diesen Globus zu umkreisen und auf seine andere Seite zu gelangen.

Bald wird von uns hier nichts mehr übrig sein! Nur das Grab mit dem Kreuze bezeichnet für ewige Zeiten die Stelle, an der die ersten Menschen auf dem Monde gelandet sind.

Lebewohl denn, Grab meines Freundes, du erster Bau, den wir auf dieser neuen Welt errichteten! Lebewohl, toter Freund, teurer und treuloser Vater, der du uns von der Erde entführtest und beim Eintritt ins neue Leben verlassen hast! Das Kreuz, das über deinem Grabe steht, gleicht einer Standarte, die Zeugnis dafür ablegt, daß der siegreiche Tod mit uns gekommen und auch dieses Reich erobert und in Besitz genommen hat ... Wir fliehen vor ihm; du bleibst mit ihm zurück, ruhiger als wir, auf die unbewegliche Erde starrend, die dich gezeugt, das Kreuz, dessen treuer Bekenner du warst, über deinem Haupte.

Am ersten Mondtage, einhundertsiebenundneunzig Stunden nach Sonnenaufgang. Mare Imbrium, 11° westlicher Länge, 17° 21’ nördlicher Mondbreite.

Endlich kann ich meine Gedanken sammeln! Welch ein furchtbarer, erbarmungslos langer Tag, was für eine entsetzliche Sonne, die ihre Gluten fast seit zweihundert Stunden aus diesem grundlos schwarzen Himmel herabsendet! Zwanzig Stunden sind schon seit Mittag vergangen und sie steht noch immer fast senkrecht über unseren Häuptern, inmitten einer Fülle glanzloser Sterne, neben dem schwarzen Reifen der verblaßten Erde, die von einem Hof lichtdurchtränkter Atmosphäre umgeben ist. Wie seltsam dieser Himmel über uns! Alles um uns herum hat sich verändert, nur die Konstellationen der Gestirne sind wie wir sie von der Erde aus gesehen haben. Hier, wo die Luft den Blick nicht trübt, sind unvergleichlich mehr Sterne sichtbar. Das ganze Firmament scheint wie mit Sand von ihnen überstreut zu sein. Die doppelten Sterne leuchten wie farbige Punkte, grün, rot oder bläulich, nicht in der uns bekannten Silberfarbe zerfließend. Dabei erscheint der Himmel, der hier keinen farbigen Lufthintergrund hat, nicht als flache, hohle Kuppel. Man wird sich im Gegenteil seiner unermeßlichen Tiefe bewußt und bedarf keiner Berechnungen, um festzustellen, welcher Stern weiter entfernt oder näher liegt. Blickt man auf den Großen Wagen, bemerkt man, daß einige seiner Sterne tief zurückliegen, im Vergleich mit anderen nähergerückten, während er, von der Erde aus betrachtet, wie sieben Stifte, die in eine glatte Decke eingeschlagen sind, aussah. Die Milchstraße ist hier kein loser Lichtstreifen, sondern eine kompakte Schlange, die sich durch die schwarzen Untiefen wälzt. Ich habe den Eindruck, als wenn ich durch ein wundervolles Stereoskop auf den Himmel sähe.

Und was das Merkwürdigste ist, die Sonne flammt inmitten der Sterne in strahlendster Helle und verdunkelt auch nicht das schwächste der himmlischen Lichter ...

Die Glut ist entsetzlich; man glaubt, die Felsen müßten zu schmelzen beginnen und zerfließen wie an schönen Märztagen das Eis auf unsern Flüssen. So endlos lange Stunden sehnten wir uns nach der Sonne und ihren erwärmenden Strahlen und jetzt müssen wir vor ihr fliehen, um unser Leben zu retten. Seit etwa zehn Stunden stehen wir auf dem Grunde einer tiefen Spalte, die sich vom Fuße des zerklüfteten Berges Eratosthenes den Apennin entlang in die Tiefe des Regenmeeres erstreckt. Hier erst, tausend Meter unter der Oberfläche, fanden wir Schatten und etwas Kühle ...

Nachdem wir hierher geflüchtet, schliefen wir vor Erschöpfung zehn Stunden ohne Unterbrechung. Im Traume schien es mir, daß ich mich noch auf der Erde befinde, in grünen, kühlen Hainen, wo von frischem Moos umrahmt ein kristallklarer Bach plätscherte. Weiße Wolken glitten am blauen Himmel dahin; ich hörte den Gesang der Vögel, das Summen der Käfer und Stimmen der Menschen, die vom Felde heimkehrten.

Selenas Bellen weckte mich auf.

Ich öffnete die Augen, war aber so verschlafen, daß ich lange nicht begreifen konnte, wo ich bin, was mit mir geschieht, was dieser verschlossene Wagen bedeutet und diese Felsen ringsumher, so öde und wild! Endlich wurde mir alles klar — und ein unaussprechliches Weh schnürte mir das Herz zusammen ... Selena bemerkte, daß ich nicht schlief und kam zu mir; ihre Schnauze auf meine Knie legend, sah sie mich mit ihren verständigen Augen groß an und es schien mir, daß ich in ihrem Blick einen stummen Vorwurf las ... Ich streichelte schweigend ihren Kopf, sie begann traurig zu winseln, sich nach ihren Jungen umsehend, die in der Wagenecke munter miteinander spielten. Diese Jungen, Wotan und Leda, sind die einzigen Geschöpfe, die hier froh sind.

Ah, es ist wahr! Manchmal ist auch Martha noch froh wie ein kleines Kind, aber nur, wenn Woodbell, der immer gleich elend ist, die Hand ausstreckt, um ihr üppiges, dunkelbraunes Haar zu streicheln. Dann strahlt ihr schmächtiges Antlitz in hellem Lächeln und ihre großen, schwarzen Augen blicken in grenzenloser Hingebung auf ihren Geliebten, der noch bis vor kurzem so männlich schön war und jetzt vom Fieber verzehrt und abgemagert dahinsiecht. Sie tut alles, um ihn aufzumuntern, ihm mit jeder Bewegung, mit jedem Blick zu sagen, daß sie ihn liebt und in seiner Nähe glücklich ist, selbst hier, wo es so schwer ist, glücklich zu sein. Ich kann mich einer schmerzlichen Eifersucht nicht erwehren, wenn ich sehe, wie sie ihre vollen, leidenschaftlichen Lippen über seine magere Hand, seinen Hals und sein Gesicht gleiten läßt; wie sie die Lider seiner kalten, müden Augen küßt und ihn liebkosend wie ein kleines Kind an ihre wundervoll geformte Brust bettet, ihm seltsame, für uns unverständliche Weisen singend. Er hörte sie wohl von denselben so heiß küssenden Lippen dort — in ihrem Heimatlande — am malabarischen Strande und jetzt, da sie wieder erklingen, muß er von den säuselnden Palmen, vom Rauschen des blauen Meeres träumen ... Dieses Weib bewahrte ihm in ihrer liebenden Seele die ganze Welt, die für uns unwiederbringlich verloren ist.

Nie werde ich den Tag vergessen, da ich sie zum erstenmal gesehen habe. Es war unmittelbar nachdem wir die Nachricht erhalten hatten, daß Braun zurücktritt. Wir saßen alle vier in Marseille, im Hotelzimmer, von dessen Fenstern aus man auf den Meerbusen blickt und sprachen über diesen Rücktritt des Kameraden, der uns sehr nahe ging.

Da meldete man uns, daß eine Frau uns sofort sprechen wolle. Wir überlegten noch, ob wir sie empfangen sollten, als sie schon selbst ins Zimmer trat. Sie war gekleidet wie die Töchter reicher Eingeborener im südlichen Indien. Das Gesicht, ungewöhnlich schön, hatte einen halb verängstigten, halb entschlossenen Ausdruck. Wir sprangen alle erstaunt auf, Tomas aber erblaßte und starrte, sich über den Tisch neigend, aufmerksam forschend in ihr Antlitz. Mit gesenktem Kopfe blieb sie an der Tür stehen.

— Martha, du hier! rief endlich Woodbell.

Sie kam näher und erhob das Haupt. In ihren Zügen war keine Spur mehr von Zaudern oder Unsicherheit; nur eine wahrhaft südländische Leidenschaft flammte aus ihren von schweren Lidern halb bedeckten schwarzen Augen.

Das volle runde Kinn war vorgebeugt; die roten Lippen halb geöffnet, streckte sie Tomas die Hände entgegen und antwortete, zu ihm aufblickend:

— Ich bin dir gefolgt und werde dir überallhin folgen, selbst auf den Mond!

Woodbell war blaß wie eine Leiche. Er fuhr sich mit beiden Händen an den Kopf und rief fast stöhnend:

— Das ist unmöglich!

Sie sah uns an, und scheinbar dem Alter nach schließend, daß O’Tamor unser Führer sei, warf sie sich ihm zu Füßen, so schnell, daß er nicht Zeit hatte, sie aufzuhalten.

— Herr! rief sie, seine Knie umklammernd, Herr, nehmt mich mit Euch! Ich bin die Geliebte Eures Kameraden; alles habe ich für ihn hingegeben, er darf mich jetzt nicht verlassen! Ich liebe ihn! Ich hörte, daß einer Eurer Genossen zurücktrat und bin von Indien hierher gekommen. Nehmt mich mit! Ich werde Euch keine Unbequemlichkeiten verursachen. Ich will eure Dienerin sein! Ich bin reich, sehr reich, ich gebe Euch Gold und Perlen, soviel Ihr wollt. Mein Vater war Radscha in Travancore am malabarischen Strand und hinterließ große Schätze. Ich bin auch kräftig genug, seht!

Bei diesen Worten streckte sie die nackten, schwarzbraunen Arme aus.

Varadol stammelte:

— Aber für eine solche Reise bedarf es der Vorbereitungen! Das ist etwas anderes, als eine Fahrt mit dem Dampfer von Travancore nach Marseille!

Da begann sie zu erzählen, wie sie ohne Tomas’ Wissen im geheimen dasselbe Training vornahm wie wir, immer in dem Gedanken, daß es ihr im letzten Augenblick gelingen werde, uns zu erbitten, sie mitzunehmen. Jetzt benutzte sie Brauns Rücktritt, die seit langem gefaßte Absicht auszuführen. Sie weiß wohl von Tomas, daß man dort auf dem Mond den Tod finden kann, aber sie will nicht ohne ihn leben und abermals flehte sie uns an.

Da wandte sich O’Tamor, der bis jetzt geschwiegen hatte, mit der Frage zu Tomas, ob er sie mit sich nehmen wolle, und als Woodbell, unfähig ein Wort hervorzubringen, mit dem Kopfe nickte, legte er seine Hand auf die üppigen Haare des Mädchens und sprach langsam und feierlich:

— Du wirst mit uns gehen, Tochter. Vielleicht hat dich Gott zur Eva des neuen Geschlechtes erkoren — möge es glücklicher sein als das irdische!

So lebendig ist mir diese Szene in Erinnerung ...

Eben ruft mich Martha. Tomas fiebert wieder; man muß ihm Chinin geben.

Zwei Stunden später.

Die Glut, anstatt nachzulassen, wird immer größer. Wir flüchteten noch tiefer, um uns vor ihr zu retten. Solange diese entsetzliche Hitze andauert ist es unmöglich an ein Weiterfahren auch nur zu denken. Die Angst schüttelt mich, wenn ich mir sage, daß wir fast noch dreitausend Kilometer vor uns haben, bis wir ans Ziel gelangen ... und wer bürgt uns dafür, daß man dort leben kann? ... Der einzige, O’Tamor, der nicht daran zweifelte, ist nicht mehr unter uns.

Der Wegmesser auf unserem Wagen gibt an, daß wir bereits hundertsiebenundsechzig Kilometer zurückgelegt haben; die Zeit zusammengerechnet, kommt auf jede Stunde ein Kilometer. Und wir bewegten uns doch verhältnismäßig ziemlich schnell vorwärts ...

Vier Stunden nach Sonnenaufgang brachen wir auf und wendeten uns nach Westen. In dem Glauben, daß wir uns auf dem Sinus Medii befinden, wollten wir auf die Flachebene zwischen den Bergen Sommering und Schroter gelangen und von dort den Sommering von Norden und Westen umkreisen. So beabsichtigten wir, uns dem Äquator zu nähern und an ihm entlang, direkt in der Richtung des Gebirgsringes Gambart und des höheren, weiter gegen Westen auf dem Äquator liegenden Landsberg vorzudringen.

Der Grund war ausnahmsweise gleichmäßig, fast ohne Spalten, so daß der Wagen leidlich fahren konnte. Hoffnung und Zuversicht erfüllten unsere Herzen; es war uns warm und leicht — nur die Erinnerung an O’Tamor trübte unsere Freude. Tomas ging es besser und Martha strahlte vor Glück, als sie es bemerkte. Wir begannen aufs neue Pläne zu schmieden. Der Weg schien uns nicht lang, die Mühe nicht allzu groß. Wir bewunderten die Wildheit der in ihrer Erstarrung großartigen Landschaft oder bemühten uns, vermittels der vor uns ausgebreiteten Karte im voraus die phantastischen Bilder zu erraten, die unserer warten. Varadol erinnerte uns an alle Forschungen und Beweise O’Tamors, nach denen die entgegengesetzte Seite des Mondes durchaus den Bedingungen zum Leben genügen und dabei interessant und über alle Beschreibung erhaben sein sollte. Wir sagten uns, wenn dort dieselben Berge sind, die jetzt am Horizonte im Sonnenschein vor uns erglänzen und außerdem noch frisches Grün und Wasser, lohnt es wohl der Mühe, dreihundertvierundachtzigtausend Kilometer zurückzulegen, um diese Herrlichkeiten zu sehen. Wir unterhielten uns lebhaft und Tomas und Martha, wie gewöhnlich fest aneinandergeschmiegt, entwarfen rosige Pläne für das zukünftige Leben in diesem Paradies. Sogar Selena begann, als sie die munteren Stimmen hörte, fröhlich zu bellen und im ganzen Wagen mit ihren spielenden Jungen herumzuspringen.

So verflossen drei Stunden und wir hatten schon gegen dreißig Kilometer zurückgelegt, als Varadol, der gerade an der Reihe war am Steuer zu stehen, den Wagen plötzlich anhielt. Vor uns erhob sich ein nicht hoher, stumpfer Steinwall, der sich von Süden nach Nordwesten erstreckte. Man hätte den Wall mit Leichtigkeit überwinden können, aber es handelte sich darum, die Richtung genau festzustellen, in der wir uns vorwärtsbewegen sollten. Im Nordwesten erhoben sich wild zerklüftete, mächtige Berge, die wir für die Gipfel des Kraters Sommering hielten. Jener Krater, wie die Astronomen auf Erden diese runden Berge hier bezeichnen, erhebt sich zwar nur eintausendvierhundert Meter über der benachbarten Ebene, während diese Berge uns ungleich höher vorkamen, aber wir schrieben dies der leicht erklärlichen optischen Täuschung zu. Außerdem ist es aber auch möglich, daß wir mit unserem Projektil auf den südwestlichen Teil des Sinus Medii, auf die Flachebene, gefallen sind, die sich dem breiten Halbkreis des Zirkus des Flammarion zu öffnet und jetzt zur Rechten den Krater Mosting, von der ansehnlichen Höhe von zweitausenddreihundert Metern, vor uns haben. Auf alle Fälle mußte jener Berg von Norden her umkreist werden, um nicht den ursprünglichen Plan zu ändern. Woodbell riet noch einmal astronomische Messungen vorzunehmen zur Festlegung des Punktes, an dem wir uns befinden, aber da wir jetzt keine Minute verlieren wollten, verschoben wir diese Arbeit auf die heißere Zeit, wo wir infolge der großen Glut würden Aufenthalt machen müssen. Wir lenkten also den Wagen direkt nach Norden. Der Weg wurde immer schwieriger und führte allmählich in die Höhe; hie und da trafen wir Spalten an, denen wir ausweichen mußten, öfter ganze Felder von massivem Gestein, dem Gneis ähnlich, mit vielen losgelösten Felsstücken übersät. Wir bewegten uns immer langsamer und mit großer Mühe vorwärts. An einigen Stellen mußten wir, nachdem wir die Luftbehälter angelegt hatten, den Wagen verlassen, um den Weg zu bahnen und die hindernden Felsblöcke fortzuräumen. Wir priesen dabei die geringe Anziehungskraft des Mondes, durch die es uns möglich war, derartige Felsstücke von der Stelle zu rücken. Anfangs belustigte uns sogar diese Arbeit. Jedem erschien der andere Gefährte, wenn er die mächtigen Klumpen bewegte, wie ein Riese. Selbst Martha half mit. Nur Tomas blieb im Wagen zurück, da er vom Fieber, das immer wiederkehrte, wenn auch das Schmerzen der Wunden aufgehört hatte, zu sehr geschwächt war.

Wir entfernten uns auf diese Weise einige Kilometer weit von dem Punkte, von wo wir uns nach Norden gewandt hatten. Zur Linken eine Reihe kleiner und überaus steiler Hügel, hinter denen sich phantastische Gipfel erhoben. Vor uns stieg der Boden immer schroffer in die Höhe und aus dem mächtigen Wall, den er bildete, ragte eine scharfe Bergspitze hervor. Rechts, gegen Osten, erstreckte sich eine Kette gigantischer Berge.

Vierundzwanzig Stunden waren schon seit Aufgang der Sonne verflossen, als wir auf die glatte Fläche von massivem Gestein gelangten, auf der man sich schneller vorwärtsbewegen konnte. Hier beschlossen wir anzuhalten, um auszuruhen. Dabei beunruhigte uns die seltsame Gestaltung der Landschaft immer mehr.

Wir waren bereits überzeugt, daß wir uns in einer anderen Gegend des Mondes als auf dem Sinus Medii befanden. Man mußte demnach endlich genaue Messungen vornehmen.

Nach kurzer Rast machten wir uns an die Arbeit. Peter stellte die astronomischen Instrumente auf. Der Mittelpunkt der Erdscheibe war vom Zenite 6° gegen Osten und 2° gegen Norden entfernt — wir befanden uns also unter dem 6.° westlicher Mondlänge und dem 2.° südlicher Breite, das heißt, an der Grenze des Sinus Medii, neben dem Krater Mosting. Was diesen betrifft, so konnte kein Zweifel obwalten. Die Messungen waren ganz genau.

Wir beschlossen weiterzufahren, ohne die Richtung zu ändern. Als wir den Weg antreten wollten, rief Varadol plötzlich:

— Und unsere Kanone! Wir haben die Kanone zurückgelassen!

In der Tat, jetzt erst erinnerten wir uns, daß unsere Kanone, das einzige und letzte Mittel, uns mit den Erdbewohnern zu verständigen, mit dem Geschoß und der Kugel beim Grabe O’Tamors zurückgeblieben war. Sein Tod und Begräbnis hatten uns so verwirrt, daß wir beim Aufbrechen vergaßen, die für uns so wertvolle Kanone mitzunehmen. Das war ein unersetzlicher Verlust und um so empfindlicher, als nach der Zerstörung der telegraphischen Verbindung mit ihr der letzte Faden zerriß, der uns mit der Erde verband. Wir fühlten uns plötzlich so grenzenlos vereinsamt, als wenn wir uns in diesem Augenblicke wiederum um Hunderte von Kilometern von dem Globus entfernt hätten, der schon Hunderttausende von Kilometern hinter uns lag.

Unser erster Gedanke war umzukehren und die Kanone zu holen. Vor allem bestand Woodbell darauf, da er es für nötig hielt, uns mit der Erde zu verständigen, damit man weiter beabsichtigte Expeditionen nicht aussende, bevor wir nicht mitteilen konnten, daß wir hier mögliche Lebensbedingungen gefunden haben.

Wenn wir umkommen müssen, sagte er, warum sollen noch andere ihr Leben opfern. Ihr wißt doch, daß die Brüder Remogner zur Fahrt bereit sind. Sie erwarten Nachrichten von uns, aber unser telegraphischer Apparat funktioniert nicht. Man muß sie zurückhalten, wenigstens noch für einige Zeit.

Es hatte jedoch seine Schwierigkeiten mit dem Umkehren. Jede Stunde ist von höchstem Werte, da uns im Falle einer Fahrtverlängerung die Nahrungs- und Luftvorräte ausgehen können, wodurch wir zum sicheren Tode verurteilt wären. Wir haben uns so schon durch die Krankheit O’Tamors zu lange aufhalten müssen und wer konnte dafür bürgen, daß wir die Stelle wiederfinden, wo die Kanone zurückblieb?

Varadol bemühte sich, Tomas’ Bedenken zu zerstreuen. Die Brüder Remogner, führte er an, werden den Weg doch nicht antreten, wenn sie keine Nachrichten von uns erhalten. Im übrigen weiß man nicht, ob die hinausgeschossene Kugel gerade auf eine Stelle der Erde fällt, wo sie jemand auffindet und die Depesche gelangt vielleicht gar nicht in die Hände derjenigen, für die sie bestimmt ist.

Auch fiel uns noch der Umstand ein, daß wir die Kanone, die lediglich für einen senkrechten Schuß konstruiert war, nur in der Nähe des Mittelpunktes der Mondscheibe gebrauchen könnten, wo sich die Erde im Zenite über uns befindet. Für einen parabolischen Schuß von einer andern Stelle des Mondes aus genügte die Kraft des Geschosses nicht und selbst wenn sie genügen würde, hätten wir keine Möglichkeit, die Kanone genau so aufzustellen, um sicher zu sein, daß die Kugel, eine krumme Linie beschreibend, trotzdem ihr Ziel — die Erde — nicht verfehlt. So hätten wir also vielleicht mit einem Schusse weitere Expeditionen aufgehalten, wären alsdann aber nicht mehr imstande, durch einen zweiten Schuß neue Kameraden herbeizurufen, falls wir — bis zur Grenze der von der Erde aus sichtbaren Mondscheibe gelangt — dort günstige Lebensbedingungen antreffen sollten. Auf diese Weise wären wir hier zu einer ewigen Einsamkeit verurteilt. Sollten indessen die Brüder Remogner trotz alledem hierher kommen, so würden sie vielleicht einen stärkeren telegraphischen Apparat mit sich führen und wir so durch sie eine dauernde Art der Verständigung mit den Erdbewohnern erhalten.

Alle diese Umstände sprachen dafür keine Zeit mit dem Suchen der Kanone zu verlieren. Nach kurzer Unterbrechung setzten wir daher unsere Reise fort.

Es sind wiederum vierundzwanzig Stunden verflossen und wir hatten schon gegen hundertdreißig Kilometer hinter uns. Die Sonne stand bereits 28° über dem Horizont und die Hitze wurde immer größer. Wir konstatierten dabei eine interessante Erscheinung. Während sich nämlich die Wand des Wagens, die der Sonne zugekehrt war, so erhitzte, daß sie geradezu brannte, war die der Sonne abgewandte Seite kalt wie Eis. Das Gefühl der Kälte hatten wir auch jedesmal, wenn wir in den Schatten irgendeines Felsvorsprunges fuhren, die wir immer häufiger unterwegs antrafen. Der Grund für diese gewaltsamen Übergänge zwischen Wärme und Kälte ist das Fehlen der Atmosphäre, die auf der Erde zwar die direkte Kraft der Sonnenstrahlen vermindert, sich dafür aber selbst erwärmt und diese Wärme gleichmäßig verteilt, weiterleitet und ein zu schnelles Verfliegen derselben durch Ausstrahlen verhindert.

Aus demselben Grunde ist hier jeder Schatten gleichbedeutend mit Nacht. Das Licht, das nicht in der Atmosphäre verbreitet ist, dringt nur an solche Orte, die den Sonnenstrahlen ausgesetzt sind. Hätten wir nicht den Reflex der von der Sonne erleuchteten Berge und das Licht der Erde, müßten wir jedesmal wenn wir in einen Schatten hineinfahren unsere elektrischen Lampen aufflammen lassen.

Wir hatten jene abschüssige glatte Fläche passiert und begannen uns nach Westen zu wenden, um den vermutlichen Krater Mosting zu umkreisen, nur mit großer Mühe und sehr langsam in diesem wilden Gebirgslande vorwärtsdringend.

Die Landschaft ähnelt in keiner Beziehung den Alpenlandschaften auf der Erde! Dort breiten sich zwischen Gebirgskämmen, die die Gipfel miteinander verbinden, üppige Täler, die durch das Wirken des Wassers im Laufe von Jahrtausenden ausgehöhlt worden sind; hier ist keine Spur von alledem zu finden. Der ganze Grund ist gewölbt und mit einer unermeßlichen Anzahl nicht miteinander verbundener Mulden mit vorspringenden Rändern angefüllt, oder auch mit glatten, vereinzelten Hügeln, oft von ganz ansehnlicher Höhe. Die Stelle der Täler nehmen tiefzerklüftete Risse ein, die sich meilenweit erstrecken und aussehen, als wenn sie mit einem mächtigen Beile in gerader Linie bis auf den Grund gespalten wären. Ich zweifle nicht daran, daß es sich hier um ein Bersten der erlöschenden und sich krümmenden Mondoberfläche handelt.

Dagegen fanden wir keine Spur irgendeiner Wasserwirkung der auf der Erde so übermächtigen Erosion. Ich glaube auch, daß dieses Land niemals Luft und Wasser gehabt hat.

Wir staunten anfangs über die große Menge des Gesteins, das auf dem felsigen Boden zerstreut lag. Aber ungefähr dreißig Stunden später, als die Spannung der Hitze sich auf ein unerhörtes Maß steigerte, erkannten wir die Ursache. Wir fuhren gerade an einem hohen Felsen entlang, dessen Gestein unserem Marmor außerordentlich ähnlich war, als sich plötzlich vor unseren Augen ein Felsblock von einigen zehn Metern im Durchmesser vom Gipfel loslöste und, in Kieselsteine zerstäubend, jählings in die Tiefe hinabsauste. Und dies geschah mit einer geradezu schaurigen Lautlosigkeit. Infolge des Luftmangels hörten wir kein Geräusch; nur der Grund erbebte unter unserem Wagen, als wenn der Mond plötzlich wankte. Die Felsen, die in der Nacht durch die Kälte wie durch einen eisernen Reifen zusammengepreßt werden, erweitern sich während der furchtbaren Glut des Tages an der Seite, die den brennenden Strahlen ausgesetzt ist; die ungleichmäßige Verteilung von Hitze und Kälte muß das Zerspringen und Zerbröckeln vereinzelter Blöcke dieser gigantischen Steinwelt verursachen.

Inzwischen empfanden wir jene scharfen Steine, die die mächtigen Flächen übersäten, ziemlich unangenehm. Wir passierten Stellen, wo unser Fahrzeug sich vermittels der Räder absolut nicht vorwärtsbewegen konnte. Dort ließen wir die „Tatzen“ aus, die dem Wagen ermöglichten die größten Hindernisse zu überklettern wie ein behendes, leichtfüßiges Tier. So kamen wir glücklich über die sich auftürmenden Steinmassen hinweg. Trotz der zahlreichen Versuche, die wir mit dem Wagen auf der Erde machten, hatten wir keine Vorstellung von den Beschwerden einer derartigen, länger andauernden Fahrt. Wenn die Anziehungskraft des Mondes und die damit verbundene Schwere nur um die Hälfte größer wäre, hätten wir in diesem Gestein, unfähig uns von der Stelle zu rühren, elend zugrunde gehen müssen.

Seit Sonnenaufgang ist schon der dritte Erdentag vorübergegangen, während dessen wir kaum zwanzig Kilometer weiter kamen. Die Hitze wird unerträglich. In der dumpfen, glühenden Luft des Wagens und durch die heftigen Bewegungen gerüttelt, fiebert Woodbell aufs neue. Die Wunden, die er beim Fallen des Projektils auf die Mondoberfläche davontrug, beginnen ihn wieder zu schmerzen. Ein Glück, daß wir drei wenigstens heil davongekommen sind! Noch jetzt erfaßt mich ein Schaudern bei dem Gedanken an jene furchtbare Erschütterung!

Erst noch im Weltenraum eine dumpfe Explosion der am Projektil angebrachten Minen, die die Schnelle des Fallens verringern sollten, dann ein Druck auf den Knopf — das schützende Stahlgerüst breitete sich aus und ... Nein, das läßt sich nicht mit Worten beschreiben! Ich sah nur noch, wie Martha sich aus der Hängematte herausbeugte und ihre Lippen auf Tomas’ Mund preßte. O’Tamor rief: Wir sind da! — und ... ich verlor das Bewußtsein.

Als ich die Augen öffnete, lag O’Tamor blutüberströmt am Boden, Woodbell ebenfalls schwerverwundet; Varadol und Martha waren ohnmächtig ... Aus den Trümmern des Stahlgerüstes haben wir dann das Kreuz auf dem Grabe O’Tamors errichtet.

Unsere Chronometer gaben 98 Stunden nach Sonnenaufgang an als wir vor Erschöpfung und Glut zusammenbrechend endlich bemerkten, daß wir uns dem Gipfel des Berges näherten, den wir mit so großer Mühe erkletterten. Während dieser vier Erdentage, die wenig mehr als den vierten Teil des „Tages“ auf dem Monde ausmachten, schliefen wir fast gar nicht und beschlossen nun eine Zeitlang zu rasten.

Woodbell vor allem brauchte Schlaf und Ruhe.

Wir stellten den Wagen in den Schatten eines Felsens, der uns tatsächlich vorm lebendigen Verbraten durch die unerträglichen Sonnenstrahlen bewahrte und legten uns alle schlafen. Nach zwei Stunden schon erwachte ich sehr gestärkt; die andern schliefen noch. Ich wollte sie nicht aufwecken, nahm meinen Luftbehälter und ging allein aus dem Wagen, um die Gegend zu erforschen. Aber kaum hatte ich mich etwas aus dem Schatten begeben, glaubte ich mich in das Innere eines glühenden Hüttenwerkes versetzt. Das war keine Hitze mehr — eine wahre Feuersbrunst ergoß sich vom Himmel; der Boden brannte mir die Füße durch die dicken Sohlen des Luftbehälters. Ich mußte meine ganze Willenskraft zusammennehmen, um nicht in den Wagen zurückzukehren.

Wir befanden uns in einem flachen Felsengang, der zwei Berge aus massivem Gestein trennte und zwischen diesen in einer Art Einsattlung endete, die, soviel ich von der Stelle wo ich stand bemerken konnte, in eine hinter jenen Hügeln nach Süden laufende Ebene überging. Diese Hügel verhüllten mir die Aussicht nach Norden und Süden. Nur nach Osten war der Blick über den Weg frei, den wir gerade zurückgelegt hatten. Ich sah auf steinige Felder, voll von Mulden, Vorsprüngen, Spalten und Gipfeln — und traute meinen eigenen Augen kaum, daß wir mit unserem großen, schweren Wagen da hindurchkommen konnten.

Auf der Erde, bei dem sechsmal größeren Gewichte, wäre das geradezu unmöglich gewesen.

In diesem Augenblicke fühlte ich, daß mich jemand berührte. Ich sah mich um; hinter mir stand Varadol und machte verzweifelte Zeichen. Er hatte, gleich mir, den Luftbehälter angelegt und den Wagen verlassen, da er aber das Sprachrohr nicht mitgenommen, konnten wir uns nicht verständigen. Ich sah nur, daß er blaß und furchtbar erregt war. Ich glaubte, es sei mit Tomas schlechter geworden und stürzte zum Wagen zurück. Er folgte mir.

Kaum hatten wir uns der Luftbehälter entledigt, als Varadol mit vor Aufregung zitternder Stimme sagte:

— Wecke die andern nicht auf und höre: es ist etwas Furchtbares geschehen, ich habe mich geirrt.

— Inwiefern? rief ich, ohne zu begreifen, um was es sich eigentlich handelte.

— Wir sind nicht auf den Sinus Medii gefallen.

— Wo sind wir also?

— Unter dem Eratosthenes, auf der Einsattelung, die diesen Krater mit dem Mond-Apennin verbindet.

Mir wurde schwarz vor den Augen. Ich wußte aus den auf der Erde gemachten photographischen Aufnahmen der Mondoberfläche, daß der Grat, auf dem wir uns demnach befanden, fast senkrecht gegen die nach Westen zu gelegene mächtige Fläche des Mare Imbrium abfällt.

— Wie kommen wir hier herunter? rief ich entsetzt.

— Ruhig. Gott allein weiß es. Es ist meine Schuld. Wir sind auf dem Sinus Aestuum. Sieh ...

Er schob mir eine Karte und einige Blätter zu, die mit Reihen von Ziffern beschrieben waren.

— Irrst du dich nicht etwa? frug ich, einer letzten Hoffnung Raum gebend.

— Diesmal irre ich mich sicher nicht, leider! Auch die anderen Messungen waren ganz genau, ich vergaß nur, daß sich damals die Erde nicht im Zenite über dem Mittelpunkt der Mondscheibe befinden konnte. Du weißt doch, daß der Mond während der Drehung um die Achse kleinen Schwankungen, den sogenannten Librationen unterliegt, wodurch die Erde nicht gänzlich unbeweglich am Himmel erscheint, sondern eine kleine Ellipse umschreibt. Ich habe nun vergessen, aus dieser ihrer Neigung vom Zenit die Verbesserungen vorzunehmen und infolgedessen ihrer Lage nach die Mondlänge und -breite des Punktes, auf dem ich die Messungen machte, falsch bezeichnet. Jetzt können wir das alle mit dem Leben bezahlen!

— Beruhige dich! sagte ich, obwohl ich am ganzen Körper bebte. Vielleicht gelingt es dennoch, uns zu retten.

Wir machten uns zusammen an die Untersuchung der Messungen. Diesmal war jeder Zweifel ausgeschlossen. Nachdem die notwendige Verbesserung vorgenommen war, zeigte es sich, daß wir auf dem Sinus Aestuum unter dem 7.° 35’ westlicher Mondlänge und dem 13.° 8’ nördlicher Mondbreite herabgefallen sind. Wir bewegten uns die ganze Zeit hindurch längs den steilen Bergen, zu Füßen des mächtigen Eratosthenes, vor uns den nicht großen, aber außerordentlich steilen Krater ohne Namen, der in dem hier schon beginnenden Apennin eingeschlossen ist. Gegenwärtig befanden wir uns unter dem 11.° westlicher Mondlänge und dem 15.° 51’ nördlicher Mondbreite.

Wir bezeichneten uns diesen Punkt auf der Mondkarte. Nach dieser erhebt sich die Einsattelung, die wir einige hundert Schritte weit vor uns hatten, neunhundertzweiundsechzig Meter über dem Mare Imbrium.

Es ist doch seltsam: während die Astronomen auf der Erde aus der Entfernung von Hunderttausenden von Kilometern mit Leichtigkeit die Höhe eines jeden Mondberges berechnen, indem sie im Teleskop die Länge des Schattens, den er wirft, messen, mußten wir, die wir uns auf diesem Berge befinden, zu der auf der Erde gemachten Karte flüchten, um konstatieren zu können, wie hoch er sich erhebt. Der Mangel der Atmosphäre macht die barometrischen Messungen der Höhe unmöglich. Die Veränderung, die wir am Barometer bemerkt hatten beruhte darauf, daß das Quecksilber bis zum Nullpunkt gesunken war. Auf der Höhe, auf welcher wir uns befanden war eine absolute Leere.

Tomas und Martha erwachten bald darauf. Es war unmöglich ihnen die entsetzliche Situation zu verheimlichen, doch schienen unsere Eröffnungen keinen besonderen Eindruck auf sie zu machen. Tomas runzelte die Stirn und biß die Lippen zusammen, während sich Martha, soweit ich aus ihrem Benehmen schließen konnte, keine klare Rechenschaft über das Grauen der Lage zu geben vermochte.

— Wir werden hinabfahren, sagte sie, wie wir heraufgefahren sind, oder umkehren ...

Wir werden hinabfahren, wie wir heraufgefahren sind! Mein Gott, es war doch nur ein reiner Zufall, daß wir den Weg gefunden haben, der uns hierher führte! Und umkehren? — So viel vergebliche Mühen und verlorene Stunden? ...

Wir beschlossen endlich uns auf die Einsattelung zu begeben um zu sehen, ob wir uns nicht auf die Ebene Mare Imbrium herablassen könnten. Nach einigen Minuten befand sich unser Wagen an dem Abgrund!

Der Anblick, der sich uns bot, machte uns erstarren. Der Felsen brach zu unseren Füßen fast senkrecht ab und dort unten, tausend Meter tiefer, erstreckte sich, soweit das Auge reichte, die Ebene Mare Imbrium, von einigen zerstreut liegenden Bergen unterbrochen. Das Fehlen der Luftperspektive brachte es mit sich, daß auch die ziemlich entfernt liegenden Gipfel deutlich sichtbar waren und sich mit ihrem märchenhaft schimmernden Weiß vom schwarzen Hintergrund des sternenbesäten Himmels abhoben. Ein wahrhaft bezaubernder Anblick, über den wir für einen Augenblick das Grauenhafte unserer Lage vergaßen.

Am Horizonte gegen Norden starrte inmitten der unermeßlichen Fläche, wie eine Insel im Meere, der majestätische Krater Timocharis, vierhundert Kilometer von uns entfernt und gegen siebentausend Fuß hoch.

Auf der Erde nehmen die aus der Ferne gesehenen Berge infolge der unklaren Luft eine blaßbläuliche Farbe an; hier erschien jener Gipfel, in der Sonne erglänzend, wie ein weiß erglühter Stahl, mit großen schwarzen Streifen von Schatten und rotschimmernden Adern dunklerer Felsen durchzogen. Etwas gegen Westen sah man ebenfalls deutlich am Himmel die Zacken des Kraters Lambert, der kleiner und weiter entfernt war. Im Westen selbst begrenzten den Horizont zahlreiche niedere Höhenzüge und Felsen, sich mit der uns viel näher liegenden Kette der Mond-Karpaten vereinigend, die das Mare Imbrium von Süden her einschließen.

Hinter dieser Kette, die sich in der Richtung unseres Sehwinkels erstreckte, erhoben sich in der Ferne von Südwesten her die auf kleineren Hügeln gestützten mächtigen Gipfel des Kopernikus, eines der größten Berge auf dem Monde. Wenn ich sagte, daß der Timocharis wie glühender Stahl leuchtete, so habe ich kein Gleichnis mehr zur Beschreibung des blendenden Lichtes, das sich aus der Entfernung von Hunderten von Kilometern von jenem riesenhaften Felsenringe her ergoß, der einen Durchmesser von neunzig Kilometern hat!

Im Nordosten, in endloser Weite, lagen die Gipfel des breiten Zirkus des Archimedes. Der Blick nach Osten und Süden war uns verschlossen — von der einen Seite durch die Kette des Mond-Apennins, von der andern durch den Eratosthenes, der durch den Paß, auf dem wir gerade stehen, mit dem Apennin verbunden ist.

Und in diesem Rahmen das Regenmeer. Wie ironisch erschien uns diese Bezeichnung, die von den alten Astronomen auf der Erde erdacht wurde! Eine entsetzliche Wüste, kalt und grau, hie und da durch große Spalten zerrissen, die, zu länglichen Garben gedehnt, sich vom Timocharis zum Eratosthenes erstrecken. Nirgends eine Spur von Leben! Nur am Fuße der mächtigen, weit entfernten Krater schimmerten in der Sonne vereinzelte, kostbaren Edelsteinen gleichende, gelbe, rote und stahlbläuliche Adern von Felsschichten.

Wir starrten schweigend vor uns hin und wußten nicht, welchen Weg wir wählen sollten. Wenn wir die Fläche des Regenmeeres erreichten, hätten wir eine Strecke vor uns, auf der wir uns schnell vorwärtsbewegen könnten; aber darin lag eben die Schwierigkeit; wie sollten wir dorthin gelangen? Wie uns von jener tausend Meter hohen, senkrechten Wand hinablassen?

Nach kurzer Beratung gingen wir zu Fuß nach Süden, in der Hoffnung, daß es uns vielleicht gelingen könnte, abseits vom Krater des Eratosthenes einen Weg zu finden. Wir schritten auf der schmalen Fläche, die zwischen den Felsen und dem Abgrund lag, der sich nach dem Mare Imbrium zu öffnete. An der einen Stelle war der Durchgang so eng, daß wir schon umkehren wollten, weil es uns unmöglich schien hier mit dem Wagen durchzukommen. Zum Glück erinnerte uns Martha, die uns begleitete, daß wir einen Vorrat von Minen besitzen, mit denen sich die nicht große, uns den Weg versperrende Steinschwelle mit Leichtigkeit sprengen ließe. Wir passierten sie daher, über den schwindelnden Abgrund schlüpfend, und gingen weiter. Jetzt erhob sich der Gebirgskamm, der breiter und flacher wurde, langsam nach oben. Wir gingen immer nach Süden zu. Rechts und links starrten die Riesengipfel des Ringes des Eratosthenes.

Zwei Stunden nach der Umkreisung jener Schwelle wurden wir durch einen neuen Abgrund aufgehalten, der sich so unerwartet vor uns auftat, daß Peter, der voranging, mit einem Schrei des Entsetzens zurückprallte. In der Tat war der Anblick, den wir jetzt vor uns hatten, wohl das Furchtbarste, was man sich vorstellen kann.

Immer in südlicher Richtung vorwärtsdringend, gelangten wir, ohne zu wissen wie, in eine tiefe Scharte, die schon am Rande des Eratosthenes lag. Zur Rechten und zur Linken türmten sich zerrissene Gipfel, von denen der eine weißschimmernd im Sonnenglanze erstrahlte, während sich der andere im Schatten in tiefes Schwarz hüllte. Und vor uns ... Nein, wer vermag das zu beschreiben! — Vor uns ein Abgrund! Eine unabsehbare, bodenlose Untiefe. Es lag etwas so grauenhaft Raubgieriges in dieser Majestät des Schreckens und der Starrheit, daß mich noch jetzt Schauer der Angst schütteln, wenn ich daran zurückdenke!

Wir sahen in das Innere des Kraters des Eratosthenes.

Ein mächtiger Bergwall, wie eine Säge mit Zacken besetzt, bildete einen geschlossenen Kreis von einigen zehn Kilometern im Durchmesser und auf diese Weise eine Mulde, die furchtbarste wahrscheinlich, die das menschliche Auge je gesehen hat. Die Gipfel, viertausend Meter über den Grund dieser Tiefe des Grauens emporragend, fielen fast senkrecht in seltsamen Windungen ab, als wenn sich Steinkaskaden in wilden Sprüngen herabwälzten. Die Mulde, die im Verhältnis zu der Oberfläche des durch den Wall abgetrennten Mare Imbrium zweitausend Meter tiefer lag, erschien uns noch unergründlicher durch die mächtigen sich daneben auftürmenden Berge und die dichten Schatten, die sie gespensterhaft einhüllten. Aus ihrem Grunde reckten sich noch einige vereinzelte kegelförmige Gipfel, die beinahe die halbe Höhe des benachbarten Walls erreichten. Wir blickten von unserem Steinfenster auf sie herab. Kleine, dunkelgraue Rauchwolken stiegen von Zeit zu Zeit empor und senkten sich infolge der fehlenden Atmosphäre sofort wieder, um sich am Fuße der Berge wie Asche auszubreiten. Es war kein Zweifel, daß wir hier noch nicht erloschene Vulkane vor uns hatten.

Die grellen Gegensätze von Licht und Schatten vergrößerten noch das Gefühl des Grauens. Der ganze östliche Rand des Innern war in geheimnisvolle Dämmerung gehüllt, die mit dem schwarzen Himmel zusammenzufließen schien. Der westliche Rand hingegen flammte in der Sonne wie eine weiße, von dunklen Bergrinnen zerrissene und mit unzähligen spitzen Gipfeln bedeckte Wand, gleich Elfenbeintürmen, die auf dem Hintergrunde der schwarzen Schattenflecke leuchteten. Nach Süden zu erschien der Wall durch die Entfernung niedriger und erweckte den Eindruck, das mit Stacheln versehene Tor dieser Untiefe zu sein. Zu unseren Füßen — ein schwindelnder Abgrund.

Und über all dem Schauerlich-Erhabenen wandelte am schwarzen Himmel die feurige, strahlenlose Sonne, immer näher der Erde, die, in starrem Glanze schimmernd, zu einer schmalen, scharfen Sichel gekrümmt, über diesem Tal schwebte wie ein Zeichen des Todes.

Unwillkürlich dröhnten mir die Worte Dantes in den Ohren:

Auf silbernen Gefilden

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