Читать книгу Auf silbernen Gefilden - Jerzy Żuławski - Страница 6

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Vero é che in su la proda mi trovai

della valle d’abisso dolorosa ....

Und bei dieser Erinnerung tauchten in meinem vor Ermattung, Glut und Entsetzen geschwächten Gehirne Visionen der Danteschen Hölle auf, die nicht furchtbarer sein konnte als das, was ich hier vor mir sah! Der am Boden des mächtigen Kessels sich wälzende Rauch schien mir der Geistertanz der Verfluchten zu sein, die sich im Wirbel um Luzifers mächtige Gestalt drehten, dessen Formen einer der Vulkankegel in meinen Augen annahm ... Geister — Geister — eine entsetzliche Prozession der Verfluchten! Sie ziehen dahin, fließen in mächtigen Fluten über die felsigen Abhänge der Untiefe, gleiten in den Abgrund, wälzen — drängen sich. Einige wollen sich erheben, auf — auf — zur Sonne — sie reißen sich vom Boden los und stürzen, wieder zusammenfallend, wie Bleiklumpen auf dieselbe Stelle, — hinab — hinab zur ewigen Verdammnis ...

Und alles das spielt sich in dieser entsetzenerregenden, schaudervollen Stille ab ...

Die Welt begann mir im Kopfe zu wirbeln; ich fühlte, daß ich einer Ohnmacht nahe war.

Da vernahm ich Weinen. Ich war so verwirrt, daß ich im ersten Augenblick wirklich glaubte das Jammern der Verfluchten zu hören. Aber diesmal war es keine Vision. Es war wirkliches, herzzerreißendes Weinen, das durch das Rohr, das die Köpfe unserer Luftbehälter verband, zu mir drang.

Ich erwachte aus meiner Betäubung und blickte um mich. Woodbell stand da wie versteinert, den Rücken an den Felsen gelehnt, blaß, mit gesenktem Haupte. Varadol glich in seinen Bewegungen einem gefesselten wilden Tiere; er stampfte unruhig auf und ab, soweit es ihm der Boden und die Länge des Rohres erlaubte und sah sich nach allen Seiten um, als wenn er zwischen diesen Steinmassen einen Weg und Ausgang suchte. Martha kniete am Boden, von einem Schluchzen, das durch die höchste Erregung der Nerven hervorgerufen wurde, geschüttelt.

Ein grenzenloses Erbarmen erfaßte mich. Ich näherte mich ihr und legte langsam den Arm um ihre Schultern. Da begann sie wie ein Kind zu klagen und rief, wie in jener denkwürdigen langen Nacht vor dem Tode O’Tamors:

— Auf die Erde! Auf die Erde!

In ihrer Stimme lag eine so tiefe, markerschütternde Verzweiflung, daß ich kein Wort finden konnte, sie zu trösten. Wie sollte ich das auch anfangen? Unsere Situation war tatsächlich eine verzweifelte. Ich wandte mich zu Varadol:

— Was soll jetzt werden?

Peter zuckte die Achseln.

— Ich weiß, nicht ... Der Tod. Es ist doch unmöglich, hier herunterzukommen.

— Und wenn wir umkehrten? warf ich ein.

— O ja! Umkehren! Umkehren! schluchzte Martha.

Varadol schien ihr Weinen nicht zu hören. Er sah eine Zeitlang vor sich hin, dann antwortete er, sich zu mir wendend:

— Umkehren ... Höchstens um auf einem andern Wege auf dasselbe Hindernis zu stoßen, nachdem wir schon so viel kostbare Zeit verloren haben. Sieh!

Er wandte sich mit dem Gesicht nach Norden und blickte über die unabsehbare Fläche des Mare Imbrium.

— Wenn wir dorthin gelangen könnten, sagte er, würden wir einen verhältnismäßig ebenen Weg vor uns haben, aber wie wäre das zu ermöglichen ... Höchstens wenn wir uns kopfüber ...

Ich folgte mit den Blicken der bezeichneten Richtung. Das Regenmeer, glatt und eben, von der Sonne beleuchtet, erschien mir als ein Paradies, im Vergleich mit dem furchtbaren Innern des Eratosthenes. Es begann fast dicht unter unseren Füßen, scheinbar so nahe, daß ein Sprung genügen würde, es zu erreichen. Doch trennte uns ein senkrecht abstürzender, tausend Meter hoher Felsen von dieser Ebene.

Wir drängten uns alle aneinander und sahen mit unaussprechlicher Sehnsucht hinunter. Wir fühlten weder Ermattung, noch die brennenden Strahlen der Sonne, die bereits hinter der Felsengrenze über uns aufging.

Nach einer Weile wiederholte Peter:

— Dorthin werden wir nicht gelangen ...

Ein lauter Weinkrampf Marthas, die nicht mehr fähig war sich zu beherrschen, antwortete ihm.

— Schweig! schrie Varadol, sie bei der Schulter packend, oder ich werfe dich von hier hinab! Wir haben genug Sorgen!

Da trat plötzlich Tomas hervor.

— Sei still — und du weine nicht; wir werden auf das Mare Imbrium hinüberkommen, — holen wir den Wagen.

Es war so viel Entschlossenheit in diesen ruhig gesprochenen Worten, daß wir seine Weisung sofort ausführen wollten und nicht wagten uns zu widersetzen oder auch nur zu fragen.

Woodbell hielt uns noch zurück.

— Seht, sagte er, auf die äußeren, dem Regenmeere zugewandten Abhänge des Eratosthenes zeigend, seht ihr diese Kante dort, die fünfzig Meter tiefer am Fuße der Wand liegt? Soweit man von hier berechnen kann, senkt sie sich ziemlich sanft bis zur Fläche; da werden wir hinunterfahren können ...

— Aber diese Wand ... flüsterte ich, unwillkürlich auf den senkrecht herabstürzenden Felsen blickend, der uns von dem ziemlich breiten Grat der Kante trennte.

— Unsinn, wir sind doch geübt im Erklettern der Felsen! Wir werden sie seitlich leicht umgehen können.

— Und der Wagen? ...

— Den Wagen werden wir zuerst herunterlassen, nachdem wir ihn an Seilen festgebunden haben. Vergeßt nicht, daß wir auf dem Monde sind, wo alles sechsmal leichter ist und das Herabfallen aus einer Höhe von fünfzig Metern nicht mehr bedeutet wie auf der Erde ein Fall von acht!

Tomas’ Rat wurde also befolgt.

Hundertneun Stunden nach Sonnenaufgang begannen wir den steilen Abhang des Eratosthenes hinabzufahren, um zum Mare Imbrium zu gelangen. Fast drei ganze Erdentage dauerte das Hinunterlassen in die Ebene, die dicht zu unsern Füßen lag. Den größten Teil des Weges legten wir zu Fuß zurück, von unbarmherzigen, immer senkrechter auf uns niederbrennenden Sonnenstrahlen gequält, vor Ermattung und Erschöpfung fast umsinkend. Den Wagen mußten wir aus einer Höhe von zirka fünfzig Metern herablassen; er blieb unbeschädigt. Aber die Hunde, die wir einschließen mußten, waren, trotz unserer größten Vorsicht, schrecklich zerschlagen und zerschunden. Einige Male hielten wir an, da wir die Hoffnung aufgaben, lebend in die Ebene hinabzukommen. Die Kante war kein so erträglicher Weg, wie uns dies von oben aus der Ferne geschienen. Durch Zerklüftungen und Vorsprünge zerrissen, zwang sie uns oft umzukehren oder Stellen zu umgehen, was um so schwieriger war, weil wir überall den Wagen hinter uns herschleppen oder an Seilen herablassen mußten. Oft packte uns die Verzweiflung. Dann zeigte Woodbell, obwohl durch das Fieber und die Wunden geschwächt, am meisten Geistesgegenwart und Willensstärke. Wenn wir leben und leben werden, so haben wir es ihm zu verdanken.

Ich weiß nicht, ob wir während dieser drei Tage mehr geschlafen haben als zwölf Stunden, jedesmal eine leidlich schattige Stelle heraussuchend, um uns vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Manchmal nahm die mörderische Glut uns gänzlich das Bewußtsein.

Es war gerade Mondmittag, und die Sonne stand senkrecht über uns, neben der verblaßten Erdkugel, die mit einem blutroten Reifen lichtdurchtränkter Atmosphäre umgeben war, als wir, bis zum äußersten erschöpft, endlich auf der Ebene anlangten.

Die Glut war so groß, daß sie uns den Atem nahm; in den Schläfen klopfte und hämmerte es zum Zerspringen. Sogar der Schatten gab keinen Schutz mehr! Die glühenden Felsen flammten überall wie im Feuer, wie der Rachen eines Hüttenofens.

Selena keuchte mit heraushängender Zunge, die Jungen winselten und lagen bewegungslos in der Wagenecke. Wir wurden, einer nach dem andern, ohnmächtig und glaubten, daß uns der Tod am Eingang der so ersehnten Ebene ereilen müsse. Nur vor der Sonne fliehen — aber wohin?

Da erinnerte uns Martha daran, daß wir beim Abstieg vom Berge eine tiefe Spalte sahen, die jetzt scheinbar durch die Ungleichmäßigkeit des Grundes vor uns verdeckt war. Wir fuhren daher in der bezeichneten Richtung und fanden wirklich nach einer Stunde Fahrt, die uns wie ein Jahr vorkam, jene rettende Spalte, das heißt eine Schlucht, durch das Bersten der Mondschale gebildet, tausend Meter tief und einige hundert breit, im übrigen den Schluchten auf der Erde in keiner Weise ähnlich.

Sie zieht sich, soweit wir von hier aus berechnen können, einige zehn Kilometer parallel der Apenninkette hin. Auf den Mondkarten ist sie nicht angegeben; wahrscheinlich entging sie den Astronomen infolge des Schattens, in den sie immer gehüllt sein muß, da sie in der Nähe hoher Berge liegt.

Uns wurde diese Spalte zur Rettung! Wir fuhren schnell in ihre Tiefe hinab, tausend Meter unter der Oberfläche des Mare Imbrium und fanden dort erst ein wenig Kühle ....

Der Schlaf hat uns gestärkt und erquickt. Nur Tomas, den bis jetzt eine eiserne Willenskraft aufrecht hielt, fiebert wieder. Er ist so geschwächt, daß er sich nicht rühren kann. Trotzdem werden wir in zirka zwanzig Stunden weiterfahren. Die Sonne beginnt sich vom Zenit nach Westen zu neigen. Dort auf der Ebene muß die Glut immer noch entsetzlich sein, aber jedesfalls nicht mehr so wie vor einigen Stunden. Übrigens können wir sie nach der Rast leichter ertragen.

Nach langer Überlegung änderten wir den Plan der Fahrt. Statt nach Westen werden wir uns nach Norden wenden, zum Pol des Mondes. Wir gewinnen dabei zweifach. Vor allem haben wir tausend Kilometer guten, glatten Weg durch die Ebene Mare Imbrium vor uns, was die Fahrt bedeutend beschleunigen wird. Dann kommen wir, uns dem Pole nähernd, in eine Gegend, wo die Sonne am Tage nicht so hoch über dem Horizonte steht, dahingegen in der Nacht tief unter den Horizont fällt; wir hoffen dort also eine erträglichere Temperatur zu finden. Noch ein solcher Mittag wie heute — und unser Tod wäre unabwendbar.

Auf Mare Imbrium, dreihundertvierzig Stunden nach Sonnenaufgang.

Der Tag geht schon zur Neige. Bald in 14½ Stunden wird die Sonne untergehen, die jetzt über den fernen, runden Hügeln im Westen steht, — kaum einige Fuß über dem Horizonte. Jede Ungleichmäßigkeit des Terrains, jeder Stein, die kleinste Erhebung werfen lange, unbewegliche Schatten, die die mächtige Ebene, auf der wir uns befinden, in einer Richtung zerschneiden. Soweit das Auge reicht, nichts als eine endlose, tote Wüste, von Süden nach Norden in lange Steinfurchen gepflügt, die jene schwarzen Schattenstreifen kreuzen ... Weit, weit am Horizonte starren die höchsten Bergspitzen, die wir vom Eratosthenes aus gesehen haben und deren Fuß jetzt durch die Kugelform des Mondglobus vor uns verhüllt ist.

In dem Maße wie wir uns vom Äquator entfernen, neigt sich die gläserne Erde über uns vom Zenit nach Süden. Sie nähert sich bereits dem ersten Viertel und leuchtet hell — wie sieben Vollmonde. Dort, wohin der schwächer werdende Glanz der Sonne nicht dringt, färbt sich ihr gespensterhaftes Licht in zartes Silbergrau. Wir haben zwei Himmelslichter, von denen durch den Kontrast das eine, stärkere, gelb und das andere blaßbläulich erscheint. Diese ganze Welt ist zur Hälfte grellgelb und zur Hälfte graublau. Wenn ich nach Osten sehe, färben sich die Wüste und die weit entfernten Gipfel des Mond-Apennins gelb; von Westen, gegen die Sonne, ist alles kalt, bläulich und in Dämmerung gehüllt. Und über der zweifarbigen Wüste immer dieser schwarzsamtene Himmel, mit verschiedenfarbigen, funkelnden Steinen, mit wundervollem Staub vom feinsten goldenen Sand übersät ...

Die Nacht ist nahe. Sie hat schon ihren Verkünder ausgesandt, den einzigen, der ihr auf dieser Welt ohne Dämmerung und Abendröte geblieben ist ... Ihr voran geht die Kühle über die Wüste, setzt sich in jede Spalte, in jeden Schatten und wartet geduldig, — früh wird die Sonne vom Firmamente herabgleiten, ihr und der Nacht die Alleinherrschaft überlassend ...

Solange wir in dem vollen Glanze sind, ahnen wir nicht einmal die Gegenwart dieses Kameraden, aber im Schatten erfaßt unsere durchwärmten Glieder bereits ein leichter Schauer, der uns von seiner Nähe spricht ...

In unserem verschlossenen Wagen ist es nicht mehr so dumpf und uns allen ist etwas leichter und froher zumute. Varadol schmiedet hoffnungsvoll wieder Pläne oder spielt mit der Hündin und ihren Jungen; Woodbell ist bedeutend wohler; er unterhält sich jetzt, am Steuer stehend, mit Martha. Wenn ich den Blick vom Papier erhebe, sehe ich sie beide. Vor allem sehe ich Martha deutlich; sie lacht gerade. Sie lacht so seltsam. Ihre Lippen nehmen eine Form an, als wenn sie die Luft küßten. Ihre Augen sind voll von diesem Lachen wie ihre Brust, die sich in leichter, schneller Bewegung hebt und senkt. Während der Glut des Tages war ihre Brust entblößt; sogar für sie, die die indische Sonne braun gebrannt hat, war die Hitze unerträglich. Jetzt hüllt sie sich bis zum Halse ein ... Es ist unsinnig, daß ich so viel an diese Frau denke, — aber sie ist ja überall. Seit der Tod sich ein wenig von unserem Wagen entfernt hat, ist die ganze Atmosphäre von ihr durchtränkt. Sogar Varadol! Er spielt mit den Hunden, aber ich weiß, daß er sie verstohlen anblickt. Mich ärgert das. Warum bemerkt es Tomas nicht? Und übrigens — was geht es mich an?

Fast sechzig Stunden sind wir unterwegs. Der Wagen fährt ununterbrochen. Wir schlafen abwechselnd; jetzt will ich weiterschreiben. Wir blieben etwas stehen, die Akkumulatoren unseres Elektromotors zu füllen. Um Brennmaterial, das wir in der nächtlichen Kälte noch viel verbrauchen werden, zu sparen, setzten wir die Maschine mit Hilfe der sich ausdehnenden, verdichteten Luft in Bewegung. Die Akkumulatoren mußten wir füllen, weil die Batterien allein bei der schnellen Fahrt nicht genügen.

Wir bewegen uns so schnell vorwärts, wie es das Terrain irgend zuläßt. Größere Ungleichmäßigkeiten des Bodens erlaubten uns nicht, nachdem wir die „Spalte der Erlösung“ verließen, uns sofort nach Norden zu wenden. (Wir bezeichneten jene Schlucht unter dem Eratosthenes mit diesem Namen, da sie uns durch ihre Kühle tatsächlich vom Tode erlöste.) Unter dem 12.° westlicher Länge stießen wir auf einen jener Lichtstreifen, die wie Strahlen vom Berge des Kopernikus, auf Hunderte von Kilometern im Umkreis, ausgehen. Diese Streifen, die man sogar durch schwächere Teleskope von der Erde aus sehen kann, setzten die Astronomen immer in Staunen. Wie wir uns mit eigenen Augen überzeugt haben, sind dies einige Kilometer breite Streifen eines zu Glas geschmolzenen Felsengesteins. Ich kann mir das Entstehen dieser seltsamen Bildungen nicht erklären ... Überhaupt ist hier so vieles für uns ein Rätsel, selbst Dinge, die wir fast mit Händen greifen können. Wie ist jene Ebene entstanden, auf der wir uns befinden, — wie die Ringberge, von manchmal Hunderten von Kilometern im Durchmesser und einigen tausend Metern Höhe? Daß dies keine erloschenen Vulkankrater sind, wie man einst auf der Erde behauptete, steht wohl fest. Wir sahen in das Innere des Eratosthenes und bemerkten dort vulkanische Kegel, die sich in nichts von den Erd-Vulkanen unterschieden; aber dieser mächtige Ring selbst war niemals ein Krater! Dagegen spricht — abgesehen von seinen riesigen Dimensionen — sowohl die Art des Felsens, aus dem der Wall gebildet ist, wie die Einsenkung des Bodens, der unter der Oberfläche der ihn umgebenden Ebenen liegt und viele andere Dinge, die bestätigt zu finden wir Gelegenheit hatten.

Ich glaube man muß, um diese Formation zu verstehen, im Geiste zu jenen grauen Zeiten zurückkehren, da der Mond noch eine flüssige, glühende Kugel war, die erst auf der Oberfläche in dem kalten, interplanetarischen Weltenraum zu erlöschen begann. Da haben diese ungeheuerlichen, die menschliche Vorstellungskraft überschreitenden Explosionen von Gasen, die durch die flüssige Masse verschlungen und während ihres Erlöschens ausgestoßen wurden, seine noch nachgiebige Oberfläche gedehnt und bildeten sozusagen riesige Blasen. Die Blasen erloschen beim Zerplatzen, ehe sie ganz auf die sie umgebende Ebene herabflossen und diese Ringberge sind ihre Spuren. Später hat die Sonne ihre Gipfel herausgebrannt, sie zerschnitten und zerrissen; vulkanische Kräfte bildeten in ihrem Innern kegelförmige Krater und so sind sie heute — durch das auf der Erde alles nivellierende Wasser nicht vernichtet — Zeugen der Schöpfermacht im Weltall, für die die Planeten und die feurigen Kugeln der Sonnen nur ein gehorsames Material in dem mächtigen Tiegel des ewigen Werdens sind.

So lebhaft sprechen die großen Berge und die kleinen, ähnlich wie sie entstandenen Mulden, die man am Wege antrifft, und diese ganze mich umgebende Landschaft zu mir, daß es mir manchmal scheinen will, die von der Sonne grellgelb gebrannten Steine seien noch jetzt eine glühende, flüssige und fast lebendige Masse; bald, dünkt mich, müsse die ganze Fläche wie ein Meer zu gären beginnen, sich biegen und beugen und wachsen und sich bäumen und unter dem Drange der inneren Gase zu dem schwarzen Himmel mit der ursprünglichen Lava emporschäumen, die zu mächtigen Ringbergen erstarrt ist.

Und wie viele Hunderte von Jahrtausenden sind seit jenen Zeiten dahingegangen. Die Mondkruste ist, sich fortwährend krümmend, erloschen und zersprungen; irgendwelche geheimnisvolle Feuerkräfte brannten riesige Strahlenstreifen vergläserten Gesteins in ihr aus und hier, wo einst entfachte Schöpferkräfte, wild miteinander ringend, rasend tobten, herrscht jetzt eine Stille und Starrheit, so furchtbar und beklemmend, daß uns in dieser Umgebung das eigene Leben beschämt und wunder nimmt ...

Bis zu diesem Augenblick bewegten wir uns immer auf dem hellen Lichtstreifen, der durch jene Ader des zu Glas geschmolzenen Gesteins gebildet wurde, die vom Kopernikus ausging. Sie dient uns als bequemer, gleichmäßiger Weg. Ihre nordöstliche Richtung ist uns sehr gelegen, da sie uns direkt auf die Fläche zwischen dem Archimedes und Timocharis, die wir durchqueren müssen, führen wird. Den Archimedes sieht man jetzt, wo wir uns auf der Fläche befinden, nicht mehr. Kleine, steile Erhebungen, Felseninseln im Meere ähnlich, verdecken ihn in dieser Richtung. Wahrscheinlich jene Gruppe der „Krater“, die sich unter dem 11.° westlicher Länge und dem 19.° nördlicher Mondbreite erhebt. Wir hoffen sie noch vor Sonnenuntergang zu umgehen und dann nach Norden, immer nach Norden, nur fort aus dieser furchtbaren Zone, wo sich, — neben der schlimmen Vorbedeutung der Erdsichel direkt über unseren Köpfen, — die mörderische Sonne wie ein rasendes Ungetüm am Zenite bäumt. Nein! Das ist nicht unsere lebenspendende, goldene Erden-Sonne, — diese träge, weiße, strahlenlose Kugel! Das ist irgendein Gott, ein höllischer und höhnender, ein Gott-Vernichter und Gott-Verschlinger! Und wir vier — wir sind die einzigen lebenden Opfer, auf die er es in dieser Welt des Todes abgesehen hat! Wir müssen ihm entfliehen, ehe er zum zweitenmal aus diesem schwarzen, edelsteindurchwirkten Firmament hervorbricht ...

Varadol, der Tomas ablöste, ruft mir vom Motor zu, daß jetzt die Reihe an mir ist, am Steuer des Wagens zu stehen. Die andern schlafen schon. Martha, wie gewöhnlich aus ihrer Hängematte geneigt, den Kopf auf der Brust dieses — unter uns einzigen glücklichen Menschen.

Den ersten Mondtag, vier Stunden nach Sonnenuntergang auf Mare Imbrium, 10° westlicher Länge, 20° 28’ nördlicher Mondbreite.

Schon hat die Nacht begonnen, die endlos lange, für die die Erdentage kleinere Teilchen sind als die Stunden für die ganze Erdennacht. Wie eine große, helle Uhr leuchtet, sich immer nach Süden neigend, die Erde über uns. Nach dem Gleiten des Schattens über ihre Scheibe können wir leicht die Zeit bestimmen. Sie war bei Sonnenuntergang im ersten Viertel, um Mitternacht wird sie voll sein und wiederum im Viertel sein bei Sonnenaufgang. Die Rolle des Minutenzeigers auf dieser Himmelsuhr spielen die Weltteile. Nach ihrem Untergang in den Schatten können wir die Stunden erkennen, die die Minuten für unsere siebenhundertneunstündige Zeit sind.

Nach Sonnenuntergang wurde es plötzlich so kalt, daß wir das Gefühl hatten, als wenn wir aus einem Dampfbad in ein Bassin mit Eiswasser gesprungen wären, doch wurde uns dabei eine wundervolle Überraschung bereitet: Wir erwarteten das sofortige Eintreten der Nacht, statt dessen sahen wir noch lange Zeit hindurch ein seltsames Leuchten, das mit dem Glanz der Erde rang und unseren Dämmerungen ähnlich war.

Jener Glasstreifen, auf dem wir über hundert Kilometer weit gefahren waren, nahm gerade sein Ende, als wir den Schatten der kleinen Krater, von denen ich vorher gesprochen hatte, verließen. Wir näherten uns, jetzt direkt nach Norden fahrend, schon dem zwanzigsten Parallelkreis, als die Sonnenscheibe, die vor dem Untergang nicht gerötet, sondern im Gegenteil hell und leuchtend war wie am Tage, langsam unter den Horizont zu sinken begann. Und plötzlich erfaßte uns eine furchtbare Sehnsucht nach dieser schwindenden Sonne, die sich uns erst in vierzehn Tagen wieder zeigen wird. Wir standen alle nebeneinander am westlichen Fenster unseres Wagens. Martha erhob ihre Hände zu dem untergehenden Gestirne und begann mit singender, monotoner Stimme indische Hymnen zu sprechen, mit denen die Fakire auf der Erde von dem Gotte des Lichtes Abschied nehmen.

Woodbell antwortete ihr manchmal mit unverständlichen Sätzen aus den heiligen Büchern, wahrscheinlich der Zeiten gedenkend, die er in Travancore verbracht hatte, wo er so oft die flammende Sonne in den uferlosen Ozean tauchen sah.

Die Sonne indessen, mit einem Teile der Scheibe vertieft, schien am Horizonte zu stehen und zu warten. Ihr Glanz bespiegelte die ausgestreckten Arme des Mädchens und flackerte auf ihren weißen Zähnen, die zwischen den sich öffnenden Lippen sichtbar wurden. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie beide miteinander sprechen müssen — dieses Mädchen und diese Sonne.

Nach einer halben Stunde war nur noch ein Segment der Sonnenscheibe sichtbar. Die Steinwüste verfinsterte sich unter diesem hellen Lichtstreifen, als hätte sie sich in ein Tintenmeer verwandelt. Hier und da nur schimmerten glatte Steine, die das blaßbläuliche Licht der Erde wiedergaben. Martha hatte den Hymnus bereits beendet; und stand, in die Wüste starrend, den Kopf an Tomas’ Schulter gelehnt.

Wir waren alle von einer seltsamen Trauer erfaßt; sogar Peter, der am wenigsten zur Rührung neigte, blickte finster vor sich hin und bewegte die Lippen, als wenn er leise mit seinen Gedanken Zwiesprache hielte.

Und ich selbst ... Ah ... wie wahnsinnig schnell ist mein Leben auf der Erde dahingeflogen. Ein seltsamer Reigen von Erinnerungen zog an meinem inneren Auge vorüber. Ich träumte von Weichselebenen und von den finsteren Gipfeln der Tatra — und alles war von einer unabsehbaren Menge teurer — für ewig verlorener Menschen bevölkert ... für ewig! ...

Da plötzlich erlosch die Sonne. Rote Protuberanzen flackerten wie kleine feurige Zungen noch eine Zeitlang über dem Horizont, endlich verschwanden auch sie — und in der über die Wüste hereinbrechenden Dämmerung geschah etwas so Unerwartetes, daß wir uns unwillkürlich aneinanderdrängten, als wenn wir uns vor etwas schützen wollten, das sich auf uns wirft wie eine wilde Katze. In diesem Augenblicke nämlich, als der letzte Sonnenstrahl verschwand, schoß im Westen eine lichte Säule empor, die wie eine Kuppel gewölbt war und einer wundervollen Fontäne schillernden Staubes ähnelte.

Das Zodiakallicht erglänzte vor uns in einer Erhabenheit, wie es auf der Erde menschliche Augen niemals sahen. Wir starrten lange auf diese glühende Säule, die leicht nach Süden geneigt, mit verschiedenfarbigen Sternen besät war; der kosmische Staub, durch den sie leuchteten, umkreiste die Sonne und warf nach ihrem Untergange ihr funkelndes Licht zurück.

Dann erlosch alles! Nur die Erde sahen wir noch über uns und die Sterne, — die seltsamen Sterne, ganz tief in dem schwarzen Himmel — nicht flackernd, doch verschiedenfarbig. Diese Verschiedenfarbigkeit der Sterne, die durch die hier fehlende Luft nicht verdunkelt werden ist so staunenerregend, daß ich mich nicht daran gewöhnen kann, obwohl sie doch während des ganzen Mondtages über uns glitzerten.

Die Erde gibt uns so viel Licht, daß wir bei ihrem Schein die Reise ohne Unterbrechung fortsetzen können. Das ist für uns ein sehr günstiger Umstand, da wir keine Zeit zu verlieren brauchen und während der Nacht so weit nach Norden vordringen können, daß wir den senkrechten Sonnenstrahlen des nächsten Tages nicht mehr ausgesetzt sein werden. Nur der Gedanke an die nächtliche Kälte, die uns schon zu schütteln beginnt, erfaßt uns mit Grauen.

Der Boden ist wieder ungleichmäßig, was uns zu vielen Abbiegungen und Umwegen veranlaßt, die die Reise verlangsamen. Vorn am Wagen brennen wir eine elektrische Laterne, die uns den Weg erleuchtet; ohne sie könnten wir leicht in irgendeine Spalte stürzen, die bei dem schwachen Licht der Erde nicht gut zu sehen ist. Wir richten unsere Fahrt nach den Sternen, da wir mit dem Kompaß nicht recht fertig werden können auf dieser seltsamen Welt. Dabei verändern die Metallwände des Wagens die Lage der Nadel.

Auf Mare Imbrium, 7° 45’ westlicher Länge 24° 1’ nördlicher Mondbreite, ein Uhr des zweiten Mondtages.

Mitternacht ist schon vorüber und wir haben beinahe vergessen, wie die Sonne aussieht; wir begreifen kaum mehr, wie wir uns über ihre Glut beklagen konnten. Fast hundertachtzig Stunden, die seit Sonnenuntergang verflossen, sind wir einem so unerhörten Froste ausgesetzt, daß wir das Gefühl haben, die Gedanken im Hirne müßten uns einfrieren. Unsere Öfen arbeiten mit der ganzen Kraft und wir kauern um sie herum und zittern vor Kälte.

Schreibend lehnte ich mich an den Ofen. Die Glut bratet mir den Rücken und gleichzeitig fühle ich, wie mir das Blut in den Adern gerinnt und erstarrt. Die Hunde drängen sich an uns und bellen unaufhörlich, uns aber packt schon der Wahnsinn. Wir sehen uns schweigend mit einem merkwürdigen Haß an, als wenn einer von uns daran schuld wäre, daß die Sonne hier dreihundertvierundfünfzig und eine halbe Stunde lang nicht leuchtet und wärmt ...

Ich wollte mich aufraffen und einige Eindrücke von der Reise nach Sonnenuntergang niederschreiben, aber ich sehe, daß ich nicht fähig bin auch nur die einfachsten Vorstellungen auszudrücken ... Mein Gehirn ist eingefroren ... Verworrene Bilder gleiten mir lose, unzusammenhängend durch den Kopf; ich kann sie auf keine Weise miteinander verbinden. Manchmal habe ich die Empfindung, daß ich mit offenen Augen schlafe. Ich sehe Martha, Tomas, die Hunde, Peter, den Ofen — und ich weiß nicht, was das bedeutet, ich weiß nicht, wer ich bin, wie ich hierher komme, weshalb ...

Ja — weshalb ...

Ich wollte darüber nachdenken, mich daran erinnern, aber ich kann nicht. Es muß eine Ursache gewesen sein, daß ich mit diesen Menschen die Erde verlassen habe ... Ich erinnere mich nicht — das Denken erschöpft mich.

Es scheint mir, daß wir stehen. Ich höre das Zischen des Motors nicht, ich muß hingehen und nachsehen, was geschehen ist; aber ich weiß, daß weder ich noch sie — daß niemand dies tun wird. Wir müßten uns vom Ofen entfernen. Eine wahnsinnige Kälte!

Durch das Fenster sehe ich Felsen, die von der Erde hell beleuchtet sind. Vielleicht stehen wir deshalb, weil wir zwischen Felsen gerieten ...

Das ist alles seltsam und gleichgültig ...

Was schreibe ich? Habe ich wirklich den Verstand verloren? Ich bin sehr müde und ich weiß, daß ich erfrieren und nicht mehr aufwachen werde, wenn ich einschlafe ... Man muß den Schlaf abschütteln, zum Bewußtsein kommen ...

Es ist sonderbar, daß die Kälte während der ersten Nacht auf dem Sinus Aestuum nicht so furchtbar war. Scheinbar erstrecken sich unter jener Fläche vulkanische Adern, die den Boden etwas erwärmen.

Schreiben, schreiben, nur nicht einschlafen, denn das bedeutet sterben ...

Seit Sonnenuntergang fuhren wir immer nach Nordwesten — in stets stärkerem Lichte der zunehmenden Erde und in immer zunehmender Kälte. Unter dem 9.° westlicher Länge und dem 21.° nördlicher Breite durchdrangen wir die niedrigen, runden Wälle, die uns den Weg versperrten. Wir änderten den Kurs; statt direkt nach Norden wendeten wir uns nach Nordosten, in der Richtung der Berge, die sich um den Ring des Archimedes ausdehnen, in der Hoffnung, daß wir hier irgendeinen tätigen Krater finden und in ihm ein wenig Wärme. Wir sind an der Grenze dieses gebirgigen Landes, aber alles bleibt starr und kalt. Wir fuhren in die Mitte des Halbmondes hinein, der von den amphitheatralisch sich erhebenden Felsen gebildet wird. Varadol machte astronomische Messungen, um die Lage dieser Berge zu bestimmen. Aus seinen Messungen geht hervor, daß dies eine Erhöhung ist, die auf den Mondkarten gewöhnlich mit dem Buchstaben E bezeichnet wird und unter dem 7.° 45’ westlicher Länge, 24.° 1’ nördlicher Mondbreite liegt.

Kälte, Kälte, Kälte ... Aber man muß sich überwinden und nicht schlafen. Nur nicht schlafen, das wäre der Tod! Dieser Tod muß hier irgendwo in der Nähe sein. Dort auf der Erde müßten sie ihn auf dem Monde sitzend malen, denn das ist sein Königreich ...

Weshalb stehen wir? Ach — richtig! Es ist alles einerlei!

Ja, man muß sich überwinden. Wovon schrieb ich? Aha! Diese Berge ... Das seltsame Amphitheater, zirka vier Kilometer breit, nach Süden geöffnet. Über ihm hängt, wie eine Lampe, die Erde. Der höchste Gipfel im Norden, direkt vor uns, ist wahrscheinlich gegen zwölfhundert Meter hoch. Das alles sieht so furchtbar aus. Ein Theater für Riesen, für Ungeheuer — für Skelette von Riesen. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn sich diese Abhänge plötzlich mit einer Menge von riesigen Skeletten anfüllten, die langsam im Lichte der Erde dahinschreiten und die Plätze der Zuschauer einnehmen. Die Riesenschädel derjenigen, die am höchsten Platz genommen haben, würden am Hintergrunde des schwarzen, sternenbesäten Himmels weiß leuchten! Es scheint mir, daß ich das alles sehe. Die Skelette von Giganten sitzen und sprechen so zueinander: „Welche Stunde ist es? Es ist bereits Mitternacht; die Erde, unsere große, lichte Uhr, steht schon voll am Himmel — es ist Zeit, zu beginnen.“ Und dann zu uns: „Es ist Zeit, zu beginnen, sterbt also; wir sehen zu“ ...

Schauer schütteln mich ...

Palus Putredinis, auf dem Grund der Spalte δ, 7° 36’ westlicher Länge, 26° nördlicher Mondbreite. Zweiter Tag. 62 Stunden nach Mitternacht.

Es ist also geschehen. Wir sind zum Tode verurteilt, ohne jegliche Hoffnung auf Rettung. Wir wissen das seit sechzig Stunden; Zeit genug, sich mit dem Gedanken zu befreunden. Und dennoch — dieser Tod ...

Ruhe, Ruhe, das führt doch zu nichts. Man muß sich mit dem aussöhnen, was unabwendbar ist. Übrigens ist es für uns doch nichts Unerwartetes. Als wir diese Reise antraten — noch dort auf der Erde — wußten wir, daß wir uns dem Tode aussetzten. Aber warum ist dieser Tod nicht plötzlich über uns gekommen, wie ein Blitz, warum hat er sich vor uns gezeigt und nähert sich so langsam, daß man jeden seiner Schritte berechnen kann, — daß wir genau wissen, wann er uns mit der kalten Hand an der Gurgel packen und würgen wird ...

Ja, würgen. Wir werden alle ersticken. Der Vorrat an verdichteter Luft wird uns bei höchster Sparsamkeit noch für kaum dreihundert Stunden ausreichen. Und dann ... Nun ja, man muß sich beizeiten darauf vorbereiten, was dann sein wird ... Im Verlauf dieser Frist wird sich der letzte Behälter der verdichteten Luft ausleeren, der einzige, der uns noch geblieben ist. Nach dreihundert Stunden ... Das wird gerade der Mondmittag sein ... Die Sonne wird noch hoch oben stehen. Es wird hell und warm sein — sogar heiß, vielleicht zu heiß. Einige Zeit hindurch — mehrere Stunden — wird noch alles in Ordnung sein. Dann werden wir langsam eine Schwere fühlen, ein Sausen im Kopfe, ein Klopfen des Herzens ... Die Atmosphäre unseres Wagens, die mit Sauerstoff, der uns schon fehlt, nicht erfrischt worden ist, wird mit der von uns ausgeatmeten Kohlensäure überfüllt sein. Jetzt beseitigen wir sie künstlich, aber wozu soll man sie noch beseitigen, wenn wir keinen Sauerstoff mehr haben, um sie damit zu ersetzen? Wir werden dann beginnen, uns mit dieser Kohlensäure zu vergiften. Ein Blutandrang, — eine Schwere, — dumpfe Luft — Schlafsucht ... Ja, Schlafsucht, unüberwindbare Schlafsucht. Wir werden uns niederlegen und den Tod erwarten. Martha wird sich aus ihrer Hängematte wahrscheinlich herausbeugen und ihren Kopf an Tomas’ Brust lehnen, wie gewöhnlich ... Dann beginnen wir zu träumen ... Erde, heimatliche Länder, Wiesen, Luft — oh! Luft — viel, viel Luft, ein ganzes, grenzenloses, reines Meer! Und im Traum ein erstickender, furchtbarer Alp hier auf der Brust; es scheint mir, daß ich ihn schon fühle! Er zerbricht die Rippen, würgt an der Gurgel, schnürt das Herz zusammen. Eine wütende Angst erfaßt uns. Man möchte sie abschütteln, aufstehen, fliehen ... Endlich enden die Träume. Auf dem Monde, inmitten der mächtigen Fläche Mare Imbrium, werden vier Leichen im Wagen eingeschlossen sein.

Nein, nein, nicht so! Im Augenblick, in dem wir keine frische Luft mehr haben werden, öffnen wir die Tür des Wagens — sperrangelweit. Eine Sekunde — und wir werden uns in der Leere befinden. Das Blut wird aus dem Munde, den Ohren, den Augen, der Nase schießen; einige krampfartige, verzweifelte Bewegungen der Brust, ein wütendes Herzklopfen und — Schluß.

Weshalb schreibe ich das alles? Weshalb schreibe ich überhaupt? Das hat doch weder Sinn noch Zweck. In dreihundert Stunden werde ich sterben.

Eine Stunde später.

Ich kehre zum Schreiben zurück. Ich muß mich mit etwas beschäftigen, denn der Gedanke an den unabwendbaren Tod ist unerträglich. Wir gehen im Wagen auf und ab und lächeln sinnlos vor uns hin oder sprechen über ganz gleichgültige Dinge. Vor einer Weile sagte Varadol, wie man in Portugal eine gewisse Sauce aus Nieren von jungen Hühnern mit Kapern bereitet. Währenddessen dachten wir alle und auch er daran, daß wir in zweihundertneunundneunzig Stunden sterben werden.

Eigentlich ist der Tod gar nicht furchtbar — warum fürchten wir ihn so sehr? Er ist doch ...

Ach, wie hirnverbrannt ist diese ganze Philosophiererei über den Tod! Lauter als alle Gelehrten, die Gleichmut vor dem Sterben empfehlen, spricht das Ticken meiner Uhr in der Tasche. Ich höre ruhige, kleine Metallschläge und ich weiß, daß dies die Schritte des nahenden Todes sind. Er wird hier sein, ehe die Sonne dieses bald beginnenden, langen Tages untergeht. Er wird sich nicht um eine Stunde verspäten ...

Wir befanden uns gerade zwischen jenen hufeisenförmigen Felsen, vor Kälte erstarrt, als Varadol, der zufällig auf den Manometerzeiger des Luftbehälters sah, einen markerschütternden Schrei ausstieß.

Wir sprangen alle wie elektrisiert in die Höhe, nach der Richtung blickend wohin Peter, der kein Wort hervorbringen konnte, mit zitternder Hand deutete.

Es überlief mich heiß und kalt: der Manometer zeigte innen keinen Druck an. Vielleicht hatte sich die Luft in dem Behälter, der in der Wand angebracht war, infolge der ungeheuren Kälte verflüssigt ... Ich öffnete den Hahn — der Behälter war leer. Ebenso der zweite, dritte, vierte und fünfte. Nur im sechsten, dem letzten, befand sich Luft.

Da packte uns das Entsetzen. Ohne über die Ursache der für uns rätselhaften Entleerung der Behälter nachzudenken, ohne zu wissen, was wir tun, was wir sagen und raten sollen, warfen wir uns plötzlich alle auf den Motor und fühlten keine Kälte, keine Erschöpfung, keinen Schlaf mehr — nichts, nichts — nur von dem einen Gedanken beseelt: fliehen, fliehen, fliehen — als wenn man vor dem Tode fliehen könnte.

In einigen Augenblicken war der Wagen in Bewegung. Aus der zwischen Felsen eingeschlossenen Fläche hinausgekommen, sausten wir mit der ganzen Kraft nach Norden, zwischen kleinen Bergen, die sich vom Ring des Archimedes erstrecken und über den ganzen westlichen Teil des hier an das Regenmeer grenzenden Palus Putredinis ausbreiten. Das Terrain war außerordentlich ungleichmäßig. Der Wagen sprang auf und ab, erzitterte, hob sich oder fiel herab, uns unbarmherzig hin und her werfend; wir achteten nicht darauf, in der furchtbaren Angst und Verzweiflung und waren nur von dem einen Gedanken erfüllt, daß es uns gelingen könnte, auf die andere Seite des Mondes zu gelangen, ehe unser geringer Vorrat an Luft zu Ende geht!

Welch ein lächerlicher Gedanke! Die Luft wird kaum für dreihundert Stunden ausreichen und von dem Pol des Mondes trennen uns in gerader Linie fast zweitausend Kilometer Weges, wovon die Hälfte auf bergiges und undurchdringliches Land fällt!

Die Kälte machte uns das Blut in den Adern erstarren und hielt uns den Atem in der Brust zurück, aber wir fühlten es kaum; wir sausten unaufhörlich über Berge, die im Lichte der Erde silbern leuchteten, durch schwarze Mulden, über steinbesäte Ebenen — nur weiter, weiter, weiter! Sogar an den Schlaf, der uns vor kurzem zu überwältigen drohte, dachte niemand mehr.

In dieser höllischen Fahrt, die ebenso ziellos wie wahnsinnig war, hielt uns ein plötzliches Hindernis auf. Blindlings vorwärtsstürmend stießen wir auf eine Spalte, die der „Spalte der Erlösung“ unter dem Eratosthenes ähnlich, nur bedeutend weiter und tiefer war. Wir bemerkten sie so spät, daß wir beinahe mit dem Wagen in ihre Tiefe hinabgesaust wären.

Der Wagen blieb stehen und eine grauenhafte Apathie ergriff uns. Die Energie der Verzweiflung, mit der wir so viele Stunden sinnlos dahinrasten, war plötzlich verschwunden, wie sie gekommen war, einer unaussprechlichen, ohnmächtigen Bedrückung Platz machend. Es war uns auf einmal alles vollständig gleichgültig. Warum sich anstrengen, wenn es doch zwecklos ist. Wir müssen sterben.

Wir setzten uns neben den Ofen, ohne etwas zu tun, in Schweigen versunken. Die Kälte quälte uns immer furchtbarer, aber wir kümmerten uns nicht mehr darum. Der Tod ist doch immer gleich, ob vor Kälte oder durch Ersticken. Viel Zeit ist so vorübergegangen. Wir wären zweifellos erfroren, wenn nicht Woodbell, der sich als erster faßte, uns beschworen hätte, ernst über unsere Situation nachzudenken.

— Suchen wir einen Ausweg, eine Möglichkeit der Rettung, sagte er, wenn wir sie auch nicht finden sollten, so haben wir wenigstens etwas, das uns beschäftigt, unsere Gedanken für einen Augenblick vom Tode abwendet, der wie ein Alp auf uns lastet.

Der Rat war gut, aber wir waren so erschöpft und erstarrt, daß wir ihn ganz gleichgültig hinnahmen und nicht einmal auf die Vorstellungen Tomas’ antworteten.

Ich erinnere mich, daß ich auf Tomas blickte und sah, wie er die Lippen bewegte, aber ich verstand kein Wort von dem, was er sagte. Das einzige, was mich in jenem Augenblick beschäftigte, war: wie wird er wohl nach dem Tode aussehen?

Mit irrsinniger Hartnäckigkeit starrte ich auf seine Kinnbacken und riß in Gedanken das Fleisch von ihnen herunter, dann entblößte ich ebenso seinen Schädel, seine Rippen, seine Knochen — und auf einen lebenden Menschen sehend, hatte ich plötzlich ein Gerippe vor Augen, das mit einer boshaften Grimasse zu sagen schien: So werdet ihr alle aussehen — in kurzer Zeit!

Als Tomas sich endlich überzeugte, daß mit uns nichts mehr anzufangen war, stellte er sich selbst an den Motor und bald bewegte sich unser Wagen längs des Randes der Spalte, deren Ende wir in einer halben Stunde erreicht hatten. Als Varadol dies bemerkte schrie er, von dem Mut der Verzweiflung erfaßt und fortgerissen, wie wahnsinnig:

— Wir können die Spalte umkreisen und weiter nach Norden fahren zum Pol, dort, wo es Luft gibt!

Er lachte und warf sich, als wenn er die Sinne verloren hätte, auf das Steuer; Tomas stieß ihn leicht beiseite und sagte kurz, aber entschieden:

— Wir werden die Spalte nicht umkreisen, sondern in sie hineinfahren.

Peter sah ihn eine Zeitlang mit starrem Blick an — dann stürzte er sich plötzlich, scheinbar einen neuen Nervenanfall bekommend, auf ihn und packte ihn bei der Gurgel.

— Mörder! brüllte er, Würger! Du willst uns töten, und ich will leben, leben! Hörst du? Nach Norden, nach Norden, zum Pol, dort ist Luft!

Er schäumte und schrie und da er stärker war als Tomas, warf er ihn, ehe wir es hindern konnten, zu Boden und kniete auf seiner Brust. Ich sprang mit Martha herbei, um den Wahnsinnigen festzuhalten und es begann eine Verwirrung, die das Bellen der verängstigten Hunde begleitete. Wir packten ihn endlich bei den Schultern, als er plötzlich aufschrie und unter unsern Händen schlaff zusammenfiel. Tomas erhob sich, erschöpft und blaß.

Da neigte sich der Wagen; ich fühlte eine gewaltsame Erschütterung und verlor das Bewußtsein.

Als ich wieder zu mir kam, bemerkte ich, daß ich auf meiner Matte lag; Tomas stand über mich gebeugt und rieb mir die Schläfen mit Äther ein. Martha und Varadol saßen finster und schweigend neben mir.

Tomas ist wirklich ein tüchtiger Mensch. Während er mit Peter rang, fuhr der Wagen, dessen Steuer niemand lenkte, mit seinem Vorderteil an einen Felsen. Durch diese Erschütterung nach vorn geworfen, prallte ich mit dem Kopf an die Wand des Wagens und wurde ohnmächtig.

Tomas und Martha gingen aus diesem Unfall unversehrt, hervor; ebenso Varadol, der bewußtlos am Boden lag, von dem vorhergegangenen Anfall erschöpft. Tomas empfahl Martha, uns auf die Lagerstätten zu legen, und lenkte den Wagen in die Tiefe der Schlucht hinein. Hier erst, auf dem Grunde, wo es unvergleichlich wärmer ist als auf der Oberfläche, begann er uns zur Besinnung zu bringen. Zuerst erwachte Peter. Er erinnerte sich absolut nicht des Anfalls, der uns so sehr erschreckt hatte. Endlich kam auch ich wieder zu mir.

Für den Augenblick drohte uns der Tod durch Erfrieren nicht, da in dieser tiefen Spalte die Kälte nicht so übermäßig war. Scheinbar ist das Innere des Mondes, ähnlich wie das der Erde, noch nicht ganz um die eigene Wärme gebracht, obwohl er, neunundvierzigmal kleiner als die Erde, auch bedeutend früher erkalten mußte.

Tomas hatte das richtig angenommen und fuhr in die Spalte, um es uns zu ermöglichen, hier miteinander zu beraten, was nun anzufangen sei, nachdem wir vor der jeden Gedanken ertötenden Kälte Schutz gefunden.

Wir dachten hin und her. Es fiel uns ein, daß es vielleicht gelingen wird, mit Hilfe der Druckpumpe die uns umgebende Mondatmosphäre so weit zu verdichten, um damit die Luft im Wagen auffrischen zu können. Dieser Gedanke flammte wie ein Stern der Hoffnung auf. Wir machten uns auch sofort an seine Ausführung. Jedoch nach einer Stunde schweren und angestrengten Arbeitens überzeugten wir uns, daß sich dies nicht verwirklichen läßt. Die Mondatmosphäre ist hier so dünn, daß sie sich nach dem vollständigen Herablassen des Pumpenstempels nicht einmal so weit verdichtet, den Druck der Luft in unserem Wagen zu überwinden und die Klappe zu öffnen. Wir versuchten dann, sie mit Hilfe der Pumpe in einem der leeren Behälter zu verdichten, nachdem wir den Riß fest verschlossen hatten, durch den uns die Luft entwichen war; aber auch das erwies sich als unmöglich.

Nachdem wir allen Mut verloren hatten und gänzlich erschöpft waren, ließen wir endlich von der zwecklosen Arbeit ab. Tomas bemühte sich noch uns damit zu trösten, daß wir vielleicht etwas weiter gegen Norden dichtere Atmosphäre finden würden, bei der sich unsere Pumpe gebrauchen ließe, aber ich weiß, daß er selbst nicht daran glaubt. Auf der ganzen mächtigen Strecke des Mare Imbrium wird sie gleich dünn sein und ehe wir diese zurücklegen, wird unser Luftvorrat ausgehen und kommen, was unabwendbar ist. In zweihundertneunzig Stunden müssen wir sterben.

Trotzdem werden wir, sobald es nur hell und wärmer wird, aus dieser Spalte herausfahren und weiter nach Norden eilen. Das führt freilich zu nichts, aber auch das Hierbleiben führt zu nichts. Und vielleicht ... vielleicht ... werden wir dennoch irgendwo etwas dichtere Atmosphäre finden ...

Auf silbernen Gefilden

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