Читать книгу Hasse mich nicht - Jessa James - Страница 10
Emma
ОглавлениеWarum habe ich nicht einfach Nein zu Jameson gesagt?
Diese Frage drehe und wende ich immer wieder in Gedanken, während ich die Fahrt von meinem Haus zu dem kleinen Coffee Shop am Strand mache, wo ich gerne lerne.
Warum bin ich so gutmütig?
Ich kenne die Antwort allerdings. Sowie Jameson in dem Gang im Supermarkt auf mich zukam, war es, als wären meine Füße mit dem Boden verwachsen. Ich war erstarrt, weil ich für den Bruchteil einer Sekunde dachte, er würde mich gleich bitten, ihn zurückzunehmen.
Ich schlucke die schmerzhafte Erinnerung daran hinunter, wie schwach ich mich in seiner Gegenwart fühlte, so einfach zu zerstören… wenn Jameson auch nur ein Wort darüber verloren hätte, dass er mich zurück will, ich weiß nicht, wie ich die Kraft hätte finden sollen, Nein zu sagen. Er hat mich sitzen gelassen und mich schlecht behandelt und dennoch hätte ich sofort die Chance ergriffen, das alles nochmal zu tun.
Wie erbärmlich bin ich eigentlich?
Zum Glück wollte mich Jameson nur wegen meines Gehirns. Das ist die verflixte Geschichte meines Lebens, genau das. Er flehte mich an, ihm beim Lernen für seinen GED zu helfen, und wie eine Idiotin stimmte ich zu.
Ich bin so, so dumm. Dumm und erbärmlich.
Ich parke mein Coupé auf einem Parkplatz vor dem Coffee Shop. Als ich nach der Uhrzeit schaue, stelle ich fest, dass ich etwas zu früh für unser Treffen dran bin. Ich schnappe mir meine Handtasche, laufe in den kleinen Laden und lächle, weil es hier so gemütlich ist. Von den nicht zu einander passenden Sofas bis hin zu den eklektischen Kunstwerken an den Wänden schreit dieser Laden für mich einfach ‚chill hier für immer‘.
Auf meinem Weg zur Theke bemerke ich die in die Jahre gekommene Espressomaschine und das junge, hippee Personal. Das Mädchen, das kommt, um mich zu bedienen, ist eine junge Latina, die taillenhohe Denimshorts trägt und etwas, das wie ein schwarzes Balletttrikot aussieht.
„Hey“, sagt sie und nickt mir zu. Sie verschiebt ein paar der Teller mit Scones und Muffins unter dem Tresen und drängt mich nicht zur Eile.
„Hey. Kann ich einen kleinen Latte haben? Und…“ Ich beuge mich nach vorne, um das Gebäck zu inspizieren. „Was kannst du mir empfehlen?“
„Mmm… ich mag die glutenfreien Pop Tarts“, antwortet sie und deutet darauf. „Sie sind wirklich gut dafür, dass sie glutenfrei sind.“
„In Ordnung, ich probiere einen.“ Ich lächle sie an, während sie meine Bestellung eintippt, bezahle mit Karte und sehe mich dann nach einem Tisch um.
Letzten Endes entscheide ich mich für einen der Bartische in der gegenüberliegenden Ecke, da ich das Gefühle habe, dass ein Sofa als Sitzgelegenheit wirklich die falsche Botschaft senden würde. Ich nehme meinen Latte und meine Pop Tart und setze mich dann auf den hohen Stuhl.
Während ich mein krümeliges Gebäck esse und darauf warte, dass Jameson kommt, sehe ich mich um. Die Wände sind in einem dunklen Lila gestrichen und überall hängen Kunstwerke. Ich schaue aus dem riesigen bodentiefen Fenster zu meiner Linken und entdecke Jameson, der in Richtung Laden schlendert. Seine Silhouette zeichnet sich vor dem Hintergrund des Strandes ab.
Dunkle Haare, einige Tage alte Stoppeln auf seinem Kinn und Wangen, groß und breit. Ich schlucke, als mir bewusst wird, dass er seine Ledermotorradjacke und schwarze Jeans trägt. Ihn in dieser Jacke zu sehen, weckt Sehnsucht in mir.
Er ist nach wie vor so umwerfend, dass allein in seiner Nähe zu sein mich leicht aus der Bahn wirft. Er kommt herein, sieht mich und läuft zu mir.
„Hey“, sagt er und stellt seinen Rucksack ab. „Oh, du hast dir schon was geholt. Ich wollte dir eigentlich kaufen, was auch immer du willst, dafür, dass du mir hilfst.“
Ich zucke mit den Achseln. „Ist schon in Ordnung.“
Er wirkt verblüfft. „Okay, lass mich mir nur schnell etwas holen. Dann können wir anfangen.“
Ich trommle mit den Fingern, während er zur Theke läuft. Als er in der Schlange wartet, erröte ich leicht bei dem Gedanken daran, dass ich Evie anflehen muss, über ihren Job zu reden in der Hoffnung, dass sie dabei kleine Informationsbröckchen über Jameson fallen lässt. Wenn das der Fall ist, quetsche ich sie so beiläufig ich kann aus, aber sie durchschaut mich jedes Mal.
Noch ein weiteres winziges bisschen Scham in meinem Alltag. Jetzt kann ich es einfach abtun, aber später, wenn ich allein in meinem Bett liege, werde ich mich an das hier erinnern.
Jameson kommt mit einem kalt gebrühten Kaffee zurück, an dem er nippt, während er neben mir Platz nimmt. Während ich hier sitze und seine Kehle anstarre, wenn er etwas von dem Kaffee schluckt, auf seine langen Finger blicke, während er sein Glas auf den Tisch stellt, wird mir klar…
Ich mag Jameson im Moment hassen. Ich mag wütend darüber sein, wie er die Sache mit mir beendet hat. Ich mag sogar etwas Zeit damit verbracht haben, mir vorzustellen, wie er von einem Bus überfahren wird.
Doch nichts davon ändert die Tatsache, dass ich mich immer noch zu Jameson hingezogen fühle, jetzt genauso wie zuvor. Und ich hasse mich dafür.
Er zieht einen Stapel Bücher aus seinem Rucksack und räuspert sich. „Alles in Ordnung bei dir?“
Ich muss ihm einen komischen Blick zugeworfen haben oder so was. Ich drücke schnell meine Wirbelsäule durch und schiebe meine Gedanken weg.
„Prima“, erwidere ich, wobei ich mich bemühe, ihn nicht anzufauchen. Ich nicke zu den Büchern. „Was lernen wir heute?“
Seine Stirn legt sich in Falten.
„Genauso wie zuvor. Ich dachte, wir könnten mit Mathe anfangen und dann Naturwissenschaften machen.“
„Richtig. Äh… ich schätze… lass mich zu deiner Seite des Tisches rutschen“, meint er. Er schiebt seine Bücher rüber und lässt sich Zeit damit, sich auf dem Stuhl links von mir niederzulassen. Seinen Kaffee zieht er ebenfalls rüber und dann schlägt er sein Mathebuch auf.
In diesem Coffee Shop ist es relativ kühl, sodass ich tatsächlich die Hitze spüren kann, die sein großer Körper ausstrahlt. Ich beiße auf meine Unterlippe und schimpfe mit mir, weil ich so schwach bin, wenn es um ihn geht.
„Also, ich habe hier aufgehört bei den Differenzialgleichungen…“, erklärt er und deutet auf das Kapitel im Buch. „Aber ich war mir nicht ganz sicher, wie sie funktionieren. Es ist irgendwie so, dass ich mir die Beispiele den ganzen Tag lang anschauen kann, aber wenn ich dann eine Gleichung vor mir habe, ist mein Gehirn wie leergefegt.“
„Ahhh.“ Ich nicke und spiele mit meiner Tasse. „Ich denke, du musst sie in Aktion sehen. Hast du Papier dabei?“
„Klar, yeah.“ Er zieht einige leere Blätter aus seinem Rucksack zusammen mit einem Stift. Er schiebt sie vor mich. „Hier.“
Er lässt seine Knöchel knacken. Ich schlucke und versuche, nicht auf die Stimme in meinem Kopf zu hören, die sich nur allzu gut daran erinnert, was diese Hände tun können. Wie viel Lust sie meinem Körper entlocken können, stundenlang.
„Okay… dann lass mal sehen… zuerst musst du das Integral finden…“, sage ich. Ich leite ihn durch den Prozess und löse mehrere unterschiedliche Gleichungen mit ihm.
Jameson beugt sich über den Tisch und beobachtet mich beim Rechnen. Er macht mich nervös, aber ich weigere mich, ihn das sehen zu lassen. Ich schaue ihm einfach nicht in die Augen und konzentriere mich stattdessen auf das Blatt und den Stift.
Er stellt einige Fragen und stoppt mich mit einer Hand auf meinem Unterarm. Seine warmen Finger berühren die nackte Haut meines Handgelenks zum zweiten Mal und mein Puls macht einen Satz wie ein verschreckter Hase.
Er wirft mir einen Blick zu, aber ich ziehe lediglich meinen Arm weg, räuspere mich und mache weiter.
„Ich denke, ich verstehe es. Oder zumindest verstehe ich es genug, um den GED zu machen“, meint er.
Ich schaue zu ihm hoch und begegne seinem warmen Schokoladenblick. Für den Bruchteil einer Sekunde verliere ich mich in seinen Augen, falle tief in sie. Er unterbricht die Verbindung auch nicht.
Er starrt mich bloß einige Sekunden an. Ich merke, dass es etwas gibt, das er sagen möchte, aber er sagt nichts. Und ich bin ein zu großer Angsthase, um ihn zu fragen, was er denkt.
Ich wende den Blick ab. „Ähm, denkst du, wir sollten jetzt Naturwissenschaften lernen?“
Sich räuspernd nickt er. „Yeah. Äh… yeah. Ich lerne gerade Physik, versuche Geschwindigkeit und Beschleunigung zu kapieren. Es ist… eine Herausforderung.“
„Super“, sage ich mit erzwungener Freude. Innerlich denke ich, dass ich wünschte, ich hätte erst gar nicht zugestimmt, hierher zu kommen. Aber ich will nicht, dass er das weiß. „Dann also Geschwindigkeit!“
Jameson wirft mir einen misstrauischen Blick zu, während er sein Naturwissenschaftsbuch hervorkramt. Er öffnet es, aber legt seine Hand auf die Seite.
„Bist du okay?“
Seine schwarz-braunen Augen blicken suchend in mein Gesicht.
„Immer doch“, kontere ich und tippe auf das Buch, um seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. „Komm schon, lass uns die Grundlagen der Physik lernen.“
Ich schiebe seine Hand aus dem Weg und beginne, zu lesen. Er verlagert irgendwann seine Aufmerksamkeit auf das, was wir lesen. Ich stoppe mehrere Male und erkläre ihm die Dynamik dessen, wovon wir reden, ausführlicher. Er hört zu und nickt und stellt hier und da eine Frage.
Wir gehen die wichtigen Informationen zu Geschwindigkeit und Beschleunigung durch und dann leite ich ihn durch ein paar der mathematischen Gleichungen, die das Buch vorschlägt. Ich lasse ihn einige der Beispielgleichungen lösen.
An einem Punkt, als er über das Blatt gebeugt ist und seine Antwort notiert, seufze ich. Es ist ein irgendwie sehnsuchtsvoller Laut, ganz zufällig und eigentlich durch nichts im Besonderen provoziert.
Es ist einfach Jameson als Ganzes. Ihm dabei zuzuschauen, wie er irgendetwas tut, ist ziemlich vergnüglich, aber ihm dabei zuzuschauen, wie er etwas Neues lernt? Etwas, bei dem ich ihm helfen kann?
Das lädt geradezu zum Schwärmen ein. Also seufze ich.
Er sieht zu mir hoch und ich laufe rot an. Ertappt.
„Was?“, fragt er.
„Nichts“, antworte ich und schüttle den Kopf. „Nichts, mach weiter.“
„Du benimmst dich merkwürdig“, sagt er.
„Nein, das tue ich nicht.“ Ich nehme einen Schluck von meinem Latte, als würde mich das vor meiner eigenen Verlegenheit bewahren.
„Das tust du!“, beharrt er. Er legt den Stift auf den Tisch. „Warum benimmst du dich so merkwürdig?“
„Jameson –“, beginne ich, verärgert, dass wir dieses Gespräch überhaupt führen.
Er bedenkt mich mit einem harten Blick. Ich rutsche leicht auf meinem Stuhl hin und her. Er senkt die Stimme.
„Weißt du, nur weil wir nicht mehr miteinander vögeln, heißt das nicht, dass du nicht mehr mit mir reden kannst. Ich bin immer noch die gleiche Person.“
Mein Gesicht wird sofort scharlachrot. „Jameson, du… du folgst einfach nicht im Geringsten dem angemessenen Trennungs-Protokoll.“
Seine Augenbrauen heben sich. „Dafür gibt es ein Protokoll?“
Ich starre ihn finster an. „Ja! Und du bist einfach so… du trampelst einfach darauf herum, als gäbe es das gar nicht. Aber glaub mir, es existiert aus gutem Grund.“
„Das Protokoll?“
„Ja!“
Es entsteht eine Sekunde, in der er innehält. Ich kann sehen, dass er irgendeine Art Überlegung anstellt und frustrierenderweise zu keiner Lösung kommt.
„Ich schätze, ich weiß nicht, wie diese Regeln aussehen, wenn man… du weißt schon, wenn man nicht mehr zusammen ist“, gesteht er.
„Tja, das ist offenkundig.“ Ich fühle mich wie eine Besserwisserin, als ich das sage, aber es stimmt.
„Was genau möchtest du dann, dass ich tue?“
Er schaut mich an, das Gesicht todernst. Unter seinem Blick sacke ich in mich zusammen wie ein Luftballon, dem die Luft rausgelassen wird.
„Ich weiß es nicht. Ich meine…“ Ich blicke hinab auf meine Hände. „Es fühlt sich einfach so an, als… als hätte sich nichts geändert.“
Meine Augen werden unerwartet feucht und ich schäme mich in Grund und Boden.
„Das ist doch etwas Gutes, oder nicht?“, erkundigt er sich.
„Nein!“, rufe ich lauter als beabsichtigt. Die Barista schaut zu mir und ich ziehe den Kopf ein. Aber dennoch kann ich mich nicht davon abhalten, weiterzureden. „Du verstehst es nicht, Jameson. Du – du hast mir das Herz gebrochen!“
Er erstarrt auf seinem Platz, sein Gesicht schockiert. „Ich – ich meine, ich wollte das nicht, Emma. Ich schwöre.“
Er streckt seine Hand aus, um meine zu berühren, doch ich reiße sie vom Tisch. Ich stehe auf, wütend und verletzt, und mache mich daran, zu gehen.
„Whoa, whoa, Emma“, sagt Jameson, springt auf und blockiert mit seinem großen Körper meinen Weg zum Ausgang. „Warte nur eine Sekunde.“
In meinen Augen brennen unvergossene Tränen. Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Lass mich gehen.“
„Es tut mir leid“, sagt er. „Das tut es wirklich. Alles ist meine Schuld, okay?“
„Es ist nicht okay! Ich bin hier, obwohl ich es nicht will, und tue dir einen Gefallen. Und du dringst in meinen persönlichen Freiraum ein und hältst mich vom Gehen ab…“
Eine Träne läuft über und schlängelt sich ungehindert meine Wange hinab. Seine Miene wirkt gequält.
„Weine nicht. Bitte weine nicht“, fleht er mich an. „Ich werde mich bemühen, die Regeln zu befolgen, okay? Egal, was du sagst, ich werde es tun.“
Ich streiche die Träne von meiner Wange und hole tief Luft. Sein schuldbewusster Gesichtsausdruck zerrt an meinem Herz. Jetzt fühle ich mich schlecht, weil ich schuld daran bin, dass er sich schlecht fühlt.
„Lass mich darüber nachdenken. Ich… ich möchte dich unterrichten, so wie es vorher war, aber…“ Ich schüttle den Kopf und blicke nach unten. „Es tut immer noch so weh.“
„Ich werde dir Zeit geben, wenn es das ist, was du brauchst“, versichert er mir. „Nur… sag bitte nicht, dass du dich nicht mehr mit mir treffen kannst, in geselliger Hinsicht.“
Ich schaue zu ihm hoch. „Ich sagte, ich werde darüber nachdenken. Das ist alles, was ich dir momentan versprechen kann.“
Er seufzt und zuckt mit einer Schulter. „Das ist dann alles, worum ich dich bitten kann.“
Er weicht zurück und lässt mich gehen. Ich verschwinde so schnell wie möglich aus dem Laden, renne mehr oder weniger an der Barista vorbei und aus der Eingangstür. Ich werde erst langsamer, als ich mein Auto erreiche.
Ich schiebe mich mit hämmerndem Herzen hinter das Lenkrad.
Ich weiß nicht, ob ich mich nochmal mit ihm treffen kann.
Aber zur gleichen Zeit, wie kann ich es ablehnen?
Ich lege den Gang ein und fahre mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.