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DAS GESCHENK

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»Hallo Mom!«

»Sarah, wo bist du gewesen? Ich habe mir schon Sorgen gemacht! Du hast doch gesagt, dass du um 5 Uhr zu Hause sein wirst. Du bist eine halbe Stunde zu spät. Ich wollte gerade Jane anrufen.«

»Tut mir leid, dass ich zu spät komme, Mom.«

»Du weißt doch, dass ich nicht möchte, dass du mit dem Rad noch unterwegs bist, wenn es dunkel wird.«

»Ja, Mom. Ich hätte dich angerufen, wenn ich es nicht mehr geschafft hätte.«

»Nun gut. Mir kam es vor, als hätte ich ein Auto gehört. Hast du vielleicht eins gesehen?«

»Ja, der Fahrer hat sich verfahren und ich hab ihm den Weg erklärt. Er ist zurückgefahren, als er hörte, dass hier die Straße endet.«

»Gut, gehen wir rein. Das Abendessen steht schon auf dem Tisch, wir können gleich essen.«

Ich hatte eigentlich keinen Hunger, doch das konnte ich meiner Mutter nicht sagen, sie hätte nur Fragen gestellt. Also setzte ich mich und fing an zu essen. Da ich keinen Appetit hatte, schob ich mit der Gabel das Essen auf meinem Teller hin und her.

»Sarah, was ist los? Du isst ja gar nichts. Bedrückt dich etwas?«

»Nein, Mom, ich habe keinen Hunger und ich bin ein wenig erschöpft, das ist alles.«

»Ok, Schatz, leg dich ein wenig hin. Ich räume alles auf.«

»Danke, Mom.«

Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich überlegte, ob ich Jane für morgen auch absagen sollte, denn für mich war es wichtiger, mich mit Ben zu treffen und mehr über meinen Vater zu erfahren. Doch dann fiel mir ein, was Ben gesagt hatte. Keiner darf Verdacht schöpfen und ich wusste auch nicht, was ich Jane sagen sollte.

Ich konnte nicht wieder behaupten, dass es Mom nicht gut ging, sie würde herkommen und nach ihr sehen wollen. Sie mochte meine Mom sehr. Außerdem wollte ich sie nicht wieder anlügen.

Ich musste mich wohl oder übel zusammenreißen, bis ich alles über meinen Vater erfahren hatte, ohne dass jemand von Ben erfuhr. Das Einzige, was ich tun konnte, war, dass ich die Verabredung ein wenig verschob, um mit Ben mehr Zeit verbringen zu können. Also nahm ich das Telefon und rief Jane an.

»Hallo?«

»Hallo Jane, wie geht es dir? Tut mir noch mal leid wegen heute, dass ich so plötzlich absagen musste.«

»Ist schon okay, Sarah. Geht es deiner Mutter besser?«

»Ah ja, sie hat sich nur den Magen verdorben. Es geht ihr schon besser.«

»Dann können wir uns ja morgen treffen!“

»Ja, wie wäre es um 11.00 Uhr? Ist dir das recht?«

»Ist das nicht ein bisschen zu spät? Wir können uns doch schon um 10.00 Uhr treffen.«

»Du hast ja leicht reden, ich muss noch den ganzen Weg in die Stadt radeln. Das hieße, noch eine Stunde früher aufzustehen und das in den Ferien.«

»Du hast ja recht. 11.00 Uhr ist auch gut. Hast du dir schon überlegt, was wir morgen machen wollen?«

»Nein, ich überlasse es dir. Zur Wiedergutmachung für heute, weil ich dich versetzt habe. Wir machen einfach das, worauf du Lust hast.«

»Also gut! Ich überlege mir was. Lass dich überraschen, wir werden morgen viel Spaß haben!«

»Gut, bis morgen.«

»Ok, bis dann. Sag deiner Mutter gute Besserung von mir.«

»Mach ich.«

Kaum hatte ich aufgelegt, klopfte es an der Tür.

»Ja?«

»Schatz, darf ich reinkommen?«

»Natürlich, Mom!«

Sie setzte sich zu mir aufs Bett und schaute mich traurig an.

»Ich weiß, dass du erschöpft bist, aber ich möchte dir das geben. Hier Schatz, dein Geburtstagsgeschenk.«

»Ich habe doch erst in zwei Wochen Geburtstag!?«

»Ich weiß, Schatz.«

Sie reichte mir ein Päckchen, das sehr schön eingepackt war.

»Nun mach schon auf.«

Ich muss zugeben, ich war ein bisschen aufgeregt, denn ich hatte nicht mit einem Geschenk gerechnet, da ich wusste, dass Mom im Moment knapp bei Kasse war. Ich wickelte das Päckchen aus und öffnete es.

»Mom, das ist doch die Kette, die dir Papa geschenkt hat. Das kann ich nicht annehmen!«

»Ich weiß, dass dir die Kette immer gefallen hat, Schatz. Sie gehört dir. Sie hat immer dir gehört, denn dein Vater gab sie mir, um sie für dich aufzubewahren. Ich musste ihm versprechen, dass ich sie dir genau heute gebe, zwei Wochen vor deinem Geburtstag. Er hat mir nie gesagt warum, aber für ihn war es sehr wichtig, dass du sie heute erhältst.«

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Erst hörte ich heute, dass mein Vater nicht bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam und jetzt bekomme ich zum Geburtstag von meinem Vater ein Geschenk.

»Schatz, ich lasse dich mal alleine.«

Ich war mit meinen Gedanken woanders. Ich hatte nur gehört, dass die Tür ins Schloss fiel. Die Kette sah irgendwie anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

Auf einmal schrak ich auf. Ich ließ die Kette auf das Bett fallen und trat einen Schritt zurück. Hatte sich das Symbol des Anhängers verändert? Es sah doch eben noch anders aus.

Ich nahm die Kette vorsichtig in die Hand und schaute sie mir genauer an. Sie hatte die Form eines Vogels. Zwar konnte ich nicht genau erkennen, was das für ein Vogel war, doch er war deutlich zu sehen.

Ich ging zum Spiegel, legte mir die Kette um den Hals und betrachtete mich. Sie war wunderschön. Mir kam plötzlich in den Sinn, dass ich mich bei meiner Mom noch nicht bedankt hatte. Ich nahm die Kette ab, denn wie hätte ich ihr erklären können, dass es dieselbe Kette ist, die sie mir geschenkt hatte? Ich verstaute sie vorsichtig im Kästchen und ging hinunter. Meine Mutter stand an der Spüle und wusch das Geschirr. Sie bemerkte nicht, dass ich hinter ihr stand.

»Mom?«

»Schatz, du hast mich erschreckt.«

»Tut mir leid, Mom. Ich wollte mich für das wunderschöne Geschenk bedanken und dir sagen, dass ich dich lieb habe.«

»Es freut mich, dass dir die Kette gefällt, Schatz. Das Geschenk ist aber von deinem Vater.«

»Nein Mom, es ist von euch beiden. Schließlich hast du es all die Jahre für mich aufbewahrt.«

»Hast du Lust auf eine Nachspeise? Du hast nichts zum Abendbrot gegessen.«

»Ok, was gibt es zum Nachtisch?«

»Eine kleine Torte.«

Sie gab mir ein Stück, fast schon übertrieben groß, aber ich sagte nichts.

»Danke, Mom.«

Als ich die Hälfte geschafft hatte, konnte ich nicht mehr.

»Mom, ich bin voll. Ich kann nicht mehr.«

»Ist schon gut, Schatz. Du musst nicht alles essen. Willst du vielleicht noch mit mir Fernsehen?«

»Ich würde liebend gern, Mom, aber ich treffe mich morgen mit Jane. Vielleicht morgen Abend. Jetzt geh ich lieber ins Bett, denn es fällt mir schwer die Augen offen zu halten. Gute Nacht, Mom.«

»Gute Nacht, Schatz.«

Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Draußen war es dunkel geworden, dennoch schaltete ich das Licht nicht ein. Ich wollte ein wenig im Dunkeln bleiben und den Tag Revue passieren lassen, also ließ ich mich aufs Bett fallen.

Auf einmal spürte ich etwas Hartes unter mir. Es tat weh. Ich musste wohl das Päckchen von der Kette auf dem Bett vergessen haben. Ich setzte mich auf und nahm es in die Hand. Was ist das? Es ist ja noch eingepackt?

Nun schaltete ich doch das Licht ein und sah, dass es nicht das Päckchen von meiner Mom war. Wie ist es nur hier hergekommen? Ich schaute zum Fenster. Es stand offen. Kann es sein, dass jemand dadurch gestiegen war?

Ich rannte zum Fenster und schaute hinaus in die Dunkelheit. Nichts. Meine Mom kann es nicht gewesen sein. Sie war die ganze Zeit unten mit mir. Ich setzte mich wieder aufs Bett und schaute mir das Päckchen genauer an. Schließlich packte ich es aus. Darin lag eine Karte. Ich nahm sie heraus und sah, dass ein Ring unter der Karte steckte. Er war sehr schön und hatte den Kopf eines Pferdes. Wer kann das nur gewesen sein? Neugierig faltete ich den Zettel auseinander.

>Hallo Sarah, alles Gute zum Geburtstag.

Ben<

Das konnte nicht wahr sein. Wie war er in mein Zimmer gekommen? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

Wieso sollte er mir ein Geschenk machen? Wir kannten uns doch erst seit ein paar Stunden. Ich nahm den Ring aus der Schachtel, betrachtete ihn und probierte ihn an. Er war zu groß. Was er sich wohl dabei gedacht hatte? Glaubte er, meine Finger seien so dick, dass er mir einen Riesenring schenken müsse?

Ich steckte den Ring zurück in die Schachtel und legte sie auf meinen Nachttisch, bevor ich mich auf meinem Bett ausstreckte. Warum hatte er mir so ein Geschenk gemacht? Ich setzte mich wieder auf, nahm den Ring erneut aus der Schachtel und schaute ihn mir noch einmal an.

Als ich ihn nochmal ansteckte, passte er sich plötzlich meinem Finger an und saß perfekt.

Eilig nahm ich den Ring wieder ab. Was ist heute nur los, verdammt? Erst verändert sich der Anhänger, den ich von meinem Vater bekommen habe und jetzt schmiegte sich der Ring meinem Finger an.

Entweder fing ich an zu spinnen, oder es passierte wirklich etwas. Es würde mir nur kein Mensch glauben. Ich legte den Ring wieder zurück in die Schachtel und steckte ihn in meine Tasche. Ich würde ihn Ben morgen zurückgeben. Das Geschenk konnte ich einfach nicht annehmen.

Ich legte mich wieder aufs Bett und dachte an meinen Vater und an all das, was Ben mir erzählt hatte. Was werde ich wohl morgen noch erfahren? Ob Ben wusste, was mit meinem Vater passiert ist?

Ich musste wohl eine ganze Weile so da gelegen haben, denn ich bemerkte, dass es heller wurde. Wenn ich jetzt einschlafen würde, würde ich den ganzen Tag verschlafen. Also stellte ich mein Handy auf 7.00 Uhr und drehte mich zur Seite.

Als der schrille Ton des Handys mich aus dem Schlaf riss, sprang ich sofort auf. Hastig zog ich mich an und schaute, ob das Päckchen noch in meiner Tasche war, denn ich war mir nicht sicher, ob ich nur geträumt hatte. Doch es war da, alles war real gewesen.

Damit meine Mom den veränderten Anhänger nicht sah, knüpfte ich mein Hemd bis oben hin zu. Gerade als ich die Treppe nach unten ging, kam meine Mutter aus ihrem Zimmer.

»Schatz, was machst du so früh auf den Beinen? Du hast doch Schulferien. Ist was passiert?«

»Nein Mom, ich treffe mich mit Jane.«

»So früh?«

Da ich wusste, dass meine Mutter mich fragen würde, warum ich so früh aus dem Haus gehe, hatte ich mir schon am Abend eine Antwort zurechtgelegt.

»Ich treffe mich um 09.00 Uhr mit Jane.«

»Und wo willst du jetzt hin? Du hast doch noch über eine Stunde Zeit?«

»Zum Teich, um ein bisschen alleine zu sein.«

»Ja, ich weiß, dass du immer dahin fährst, wenn du deinen Vater vermisst. Er fuhr immer mit dir dorthin. Du hast viel Zeit mit deinem Vater dort verbracht, aber muss es denn so früh am Morgen sein?«

»Ich bin einfach früh aufgewacht. Mach dir keine Sorgen, Mom.«

»Wenn du es sagst. Möchtest du nicht wenigstens einen Kaffee, bevor du gehst?«

»Nein Mom, ich trinke mit Jane einen Kaffee.«

»Ok, schon gut. Dann macht euch einen schönen Tag.«

Als ich die Tür hinter mir schloss, war ich froh, dass die Unterhaltung mit meiner Mom kurz war. So sehr ich sie auch liebte, sie konnte wirklich anstrengend sein, erst recht, wenn sie sich Sorgen machte. Leider machte sie sich ständig Sorgen.

Ob Ben schon da war? Es war noch sehr früh. Er würde bestimmt noch nicht auf mich warten. Aber ich wollte keine Zeit verlieren. Ich wollte schon da sein, sobald er ankam. Also nahm ich mein Rad und fuhr los. Als ich den Hügel erreichte, hatte ich wieder dieses komische Gefühl, dass ich nicht zuordnen konnte.

Schließlich sah ich die Kurve, an der er mich gestern abgesetzt hatte. Ben war nicht da und es war auch kein Wagen zu sehen. Ich war enttäuscht, denn obwohl mein Verstand mir sagte, es sei noch zu früh, hatte ich doch insgeheim gehofft, dass er schon auf mich warten würde. Ich fuhr langsamer. Als ich fast an der Kurve war, sah ich Ben und mein Herz schlug schneller.

»Hallo Sarah.«

»Hallo!«

»Der Wagen steht weiter weg, wir müssen ein Stück laufen. Ich wollte nicht riskieren, dass deine Mutter ihn wieder hört.«

»Aber woher wissen Sie, dass sie das Auto gehört hat?«

»Wir haben doch abgemacht, dass wir uns duzen.«

»Ok, also woher wusstest du das? Sie hatte ihn wirklich gehört und mich gefragt, ob ich ein Auto gesehen hätte.«

»Was hast du ihr gesagt?«

»Dass sich der Fahrer verfahren hätte und mich nach dem Weg gefragt hat.«

»Das hast du gut gemacht, Sarah. Denn sie darf noch nichts von mir erfahren, bis ich dir alles erzählt habe. Gib mir dein Rad, Sarah!«

Er nahm mein Rad und schob es neben sich. Wir liefen bis zum Auto. Es stand nur ein Stück weiter. Bis wir drin saßen, sagten wir kein Wort zueinander. Er hatte mein Rad wieder in den Kofferraum verstaut und fuhr los. Plötzlich fiel mir der Ring ein.

»Du warst gestern in meinem Zimmer und hast mir das aufs Bett gelegt.« Ich zeigte ihm das Päckchen. »Ich kann das nicht annehmen, wir kennen uns doch erst seit gestern.«

»Erstens kenne ich dich schon sehr lange, du weißt erst seit gestern von meiner Existenz. Und zweitens, das Geschenk ist nicht von mir. Ich sollte es dir nur aushändigen. Lass uns in der Villa darüber reden.«

»Von wem ist es denn, wenn es nicht von dir ist?«

»Sarah, ich sagte doch, lass uns in der Villa darüber reden.«

Ich nickte und schaute hinaus. Das Wetter war wunderbar heute. Überall saßen Vögel in den Bäumen und zwitscherten ihr ganz eigenes Lied. Obwohl ich jeden Tag diesen Weg zur Schule fuhr, hatte ich mir nie die Zeit genommen, die Natur zu genießen.

Mir kam es vor, als ob ich an einem anderen Ort wäre. Es schien alles schöner, heller und grüner. Ich genoss die Fahrt durch den Wald. Als wir uns der Villa näherten, sah ich, dass jemand am Tor wartete, um uns einzulassen. Ben hielt am Hauseingang, stieg aus und kam zu meiner Tür.

»Willst du nicht aussteigen?«

»Ja!«

Aber ich zögerte. War mir doch nicht mehr sicher, ob ich das Richtige gemacht hatte, keiner wusste, dass ich hier war. Als ich ausstieg, wollte ich nicht, dass Ben bemerkte, dass ich unsicher war. Wenn ich mehr über meinen Vater erfahren wollte, musste ich in die Villa. Der Butler wartete bereits an der Tür.

»Guten Morgen, Miss Clarus.«

»Guten Morgen, Mr. Andors.«

»Treten Sie bitte ein, Miss Clarus.«

»Danke.«

Ich ging hinein, Ben folgte mir. Als wir im Flur waren, blieb ich stehen und drehte mich um. Ich sah, wie Ben etwas einsteckte, das er kurz zuvor vom Butler erhalten hatte. Ich konnte zwar nicht genau erkennen, was es war, aber ich konnte sehen, dass es rot schimmerte.

Da Ben wusste, dass ich gesehen hatte, wie er das rote Etwas eingesteckt hatte, kam er mit einem Lächeln auf mich zu.

»Lass uns in den Garten gehen, das Wetter ist wunderschön heute.«

Ich folgte ihm und beobachtete beim Gehen, wie der Butler hinter einer Tür verschwand. Die Tür passte nicht zum Haus. Alles hier war riesig. Alle Türen waren entweder sehr groß oder mit zwei Flügeln versehen. Doch diese hier war unscheinbar und schmal. Ich kam zu dem Schluss, dass es sein Zimmer sein musste und folgte Ben in den Garten. Als wir draußen waren, blieb er stehen.

»Bitte, nach dir.«

Ich hatte das Gefühl, dass er mir meine Unsicherheit ansah. Deswegen nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und lief sicher und aufrecht an ihm vorbei, bis ich mich schließlich auf einen Gartensessel setzen konnte. Er nahm mir gegenüber Platz. Seine Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen.

Irgendwie war ich in seiner Anwesenheit unsicher. Er hatte etwas an sich, das ich nicht erklären konnte. Er wirkte sehr selbstbewusst, stark und sich seiner Sache sicher. Schließlich brach er das Schweigen.

»Wie trinkst du deinen Kaffee, Sarah?«

»Schwarz.«

»Möchtest du noch was dazu? Ich weiß, dass du noch nicht gefrühstückt hast.«

»Nein, danke.«

Er schaute zum Haus hinüber und nickte. Als ich in die gleiche Richtung schaute, bemerkte ich, dass sich die Gardinen bewegten. Er musste dem Butler eine Anweisung gegeben haben.

»So, kommen wir zu dem Geschenk, das ich dir aufs Bett gelegt habe.«

»Ja, wie bist du eigentlich in mein Zimmer gelangt? Es ist im ersten Stock und durch die Eingangstür bist du nicht gekommen! Ich hätte, also, wir hätten, meine Mutter und ich, hätten dich sehen müssen.«

»Das erkläre ich dir ein anderes Mal.«

Er schaute an mir vorbei und lächelte, als er sagte:

»Danke, Andors.«

Ich drehte mich um und sah, dass der Butler direkt hinter mir stand. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Zwar weiß ich, dass Butler immer unsichtbar sein mussten und immer im Hintergrund waren, aber dass sie auch noch so leise waren, war mir neu.

»Miss Clarus, Ihr Kaffee.«

»Danke, Mr. Andors.«

Er hatte etwas Liebenswertes an sich. So wie er mich ansah, in den Augen kann man etwas sehen, aber nicht fühlen, das ich nicht verstand, schließlich kannte ich ihn nicht.

Nachdem er Ben auch Kaffee eingeschenkt hatte, verbeugte er sich und ging. Ich nahm einen Schluck und lehnte mich zurück. Ich nahm das Päckchen aus meiner Tasche und stellte es auf den Tisch.

»Ich kann das Geschenk nicht annehmen. Wir kennen uns doch gar nicht.«

Er lächelte mich an, nahm es und schob es in meine Richtung.

»Du kannst es annehmen, Sarah. Ich sagte doch: Es ist nicht von mir. Du hast doch gestern von deiner Mutter ein Geschenk bekommen, das du gerade trägst.«

»Ja, woher weißt du das?«

Ich umfasste unbewusst die Kette, die ich unter meinem Hemd trug.

»Sarah, die Kette ist von deinem Vater, genauso wie der Ring. Er gab ihn mir, damit ich ihn für dich aufbewahre, um ihn dir zwei Wochen vor deinem Geburtstag zu geben. Er hatte die Kette und den Ring getrennt, um sicher zu gehen, dass du wenigstens eins von den beiden Schmuckstücken erhältst, falls etwas schiefgehen sollte.«

Ich war sprachlos und schaute ihn stumm an. Wie kann es sein, dass ich zwei Geschenke am selben Abend bekam, und beide stammten von meinem Vater?

»Schau, die Kette und der Ring sind seit Generationen in der Familie und jetzt bekommst du sie als die letzte Nachfahrin der Familie. Dass es mehr als nur Schmuck ist, wirst du mit der Zeit erfahren. Einen kleinen Vorgeschmack hast du gestern Abend bekommen. Der Anhänger hat sich verändert, nicht wahr?«

»Ja.«

»Das passiert nur, wenn der wahre Besitzer ihn trägt. Deine Mutter hat ihn auch getragen, aber es ist nichts passiert. Die Kette und der Ring kennen ihren wahren Besitzer. Später werde ich dir noch mehr darüber erzählen.«

»Warum nicht jetzt?«

»Alles zu seiner Zeit. Zuvor muss ich dir mehr über deinen Vater und darüber, was er machte und wer er wirklich war, erzählen. Dein Vater war nicht irgendein Mensch. Weißt du, was Cyrus bedeutet?«

»Nein.«

»Es bedeutet Sohn der Sonne, weitblickender Herrscher. Ja, Sarah, dein Vater besaß übernatürliche Kräfte, die jedem Angst einjagen konnten.«

»Wie meinst du das?«

»Versteh mich nicht falsch, natürlich nicht im negativen Sinne. Nicht die Menschen hatten Angst vor ihm, nein im Gegenteil. Die Menschen liebten ihn. Es waren die, die seine Macht fürchteten und alles dafür taten, ihn loszuwerden. Sie haben es nie geschafft, bis zu diesem einen Tag, an dem er seine Sachen packte und fortging.«

»Hat er uns deswegen verlassen?«

»Ja. Er musste gehen, um euch zu schützen.«

»Ja, aber wovor?«

»Sarah, es gibt Leben auf der Erde, das außerhalb deiner Vorstellungskraft liegt. Es besteht nicht nur aus dem, was du siehst. Es gibt Dinge, die normale Menschen nicht wahrnehmen können, so wie du es ab heute kannst. Du kannst es sehen, da du jetzt im Besitz des Ringes und des Anhängers bist. Du hast nicht mehr viel Zeit, in zwei Wochen hast du Geburtstag. Solange bist du noch sicher vor ihnen, denn diese Wesen wissen nicht genau, wer du bist.

Ich muss dir beibringen mit deinen Kräften umzugehen. Die Wesen, die du sehen wirst, sind nicht alle gut. Es sind einige darunter, die deinen Tod wollen, genauso wie sie zuvor den Tod deines Vaters gewollt hatten.«

»Aber warum? Ich habe denen doch nichts getan!«

»Noch nicht. Doch du hast die Kraft sie in ihrem Vorhaben aufzuhalten und das gefällt ihnen nicht.«

»Was haben sie vor?«

»Als Erstes dich und deine Mutter loszuwerden. Anschließend jene Menschen, die ihnen noch im Weg stehen. Sie kennen keine Gnade, sie wollen die Macht an sich reißen.

Das wollte dein Vater verhindern und jetzt liegt es an dir. Damit du vorbereitet bist, werde ich dich die Kunst des Kampfes lehren. Es ist schon 10.00 Uhr, du musst gleich gehen, doch vorher gehen wir nochmal kurz hinein.«

»Aber wir haben doch noch eine Stunde Zeit?«

»Du wirst die Zeit brauchen, bevor wir losfahren.«

Ben stand auf und ging hinein. Ich folgte ihm. Als wir im Flur waren, blieb er vor der Treppe stehen, die zum ersten Stock führte und schaute hinauf. Ich folgte seinem Blick, aber wusste nicht, warum er stehen blieb. Schließlich ging er weiter.

Als wir oben ankamen, sah ich einen Gang, von dem zu beiden Seiten viele Türen abgingen. An beiden Enden des Flurs erhoben sich jeweils zwei riesige Türen mit Flügeln. Ben bog rechts ab und ging zu der, die fast gigantisch schien, am Ende des Flures. Davor blieb er stehen.

»Sarah, ich war nicht mehr hier, seitdem dein Vater wegging. Es ist sein Zimmer. Es war niemand mehr drin, außer Albus, der es sauber hält, falls dein Vater doch zurückkehrt.«

Ben machte die Tür auf und trat zur Seite, ohne einen Blick hineinzuwerfen.

»Bitte, tritt ein und schau dich in Ruhe um. Sobald du fertig bist, kannst du hinunter kommen.«

»Kommst du nicht mit hinein?«

»Nein, es ist die Privatsphäre deines Vaters. Niemand durfte hier hinein und ich respektiere seinen Wunsch. Das habe ich all die Jahre. Er bat mich, es dir zu zeigen, falls er nicht zurückkehrt. Solltest du etwas brauchen, findest du mich unten.«

Ben drehte sich um und ging. Ich stand immer noch vor der Tür und konnte nicht eintreten. Es war mir unheimlich, nach so vielen Jahren zu erfahren, dass diese Villa meinem Vater gehörte und ich jetzt vor seinem Zimmer stehe.

Das Medaillon von Ofon

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