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Tag zwei: Sonntag

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Der nächste Tag begann drinnen wie draußen trüb. Vor dem Fenster ballte sich der Herbstnebel zusammen und in meinem Kopf tobten Gewitterwolken. Ich fühlte mich, als wäre ich unter die Räder eines LKWs geraten und seine grellen Scheinwerfer schnitten schmerzhaft durch meine geschlossenen Lider, als das Display meines Handys aufleuchtete. Ein Anruf von Ruth.

»Guten Morgen«, schmetterte sie fröhlich in mein Ohr.

»Geh weg«, brummte ich.

»Du klingst, als bräuchtest du dringend ein Katerfrühstück.«

»Geh weg.«

»Wir treffen uns in einer Stunde im Chevy’s.«

»Geh weg«, sagte ich. Doch da hatte sie bereits aufgelegt. Stöhnend warf ich das Handy ans Fußende meines Bettes und zog mir die Decke über den Kopf. Doch trotz Brummschädel kam ich nicht mehr zur Ruhe und strampelte die Decke wieder weg. Der Gedanke an einen würzigen Cheeseburger mit salzigen Pommes war einfach zu verlockend. Aber einen Schritt nach dem anderen. Der erste Weg führte mich zum Kaffeeautomat in der Küche. Dort füllte ich auch gleich den Futter- und den Wassernapf von Cassoipeia. Von hier war es nicht mehr weit zum Balkon. Die Kombination aus heißem Koffein und kühler Herbstluft klärte meinen Kopf so weit, dass ich ins Bad fand.

Ich war tatsächlich die Erste im Chevy’s und gönnte mir dort einen zweiten Kaffee, bis die Mädels eintrafen.

»Guten Morgen«, sagte Beth. In ihren Haaren klebte Bananenbrei. Anscheinend hatte ihr Kleiner mal wieder das Frühstück verweigert. Ruth wünschte uns mit klarer, fester Stimme einen guten Morgen. Sie sah frisch und ausgeruht aus, als käme sie gerade erst von einer Woche Inselurlaub zurück. Cynthia dagegen sah aus wie ein Waschbär auf dessen Kopf die ganze Nacht seine pubertären Waschbärkinder herumgetanzt waren und setzte sich wortlos zu uns. Die Lautsprecher berieselten uns mit einem seichten Pop-Geblubber, dem wir schweigend lauschten, bis jede von uns einmal in ihren Burger gebissen hatte.

»War ein toller Abend«, eröffnete Ruth die Gesprächsrunde.

»Ja, das war es«, sagte Beth.

»Hm«, brummte Cynthia.

Ich sah Ruth schweigend an. Früher oder später würde sie schon freiwillig damit rausrücken, warum sie uns alle aus dem Bett geklingelt hatte. Sonntags morgens war das Chevy’s noch nicht so gut besucht. Es gab nur wenige Verrückte in dieser Stadt, die einen Burger zum Frühstück zu schätzen wussten. Nach den ersten fünf Pommes ging Ruth zum Angriff über: »Kathleen, was du da gestern über den Stalker gesagt hast…«

»Das war nur ein Scherz.«

»Bist du sicher?«

»Ja natürlich. Zu viel Alkohol. Zu viele verrückte Hühner um mich herum. Ich habe einfach nur rumgealbert.«

»Kathleen, ich mache mir Sorgen um dich.«

Dieses Geständnis von Ruth verblüffte mich.

»Warum das denn?«

»Weil du dich immer mehr zurück ziehst. Man bekommt dich kaum noch zu Gesicht. Verabredungen sagst du kurzfristig ab. Und zum Mittwochssport kommst du auch kaum noch mit.«

»Naja. Sport kannst du das ja nicht wirklich nennen, wenn wir uns wie läufige Hündinnen auf dem Boden rumrollen.«

»Hey.« Damit hatte ich Beth beleidigt. »Das ist ein sehr wirkungsvolles Workout für Bauch, Beine und Po.«

»Ja, mag sein, dass es für dich wirkungsvoll ist. Aber mir bringt es nichts. Noch nicht einmal Spaß. Damals, als du diesen SV-Kurs vorgeschlagen hattest, da hatte ich Spaß.«

»Ja, aber auch nur, weil du in den Trainer verknallt warst«, brummte Cynthia.

»Stimmt doch gar nicht.«

»Stimmt jawohl«, konterte Beth. »Du warst doch immer selig, wenn du mit ihm trainieren durftest.«

»Ich habe nur mit ihm trainieren müssen, weil Ruth ein paar Mal ausgefallen ist und ihr beide wie ein frisch verliebtes Paar aneinander geklebt hattet.«

Beth schmollte, doch Ruth blieb ernst. »Kathleen, dieses Gerede über einen Stalker… hast du einen?«

»Was? Nein, Wie kommst du darauf?«

»Weil du die klassischen Symptome zeigst.«

»Symptome? Ich bin doch nicht krank!«

»Du ziehst dich zurück. Bist schreckhaft, reizbar.«

»Warum kennst du dich damit eigentlich so gut aus?«

»Weil ich mal einen hatte.«

Verblüfftes Schweigen breitete sich über unseren Tisch. Sogar Cynthia, die die ganze Zeit zu dösen schien, war jetzt hellwach. Jede von uns versuchte, diese Nachricht zu verdauen. Ruth kämpfte mit sich, um nicht aus der Rolle der kühlen Geschäftsfrau heraus zu fallen und gewann. Mit ruhiger Stimme erzählte sie: »Wisst ihr, dass ich keine Kinder habe, ist nicht gewollt. Damals sind wir doch immer in diese schäbige Disco zur Schaumparty gegangen. Manchmal war ich alleine dort. Immer dann, wenn DJ Zecke aufgelegt hat.«

»Dieser Milchbubi?«, fragte Beth.

»So bubihaft war er gar nicht. Er hat mich mit Blicken verfolgt, wenn ich mich auf der Tanzfläche für ihn zum Affen gemacht habe. Ich liebte es, dabei zuzusehen, wie er die Platten auflegte. Wie er sie zwischen seinen Fingern drehte. Zwischen diesen Fingern, die ich so gerne auf meiner Haut gespürt hätte.«

Sie schwieg einen Augenblick und ich spürte erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hatte.

»Eines Nachts kam es tatsächlich dazu, dass ich seine Finger auf meiner nackten Haut spürte. Und nicht nur seine Finger. Ich war jung und dumm und ließ mich von ihm schwängern.«

»Aber warum haben wir davon nie etwas mitbekommen?«, fragte ich erschüttert.

»Es war das Abschlussjahr. Ihr hattet andere Sorgen. Ich erzählte es meinem DJ, dachte, wir hätten eine gemeinsame Zukunft. Er war sehr fürsorglich und liebevoll. Ich war total überrascht, als er mir seine Rechercheergebnisse vorlegte: Wer die beste Hebamme in der Stadt ist und welcher der beste Kinderarzt. Sogar für einen Kindergarten hatte er sich schon entschieden und die Namen standen auch schon fest. Luke für einen Jungen und Leya für ein Mädchen. Ich glaube, das war der Punkt, an dem ich merkte, dass die ganze Sache aus dem Ruder läuft.«

»Also war es gar kein hinterhältiger und höchst seltener Magen-Darm-Virus, der dich so oft von der Schule und von uns ferngehalten hat?«, fragte Beth.

»So sieht es aus. Dieser total abgedrehte Freak, der Star Wars für Realität hielt, wollte plötzlich mit mir sein eigenes Imperium gründen. Er bedrängte mich immer mehr und wollte die absolute Kontrolle über mich und sein Kind. Niemand durfte mich anfassen. Selbst eine Umarmung von einer von euch ging ihm zu weit. Er lauerte mir auf und fragte mich aus, wenn er mich mal nicht beobachten konnte. Mir ging es immer schlechter. Ich hatte ständig Angst, konnte nicht mehr essen und nicht mehr schlafen. Meine Eltern dachten, es läge an den Prüfungen. Ehrlich gesagt, ist es mir völlig schleierhaft, wie ich die bestehen konnte.«

»Nach den Prüfungen hast du ziemlich viel Sekt mit uns getrunken«, erinnerte sich Cynthia.

Ruth sah auf ihren Teller hinunter ohne wirklich etwas zu sehen.

»Ich war so froh, wenigstens ein Kapitel abgeschlossen zu haben. Ich wollte das Kind in meinem Bauch, den Vater dazu, meine Eltern, denen ich ständig Lügen erzählen musste, vergessen. Einfach nur vergessen und entspannen. Einen kurzen Moment entspannen. Drei Tage später hatte ich eine Fehlgeburt. Und plötzlich war ich komplett leer. Mein Bauch war leer. Mein Herz war leer. DJ Zecke nannte mich eine Mörderin und sagte, ich sei für ihn gestorben. Ich brach zusammen und erzählte meinen Eltern alles. Sie schickten mich zu meiner Tante aufs Land. Sie hat dort einen Bauernhof, dort müssen die schwer erziehbaren Jugendlichen aus der Umgebung mit anpacken, um das Arbeiten zu lernen. Tante Gretchen und die Nähe der Tiere halfen mir aus diesem Trauma.«

»Dann warst du also nie in Schweden und hast auch deswegen keine Karte geschickt«, stellte Beth fest.

»Es tut mir so unendlich leid, dass ich euch diese Lügen aufgetischt habe.«

»Warum erzählst du uns jetzt, nach so vielen Jahren, davon?«, fragte ich.

»Ich dachte, ich hätte die Sache überwunden. Ich dachte, ich hätte mein Leben wieder fest im Griff. Aber dein Wunsch gestern hat alles wieder hoch geholt. Die Angst, die Panik, das ständige Gefühl, beobachtet zu werden. Als ich gestern Nacht nach Hause ging, zuckte ich bei jedem kleinen Geräusch zusammen. Ich schrie sogar, als mir eine Katze vor die Füße sprang und war in Schweiß gebadet, als ich zu Hause ankam. Thomas schlief zum Glück schon, ich hätte nicht die Kraft gehabt, es ihm zu erklären. Also duschte ich, ging ins Bett und dort lag ich die ganze Nacht wach.«

»Dafür siehst du aber verdammt gut aus«, sagte Cynthia, die immer noch ganz kleine Augen hatte.

Ein tiefes Schweigen legte sich über unseren Tisch. Es war diese Art von Schweigen, bei der alle Beteiligten wussten, dass alles gesagt war. Nach mehreren Minuten kam Hans, der Inhaber von Chevy’s an unseren Tisch und fragte: »Was ist los, Mädels? Schmeckt es euch nicht? Soll ich den Koch für euch verprügeln?«

Wir lachten, dankbar für diese kleine Ablenkung, die uns aus unseren trüben Gedanken riss. »Aber du bist doch der Koch«, sagte ich.

»Dann wird das jetzt wohl eine Slapstick Nummer«, sagte Hans und wackelte mit den Augenbrauen.

»Nein, ist alles gut. Lass den Koch am Leben. Heute ist der Kater einfach nur so groß, dass ihn nicht mal deine Burger umhauen können«, sagte Cynthia.

»Na wenn das so ist, habe ich etwas für euch. Lauft nicht weg.« Er verschwand in der Küche und kam nach wenigen Minuten mit einem Tablett mit vier Espressotassen zurück.

»Der geht aufs Haus«, sagte er und stellte vor jede von uns ein Tässchen. Dann erzählte er von seinen Zukunftsplänen, dass er demnächst sein Angebot auf Frühstück ausweiten wolle und sich deswegen diesen neuen Kaffeeautomat zugelegt hatte.

»Aber du hast doch Frühstück im Angebot«, sagte Beth.

»Genau, das ist doch richtiges Frühstück«, feixte ich.

Hans seufzte und räumte die leeren Tassen ab.

»Danke«, riefen wir ihm im Chor hinterher.

»War sehr lecker.«

»Haut voll rein.«

»Der totale Wachmacher.«

Und so war es tatsächlich. Der Espresso hatte uns so munter gemacht, dass wir den Kampf gegen den Kater wieder aufnahmen und unsere kalten Burger aufaßen.

Ruth legte ihre Hand auf meine. »Ich will dich nicht belehren. Ich möchte nur, dass du auf dich aufpasst.«

»Aber das mach ich doch.«

Sie drückte meine Hand noch mal fest, dann sagte sie: »So Mädels. Ich muss jetzt los. Im Buchladen warten noch Bestellungen auf mich, die ich rausschicken muss.«

»Aber heute ist Sonntag«, protestierte Cynthia.

»Aber wenn ich es heute nicht mache, komme ich nie dazu und meine Regale laufen leer.«

»Ist doch super. Dann machst du den Laden zu und gehst mit uns shoppen.«

»Am Sonntag?«

»Ach verdammt, irgendwas ist doch immer.«

»Können wir dir irgendwie helfen?«, fragte Beth.

»Nicht wirklich. Ich muss die ganzen Verlagsvorschauen durchgehen und entscheiden, was ich in welcher Menge bestellen möchte.«

»Klingt spannend. Nimm uns mit«, sagte ich.

»Es ist aber nicht spannend«, antwortete Ruth.

»Du machst was mit Büchern. Wie kann das nicht spannend sein?«, fragte ich.

»Na schön. Kommt mit«, sagte Ruth.

Wir beglichen bei Hans unsere Zeche, lobten seine Frühstücksidee und gingen durch den spätsommerlichen Nebel zu Ruths Buchhandlung. »Buchstabensalat« stand in großen braunroten Lettern über der Tür, die Ruth für uns öffnete. Sofort umfing uns der typische Geruch nach Papier und Leim. Nach Abenteuer und Entspannung. Ich liebte diesen Geruch und atmete tief ein. Beth blieb mit einem Blick auf die Uhr in der Tür stehen.

»Sorry Mädels. Ich muss zurück und Benny von der Nachbarin abholen.«

Wir verabschiedeten uns mit Umarmungen von Beth, dann ließ ich mich in einen der Lesesessel fallen und griff nach der gestrigen Tageszeitung, die noch auf dem Tisch lag. Ruth saß am PC und blätterte die Vorschauen durch, während Cynthia sich in der Kinderecke austobte.

»Kannst du mal bitte damit aufhören?«, fragte ich, doch Cynthia klapperte fröhlich mit der Motorikschleife weiter.

»Das beruhigt meine Nerven«, sagte sie.

»Meine aber nicht. Ruth, sag doch auch mal was.«

»Warte erstmal ab, bis sie den Tiptoi-Stift entdeckt hat.«

Cynthia sprang quietschend auf, während ich stöhnend tiefer in meinem Sessel versank. Schon tönte die elektronischen Stimme durch den Raum: »Tippe mit dem Stift auf Bilder und Texte im Buch!«

Wir alle kannten diese Stimme, weil Cynthia Beths Sohn zum Geburtstag ein Spiel von Tiptoi geschenkt hatte. Und wir alle hassten diese Stimme, denn wenn man den Stift nicht benutzte, leierte er unermüdlich seinen Text runter: »Tippe mit dem Stift auf Bilder und Texte im Buch!«

»Nun tipp doch endlich«, stöhnte ich und verkroch mich hinter der Zeitung. Das isolierte zwar nicht den Schall, lenkte mich aber ab. Da sprang mich eine Kontaktanzeige an:

Frau für sechs Wochen Australien/Offroad Trip im Dezember gesucht. Du solltest zwischen 30 und 35 Jahre alt sein, um die 1,62 m groß und nicht mehr als 58 kg wiegen. Kontakt unter…

Ich schielte zu meinen Freundinnen hinüber. Ruth war vertieft in ihre Vorschauen und Cynthia quälte den Bücherbär, indem sie ihm Geschichten vorlas. So leise wie es mit Papier möglich ist, riss ich die Anzeige aus der Zeitung. Vielleicht war ja das der Adrenalin-Kick den ich im Moment so dringend brauchte. Ich verlor das Interesse an der restlichen Tageszeitung und im beinahe gleichen Moment hatte Cynthia keine Lust mehr, dem Plüschtier etwas vorzulesen.

»Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte sie.

»Jap. Ich auch«, antwortete ich.

»Schön, das ihr da wart«, sagte Ruth.

Ich war schon fast an der Tür, da legte Ruth noch nach: »Was hast du da rausgerissen, Kathleen?«

»Nichts«, antwortete ich.

»Zwing mich bitte nicht, die gelöcherte Ausgabe hier mit meiner intakten Ausgabe zu Hause zu vergleichen«, sagte Ruth.

»Nur eine Kontaktanzeige.«

»Zeig mal.«

»Nein.«

»Wie gesagt, ich finde es sowieso raus.«

»Nicht, wenn ich die Ausgabe mitnehme und zu Hause durch den Schredder jage.«

»Jetzt sei nicht albern. Zeig schon her.«

Widerwillig reichte ich ihr den Zeitungsschnipsel, der in meiner Hosentasche ganz geknittert war.

»Das ist doch nicht dein Ernst«, rief Ruth.

»Klingt nach einem Abenteuer«, sagte Cynthia, die ihr über die Schulter geschaut hatte.

Ruth fuhr herum. »Klingt wohl eher nach einem Perversling. 1,62 m groß, maximal 58 Kilo. Sucht der eine Frau fürs Handgepäck?«

»Naja, vielleicht kommt man anders nicht durch das australische Outback«, mutmaßte Cynthia.

Ruth sah mich mit strengem Blick an. Warum war sie eigentlich keine Lehrerin geworden, fragte ich mich in diesem Moment.

»Du wirst diesem Irren auf keinen Fall antworten«, sagte sie und zerknüllte den Ausschnitt.

»Aber es ist doch nur ein Gag.«

»Nur ein Gag? Australisches Outback. Kein Telefon, kein Internet, noch nicht mal eine Brieftaube. Kathleen, ich flehe dich an, bitte tu das nicht.«

»Ja, ist ja gut. Ich mach es nicht.« Ich fühlte mich wie ein gescholtenes Kind und ging mit hängendem Kopf nach Hause. Ruth lebte in ihrer kleinen analogen Welt. Ihr kam es gar nicht in den Sinn, dass solche Anzeigen auch online geschaltet wurden.

»Ja, hallo?«

Ich erschrak, als ich die fremde Männerstimme hörte und ärgerte mich sofort über mich selber. Schließlich hatte ich die Nummer aus der Anzeige gewählt. Was hatte ich denn erwartet, wer sich melden würde?

»Hallo? Wer ist da?«, klang erneut die Stimme aus meinem Handy.

»Oh, ähm, hallo, hier ist Kathleen. Ich rufe wegen deiner Anzeige an.« Mir wurde gerade etwas flau im Magen und war sehr froh, dass Cassiopeia auf meinem Bauch lag und ihn wärmte. ›Entspann dich. Du willst nur ein wenig plaudern‹, sagte sie mir mit ihrem Schnuren.

»Welche Anzeige?«, fragte der Mann am Telefon.

»Die wegen Australien.«

»Das ist ein Fake.«

»Wie meinst du das?«

»Die haben meine Kumpels geschaltet, um mich zu nerven. Tut mir leid, ich habe keine Zeit für so einen Scheiß.«

»Ich würde echt gerne mit dir nach Australien fliegen.«

»Aber ich fliege doch gar nicht.«

»Wir könnten uns trotzdem treffen.«

Er atmete geräuschvoll aus, deshalb beeilte ich mich zu sagen: »Ich meine, deine Kumpels scheinen der Meinung zu sein, dass du mal wieder eine reisefreudige Frau kennen lernen solltest.«

»Ja, aber meine Kumpels meinen auch, ich sollte mal zu einer Nutte gehen um mich abzureagieren. Bist du eine?«

»Was?« Hatte er das gerade tatsächlich gesagt? »Du Arschloch. Ich versuche nur nett zu sein.«

»Tut mir leid. Ich habe gerade echt viel um die Ohren. Ich schätze, jetzt müssen wir uns doch treffen, damit ich das bei einem Bier wieder gut machen kann.«

Ich überlegte kurz, dann nahm ich sein Friedensangebot an.

»Was hältst du von Freitag um 19 Uhr im Chevy’s?«, fragte ich.

»Freitag kann ich nicht. Wie wäre Donnerstag 20 Uhr in der Milchbar?«

Donnerstag war eigentlich unser Mädelsstammtisch, unser Spucketag, wegen dem ›th‹ in ›Thursday‹. Ich überlegte kurz. Dann würden meine Mädels wohl mal ohne mich auskommen müssen.

»Ja, Donnerstag geht auch. Was machst du Freitag?«, fragte ich.

»Woran erkenne ich dich?«

»Oh, ich werde eine rote Rose zwischen den Zähnen halten. Was machst du Freitag?«

»Nein, das wirst du ganz sicher nicht tun.«

»Na schön, dann werde ich als Erkennungszeichen ein Buch dabei haben. Was machst du denn nun am Freitag?«

»Bis Donnerstag«, sagte er und legte auf.

»Warum will er mir nicht sagen, was er Freitag macht?«, fragte ich Cassiopeia und kraulte sie hinter den Ohren. Sie fing an zu schnurren, aber eine Antwort hatte sie nicht für mich. Ich schrieb eine Nachricht in die Gruppe, dass ich dieses Mal unseren Mädelsstammtisch schwänzen musste.

»Bist du mir böse?«, kam prompt die Frage von Ruth.

»Mädels, ich muss leider auch absagen«, schrieb Beth, »ich konnte für Benny keinen Babysitter finden.«

»Wie heißt der Kerl, wegen dem du uns versetzt?«, fragte Cynthia.

Ach richtig, vor lauter Aufregung hatte ich ganz vergessen, ihn nach seinem Namen zu fragen. Erneut wählte ich seine Nummer.

»Was denn noch?«, blaffte er mich an.

»Ist das deine Art, Menschen zu begrüßen?«

»Tja was soll ich sagen. Ich bin ein vollkommener Gentleman.«

»Ich habe deinen Namen gar nicht.«

»Hast du keinen eigenen?«

»Ich könnte dich auch einfach Blödmann nennen.«

»Und ich könnte dir am Donnerstag meine hässlichsten Kumpel vorbei schicken.«

»Das würdest du tun?«, fragte ich in gespieltem Entsetzen.

»Wenn du weiter so rumzickst.«

»Tut mir leid. Lass uns noch mal von vorne anfangen. Hallo, ich heiße Kathleen und rufe wegen deiner Anzeige an.«

»Hallo Kathleen, ich bin Ramon und habe gar keine Anzeige geschaltet. Das war mein hässlicher Kumpel Sven.«

»Wir könnten uns ja trotzdem treffen. Wie wäre es am Freitag?«

»Freitag kann ich nicht. Wie sieht es bei dir Donnerstag aus?«

»Donnerstag geht. Aber warum kannst du Freitag nicht?«

»Also Donnerstag 20 Uhr in der Milchbar. Ich bin der Typ mit dem Bier in der Hand.«

»Was machst du Freitag?« Doch er legte einfach auf.

Auch gut. Ich tippte ›Ramon’ in die Gruppe, dann schaltete ich das Handy aus und ging mit einem Buch ins Bett. Doch ich konnte mich nicht auf den Roman konzentrieren, weil mir ständig Ramon durch den Kopf ging. Hätte ich seinen Nachnamen, könnte ich im Internet nach ihm suchen. Würde ich ihn auf irgendwelchen Seiten finden, wüsste ich, wie er aussieht. Aber ich hatte ja seine Handynummer. Cassiopeia fauchte mich an, als ich barfuss an ihr vorbei lief um aus dem Wohnzimmer mein Handy zu holen. Ungeduldig wartete ich darauf, dass das System hochfuhr. Dann aktualisierte ich meine Kontakte und scrollte mich durch die Liste. Dieser Blödmann hatte tatsächlich ein Profilbild hochgeladen, aber keines von sich, sondern das von einem Esel. Ich zögerte kurz, dann schickte ich eine Textnachricht: »Verrat mir doch noch deinen Nachnamen.« Ein graues Häkchen, die Nachricht war also bei mir raus. Aber das zweite graue Häkchen fehlte. Vermutlich war er gerade in einem Funkloch. Alle fünf Minuten schaute ich aufs Display, doch es blieb bei einem Häkchen. Blödmann! Ich warf das Handy neben das Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Nachts um zwei schreckte ich aus einem Alptraum hoch und schaute auf mein Handy. Zwei graue Häkchen. Ich schaute in die Infos, die Nachricht war um 1:23 Uhr bei ihm eingegangen. Was machte er um diese Zeit und warum las er meine Nachricht nicht? Ich schrieb ihm erneut eine Nachricht: »Hey du Nachtschwärmer. Was treibt dich um die Zeit noch um?« Ein graues Häkchen. Zweites graues Häkchen. Doch nichts wurde blau. Zudem hatte er seinen Zeitstempel, wann er zuletzt online gewesen war, ausgeschaltet. Ich tippte durch meine Kotakte und sah, dass Cynthia gerade online war.

»Hey du«, schrieb ich sie an. Ein graues Häkchen. Zweites graues Häkchen. Ich wartete. Was war denn heute nur los, warum wollte niemand mit mir reden? Oh, zwei blaue Häkchen. Und Cynthia schrieb direkt zurück: »Hatte bis gerade ein wichtiges Geschäftsessen. Was hält dich wach?«

»Hab da einen Typen kennen gelernt.«

»Ramon?«

»Genau den…«

»Erzähl«, forderte Cynthia mich auf. Ich holte tief Luft, weil ich ihre Reaktion befürchtete. Aber dann schrieb ich beherzt: »Er ist der Typ aus der Anzeige.«

»NEIN!«

»Doch. Wir treffen uns Donnerstag.«

»An unserem Spucketag.«

»Ja, tut mir leid. Ging nicht anders.«

»Wann und wo?«

»Willst du mich stalken?«

»Ich will nur auf Nummer sicher gehen.«

»Er wird mir schon nichts tun«, schrieb ich und dachte: ›Er liest ja noch nicht mal meine Nachrichten.‹ Die Häkchen waren immer noch grau.

»Hast du schon ein Foto von ihm?«, fragte Cynthia.

Ich machte einen Screenshot von dem Esel und schickte ihn Cynthia.

»Blöde Kuh.«

»Hab dich auch lieb. Gute Nacht.«

»N8.«

Immer noch zwei graue Häkchen bei Ramon. Ich legte mich hin und versuchte mir auszumalen, was Ramon für ein Typ sein mochte. Seine Stimme klang ruhig und tief, wie bei einem Sportler. Die Art, wie er über seine Kumpel redete ließ darauf schließen, dass er zu ihnen ein ähnliches Verhältnis hatte wie ich zu meinen Mädels. Ob sie mich in ihrer Clique willkommen heißen würden? Wenn nicht, würde Ramon ihnen schon die Hölle heiß machen. Ich versuchte mir sein Gesicht vorzustellen. Auf jeden Fall ein kantiges Kinn. Aber ohne Bart und wenn doch, dann nur kurze Stoppeln. Augen- und Haarfarbe waren Nebensächlich. Nur bitte kein Brillenträger. Und volles Haar sollte er haben, kein graues. Das Bild des Esels schob sich immer wieder in meine Gedanken. Ich träumte sogar von ihm. Wir standen an einer Kreuzung im Wald. Der Weg gerade aus führte offensichtlich in eine Sackgasse. Der Weg nach links fiel sanft ab, der nach rechts stieg steil an. Ich versuchte den Esel am Halfter nach links zu ziehen, doch er blieb stur stehen. Sobald ich das Halfter locker ließ, versuchte er nach rechts zu gehen. Wir kämpften auf diese Weise miteinander, bis mir die Arme weh taten und ich frustriert aufgab. Ich warf die Hände über den Kopf und verfluchte diesen sturen Esel. Er starrte mich aus seinen grünen Augen an und ich starrte zurück. Er blähte die Nüstern und schüttelte den Kopf. Ich sah mich ratlos um und entdeckte einen Wegweiser, den ich bisher übersehen hatte. Der Weg nach links führte in die Vergangenheit. Der Weg nach rechts zeigte in die Zukunft. Der Esel öffnete sein Maul und quäkte die Titelmelodie von Dr. Snuggels.

Lamaspucke

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