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Tag drei: Montag

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Orientierungslos und mit dickem Schädel schlug ich den Wecker aus. Nur langsam klärte sich mein Kopf und der Traum schlich sich in mein Bewusstsein. Der Esel hatte auf keinen Fall in meine Vergangenheit gewollt. Dort gab es etwas, dass ihm Angst machte. Doch Traumdeutung war noch nie meine Stärke gewesen. Ich strampelte die Decke weg und ging ins Bad, um unter der Dusche wach zu werden. Mein Rücken war von der unruhigen Nacht verspannt und ich ließ das warme Wasser auf mich nieder regnen. Mein Shampoo roch leicht nach Tannennadeln und als der bockige Nachbarsjunge die Tür zuknallte, klang das wie ein Donnerschlag. Ich schreckte auf und sackte gleichzeitig in mich zusammen. Das Wasser lief mir in Mund und Nase. Ich kauerte auf dem Boden der Dusche, keuchte und hustete, konnte aber den Wasserhahn nicht erreichen. Erinnerungen aus der Kindheit prasselten auf mich ein und drohten, mich zu ersticken. Ich war damals zwölf oder dreizehn gewesen. Meine Hormone hatten ihre Spiele mit mir gespielt und ich war unsterblich in meinen Cousin Marco verliebt gewesen. Ich tat alles, um in seiner Nähe zu sein. Als er eine Nacht am Anfang der Sommerferien mit seinen Freunden im Wald übernachtete, schlich ich mich aus dem Haus um mit dabei zu sein, wenn Marco und die anderen Jungs am Lagerfeuer Marshmallows rösteten und sich gegenseitig Gruselgeschichten erzählten. Doch das Abenteuer endete in einer Katastrophe. Mir wollte jedoch nicht einfallen, was genau passiert war. Ich wusste nur noch, dass ein Unwetter aufgezogen und meine Hose nass geworden war, als ich nach Hause rannte.

Panik und Scham saßen mir auch jetzt noch in den Knochen und zerrten an meinen Muskeln. Mühsam fand ich den Weg zurück in die Gegenwart und schaltete die Dusche aus. Ich hoffte, die Langeweile des Büroalltags würde mit dabei helfen, meine Nerven zu beruhigen.

Doch der Tag war alles andere als langweilig. Mein Chef hatte mich mal wieder als sein Lieblingsopfer auserkoren und machte mir mein Leben so richtig zur Hölle.

Ich hatte einen Aktenordner aus den höheren Regalfächern im Archiv gebraucht und durch das Strecken war meine Bluse unangenehm nach oben gerutscht. Ich war gerade dabei, sie zu richten, als mein Chef zur Tür herein kam. »Frau Bretzel, sie gehören wohl auch zu den Menschen, die sich von keinem Kleidungsstück trennen können.«

»Ich heiße Bretzke, Herr Krüger. Und an meiner Kleidung ist nichts auszusetzen.«

»Naja, auszusetzen könnte man auch mit ausziehen gleich setzen.« Er grinste, so ein dreckiges Grinsen hatte ich noch nie zuvor gesehen. »Dabei könnte ich Ihnen behilflich sein.«

Ich drückte den Aktenordner an meine Brust und fragte mich selber: Hatte er das gerade tatsächlich gesagt? Sein Grinsen fiel in sich zusammen. »Sie sind ein wirklich überzeugendes Argument für getrennte Betten. Seien Sie doch mal etwas lockerer.«

Ich wich so weit ich konnte vor ihm zurück, doch die Regale stoppten sehr bald meinen Rückzug.

»Wir können uns im Aufzug über eine neue Kleiderordnung im Büro unterhalten«, versuchte er erneut, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Nur langsam fand ich meine Sprache wieder: »Der Aufzug ist zu klein für uns beide. Ich warte, bis Sie weg sind.« Ich hatte gehofft, wie ein verwegenes Cowgirl aus einem Western zu klingen. Aber vermutlich wirkte ich eher wie das verwaschene graue Mäuschen, das sich jetzt nichts sehnlicher als ein Mauseloch zum Verkriechen wünschte.

Erst in der Mittagspause kam ich dazu, auf mein Handy zu schauen. Ich hatte eine Textnachricht von Ramon: »Kortac«. Mehr nicht, nur dieses eine Wort. War das jetzt sein Nachname? Ich schaute in die Nachrichteninfos, er hatte meine Nachricht um halb acht gelesen und erst um zwölf geantwortet. Jetzt war es eins. Das mit dem Antworten würden wir wohl noch etwas üben müssen. Ich ging nicht weiter darauf ein, dass es unhöflich war, so kurz angebunden zu sein. Ärgerte mich aber darüber, dass er gar nichts von mir wissen wollte und jagte seinen Namen durch die Suchmaschinen. Gleich die ersten Treffer hauten mich um. Er war Boxer, eine durchtrainierte Kampfmaschine. Ich fand Bilder von Kämpfen und Siegerehrungen. Er hatte schon einige Kämpfe gewonnen und war regionaler Meister. Ein Facebook-Profil schien er nicht zu haben und auch in anderen sozialen Netzwerken konnte ich ihn nicht finden. Vielleicht war er dort aber auch nur mit anderem Benutzernamen registriert. Das würde ich schon noch raus finden.

»Du siehst echt sexy aus. Warum versteckst du dich hinter einem ollen Esel?«, schrieb ich.

»Damit sich niemand in mich verliebt«, kam prompt die Antwort.

»Was machst du gerade?«

»Pause.«

»Pause von was?«

»Von der Arbeit.«

»Was arbeitest du?« Meine Güte, er machte es mir aber auch echt schwer.

»Bin KfZ-Mechatroniker. Muss auch direkt wieder los. In der Garage wartet eine Schönheit auf mich.«

Sofort ging die Fantasie mit mir durch. Ich stellte mir meinen muskulösen Boxer mit nacktem Oberkörper vor, wie er ölverschmiert unter einem Auto lag. Alles, was er außerhalb seines kleinen Universums wahrnehmen konnte, waren zwei rote Pumps, die auf ihn zu stöckelten. Dann eine Hand mit langen, rot lackierten Fingernägeln, die ihn am Hosenbund packten und ihn auf seinem Rollbrett unter dem Auto hervorzogen. Die Zwillingsschwester von Barbie ging über ihm in die Knie und leckte das Öl von seiner Brust als wäre es Schlagsahne. Die Eifersucht packte mich im Genick und schüttelte mich, als wäre ich ein frisch erbeutetes Kaninchen. Ich schrieb an Ramon: »Warum fährst du dann nicht mit ihr nach Australien?«

Dann steckte ich das Handy weg und machte mich wieder an meine Arbeit. Der Nachmittag zog zäh an mir vorbei. Mein Chef hatte einen Geschäftstermin außer Haus, aber ich griff erst wieder nach meinem Handy, als ich Feierabend hatte und im Aufzug stand. Ramon hatte mir eine Nachricht mit Bild geschickt: »Weil sie dafür nicht das richtige Fahrgestell hat.« Auf dem Bild war ein roter Sportflitzer abgebildet. Das war seine Schönheit? Ein Auto? Musste wohl eine Form der Berufskrankheit sein. Ich schickte als Antwort einen lachenden Smiley. Dann rief ich Beth an und fragte sie, ob sie nicht Lust hatte, mit Benny auf einen Schlummertrunk bei mir vorbei zu kommen.

»Ich kann leider nicht, eine Kollegin ist ausgefallen und ich muss in der Bar aushelfen.«

»Okay, schade. Was machst du mit Benjamin?«

Ihre Antwort ging in dem Gerumpel der Straßenbahn unter. Ich hörte nur noch ein gehetztes: »Muss los. Bis dann. Drück dich.« Sie hatte aufgelegt, bevor ich etwas erwidern konnte. Beth hatte mehrere Jobs. Ich verlor regelmäßig den Überblick darüber wo sie arbeitete. Wenn sie sagte, sie müsse in die Bar, konnte sie damit nur die Milchbar meinen. Dort war ich ja am Donnerstag mit Ramon verabredet. Aber sie würde doch nicht an unserem Spucketag arbeiten. Das musste ich vorher abklären und gegebenenfalls einen neuen Treffpunkt vereinbaren. Auf keinen Fall wollte ich eine Anstandsdame bei meinem ersten Treffen dabei haben. Ich ging zur Milchbar, um ein wenig mit Beth zu plaudern. Doch sie hatte viel zu tun und sammelte gerade das benutzte Geschirr von den Tischen. Wir umarmten uns kurz zur Begrüßung und ich fragte sie, wo sie ihren Kleinen versteckt habe.

»Benny ist bei Ruth. Weißt du, nachdem sie neulich von ihrer schrecklichen Vergangenheit erzählt hat, dachte ich, sie hätte vielleicht Spaß mit einem Leihkind.«

»Meinst du nicht, dass sie das noch mehr runter zieht?«

»Keine Ahnung. Ich habe sie gefragt und sie schien sich zu freuen.« Beth sah sich in der Bar um, viele der Tische waren besetzt. »Tut mir leid, Liebes, aber heute ist viel los, ich muss mal an die Arbeit.«

»Ja klar, versteh ich. Ich setz mich da rüber. Bringst du mir einen Rotwein?«

»Mach ich.« Sie drückte mich noch mal kurz und verschwand hinter der Theke. Ich setzte mich an einen der Tische und schaute mich im Raum um. Es war Montagabend und die meisten der Gäste schienen direkt von irgendwelchen wichtigen Meetings zu kommen. Anzugjacken hingen über Stuhllehnen, Hemdsärmel waren hoch gerollt und Krawattenknoten gelockert. Als Sekretärin ging ich auch nicht in schäbigen Jeans zur Arbeit, aber zwischen all diesen Anzugträgern fühlte ich mich völlig underdressed. Beth brachte mir meinen Wein. Ich prostete ihr zu und sie antwortete mit einem Luftkuss.

Ich nahm mein Handy und suchte erneut nach Spuren von Ramon im Internet. Ich scrollte durch die vielen Treffer, die ich schon kannte, bis ich auf sein Instagram-Profil stieß. Er nannte sich dort free_to_bee und auch dort war sein Profilbild dieser verdammte Esel. Aber er hatte ein paar sehr ansprechende Bilder von sich hochgeladen. Auf einem hielt er stolz eine Siegermedaille hoch. Andere zeigten ihm beim Training. Auf einem sah man nur seine Silhouette, während er gegen einen Sandsack boxte. Ich loggte mich bei Instagram ein und schenkte diesem Bild ein Herzchen. Dann klickte ich an, dass ich ihm jetzt folgte, um keinen seiner Beiträge mehr zu verpassen. Seine Abonnement-Liste ergab auch nicht viel Neues. Seine Kumpels erkannte man an den Party-Bildern. Er hatte einige Sportler abonniert, Motivationsseiten, Autos, Lustiges und die ein oder andere Pornodarstellerin. Ich zahlte meinen Wein bei Beth und schlenderte unter den Lichtkegeln der Straßenlaternen nach Hause. In der Nähe einer Straßenbahnhaltestelle traten mir zwei Männer in den Weg.

»Hallo Süße, wo willst du denn hin?«, fragte der eine. Sein Atem roch stark nach Alkohol.

»Nach Hause. Lass mich in Ruhe.«

Der eine stieß den anderen an und drängte sich näher an mich. »Nach Hause also. Hast du da auch ein großes Bett?«

»Der Küchentisch reicht uns auch«, feixte der andere.

Ich drängelte mich an ihnen vorbei, unterdrückte einen Brechreiz und rannte zur Haltestelle, wo gerade eine Bahn einfuhr.

»Hey, Schnecke, nicht so schnell.«

»Komm zurück. Wir wollen doch nur spielen.«

Die Türen schlossen sich hinter mir und ich schaute auf meine Hände, die zitternd eine der Haltstangen umschlossen. Niemand in der Straßenbahn schien etwas von meiner Flucht mitbekommen zu haben. Ich fuhr stehend drei Stationen. Die Ein- und Aussteigenden rempelten mich an. Doch das nahm ich kaum wahr, ich wollte nur noch nach Hause und diesen beschissenen Tag mit einer heißen Dusche von mir runter waschen. Am ZOB stieg ich in eine andere Bahn um, die mich bis fast vor meine Haustür fuhr. Normalerweise bewegte ich mich überwiegend zu Fuß durch die Stadt. Doch diese Idioten hatten mich in eine Straßenbahn in eine völlig falsche Richtung getrieben.

Zuhause begrüßte mich Cassiopeia mit einem Fauchen. Katzen konnten so schnell einschnappen. Ein leerer Futternapf und ein Abend ohne Zuwendung reichten da schon aus. Doch das Klappern des Trockenfutters im Napf besänftigte sie schnell. Ich lauschte erschöpft dem knabbernden Geräusch mit dem sie das Futter mit ihren dolchartigen Zähnen spaltete. Dann legten wir uns aufs Sofa und schliefen ein. Ich träumte von der Nacht im Wald. Wir saßen auf Baumstämmen um ein Lagerfeuer herum. Ich hatte mich bei Marco auf den Schoß gesetzt und kuschelte mich eng an ihn, während einer der Jungs eine Gruselgeschichte erzählte. Der Wind frischte auf und ein lauter Donner hallte durch die Nacht. Ich zuckte zusammen, schrie auf und landete unsanft auf dem Waldboden. Mein eigener Schrei weckte mich aus diesem Traum und benommen wanderte ich vom Sofa zum Bett. Marco hatte mich angewidert von seinem Schoß runtergeschubst. Aber warum? Bloß weil ich geschrieen hatte?

Lamaspucke

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